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Wie es zu diesem Projekt kam:


Seit 1990 fahren die Pfadfinder aus Wenholthausen in jedem Jahr nach Umbrien; meist in den Herbstferien. Nach vielen Aufenthalten in Assisi selbst stand immer stärker das "Hinterland" Umbriens im Vordergrund. Diese Bergregion, bislang kaum touristisch bekannt, war seit 1991 immer wieder Ziel unserer Trekking-Touren. Von der kleinsten Gruppe 1995 mit 5 Teilnehmern, bis hin zu "Großunternehmen", wie 1996, mit fast 30 Teilnehmern. In diesen Jahren haben wir enge Kontakte geknüpft; z.B. zu Franco Rambotti. Wir wurden überall sehr gastfreundlich aufgenommen; es wurde uns geholfen, wann immer es notwendig war.

Dann der 26. September 1997: alle Fernsehnachrichten sind voll von Berichten über das Erdbeben. Aber nicht nur Assisi und die beschädigten Kirchen werden gezeigt; plötzlich sieht man auch Bilder aus Gebieten, die wir von unseren Wanderungen gut kennen: Foligno, Colfiorito, Bagnara, Annifo.

Wir Pfadfinder, die dort schon so oft unterwegs waren, beschließen spontan, eine Hilfsaktion durchzuführen. Erste Kontakte mit Franco ergeben: für Unterkunft und Verpflegung der Betroffenen wird bestens seitens der italienischen Regierung gesorgt (soweit dies überhaupt möglich ist). Franco schildert uns das größere Problem: die Menschen haben Angst, daß man sie nach den anfänglichen Hilfslieferungen bald vergessen wird.

Er schlägt uns die Unterstützung eines Projektes in Colle vor: dort soll ein Zentrum errichtet werden, in dem Begegnungen, auch junger Menschen aus anderen Ländern, stattfinden sollen; in dem man sich über die Natur, die Geschichte und die Lebensgewohnheiten der umbrischen Bevölkerung informieren kann. Dieses Projekt wollen wir mit unseren bescheidenen Mitteln unterstützen!

Weihnachten `97: unser Pfadfindertrupp spendet einen Teil des Erlöses vom Weihnachtsmarkt für das Hilfsprojekt; gleichzeitig gehen erste Spenden unserer Leiter dafür ein. Von Tannenbaum- und Ostereieraktion fließt ebenfalls ein Teil des Erlöses ins Projekt. Bereits jetzt ist klar: im Herbst wollen wir wieder nach Umbrien; wenn möglich, dort sinnvolle, praktische Hilfe leisten. Im Laufe des Frühjahrs wird diese Idee dann konkret: wir wollen einen Solidartätsmarsch organisieren. Er soll einerseits den Menschen dort zeigen, daß sie bei uns nicht vergessen sind; andererseits soll noch mehr Geld für eine finanzielle Unterstützung des Zentrums zusammen kommen. Die Idee eines "Sponsoren-Marsches" kommt auf; nimmt Gestalt an. Die Route soll entlang des E1 führen - von Colle bis nach Castelluccio; insgesamt etwa 100 Kilometer.

Nach den Sommerferien beginnt die heiße Phase der Vorbereitungen:
- Sponsoren werden von jedem einzelnen Teilnehmer angesprochen
- Konkrete Absprachen mit Franco getroffen
- Zeltmaterial und notwendige Ausrüstung zusammengestellt
- Bahnkarten werden bestellt; jede Menge organisatorische Einzelheiten abgeklärt
- Parallel dazu läuft eine breite Öffentlichkeitsarbeit an (Zeitung, Flugblätter)

Kurz vor der Fahrt dann ein dreitägiges Vorbereitungslager mit einer Übernachtung in der Schule und einer Übernachtung mitten auf der Homert. Wir lernen bei strömendem Regen die Grenzen unserer Ausrüstung kennen.....

In der letzten Woche vor der Fahrt dann die Einkäufe, Aufteilen des Gepäcks auf die Teilnehmer (mit der Küchenwaage exakt und gerecht zugeteilt); letzte Vorbereitungen. 15 Teilnehmer sind bereit. Es kann losgehen!


Die Teilnehmer des "Marcia di solidarietà per l`Umbria":

Alexandra Wiese,
Anna Büttner,
Janine Schlabach,
Marianne Schmidt,
Sonja Ricke,
Christoph Schmidt,
Florian Beste,
Florian Böhmer,
Friedhelm Beste,
Jan Büttner,
Jan Valerius,
Manuel Hesse,
Martin Kies,
Michael Schmidt
und Thomas Baumhöfer.


- Reisetagebuch -



Freitag, 2.10.98, 1.Tag


Lange haben wir auf diesen Tag gewartet. Seit Mittwochabend ist auch das letzte Gepäck verpackt - nach anfänglichem Chaos in Martins Klasse haben wir es doch noch geschafft, sämtliche Lebensmittel in drei Seesäcken zu verstauen - ein Teil mußte dann aber doch noch auf die Rucksäcke der Teilnehmer verteilt werden, da die drei neuangeschafften Seesäcke auch schon so aus allen Nähten zu platzen drohten. Dazu kommt noch das gesamte Zeltmaterial, die Kochausrüstung, das Erste-Hilfe-Set samt Trekking-Apotheke sowie die Foto- und Videoausrüstung für die Dokumentation der Reise.

Alles in allem etwa 90 Kilogramm Lebensmittel; dazu 42 Kilogramm an Ausrüstungsmaterialien. Die Rucksäcke stehen seitdem fertiggepackt im Klassenzimmer. Damit haben wir die Garantie, daß niemand etwas zu Hause liegen läßt.

Und jetzt, so gegen 11.45 Uhr, trudeln die Fahrtteilnehmer langsam ein - die meisten haben in der Schule einige Stunden "Sonderurlaub" bekommen - na ja, es ist ja auch für einen guten Zweck. Wer`s nicht mehr zu Hause geschafft hat, zieht halt jetzt im Klassenzimmer schnell seine Trekking-Hose an und wechselt die Schuhe: ab jetzt die Kleidung für die nächsten 17 Tage.

Denn viel Platz bleibt für die persönliche Kleidung im Rucksack nicht mehr: Schlafsack und Isomatte, Zeltsäcke und Lebensmittel, Trinkwasserflasche und jede Menge sonstige notwendige Kleinigkeiten - all dies füllt den Rucksack bereits beträchtlich und läßt nur noch wenig Platz für Reservekleidung. Und - was eigentlich noch wichtiger ist - wir müssen mit jedem Gramm vorsichtig sein. Die Rucksäcke sind auch so schon schwer genug! Aber was braucht man auch schon für 17 Tage, wenn man wirklich genau überlegt: neben der Kleidung am Körper ein wenig Wäsche zum Wechseln (unterwegs müssen wir irgendwann und irgendwie mal waschen); für warme Tage T-Shirt und kurze Hose; ein Mini-Waschzeug (alles auf extrem leicht getrimmt); ein zusätzliches Paar leichter Schuhe. Was wichtiger ist: ein gutes Regenzeug, ein warmer Pullover für die im Gebirge sicher zu erwartenden kalten Nächte. Wer dann noch mehr Gewicht verkraften kann (und den nötigen Platz im Rucksack hat) gönnt sich noch ein Reservehemd und eine zweite lange Hose.

Schon der kurze Weg zur Bushaltestelle an der Post zeigt jedem, wie schwer so ein Rucksack doch sein kann! Und das ohne das später noch hinzukommende Trinkwasser! Alles in allem so zwischen 15 - 22 Kilo (unsere Damen wurden etwas entlastet)

Und pünktlich zur Abfahrt regnet es natürlich! Nun ja, in Italien kann es eigentlich nur besser sein (obwohl die Fernsehnachrichten der letzten Woche diesbezüglich über Italien nichts Gutes berichtet haben: sintflutartige Regenfälle, Erdrutsche, Kälteeinbrüche). Aber wir sind bei unseren vielen Herbstfahrten nach Italien (und dies ist nun die 9. Fahrt) immer optimistisch gewesen.

Zumindest ist der Bus schon mal pünktlich. Wir haben uns für eine gemeinsame Anreise nach Freienohl per Bus entschieden, damit wir sozusagen "Urlaub von Anfang an" haben. Einige Eltern begleiten uns trotzdem mit dem PKW und warten mit uns gemeinsam auf den Zug. Und siehe da, Familie Böhmer zaubert doch glatt ein Kistchen Veltins aus dem Kofferraum! Wirklich eine schöne Überraschung. Die zweite Überraschung folgt dann, als der Zug heftig quietschend einläuft: "Wir wünschen den Pfadfindern aus Wenholthausen eine gute Fahrt nach Italien!" So klingt es aus dem Bahnhofslautsprecher. Danke, Herr Mühlenkamp!!

Herr Böhmer kann uns gerade noch zurufen, ob wir ähnlich wieder empfangen werden möchten, da schließen sich auch schon die Türen und wir sind unterwegs nach Umbrien. Und welch ein Bahnservice: bereits in diesem Zug sind für uns Plätze reserviert! Es gibt also keine Probleme mit den 15 Rucksäcken und den zusätzlichen Seesäcken. Und dann hat ja jeder noch eine Verpflegungstasche dabei.

In Hagen heißt es ein erstes Mal umsteigen; auch hier sind die Plätze reserviert und es geht zügig weiter nach Bonn. Unsere Seesäcke lassen aber bereits auf dem Bahnsteig in Hagen erste Schwächen erkennen: die D-Ringe aus Metall biegen sich aus den Befestigungsschlaufen heraus. Das liegt einmal am doch etwas windig verarbeiteten Material, andererseits an der Art, wie manche der Träger sie handhaben. Wenn zwei Leute in verschiedene Richtungen auseinanderstreben, kann wohl auch das beste Material nicht lange dagegenhalten. Wir müssen ein erstes Mal improvisieren.

In Bonn dann ein weiteres, kleineres Problem: wir können nicht aussteigen, da sich von draußen schon ungeduldige Zeitgenossen in den Waggon quetschen. Der Stau ist also vorprogrammiert. Wir lassen es nicht an eindeutigen Anmerkungen dazu fehlen. Eine gute halbe Stunde Aufenthalt in Bonn da fällt vielen plötzlich ein, was man noch so alles für die weitere Reise kaufen könnte. Und so hetzen unsere Leute treppauf/treppab zu den verschiedenen Shops.

Dann läuft unser IC 617 pünktlich ein und wir stehen auch (fast) an der richtigen Stelle. Da es eilt, steigen wir an beiden Seiten des Wagens ein; unsere jungen Damen vorweg. Dies erweist sich jedoch als weiteres Problem, da unsere reservierten Plätze von anderen Mitfahrern belegt sind, die zum größten Teil auch nicht aufstehen wollen. Auch hier helfen nur eindeutige Worte weiter, insbesondere beim Fall des älteren Bayern, den wir wohl aus dem Tiefschlaf gerissen haben. Mit "Leck mich am ...." räumt er dann schließlich unter unseren anfeuernden Kommentaren (Seppl Strammsack) den Platz. In diesem Zug dauert es ein Weilchen, bis wir in den engen Gepäckablagen unser Material verstaut haben. Danach aber haben wir Ruhe. München ist nun erst wieder unsere nächste Umsteigestation.

Es geht entlang des Rheins; wir bewundern die Burgen und Felsen, die sich allerdings immer mehr ins triste Grau des Regentages zurückziehen. Ab Stuttgart geht es dann zügig über die neue ICE-Trasse bis nach München. Hier kommen wir kurz nach neun Uhr an - wir haben jetzt zwei Stunden Zeit bis zur Abfahrt des Nachtzuges über die Alpen. Nach kurzer Diskussion machen sich fünf Teilnehmer ohne Rucksäcke auf den Weg zum nahegelegenen Augustinerbräu. Hier ist ein für uns schon traditioneller, letzter Umtrunk angesagt. Besonderes Interesse findet danach die vor dem Bräu gelegene "Befreiungshalle". Der Rest der Gruppe hat es sich inzwischen auf dem Abfahrtsbahnsteig bequem gemacht.

Das Problem mit dem Nachtzug nach Florenz zu Beginn der Herbstferien kennen wir schon aus Erfahrung: wegen des großen Andrangs fährt der Zug mal wieder zweiteilig; von zwei verschiedenen Bahnsteigen. Es bleibt den Reisenden überlassen, ihren "richtigen" Zugteil zu finden...... Für uns zum Glück kein großes Problem: unser Liegewagen steht fast vor unserer Nase. Nun heißt es das Gepäck durch die Abteilfenster zu verstauen und innen die Betten zu richten. Für viele von uns eine neue Erfahrung; dementsprechend lange dauert es.

Wir kommen mit unseren Mitreisenden ins Gespräch und erzählen von unserem Solidaritätsmarsch. Spontan gehen weitere Spenden bei uns ein! Dann setzt sich der lange Zug in Bewegung und das nächtliche München bleibt hinter uns zurück. Zuerst stehen wir noch ein wenig im Gang; dann ziehen wir uns nach Kufstein in unsere Abteile zurück, um die anderen Leute nicht zu stören. Im Abteil unserer jüngeren Teilnehmer scheint diese Botschaft aber nicht richtig verstanden worden zu sein - hier dauert es noch sehr lange, bis Ruhe einkehrt. Zum Glück werden wir in unserer weiteren Nachtruhe dann nicht mehr durch Paß- oder Fahrscheinkontrollen gestört. Europa scheint endgültig freizügiger geworden zu sein.

Samstag, 3.10.98, 2.Tag


Als wir aufwachen, sind wir schon tief in Italien. Und das schlechte Wetter scheinen wir weitgehend hinter den Alpen zurückgelassen zu haben: zwar herrscht nicht unbedingt Sonnenschein; es regnet aber auch nicht, und das ist schon mal ein Fortschritt!

Florenz erreichen wir um 9 Uhr - und hier scheint nun wirklich die Sonne! Wir organisieren eine Gepäckwache und machen uns in Kleingruppen hinaus auf den Bahnhofsvorplatz. Erste Cappuccinos werden genossen, dazu belegte Paninis. Kurz nach zehn steigen wir dann in den Interregio in Richtung Foligno. Vertraute Städte fliegen draußen vorbei; bekannt von den vielen Fahrten in den Vorjahren. Jetzt ist auch der Zeitpunkt gekommen, wo wir uns als Pfadfinder "outen": aus den Rucksäcken werden die frisch gebügelten Kluft-Hemden hervorgeholt; einige lernen zum ersten Mal, wie Halstücher akkurat gefaltet werden. Schließlich wollen wir bei der Ankunft ja ein gutes Bild abgeben!

Es wird ernst: wir verwandeln uns vor der Ankunft in Gaifana in


Nach Terrontola wird es spannend: wie wird es ab Foligno weitergehen? Bis dahin haben wir, wie mit Franco verabredet, die Karten gelöst. Zwei Tage vor der Abfahrt kam dann von ihm ein Anruf, wir sollten bis zur Stazione di Gaifana; also kurz vor Colle, lösen. Natürlich für uns zu spät - jetzt haben wir das Problem, wie wir in Foligno am Schalter eine Gruppenfahrkarte lösen sollen. Ein Schaffner, bei dem wir unsere Italienischkenntnisse aufpolieren, macht uns dafür auch keinen großen Mut: nur 10 Minuten Umsteigezeit in Foligno; nein, der Bahnsteig sei ihm nicht bekannt; Karten gäbe es am Schalter... . Was soll`s - es wird schon irgendwie weitergehen.

Wir kommen durch Assisi und sehen hier im Bahnhof zum ersten Mal Erdbebenschäden: der Bahnhof ist größtenteils abgesperrt; große Stahlträger halten das Gebäude zusammen. Jeder von uns, der schon mal hier war, ist von diesem Anblick betroffen.

In Foligno dann die Überraschung: als Jan und Martin durch die Überführung zum Schalter hoch hetzen, werden sie bereits von Franco und seiner Frau Gabriella begrüßt - und die beiden handeln problemlos ein günstiges Anschlußticket heraus. Marianne schießt draußen vor dem Bahnhof noch schnell ein Souvenirfoto für Manuel und Rudi, sein Maskottchen zusammen mit Rudis "großem Bruder". Bei der Weiterfahrt sehen wir dann überall zerstörte oder abgestützte Häuser. So haben wir uns das gar nicht vorstellen können. Am Bahnhof von Gaifana erwartet uns dann schon wieder Franco, zum Glück mit dem Wagen! Hinein mit den Seesäcken!


Begrüßung durch Franco an der Stazione di Gaifana


Und dann heißt es die Rucksäcke aufschnallen und die zwei, drei Kilometer bis zu Francos Platz laufen. Zuerst geht es im Gänsemarsch an der stark befahrenen Via Flaminia entlang, ehe wir nach Gaifana hinein abschwenken. Und hier kommen wir zum ersten mal direkt an vom Beben betroffenen Gebäuden vorbei - durch dicke Holzbalken gegen Einsturz gesichert. Hinter Gaifana geht es dann weiter über kleinere Wege bis nach Colle.

Und hier hat das Beben mächtig zugeschlagen! Überall abgestützte Häuser, teilweise sogar zusammengebrochen. Ein erschreckender Anblick für uns, die dieses Dörfchen doch in so anderer Erinnerung hatten! Nun ist es nur noch ein kurzes Stück bis zu Francos Anwesen und unserem Platz für die nächsten drei Tage.

Schon auf den ersten Kilometern bis Colle bekommen wir einen ersten Eindruck vom Gewicht des Rucksacks


Franco wohnt jetzt nicht mehr in der Villa della Cupa - auch sie ist vom Beben stark in Mitleidenschaft gezogen - sondern oberhalb in zwei Räumen "unseres" Ferienhauses von 1996. Wir werden mit Weintrauben und Zitronensaft empfangen und ruhen uns erst einmal kurz aus. Fast dreißig Stunden Fahrt liegen nun hinter uns. Wir sind zwar ein wenig müde, aber auch gespannt auf das, was nun auf uns zukommen wird. Wir verabreden mit Franco eine Teamsitzung für den Nachmittag; zuerst wollen wir mal die Zelte aufbauen und kochen. Franco teilt uns dazu aber gleich mit, daß wir für den Abend zu einem Essen zu einer Familie nach Colle eingeladen sind. Wir können, wenn wir wollen, bei ihm Toiletten und Dusche mitbenutzen. Das wird aber normalerweise nicht notwendig sein - die kalten Duschen/Waschstellen auf dem Platz werden uns reichen - auf der Trekking-Tour selbst werden wir dann nur noch mit Viehtränken vorlieb nehmen können. Während wir noch herumstehen, hören wir plötzlich ein schwaches Rufen von der Rückseite des Hauses: Marianne hat sich versehentlich in den hinteren Räumen einschließen lassen und muß nun erst mal befreit werden.

Mit unseren Rucksäcken ziehen wir anschließend hoch auf die Terrassen des Camping-Platzes. Wir haben das ganze Gelände für uns alleine und können uns dementsprechend weiträumig verteilen. Nach den Erfahrungen der vergangenen Nacht legen die Leiter darauf Wert, daß die Mädchen ihr Zelt möglichst weit entfernt aufschlagen.

Und nun zeigt sich, daß das Trainingscamp auf der Homert doch recht nützlich war: jede Kleingruppe zieht selbständig ihr Zelt hoch und richtet sich danach ein. Michael und Sonja haben mit ihrem Salewa "Sierra Comfort" zwar noch einige Probleme; insbesondere mit dem sorgfältigen Abspannen des Innenzeltes (beim Regen nachts werden sie das aber schnell lernen!), bei den anderen klappt aber alles reibungslos. Die drei Mädchen haben das neue VauDe "Santa Fe", unsere Jungen das Fjäll Räven "Basefox". Die Leiter haben das einzig "richtig große" Zelt: das im Vorjahr neu angeschaffte Hilleberg "Keron-4-GT" (Jan`s Worten zufolge eine Schützenhalle). Hier können alle Gruppen notfalls bei schlechtem Wetter kochen. Und Marianne und Martin haben sich wieder für das winzige Salewa "Sierra Leone" entschieden.

Als alles so weit steht, verfinstert sich der Himmel mehr und mehr. Wir beeilen uns also mit dem Kochen, damit wir möglichst vor dem Regen fertig sind. Das klappt aber nicht; wir müssen uns unter den Schutz des kleinen Vordaches am Waschhaus zurückziehen. Es gibt ein einfaches Gericht: Gemüsereis aus der praktischen Tüte - einfach ins kochende Wasser einrühren, sieben Minuten leicht kochen - fertig! Das spart Brennstoff, ist leicht zu transportieren, in einem einzigen Topf komplett herzustellen (also auch kein großes Spülen anschließend) und kann normalerweise nicht schief gehen, wenn man die Anleitung genau beachtet. Von diesen Gerichten haben wir jede Menge an Variationen dabei; vorwiegend als Nudelgerichte in allen möglichen Geschmacksrichtungen. Apropos Geschmack: die "alterfahrenen" Trekking-Spezialisten unter uns haben sich mittlerweile an den Geschmack dieser Gerichte gewöhnt (man ißt sie inzwischen sogar recht gerne); unsere "Frischlinge" haben damit teilweise aber noch ihre Probleme, oder, um es direkter auszudrücken: die ersten Schnöggel unter uns werden erkennbar.

In Ermangelung von Sitzgelegenheiten oder Tischen genießen wir die erste Mahlzeit unter dem Vordach stehend, schauen dem stetig herabströmenden Regen zu und wollen es nicht glauben: Bella Italia und solch ein Regen!

Das Leitungsteam setzt sich wie verabredet am Spätnachmittag mit Franco zusammen, um den weiteren Ablauf der Fahrt zu besprechen. Wir sind gespannt, was Franco alles für uns organisieren konnte. Und das ist eine ganze Menge! Am heutigen Abend sollen wir also zum Essen zu einer Familie nach Colle. Für Sonntag schlägt Franco uns zunächst die Besichtigung seiner Villa della Cupa vor, damit wir einen ersten Einblick über die Erdbebenschäden bekommen können. Danach können wir einen Rundgang durch Colle machen und am Gemeindegottesdienst teilnehmen. Nach einem Gang durch die Container-Siedlung, in der viele Bewohner Colles nun seit einem Jahr leben müssen, hat Franco für den Nachmittag eine Gruppe italienischer Jugendlicher eingeladen, die uns durch die weitere Umgebung begleiten soll. Abends soll dann ein Essen in einer Pizzeria in einem Nachbarort stattfinden. Für Montag dann eine größere Rundfahrt; organisiert von Franco und der Gemeinde Nocera Umbra. Nachmittags dann unser erstes Arbeitsprojekt: wir können in der Villa della Cupa, die bis zum Erdbeben von einer 86jährigen Tante von Franco bewohnt war, das Mobiliar ausräumen, da dort in Kürze endlich die Renovierungsarbeiten beginnen sollen. Und Dienstag soll es dann mit der Trekking-Tour losgehen.

Wir sind mit diesen Vorschlägen einverstanden und unterrichten die Gruppe. Der Regen hat inzwischen aufgehört und wir machen uns nach Einbruch der Dämmerung auf den Weg nach Colle. Hier werden wir von der Familie freundlich hereingebeten und lassen uns an einer langen, improvisierten Tafel im Wohnzimmer nieder.

"Polenta al sugo" heißt das für uns alle neue italienische Gericht, welches uns nun aufgetischt wird: auf den Polenta-Maisbrei kommt oben drauf eine Bolognese-Sauce; dazu gibt es grünen Salat und natürlich Wein. Da wir ja nachmittags noch den Reis hatten, müssen wir mit den mächtigen Portionen nun doch stark kämpfen. Wer an diesem Abend nicht satt wird, ist selbst schuld!

Zurück im Lager setzen wir uns noch kurz zu einem letzten Glas Rotwein im Freien zusammen, ehe uns die abendliche Kühle in unsere Zelte treibt. Nun ja; Umbrien im Herbst war abends schon immer ziemlich kühl! Unsere erste Nacht verläuft ruhig; wir schlafen nach der anstrengenden Anreise dementsprechend fest.

Sonntag, 4.10.98, 3.Tag


Ein erster Blick aus dem Zelt: tatsächlich, das Wetter ist gut! Es gibt ein erstes Frühstück auf dem "Lagertisch" (ein Mauerrest neben dem Leiterzelt, das gleichzeitig unser Vorratslager ist), aus Knäckebrot, Wurst und Käse bestehend. Pünktlich um 10 Uhr finden wir uns dann in Kluft unten an der Villa della Cupa ein. Franco zeigt uns zuerst von draußen verschiedene Arten von Rissen und erklärt uns, wie sie durch die wellenförmige Bewegung des Erdbebens entstanden sind.

Wir werden erstmals direkt mit den Auswirkungen eines Erdbebens konfrontiert


Dann geht es hinein - und wir werden erstmals direkt mit den Folgen des Bebens konfrontiert. Unsere Schritte knirschen über Glasscherben und von Wänden und Decken herabgefallenen Putzteilen. In verschiedenen Räumen erklärt uns Franco, wie sich die "Strukturen", also die Bauweise verhalten hat. Vor allem an denjenigen Stellen, wo man früher mal Anbauten oder Veränderungen vorgenommen hat, sind Schäden aufgetreten. Im Flur kann man gut sehen, wie z.B. irgendwann mal zugemauerte Fenster wieder aufgebrochen sind. Überraschenderweise hat der älteste Teil des Hauses, eine Art viereckiger Turm, um den herum im Laufe der Jahrhunderte immer mehr angebaut worden ist, am wenigsten gelitten - auch ein Zeichen für die damalige Qualität der Bauweise. Dafür hat der Turm beim Hin- und Herschwanken aber gegen die Nachbarbauteile geschlagen und kräftig ausgeteilt!

Zuletzt gehen wir mit Franco hinunter in "unseren" Keller - die Fässer stehen noch so wie immer - aber auch hier ist alles abgesperrt; seit dem September `97 ist das Restaurant hier unten geschlossen. Für uns ist dies alles sehr beeindruckend - so schlimm haben wir uns das gar nicht vorgestellt. Als wir dann aber nach Colle hineinkommen, sehen wir die gewaltigen Zerstörungen noch viel deutlicher. Ein Wunder, daß es hier nicht zu Verletzten und Toten während des Bebens kam! Franco erklärt uns, daß hier in Colle fast jedes Haus stark beschädigt ist. Dies betrifft also nicht nur die Häuser, wo das durch die Abstützungen aus Holz- oder Metallstreben offenkundig ist. Da viele Häuser als ganze Blocks zusammengebaut sind, hat das Schwanken und Beben der Erde die einzelnen Bauteile gegeneinanderschlagen lassen. Dadurch sind auch überall in der Bausubstanz Risse entstanden, die die Häuser, obwohl äußerlich noch recht gut aussehend, unbewohnbar gemacht haben.

Und dies ist auch das Problem bei den anstehenden Renovierungen. Geld vom Staat gibt es dafür nur, wenn gleichzeitig alle Häuser innerhalb eines Blocks saniert werden. Und dabei die Leute alle unter einen Hut zu bringen, ist wohl sehr schwierig - zumal zwischendurch einzelne Bauteile schon vorher leerstanden und sich jetzt niemand dafür zuständig fühlt.

Auch im Zentrum von Colle deutlich sichtbare Spuren des Erdbebens


Unser Weg führt uns nun hinunter ins unterhalb von Colle errichtete Container-Dorf. Hier steht auch ein Dreifach-Container, der als Kirche eingerichtet ist. Denn auch die Pfarrkirche von Colle ist wegen Einsturzgefahr geschlossen. Wir nehmen am Gemeidegottesdienst teil und werden anschließend vom Pfarrer, der sich noch gut an unseren ersten Gottesdienst von 1990 erinnert, als wir hier mit 250 Leitern der Diözese Paderborn unser Assisi-Projekt begannen, begrüßt. Er ist beeindruckt von unserer Idee des Solidaritätsmarsches und wünscht uns viel Glück.

Vom "Kirchplatz" aus haben wir einen guten Überblick über das Container-Dorf. Auch hierzu gibt uns Franco wieder viele Erläuterungen. Damals, kurz nach dem Beben, seien überall in den Dörfern ringsum solche Behelfssiedlungen geschaffen worden. Hier, in Colle, wurden jeweils 4 Container zu einem Rechteck zusammengestellt mit einer Art Innenhof in der Mitte. Dadurch sollten in etwa die nachbarschaftlichen Strukturen erhalten bleiben.

Die Bewohner der Dörfer konnten entscheiden, ob sie lieber zu Verwandten ziehen wollten oder ob man ihnen einen Container zuweisen sollte. 34 Quadratmeter hat ein solcher Container - bestehend aus einem Aufenthaltsraum in der Mitte; mit zwei kleinen Schlafräumen und einer Sanitärzelle. Für 2 Personen gerade noch zu ertragen; bei einer Maximalbelegung mit 4 Personen aber natürlich sehr eng! Und so leben die Menschen hier also seit über einem Jahr. Wann ihre Häuser renoviert werden, ist ungewiß - zu viele Fragen sind noch offen und müssen erst einmal geklärt werden.

Beim Rundgang durch die Siedlung wird Franco von einem älteren Ehepaar begrüßt. Er erzählt ihnen von unserem Plan, für Colle einen Solidaritätsmarsch durchzuführen, um so das örtliche Begegnungszentrum mit zu unterstützen. Und spontan laden uns die alten Leute zum Kaffee am Nachmittag in ihren kleinen Container ein! Wir fragen mehrmals nach, weil wir es kaum fassen können: ja, wir sollen alle um 15 Uhr wieder hier erscheinen! Corinna, so stellt Franco uns die Frau vor, wird dann Kaffee für uns fertig haben. Nach der überraschenden Einladung zum Abendessen des Vortages nun schon eine zweite Einladung! Und das alles innerhalb von ein paar Stunden - wir spüren deutlich die enorme Gastfreundschaft dieser umbrischen Bevölkerung! Und diese Gastfreundschaft wird sich die gesamte Fahrt über fortsetzen - egal, wo wir auftauchen - überall wird man uns herzlich willkommen heißen und uns jede Unterstützung gewähren.

Jetzt sagen wir erst einmal ja zu dieser Einladung und schlendern bei herrlichem Wetter zurück zu unserem Lager, um Mittagessen zu kochen. Wir haben diese Kocharbeit in drei Gruppen aufgeteilt - jede der drei Gruppen muß ab jetzt allein mit Gasbrenner und Kochutensilien fertig werden. Aber auch das haben wir ja schon beim Trainingsunternehmen eingeübt. Heute gibt es Linsensuppe - und diesmal können wir im Freien bei bestem Wetter kochen und die Sonne genießen. Die Gruppe der Jungen hat allerdings keine Lust auf`s Kochen und läßt das Mittagessen ausfallen - Thomas, der zwar Hunger hat, allein aber nicht kochen möchte, wird kurzerhand von uns anderen eingeladen. Nach dem im Freien eingenommenen Mittagessen (das Balancieren der Teller auf den Knien haben wir inzwischen schon gut gelernt) wird es auch schon bald Zeit für unseren Besuch bei Corinna und ihrem Mann. Zum ersten mal sind wir allein unterwegs- Franco muß sich noch um andere Dinge kümmern. Das bedeutet, mit Händen und Füßen italienisch sprechen. Und das klappt dann auch ganz prima! Wir sitzen alle zsammengedrängt im Wohnzimmer des Containers; Corinna serviert uns Espresso und hat in der Zwischenzeit sogar einen Nußkuchen für uns gebacken! Wir lassen es uns schmecken und bringen sogar ein lockeres Gespräch zustande. Von Corinna erfahren wir ein wenig darüber, wie sich das Alltagsleben in einer Containersiedlung abspielt. Zum Schluß bekommen wir noch Grappa serviert und machen draußen ein Abschiedsfoto. Wir versprechen den beiden, ihnen das Foto aus Deutschland zu schicken. Corinna weint beim Abschied, als wir ihr viel Glück wünschen, daß sie bald wieder in ihr Haus zurückziehen kann.

Abschied von Corinna und ihrem Mann nach dem Besuch im Wohncontainer


Wir ziehen durch die Siedlung zurück zum Lagerplatz, wo uns bereits einige italienische Jugendliche erwarten: Daniella, Lorenzo, Massimo und Andrea stehen bereit, uns in Kleingruppen durch die Gegend zu führen. Von den Kleingruppen erwartet sich Franco, daß beide Seiten zwangsläufig miteinander ins Gespräch kommen werden. Das klappt auch ganz gut; zumeist auf englisch, wenngleich die Jugendlichen sich anfangs dabei etwas zieren.

Erste Station unserer Tour ist ein Ökobauer; wir bewundern seine Lämmchen und bekommen frische Weintrauben direkt von der Rebe angeboten. Noch mehr interessiert uns der anschließende Besuch eines alten Weinkellers, in dem sich Flobö erst mal den Kopf anstößt. Natürlich lassen wir uns bereitwillig auf eine Weinprobe direkt vom Faß ein. Weiter geht es in die nächste Ortschaft, nach Colle San Angelo. Auch hier überall Schäden an den Häusern; viele sind mit Holzbalken gesichert. Bei der Familie von Daniella ist die nächste Rast; wir erhalten selbstgebackenes Brot; mit Salz und selbstgepreßtem Olivenöl beträufelt. Es schmeckt gut, läßt sich aber schwierig essen. Dann kommen wir zu einer kleinen Kirche. "Chiesa di San Michele Arcangelo"; auf den ersten Blick nichts Besonderes - bis wir erfahren, daß dieses Kirchlein erst 1991 unter einem riesigen Erdhügel entdeckt wurde. Erbaut wurde sie vermutlich zur Zeit der Langobarden ( wenn wir unsere Führer richtig verstanden haben, so um das Jahr 1330. Warum sie dann unter dem Erdhügel verschwand und in Vergessenheit geriet, ist unklar. Nach 1991 wurde sie dann ausgegraben und am 4. Mai 1997; also ein halbes Jahr vor dem Erdbeben, neu eingeweiht. Und das Erstaunliche: dieses Kirchlein ist das einzige Gebäude weit und breit, das absolut keine Schäden beim Beben davontrug! Man kann es als Wunder ansehen; vielleicht aber auch als Zeichen der Baukunst der Langobarden seinerzeit.

Nach einer ausgiebigen Besichtigung ziehen wir weiter; inzwischen wieder in lockeren Grüppchen. Und so kommt es, daß Marianne, Alexandra und Martin plötzlich in der hereinbrechenden Dunkelheit in einem kleinen Dörfchen nicht mehr wissen, wo die anderen geblieben sind. Zum Glück ist wenigstens das Ziel bekannt: eine Pizzeria. Und so fragen sie sich bei verschiedenen Italienern durch, bis sie endlich vor der Pizzeria ankommen.

Da es noch etwas zu früh ist, machen wir erst noch eine Stippvisite im "Alimentari". Dieser Dorfladen ist nun in einem Container untergebracht und mit einigen Tischen und Stühlen so eine Art Dorftreff. Unsere Jugendlichen interessiert mehr der Kickerapparat - und schon bald ist ein deutsch-italienisches Freundschaftsspiel im Gange. Leider zu Ungunsten unserer Jungen, bis Martin dann zur Revanche auffordert. Ein alter Italiener setzt sich dann zu uns an den Tisch und spricht uns auf deutsch an! Er erzählt, daß er im Krieg in Deutschland an der Produktion der V1 mitarbeiten mußte. Eine unerwartete Begegnung - wie in den nächsten Tagen noch so oft. Und immer ist eine herzliche Freundlichkeit zu spüren. In Umbrien kann man sich einfach nicht fremd fühlen! Dann trifft Franco mit Gabriella ein und wir wechseln hinüber zur Pizzeria. Sie ist in einem modernen Holzbau untergebracht, der sehr an skandinavische Bauweise erinnert. Franco erklärt uns, daß das ursprüngliche Gebäude auch dem Beben zum Opfer fiel. Der italienische Staat bot den Restaurant- und Ladenbesitzern an, entweder kostenlos einen Container zu beziehen oder Zuschüsse für einen neuen Holzbau zu bekommen - irgendwie mußten ja auch diese Geschäfte weitergeführt werden.

Für uns ist in der Mitte eine große Tafel gedeckt; alles in allem werden wir wohl so an die 20 Personen sein. Franco hat für uns alle bereits Pizza bestellt; wir verabreden aber mit ihm, daß wir wenigstens die Getränke zahlen. Bis jetzt haben wir ja überhaupt keine Chance gehabt, uns für die überwältigende Gastfreundschaft zu bedanken. Das Stimmungsbarometer steigt nun ständig; sicher auch eine Folge des guten Essens und der diversen Getränke. Während wir uns vorwiegend an den leckeren Rotwein halten, wundern wir uns, daß Franco und Gabriella Bier trinken - dies sei in Italien so üblich, erklären sie uns zur Pizza wird Bier getrunken, kein Wein. Nun ja, wir sind lernfähig und werden diesen Rat demnächst beherzigen. Einige schaffen noch ein Eis zum Nachtisch; Manuel bekommt dazu als Souvenir ein chinesisches Porzellanschälchen samt passendem Löffel.

Dann bedanken wir uns beim Besitzer der Pizzeria und müssen für alle Getränke (und das waren nicht wenige...) gerade mal 80 DM bezahlen. Vorausschauende von uns kaufen gleich noch einige Fläschchen als Wegzehrung für den Rückweg. Der führt uns nun beschwingt im Mondschein durch die kleinen Dörfer zurück zu unseren Zelten in Colle. Unterwegs dann einige kleine Päuschen...... Vor allem unsere Mädchen sind sehr lustig! Bei Franco im Haus dann noch eine kurze Teambesprechung zum morgigen Tag; dafür kredenzt er uns zunächst Grappa, danach einen selbstgemachten Nußlikör. Erst gegen Mitternacht verschwinden dann alle in ihren Zelten.

Montag, 5.10.98, 4.Tag

Martin und Jan machen sich schon um sieben Uhr auf zum Alimentari in Colle. Es muß Brot gekauft werden; und natürlich wollen wir auch frische Mortadella, Prosciutto und Burro zum Frühstück genießen. Leider macht das Geschäft erst um acht Uhr auf; so bleibt wenig Zeit für das Frühstück: um halb zehn sind wir schon wieder in Kluft mit Franco verabredet: die Gemeindeverwaltung hat uns einen Kleinbus zur Verfügung gestellt, damit wir nun, am dritten Tag unseres Aufenthalts, die Gegend auch weiträumig erkunden können.

Leider verlassen wir uns zu sehr auf`s freundliche umbrische Wetter am Morgen - kaum sind wir unterwegs, setzt auch schon ein heftiger Regen ein, der uns dummerweise bis zum Nachmittag verfolgen wird. Und wir haben nur ein "Mini-Regenzeug" dabei....

Da in den Kleinbus nur acht von uns hineinpassen, fährt Franco zusätzlich mit seinem Fiat Punto. Der Rest der Gruppe macht sich schon mal zu Fuß auf den Weg; er soll an der Hauptstraße auf Franco warten, der dann noch eine zweite Tour fahren wird. Dies führt nun allerdings zu einem folgenschweren Mißverständnis! Die Gruppe wartet nicht an der Einbiegung zur Hauptstraße, sondern geht dort Franco schon mal entgegen - leider in die falsche Richtung. Und so verpassen sie sich und werden bis zum Nachmittag auch nicht mehr gesichtet.

Wir anderen fahren nun zu einem Dorf namens Isola. Schon unterwegs kommen wir an einigen Trümmerhaufen vorbei, von denen uns unser Fahrer berichtet, daß dies einmal Häuser gewesen sind. Kaum vorstellbar!

Als wir dann Isola erreichen, trauen wir unseren Augen nicht: Trümmer- und Schuttberge, wohin das Auge reicht. Es sieht aus wie nach einem Bombenangriff. Inzwischen ist Franco zu uns gestoßen und führt uns durch die Überreste dessen, was einmal das Dorf Isola gewesen ist. Und er erklärt uns, warum es hier zu solchen verheerenden Schäden gekommen ist: zwei Erdbebenwellen haben sich hier getroffen und ihre zerstörerische Gewalt vervielfacht: wieder hat es nur wenige Sekunden gedauert, bis aus einem kleinen Dorf eine Trümmerlandschaft geworden ist. Es ist bedrückend, durch diese Schuttberge zu gehen und so direkt mit der Naturgewalt des Erdbebens konfrontiert zu werden.

Besuch in Isola - wir stehen erschüttert vor den Trümmern


Anders als in Colle wissen die Menschen hier aber, daß sie nicht mehr auf eine Renovierung ihrer Häuser warten müssen: es gibt keinerlei Häuser mehr! Hier kann nur noch völlig neu gebaut werden. Fraglich ist allerdings, ob genau auf der Erdspalte der richtige Ort für das neue Dorf ist - ein Beben dieser Art kann ja jederzeit erneut zuschlagen. Wahrscheinlich wird man den gesamten Ort in ein etwas sichereres Gebiet verlegen.

Hier liefen die Hilfeleistungen unmittelbar nach dem Erdbeben an: ein großes Containerdorf wurde errichtet; alle Container gestiftet von der Provinz Piemont. In der Folgezeit kümmerten sich immer wieder verschiedene Hilfsdienste um die Betreuung der Menschen. Unter anderem waren im letzten Sommer auch ständig italienische Pfadfindergruppen hier tätig, um Freizeitprogramme für die Kinder des Ortes anzubieten. Daher heißt eine der Gassen zwischen den Containern als Erinnerung an diese Unterstützung "Viale delle Scout".

Und das Cafe, in das wir nun vor dem immer heftiger werdenden Regen flüchten, nennt sich "Cafe Il Piemonte". Hier kaufen wir einige Packungen des "Vino del Terremoto", einen Erdbebenwein, den die Winzer in eigener Regie anbieten, um auf ihre Lage aufmerksam zu machen. Nach dem Beben waren ja auch alle Keltereien zerstört; die Winzer haben sich daraufhin zusammengeschlossen und die bereitliegende Ernte in Foligno verarbeitet. Ein Teil des Erlöses ist für den Wiederaufbau der Kirche von Isola bestimmt.

Draußen treffen wir vor einem fahrenden Verkaufsstand - dem Ersatz für alle bisher in Isola ansässigen Geschäfte - auf ein altes Ehepaar. Franco erläutert unser Hilfsprojekt; er erklärt ihnen, daß wir aus Deutschland gekommen sind, um unsere Solidarität mit diesen Menschen zu zeigen. Wir machen ein Gruppenfoto und versprechen auch ihnen, einen Abzug aus Deutschland zu schicken (Anmerkung: alle Fotos sind auch zu Weihnachten `98 verschickt worden)

Unser Weg führt uns nun weiter nach Nocera Umbra, dem Hauptort der Gemeinde. Hier sollen wir am Nachmittag im Gemeindehaus empfangen werden. Zuvor will uns Franco aber seine Gemeinde, insbesondere die Altstadt, noch näher zeigen.

Wir halten an einem Hotel und werden von Franco dem Besitzer, seinem Freund, vorgestellt. Er lädt uns spontan zu Cappuccino und Hörnchen ein; wir zeigen ihm die Presseausschnitte über unsere Fahrt. Auch dieses Hotel ist derzeit nicht bewohnbar; Francos Freund ist selbst ein "Outdoor-Experte", der schon viel mit deutschen Gruppen unternommen hat. Sicher eine gute Adresse für spätere Unternehmungen in Umbrien!

Wir selbst erweisen uns nun auch als "Outdoor-Spezialisten": bei strömendem Regen folgen wir Franco bis zur "Porta vecchia", dem alten Stadttor von Nocera Umbra. Fast die gesamte Altstadt ist immer noch gesperrt; lediglich die Hauptstraße hinauf ist begehbar. Überall Absperrungen, Stützen, Schäden. Niemand weiß so richtig, wie das alles mal renoviert werden soll.

Das Zentrum von Nocera Umbra ist immer noch weitgehend gesperrt


Franco weist uns aber auch auf die Schönheiten der Altstadt hin, z.B. die vielen alten Türen mit kunstvollen Verzierungen. Inzwischen ist der Regen so heftig geworden, daß wir die Besichtigung verkürzen und unter den Arkaden der Geschäfte in der Neustadt Schutz suchen müssen. Franco hatte überhaupt kein Regenzeug mit und muß erst einmal zurück nach Hause, um trockene Sachen anzuziehen. Da wir für 13 Uhr in der Gemeindeversammlung unseren nächsten Termin haben, können wir uns noch ein wenig in Nocera Umbra umschauen. Die meisten von uns ziehen es aber vor, in einer kleinen Bar die nassen Regenjacken zu trocknen.

Das Gemeindezentrum ist an seiner markanten Zeltkuppel schon von weitem zu erkennen. Leider schlagen wir trotzdem einen falschen Weg dorthin ein und landen in einer Sackgasse. Und so können wir in den letzten paar Minuten vor 13 Uhr (wir wollen ja nicht zu spät kommen) noch einen Sprint einlegen. Franco ist inzwischen wieder zurück; zusammen betreten wir den etwas futuristisch wirkenden Zeltbau. Unter seinem Dach verbergen sich einzelne Container, in denen die verschiedenen Büros der Stadtverwaltung untergebracht sind.

Empfang unter der Zeltkuppel des provisorischen Rathauses von Nocera Umbra


Ein Angestellter begleitet uns dann in den "Sitzungssaal", ein großes Kuppelzelt. Hier nehmen wir auf den Stühlen Platz und harren der Dinge, die da kommen sollen. Es kommt aber nicht viel! Der Angestellte begrüßt uns im Namen der Gemeinde Nocera Umbra; Franco erzählt von unserem Vorhaben hinsichtlich des Solidaritätsmarsches - und das war es dann auch schon. Marianne filmt die ganze Sache, damit wir hinterher etwas für unsere Dokumentation haben.

Draußen wartet schon wieder unser Kleinbus; zusammen mit Francos Wagen geht es zurück nach Colle. Dieses Mal fahren wir direkt über die Via Flaminia; inzwischen kennen wir schon ein wenig von der Gegend. Plötzlich taucht rechts ein Wegweiser auf: Monte Alago 6 Kilometer. Dort werden wir morgen Abend unseren ersten Übernachtungsplatz während der Trekking-Tour haben. Zum Glück hat der Regen inzwischen auch aufgehört. Wir steigen schon ein Stück unterhalb des Lagerplatzes aus und gehen die letzten paar Meter zu Fuß. Aus diesem Blickwinkel haben wir die Villa della Cupa noch gar nicht gesehen. Sie sieht von unten fast noch eindrucksvoller aus.

Wir sind gespannt, ob inzwischen die verschollene Gruppe wieder aufgetaucht ist. Wenn die Jungs schon nicht unsere Besichtigungstour mitgemacht haben, sollen sie gleich zumindest tatkräftig mit anpacken! Für den Nachmittag ist ja nun unser erster Arbeitseinsatz geplant. Und beim ersten Rundgang durch die Villa della Cupa haben wir schon gesehen, daß manche der Möbelstücke nicht gerade leicht zu transportieren sein werden.

Zunächst reizt die große Freitreppe vor dem alten Turm der Villa aber noch zu einem Gruppenfoto. Wir stellen uns in Positur und wollen uns gerade in stolzer, gräflicher Haltung - die Hände auf die Balustrade gestützt - für das Reisetagebuch ablichten lassen, da gibt diese so wuchtig aussehende steinerne Balustrade plötzlich nach und kippt nach vorne! Das wäre beinahe schiefgegangen! Zum Glück können wir das Bauteil gerade noch mit vereinten Kräften festhalten. Und zum Foto kommen wir dann schließlich auch noch!

Auf der Freitreppe hinter Francos Villa della Cupa


Im Camp angekommen, treffen wir auf unsere Vermißten. Wir tauschen unsere Tageserlebnisse aus und machen uns dann ans Kochen; vorsichtshalber wieder unter dem Toilettenvordach. Nach dem Spülen geht es dann gemeinsam hinunter zu Franco.

Und nun heißt es Ärmel aufkrempeln und anpacken! Franco führt uns durch die einzelnen Räumlichkeiten und spricht mit uns ab, welche Möbelstücke abtransportiert werden sollen und wohin (leider nach ganz oben ins Dachgeschoß). Nun beginnt ein emsiges Treiben! Stück um Stück werden die Brocken hochgeschleppt; bei einigen kommt man selbst zu zweit ganz schön ins Schwitzen, vor allem, wenn es damit um die Kurven auf der Treppe herum geht.

Spätestens beim Transport dieser großen Möblestücke bricht der Schweiß aus


Erst nach einiger Zeit fällt auf, daß Martin kaum selbst Hand anlegt. Er verweist auf seine wichtige Funktion als Video-Filmer. Zwischendurch bleibt aber immer mal wieder Zeit für ein kleines Späßchen. So reizt eine große Holztruhe dazu, einmal einen Vampir (Jan) sachgerecht zu bestatten und mit einem Holzpflock dauerhaft (fiktiv) zu töten.

Den Abschluß dieses schweißtreibenden Einsatzes bildet dann im großen Versammlungsraum eine improvisierte Nachstellung einer Szene aus dem "Leben des Brian". In diesem Raum befindet sich auch ein riesiger Tisch, zu dem Franco uns etwas erzählen kann: im Krieg war in der Villa ein Stabsquartier untergebracht und die deutschen Offiziere haben hier "Schießübungen" abgehalten. Im Tisch sind davon noch die Spuren zu sehen. Wir jedenfalls ziehen nun mit dem beruhigenden Gefühl, heute unsere obligatorische "Gute Tat" als Pfadfinder ausgiebigst erfüllt zu haben, nach zwei Stunden zurück ins Camp.

Die Arbeit ist aber für heute noch nicht zu Ende. Die Leiter müssen für die nun anstehende Trekking-Tour die drei Seesäcke für die Verpflegungsstationen packen - und zwar genau nach dem vorher festgelegten Plan, damit nicht jemand hinterher ohne Essen dasteht! Bis auf eine Fischdose haben die gesamten Lebensmittel den Transport auch schadlos überstanden (wenngleich manche auch etwas aus der Form geraten sind....)

Jeder der 15 Teilnehmer muß nun seine erste Dreitages-Ration an Lebensmitteln in Empfang nehmen und schon mal in seinem Rucksack verstauen - von jetzt ab ist dafür auch jeder selbst verantwortlich. Da wir uns bei den Kakao- und Cappuccinotütchen verrechnet haben, kann jeder jetzt nochmals zulangen.

Am Abend sind wir erneut zum Essen eingeladen: diesmal von Gabriella. So gegen acht Uhr versammeln wir uns unten bei Franco im Aufenthaltsraum und stellen Stühle und Tische im Kreis herum auf. Und dann bringt Gabriella drei riesige Schüsseln mit Nudeln herein! "Riesenmakkaroni ai tonno"lautet das Rezept - und es kommt gut an! Und nach kürzester Zeit sind alle drei Schüsseln leer! Gabriella muß aber schon damit gerechnet haben, denn sie hat in der Küche bereits alle Zutaten für eine weitere Schüssel bereitstehen. Marianne läßt sich das genaue Rezept erklären.

Ein letztes Mal muß nun noch gespült werden, dann verschwinden auch die Teller und das Besteck in den Rucksäcken. Morgen früh kommen noch die Schlafsachen und das Zeltmaterial dazu - und dann kann es losgehen!

Abends sitzen wir noch in lauschiger Runde unter dem Vollmond bei einem Gläschen Rosso zusammen und genießen die umbrische Stimmung. Und unsere Jungen und Mädchen vergnügen sich mit einer ganz besonderen Art der Freizeitgestaltung (bis es dem Leitungsteam zu bunt wird und sie mit wohlgesetzten Worten in die Zelte schickt). Schließlich liegt morgen ein anstrengender Tag vor uns.

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