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Donnerstag, 1.4.99, 7.Tag

Kaum haben wir uns aus den Schlafsäcken herausgewunden, müssen wir uns auch schon wieder in die Zelte zurückziehen: eine Gewitterfront rückt rasch näher und bringt uns prasselnden Regen. Nun gut, dann gibt es eben den Cappuccino heute im Schlafsack. Zum Glück läßt der Regen schnell nach. Auch die Wolkenfront zieht schnell ab.

Wir können unser Frühstück also wie gewohnt im Freien einnehmen. Inzwischen sind auch unsere Freunde von gestern abend wieder da - diesmal sogar unterstützt durch einen kleinen, roten Fiat 500. Sie kommen aber nicht näher heran, sondern beweisen uns ihre Geschicklichkeit durch kleine Stunts auf dem Sportplatz. Der Fiat verschätzt sich dabei allerdings ein wenig und knallt mit voller Fahrt frontal auf einen Felsblock. Der ist erst einmal außer Gefecht!

Die Jungs kommen dann allmählich näher. Und da wir natürlich keinen Ärger haben wollen, versuchen wir, sie in ein Gespräch zu verwickeln. Und siehe da - die drei sind einfach nur neugierig, was wir hier machen und was wir vorhaben. Guiseppe, Domenico und Pasquale finden natürlich besonderen Gefallen an unseren jungen Damen. Sie lassen es sich nicht nehmen, Svenja und Janine beim Zeltabbau zu helfen.

Im Gespräch stellt sich heraus, daß das auch die drei von gestern abend waren. Wichtig für uns ist nun aber, daß sie den weiteren Weg nach Pietra Kappa kennen. Pasquale bietet uns an, den ersten Teil des Weges mitzukommen und uns am Abzweig von der Schotterpiste auf den richtigen Pfad zu führen. Den beiden Mädchen wird die Hilfsbereitschaft zwar zunehmend lästig; wir anderen sind aber froh, einheimische Führer gefunden zu haben (siehe Bausenhardt und seine Empfehlungen). Bald ist das Lager abgebaut; zur Sicherheit ziehen wir die Regenhüllen über die Rucksäcke - dann starten wir; wieder leider sofort steil bergauf. Das muß die im Reiseführer beschriebene Straße sein! In einer Kurve zeigt uns Pasquale den Anfang des abzweigenden Pfades; danach laufen wir alleine weiter. Der Felsen von Pietra Kappa ist inzwischen kaum noch zu verfehlen. Als unser - inzwischen markierter Wanderweg - geradeaus in Richtung San Giorgio abzweigt, legen wir eine Rast ein. Die beiden Florians, Jan, Valle und Martin machen sich ohne Gepäck auf, um den Felsen direkt anzusteuern. Vielleicht kann man ja auch ein wenig darauf herumklettern. Die anderen bleiben beim Gepäck zurück und sonnen sich. Glücklicherweise hat sich das Wetter inzwischen wieder "normal" entwickelt!

Auf zum Pietra Kappa

Der Weg nach Pietra Kappa ist gut markiert; Martin bleibt am Fuß des steil ansteigenden Felsen zurück und genießt einen vino rosso; die anderen versuchen hinaufzuklettern. Natürlich gibt es auch eine Legende, wie es zum Namen "Pietra Kappa" gekommen sein soll:

"Der Felsen ist Schauplatz einer ironischen Legende: Als Jesus mit seinen Jüngern durch Kalabrien(!) zog, klagte Petrus über Hunger. Jesus forderte die Jünger auf, als Sühne für begangene Sünden einen Stein aufzuheben und mit sich zu tragen, ein Brauch, der noch heute in Kalabrien bei Wallfahrten lebendig ist. Während die anderen Jünger sich redlich abschleppten, suchte sich Petrus einen kleinen Kiesel. Als sie rasteten, segnete Jesus die Steine und sie wurden zu Brot (von weitem sehen die Rocce di San Pietro tatsächlich wie Brotlaibe aus). Petrus, der jetzt nach dem Genuß seines Brotbröckchens noch mehr Hunger hatte, nahm sich beim Weitergehen vorsorglich den größten Stein, den er finden konnte. Als sie wieder rasteten, segnete der Herr die Steine nicht. Petrus, müde und verzweifelt, gestand Jesus seine sündigen Berechnungen und bat um Bestrafung, aber auch darum, daß sich dieser Stein nie wieder von der Stelle bewegen möge. Seine Bitte wurde ihm erfüllt."

Willkommene Klettergelegenheit

Das Herumklettern im Felsen ist zwar schwierig, macht unseren Jungen aber viel Spaß. Zumindest entstehen dabei einige eindrucksvolle Fotos.

Wieder zurück beim Rest der Gruppe geht es nun an die letzte Etappe des heutigen Tages: vorbei am Hang gegenüber von Pietra Kappa; danach durch ein Felsentor und anschließend steil hinunter zur Forsthütte San Giorgio. Unterwegs schrecken wir einige halbwilde Schweine auf.

Letzte Etappe kurz vor der Forststation San Giorgio

"Die kleine Ebene bei der Forststation San Giorgio eignet sich für die Übernachtung mit Zelt und Schlafsack am besten. Dort übernachten oft auch italienische Wandergruppen und Einzelwanderer."

Nach diesen Informationen haben wir uns schon auf einen schönen Lagerplatz gefreut. Als wir am Forsthaus ankommen, sind wir aber doch ziemlich enttäuscht von der Art des Geländes: statt Grasboden finden wir einen zwar ebenen, jedoch mit Sand und feinem Schotter bedeckten Platz vor. Dementsprechend schwer gehen die Häringe in den Boden hinein. Für den Platz spricht natürlich der Brunnen mit seinem sprudelnden Wasser. Das bedeutet für uns: genug Trinkwasser; aber auch keine Probleme mit dem Spülen und mit der Körperhygiene. Die Forststation besteht aus einem doch recht großen Haus nebst Garage. Leider ist alles fest verschlossen. Quer über die Vorderseite des Hauses verläuft aber eine breite, überdachte Veranda - die wird uns heute noch gute Dienste leisten! Denn leider hat sich der Himmel inzwischen stark zugezogen - und nach unseren bisherigen Erfahrungen werden wir wohl gleich noch einiges an Regen abkriegen.

Die wichtigstes Pflicht besteht also nun darin, die drei Zelte möglichst noch im Trockenen hochzuziehen und gut im harten Boden zu verankern. Wir fürchten aber nicht so sehr einen Sturm - dazu liegen wir hier mitten im Wald doch recht gut geschützt - sondern eher das Regenwasser. In diesen harten Boden wird es - wie einige alte Pfützen noch zeigen - eventuell nicht schnell genug einsickern. Wir machen uns also daran, rings um die Zelte ganze Grabenkonstruktionen anzulegen. Als Grabwerkzeug dient dazu die harte Spitze des Trekkingstockes - und wie hart der Boden ist, merken wir bei dieser Arbeit erst so richtig! Kaum sind die Gräben samt zusätzlichen Abflußkanälen so weit fertig, beginnt es auch schon zu regnen. Wir ziehen uns samt Regenzeug unter das Vordach der Veranda zurück und genießen eine Rum-Cola. Weil das bei der Kälte aber nicht so richtig wärmen will, kochen wir danach noch einen heißen Cappuccino. Noch mehr Wärme verspricht allerdings die Feuerstelle in der kleinen Holzhütte nebenan. Ein Holzvorrat liegt auch bereit, und bald flackert ein lustiges Feuerchen.

Bei den momentanen Temperaturen ist ein wärmendes Feuerchen willkommen

Die Hütte bietet aber noch mehr Komfort! Es fehlen leider zwar Sitzgelegenheiten, dafür gibt es aber eine "Anrichte" aus Brettern, die hervorragend eine Küche ersetzt. Hier versammelt sich die ganze Gruppe; beobachtet das Kochduell der beiden Chefköche, an diesem Abend sind es Christoph und Martin, und freut sich, daß man beim draußen herabprasselnden Regen unter dem Hüttendach trocken steht (wenngleich auch nicht besonders warm, da der Wind durch das ringsum offene Bauwerk pfeift).

Heute gibt es "Rollini Bolognese", die rote Variante des gestrigen Essens. Beim Kochen benützen wir einen Benziner und einen Gasbrenner - wir haben uns für diese Mischung entschieden, da so bei einem Defekt bzw. bei fehlendem Brennstoffnachschub an passenden Gaskartuschen oder bleifreiem Benzin ein System immer betriebsbereit sein wird. Da der Benziner eine ungleich höhere Heizleistung hat, wird auf ihm für sechs Personen gekocht; der schwächere Gasbrenner muß für die anderen drei Leute nur die Hälfte an Wasser zum Kochen bringen.

Fast schon eine Küche...

Heute abend hat die kleinere Gruppe nun ein gewisses Problem: beim Herausholen der Rollini-Tüten stellt sich heraus, daß da wohl versehentlich beim Einkauf in Deutschland eine andere Packung dazwischengeraten ist. So können Christoph und die beiden Florians heute eine exquisite Mischung aus verschiedenen Nudelfertiggerichten genießen.

Nach dem Essen gibt es noch einen letzten Kaffee; danach ziehen wir uns in die Zelte zurück. Die Anstrengung der Wanderung fordert ihren Tribut. Nach und nach hört auch der Regen auf; unser ausgeklügeltes Kanalsystem hat seinen Zweck zufriedenstellend erfüllt. In der Nacht wird es dann sternenklar; die Temperatur sinkt dennoch nicht sehr weit ab. Inzwischen haben wir auch Gesellschaft bekommen: die halbwilden, gefleckten Schweine tummeln sich in größerer Anzahl rings um das Gelände im Wald.


Karfreitag, 2.4.99, 8.Tag

Wir sind noch vor der Sonne auf; es ist zwar etwas kühl, aber zum Glück trocken. Ein klarer Himmel verspricht zumindest einen schönen Vormittag. Wie immer lassen wir es ruhig angehen; wir stehen draußen vor den Zelten und genießen den ersten heißen Cappuccino des Tages. Das ist bei uns inzwischen fast schon zum Ritual geworden. Als wir dann feststellen, daß der Sonnenaufgang unmittelbar gegenüber am Pietra Kappa ablaufen wird, machen wir schnell die Videocamera und den Fotoapparat fertig. Jan setzt erstmals die Fernsteuerung dafür ein. Dann warten wir gespannt, bis die Sonne sich langsam hinter dem Felsen hervorschiebt. Sogar die Schweine hinter uns bewundern anscheinend dieses Naturschauspiel.

Anschließend machen wir uns an die Morgentoilette; fließendes Wasser reizt natürlich zu einer Rundumwäsche, zumal, wenn einem dabei die Sonne wohlig den nackten Rücken wärmt. All dies unter den wachsamen Augen der Schweine (s. im Hintergrund des Fotos).

Freiluft-Badezimmer am San Giorgio

Zwischendurch kommen so zwei, drei Autos kurz vorgefahren; die Leute grüßen freundlich, wir werden aber nicht schlau daraus, was sie hier eigentlich wollen. Nach und nach verpacken wir unsere ganzen Utensilien; noch vor dem Abmarsch holen wir die kurzen Hosen aus den Rucksäcken. Und dann geht`s los - die zweite Etappe bis nach San Luca liegt vor uns.

"Ein markierter Fußweg (am Beginn eine Leiter über den Zaun) führt uns in 15 Minuten hinunter ins Vallone del Salice. Über eine Furt erreicht man die Forststraße, die von San Giorgio zur Straße Montalto-San Luca führt. Sie steigt kräftig an. Vor einer weiten Rechtskurve zweigt nach weiteren fünf Minuten links der markierte Pfad ab."

Also, das müßten wir eigentlich gut finden können. Und tatsächlich haben wir auf diesem so beschriebenen Wegstück keinerlei Orientierungsprobleme. Erst geht es stramm hinunter ins Vallone; und zwar so steil, daß wir alle Mühe haben, ohne Sturz hinunter zu kommen. Hoch leben die Trekkingstöcke!

Unten dann die beschriebene Furt; auf den Steinen und bei dem geringen Wasserstand problemlos zu überschreiten. Und schon geht es auf der Schotterpiste wieder bergauf. Begleitet werden wir von den treuen Schweinen; neu dazu kommen jetzt "Mucce" (Kühe). Nach exakt fünf Minuten erreichen wir den Beginn einer langen Rechtskurve; jetzt müssen wir nur noch den abzweigenden Pfad finden. Auch das gelingt problemlos; er ist hervorragend rot-weiß-rot markiert.

"Zuerst steigt man in steilem Zickzack durch den lockeren Wald, dann auf dem Grat zur Forststraße San Luca - Gambarie (1 Stunde ab San Giorgio) auf der man links zur Felsnadel Pietra Lunga (817 m) kommt. (1 Std. 15 Min). Danach biegt rechts unser Weg an der Einfahrt zum eingezäunten Forstgebiet ab. Er ist deutlich markiert und führt neben dem verschlossenen Tor durch ein großes Loch im Zaun in den Wald, wo er nach wenigen Minuten auf die Schneise der neuen Wasserleitung von San Luca trifft.. Ihr folgen wir nach links auf die Felsmassen von Pietra Castello (943 m) zu. Nach kräftigem Anstieg von 10 bis 15 Minuten zweigt rechts ein kleiner Pfad ab, der in fünf Minuten zum Fuß von Pietra Castello führt."

Endlich mal eine leicht verständliche Beschreibung - denken wir zu diesem Zeitpunkt noch voller Optimismus. Der Zickzackanstieg hat es jetzt aber zuerst einmal kräftig in sich! In kürzester Zeit hat unser Yogi über 100 Höhenmeter festgestellt. Wir kommen ganz schön ins Schwitzen und Keuchen! Oben dann flacht der Weg tatsächlich ein; einen "Grat" würden wir das hier eigentlich nicht nennen; dafür kennen wir andere Grate aus Umbrien und den Abruzzen - die Aussicht von hier wirft einen aber fast um! Erstmals können wir das Massiv rund um den Montalto sehen - das soll ja das nächste Trekking-Ziel sein. Von Gambarie aus wollen wir über den Montalto über Polsi bis hin nach San Luca laufen. Nachdenklich stimmt uns der weiße Gipfel des Montalto - ist das vielleicht noch Schnee??

Wir machen auf jeden Fall schon mal ein paar Teleaufnahmen mit Fotoapparat und Videocamera; die kommt dazu eigens auf das neue Ministativ. Jan zeigt sich dabei von seiner besten Seite als Kameramann. In kurzer Zeit erreichen wir dann die angekündigte Straße; auf ihr geht es links weiter. Die "Felsnadel" ist nicht viel mehr als ein großer Felsen. Kurz darauf bietet sich ein guter Blick zurück auf Pietra Kappa und unser bisheriges Wandergebiet. Hier entsteht das Titelfoto dieses Reisetagebuches; wie man sieht, bei bestem Wetter in kurzen Klamotten.

Rückblick über das Gebiet rund um Pietra Kappa

Nur wenige Minuten später bekommen wir die ersten Orientierungsschwierigkeiten des Tages: wir finden kein "Loch im Zaun"! Wir finden nämlich gar keinen Zaun mehr vor - und nun stehen wir doch ziemlich ratlos am Rand der Straße. Von der Wegzeit müßten wir jetzt eigentlich an der richtigen Stelle sein - von einem eingezäunten Forstgebiet ist aber weit und breit nichts zu sehen. Allerdings führt ein deutlicher Weg rechts hinunter in ein Tal. Und am Gegenanstieg ist eine große Felsformation zu sehen: das müßte eigentlich Pietro Castello sein. Wir beschließen, diesem abwärts verlaufenden Weg zu folgen. Und unten, im Taleinschnitt, treffen wir dann tatsächlich auf eine breite Schneise: hier ist vor nicht langer Zeit von schweren Maschinen kräftig gebuddelt und planiert worden. Es könnte die Wasserleitung nach San Luca sein. Von Markierungen ist nun aber leider gar nichts mehr zu sehen. Wenn es hier mal welche gab, haben die Bauarbeiten sie gründlich beseitigt. Ehe wir uns auf eine gründlichere Suche nach dem Weiterweg machen, legen wir hier, exakt um 12 Uhr, zwischen den Felsen etwas windgeschützt, unsere Mittagsrast ein. Im Hintergrund grüßt immer noch der schneebedeckte Montalto herüber. Und wie man auf dem Foto sieht, macht er seinem Namen als "Wolkensammler" alle Ehre!

Den Montalto sehen wir zwar noch - unsere Wegmarkierungen haben wir aber verloren

Nach dieser ausgiebigen Rast mit schmackhaftem, sprudelndem Vitamintabletten-Wasser aus der Feldflasche (gleichzeitig verbunden mit einem kleinen Sonnenbad), geraten wir orientierungsmäßig nun ernsthaft in die Klemme. Wir sind ja auch nicht unbedingt sicher, überhaupt noch auf dem richtigen Weg zu sein.

Es führt zwar ein Weg nach links weiter; der ist auch ziemlich frisch aufgewühlt und läuft in Richtung von Pietra Castello - aber die Wasserleitungsschneise kann das nicht sein! Die führt einwandfrei abwärts in Richtung San Luca. Wir entschließen uns, dem aufwärts führenden Weg zu folgen. Was dann folgt, kann man wohl am besten mit den Begriffen "Versuch und Irrtum" oder auch "markierungsloses Umherirren" beschreiben. Wir haben immerhin noch einen erkennbaren Pfad; manchmal glauben wir auch, eine rote , verwitterte Markierung zu sehen - aber sicher sind wir nicht. Entschädigt werden wir allerdings anfangs noch durch einen schönen

Pietra Kappa und Pietra Lunga auf einen Blick

Rückblick auf Pietra Kappa und die Felsnadel Pietra Lunga. Jetzt sieht man erst, wie weit wir heute schon gelaufen sind. Nun gut, unser Rücken bestätigt uns das auch so! Wir folgen weiter dem aufwärts laufenden Weg; der geht allerdings immer mehr in einen verwachsenen Pfad über, ehe er auf ein Wäldchen stößt und sich mehr oder weniger spurlos auflöst.

Das ist natürlich nicht dazu angetan, uns ein größeres Gefühl der Wegsicherheit zu geben! Rechts geht es im Wald ziemlich steil hoch; auch teilweise sehr felsig - wir könnten also gerade am Rand von Pietra Castello entlanglaufen.... Auf keinen Fall sind wir aber noch auf der beschriebenen Route quer durch Pietra Castello. Das ist uns jetzt aber inzwischen auch egal - Hauptsache, die grobe Richtung stimmt. Ein kleines Hindernis gilt es jetzt noch zu überwinden: unser Waldpfad führt sehr steil hinunter auf eine Schotterpiste zu. Die Wurzeln im Boden erschweren das Vorankommen. Wir atmen auf, als wir den Schotterweg erreichen. Und was sehen wir da zu unserer Freude: ein eindeutiges rot-weiß-rot. Und diesen verschiedenen Markierungen folgen wir nun zielstrebig! Unterwegs scheuchen wir mal wieder eine größere Schlange beim Sonnenbad auf - auch in dieser Beziehung hat Bausenhardt mit seinen Vorsichtshinweisen also durchaus Recht!

Wir scheinen wieder auf dem richtigen Weg zu sein; folgen linksabknickend den Zeichen durch einen letzten Wald hinunter und erreichen dann ein weitläufiges Wiesengelände. Hier eröffnet sich uns ein erster Blick auf San Luca - noch weit entfernt liegend! Da haben wir noch ein schönes Stück vor uns!
Ein weiteres Problem taucht nun vor uns auf: halbwilde Hirtenhunde fühlen sich wohl durch uns gestört und kommen laut kläffend auf uns zu. Sicherheitshalber machen wir die Trekkingstöcke schon mal bereit. Die fol-gende Wanderstrecke ist zwar in der Hitze des Tages ziemlich anstrengend; macht aber auch Spaß!

Die Richtung stimmt zumindest schon mal

Es ist schon ein beruhigendes Gefühl, wieder auf dem richtigen Weg zu sein und das Ziel wenigstens mal gese-hen zu haben! Das Wetter ist immer noch prächtig; weit auseinandergezogen suchen wir uns einen bequemen Weg durch das Wiesenterrain. Hinderlich sind nur die überall verstreuten Felsbrocken. Man muß den Blick schon immer wieder vor sich auf den Boden richten, um nicht an einem dieser Steine hängen zu bleiben.

Nach einigen hundert Metern stoßen wir auf einen Fahrweg, der sich mit Sicherheit nach San Luca orientiert. Hier stimmt nun die Beschreibung wieder exakt. Unterwegs treffen wir immer wieder auf Schafherden; einmal sogar auf eine einsame Kuh mit einem winzigen Kälbchen. Beide lassen sich durch uns aber in keiner Weise stören.

Schließlich erreichen wir ein kleines Teersträßchen, das nun in vielen Kurven abwärts führt. Die "Hauptstraße Gambarie - San Luca taucht oberhalb von uns auch wieder auf. Ihr hätten wir natürlich von Pietra Lunga aus auch direkt - und sicher auch kürzerer Zeit ohne Orientierungsprobleme - folgen können.... Auf der Teerstraße lassen wir uns zu einer Rast nieder - Sonnenhungrige direkt auf der heißen Straßenoberfläche; die anderen schattensuchend an einem Gebüsch. Störend dabei sind leider die vielen unangenehm pieksenden Disteln.

Verdiente Mittagspause - bis San Luca kann es nicht mehr weit sein

Hier leeren wir jetzt auch unsere Trinkflaschen - das Ziel, San Luca, kann ja nicht mehr so weit sein. Das erweist sich aber beim Weitermarsch schnell als Trugschluß! Wir folgen zwar den gut sichtbaren Wegzeichen, die uns viele Abkürzungen bringen; dennoch zieht sich der Weg hinunter noch sehr weit hin!

Über Zäune und Mäuerchen geht es hinweg; dann wieder stückweise über die Straße. Die letzten Kilometer mühen wir uns durch riesige Olivenhaine abwärts. Inzwischen sind wir doch schon recht müde; die Zunge klebt am Gaumen. Wir sind froh, als wir endlich den Außenbezirk von San Luca erreichen. Das war also unsere Wanderung durch das "Todesdreieck". Und selten haben wir uns auf Trekking-Touren so sicher gefühlt, wie an diesen beiden Tagen! Mag sein, daß wir - wie Bausenhardt schreibt - nur das Gefühl hatten, allein unterwegs zu sein. Falls aber irgendwelche Leute unseren Marsch aus dem Verborgenen beobachtet haben, stellten sie weder für uns noch wir für sie ein Problem dar. Und von Carabinieri oder Corpo Forrestale war auch nichts zu sehen. Fast sind wir darüber ein wenig enttäuscht!

Statt dessen am Ortsrand von San Luca eine unverhoffte Überraschung: alte Frauen, völlig in schwarz gekleidet, sprechen uns freundlich an. Wir können uns mit unseren inzwischen doch recht beachtlichen Sprachkennt-nissen gut verständlich machen und erklären, wo wir gerade herkommen. Immer mehr Frauen gesellen sich zu uns und betrachten unsere großen Rucksäcke.

Überraschung in San Luca: wir bekommen als Ostergeschenk einen speziellen Hefezopf geschenkt

Und dann kommt eine Frau plötzlich mit einer großen Plastiktüte und drückt sie Marianne in die Hand. Wir sind verblüfft! Eine andere Frau erklärt uns, was es mit den frischgebackenen Brotkränzen in der Tüte für eine Bewandtnis hat: in einem der Brote, eigentlich mehr eine Art Hefezopf, ist ein Ei mit eingebacken; dies sei hier in San Luca zu Ostern ein besonderer Brauch! Wer am Ostersonntag dieses Ei findet, soll Glück haben! "Buona Pasqua"; mit diesem Ostergruß verabschieden sich die Frauen von uns; "mille grazie" unsere höfliche Antwort.

Weiter abwärts erreichen wir bald das Ortszentrum von San Luca; da alle Geschäfte noch geschlossen haben, lassen wir uns vor einer Bar nieder und genießen dankbar Eis und kühle Getränke. Das kommt gut nach dem langen Marsch durch die Hitze!

Ein wenig weiter entdecken die ausschwärmenden Jungen dann doch ein geöffnetes Geschäft; hier decken wir uns mit Lebensmitteln ein und machen im zentralen Park Rast, bis wir hinunter zur Bushaltestelle müssen. In der Bar haben wir zuvor die genaue Abfahrtszeit überprüft; sie ist etwas später als im Reiseführer angegeben.

Während der Pause fällt uns dann doch noch etwas Außergewöhnliches auf: nebenan ist ein Gebäude, das wohl die Carabinieri-Station ist. Und hier sind fast alle Fenster durch solide, heruntergelassene Metalljalousien gesi-chert; viele Lamellen tragen aber zweifelsfrei Einschußlöcher! Die Beliebtheit der Carabinieri scheint sich bei den Bewohnern von San Luca in engen Grenzen zu halten....

Nun, wir haben die Bewohner; angefangen von den alten Frauen bis hin zu den Leuten in der Bar, von einer ganz anderen Seite erlebt: freundlich und hilfsbereit! Als wir San Luca gegen fünf Uhr mit dem Bus verlassen, nehmen wir gute Erinnerungen an dieses Dorf mit!

Auf der Karte haben wir gesehen, daß die Straße von San Luca etwa 2 Kilometer südlich von Bovalino Marina auf die Küstenstraße trifft. Da wir bereits die notwendigen Lebensmittel für den heutigen Abend eingekauft haben, könnten wir dort also eigentlich auch schon aussteigen. Unser Plan ist es, heute abend direkt am Meer zu schlafen; notfalls auch ohne Zelt. Und dazu eignet sich die direkte Umgebung einer Stadt natürlich nicht. Wir wollen versuchen, etwas südlich an der Küste entlang ein ungestörtes Plätzchen am Strand zu finden. Unserem Busfahrer macht ein kurzer Zwischenstop nichts aus; er läßt uns direkt an der Kreuzung aussteigen. Vom Strand trennen uns gerade mal zweihundert Meter; dazu noch die eingleisige Bahnlinie. Die ist schnell überwunden; einige vereinzelt stehende Ferienhäuser stellen aber auch kein Problem dar, da sie jetzt über die Osterzeit alle noch nicht bewohnt sind.

Wir lassen unsere Rucksäcke am Ende des Vegetationsstreifen liegen und schlendern hinunter zum Strand. Hier können wir eine schöne Abendstimmung genießen; die Jungen haben auf der anderen Seite der Straße inzwischen einen allein in der Landschaft liegenden Supermarkt entdeckt; wir beschließen spontan eine Änderung des Abendessens: jetzt können wir mal eine neue deutsche Tütenspezialität mit dem klangvollen Namen "Hackfleisch-Nudelpfanne" ausprobieren. Das war bislang nicht möglich, da man für dieses Gericht - außer der von uns mitgeführten Gewürzmischung - jede Menge zukaufen muß. Wir kaufen also 2 kg Nudeln, 1 kg Tiefkühl-Erbsen; dazu einen kleinen Sack rote Zwiebeln. Das zusätzlich erforderliche Hackfleisch haben wir in Form einiger Schweinefleischkonserven (immerhin 1,2 kg) im Rucksack.

Aus dem Strandgut basteln sich einige phantasievolle Sitzgelegenheiten; Jan sägt die Beine eines Stuhles ab; Flobö funktioniert eine Waschmaschinentrommel dazu um. Sogar ein kleiner Tempel wird in altgriechischer Bauweise errichtet. Und weil zwischendurch schon der kleine Hunger kommt, schneiden wir bereits den Osterzopf an: Flobe ist der glückliche Finder des eingebackenen Eies.

Bei Sonnenuntergang ziehen wir uns an den meeresseitigen Rand der Ferienhäuser zurück; hier wollen wir am Ende eines kleinen Fahrweges übernachten. Für die Damen bauen wir schnell das Außenzelt des Hilleberg auf; alle anderen wollen heute im Freien schlafen. Die Jungen wollen dazu kurz über den Zaun in den Vorgarten eines der Ferienhäuser; Martin kann sie aber davon abhalten. Zum Glück!!

Nun beginnt die doch sehr langwierige Zubereitung der Nudelpfanne. Mit vereinten Kräften wird der ganze Sack Zwiebeln gepellt und geschnitten (denn mitnehmen können wir morgen keine Zwiebeln - und wegwerfen wollen wir auch keine); andere kümmern sich schon mal um`s Öffnen der Fleischkonserven. Der Vorteil der Nudelpfanne liegt auf der Hand: es wird nur ein einziger Topf benötigt. Nach dem Anbraten von Zwiebeln, Fleisch und Erbsen kommt die vorgeschriebene Menge an Wasser dazu; anschließend wird nur noch die Gewürzmischung zugegeben. Als das Wasser kocht, müssen wir nur noch die Nudeln hineinschütten und warten, bis das Ganze die gewünschte Konsistenz erreicht hat. Fertig! Und gar nicht schlecht! Wer heute nicht satt wird, ist selbst dran schuld!

Im Schlafsack liegend, können wir später dann den Aufgang eines blutroten Vollmondes direkt aus dem Meer heraus verfolgen. Später stört das helle Licht des Mondes dann doch beim Einschlafen. Wir liegen noch lange wach; schauen in den sternklaren Himmel hinauf und hören als einziges Geräusch die ewig rauschende Uferbrandung und das leichte Pfeifen des Windes. Zwischendurch schrecken wir dann nochmals auf, als ein Güterzug hinter uns vorbeidonnert. Eine friedliche Nacht!

Bis um drei Uhr! Martin wird als erster wach durch ein sich näherndes Motorengeräusch. Mein Gott, da wird doch wohl nicht so spät in der Nacht noch der Besitzer des letzten Ferienhauses in sein Domizil wollen? Mit unseren Schlafsäcken können wir ja schnell den Weg freimachen, doch dummerweise ist das Hilleberg direkt vor der Garageneinfahrt aufgebaut.

Während Martin noch darüber nachdenkt und auch Jan sich jetzt aufrichtet, strahlen hinter dem Hilleberg plötzlich starke Taschenlampen auf - und dann beginnt dort auch noch ein Blaulicht zu flackern! Verdammt - jetzt haben wir die gestern vermißten Carabinieris doch noch! Oder genauer ausgedrückt - jetzt haben sie uns!

Viel Zeit zum Überlegen, was jetzt zu tun wäre, bleibt uns nicht! Die Taschenlampen kommen schnell näher und blenden uns jetzt völlig. Gleichzeitig hören wir ein unmißverständliches Geräusch: so kann nur das Durchladen von Maschinenpistolen klingen!

"Documenti!" klingt es in scharfem Befehlston. Jan und Martin übertreffen sich gegenseitig beim Anwenden ihrer Italienischkenntnisse: "Tedesci!" und "Noi siamo un gruppo di scouts" Na ja, vielleicht nicht hundertprozentig richtig - zumindest aber wirkungsvoll: die Carabinieri lassen schon mal ihre auf uns gerichteten Lichtkegel woanders hinwandern; jetzt können wir die schwarzen Gestalten wenigstens erkennen. Es sind drei - und sie glauben anscheinend, eine Gruppe illegaler Einwanderer gefaßt zu haben.

Unsere hastig hervorgekramten Ausweise bewirken jedenfalls eine merkliche Entspannung der Lage. Die Carabinieri prüfen die Ausweise eingehen und reichen sie uns dann zurück. Martin erklärt ihnen, daß im Zelt unsere Damen schlafen; ein kurzer Blick hinein, und die Carabinieri scheinen zufrieden zu sein. Schnell spulen wir unsere Sprüchlein über unser Trekking-Programm ab, daß wir als Pfadfinder hier unterwegs seien, um die Region Kalabrien zu Fuß kennenzulernen. Wir erzählen von Pizza-Toni in Deutschland und von der bisherigen Gastfreundschaft der Menschen hier. Schon erstaunlich, was man alles in kürzester Zeit in einer fremden Sprache runterrattern kann.

"Ah, gruppo tedesci - o.k., bene! Buena notte!" Licht aus, sich entfernende Schritte; das Zuschlagen von Autotüren; sich entfernendes Motorengeräusch - dann wieder nächtliche Stille. Nein, ein Traum war das nicht - dafür sind wir alle jetzt viel zu wach! Es dauert lange, bis wir wieder einschlafen können.


Karsamstag, 3.4.99, 9.Tag

Nach den Aufregungen der Nacht wollten wir eigentlich länger schlafen; der stärker gewordene Wind und der sich ankündigende Sonnenaufgang im Meer läßt uns aber doch wieder früh hochkommen. Wir können diesen Sonnenaufgang, wie schon gestern abend den Mondaufgang, direkt aus dem Meer heraus erleben. Leider ist der Himmel etwas bewölkt; die Sonne schiebt sich kurz nach dem Aufgang schon wieder hinter eine tiefliegende Wolkenbank. Wir müssen dazu nicht einmal aufstehen - bequem aus dem Schlafsack heraus geht das!

Auch für uns ein seltener Moment: Beobachtung des Sonnenaufganges aus dem Meer heraus direkt aus dem warmen Schlafsack

Heute ist also schon Karsamstag; laut Vorplanung müssen wir jetzt ein langes Stück mit der Bahn zurücklegen - einmal unten um die Stiefelspitze herum bis zur Hauptstadt Kalabriens, Reggio Calabria. Von dort gehen Busse hoch in den Gebirgsort Gambarie; er soll Ausgangspunkt sein für unsere nächste Wanderung: über den Montalto. Und zwei, drei Tage später müßten wir dann hier wieder eintreffen.

Wie immer sind die genauen Bahn- und Busverbindungen noch unklar; wir müssen uns halt durcharbeiten bis Gambarie. Und weil Ostern vor der Tür steht, sollten wir heute morgen auch besser für die Feiertage alle notwendigen Lebensmittel einkaufen - wer weiß schon, wo wir in der nächsten Zeit geöffnete Geschäfte finden werden? Und eine passende, dazu noch preisgünstige Einkaufsquelle mit großer Auswahl liegt ja praktisch genau vor unserer Haustür; auf der anderen Seite der Bahnlinie. Diese Bahnlinie ist ab dem frühen Morgen auch ziemlich stark befahren; irgendein Zug wird also auch am Vormittag nach Reggio gehen.

Wir machen uns dann gegen sieben Uhr zügig ans Zusammenpacken; das einzige Überdach ist schnell abgebaut (nachdem wir unsere etwas müden Damen endlich überzeugt haben, aufzustehen). Eine unangenehme Pflicht ist noch zu erfüllen: nach dem gestrigen "Großen Fressen" sind die beiden Töpfe noch nicht gespült; das hatten wir auf heute morgen verschoben. Valle und Martin ist diesmal die undankbare Aufgabe (zudem ist unten auf dem Topfboden doch eine leichte Schicht angebrannt...) zugefallen. In Ermangelung richtiger Topfkratzer benutzen sie als Scheuermittel Sand vom Strand. Auch die anderen nutzen das Meerwasser als Spülwasser.

Egal wo - das Spülen ist immer lästig. Hier haben wir aber wenigstens genug Scheuersand

Und bei neun Leuten erwischt es dann doch den einen oder anderen. Man muß schon gut aufpassen und das hin- und herflutende Wasser argwöhnisch beobachten! Und wer schon seine festen Trekking-Stiefel anhat, muß halt mit feuchten Füßen leben.....

Zum Frühstück geht es hinüber zum Supermarkt. Hier lassen wir unsere Rucksäcke neben dem Eingang stehen und kaufen in zwei Gruppen nacheinander ein. Frisches Brot; Butter, Schinken und Mortadella - fast wie im Paradies. Für ein richtiges Osterfest brauchen wir natürlich auch Ostereier; dazu Majonaise. Das alles besorgen wir schon mal hier im Supermarkt. Und damit der Transport von 30 Eiern nicht zum Problem wird, kochen wir sie kurzerhand direkt neben dem Eingang auf dem Gasbrenner. So etwas haben die vielen vorbeiströmenden Kunden hier bestimmt noch nicht gesehen! Leider ist es hier sehr windig; dazu muß zwischendurch auch noch die Gaskartusche gewechselt werden. Dementsprechend lange dauert alles. Allerdings können wir so nebenbei ganz in Ruhe frühstücken.

Dann kommt ein etwas längerer Marsch entlang der Hauptstraße nach Bovalino. Wir kommen dabei durch unsere Hauptgeschäftsstraße und suchen für Svenja eine neue Sonnenkappe; ihre alte (bzw. Martins Jack Wolfskin Kappe) liegt nun irgendwo am Rastplatz unterhalb von Pietra Castello. In Bovalino haben wir zur Abfahrt unseres Zuges noch Zeit; wir nutzen sie zum Waschen draußen an einem Brunnen in einem ansonsten ziemlich verdreckten Park. Im Bahnhof kaufen wir heute auch bereits Liegewagenkarten für die Rückfahrt nach Rom. Wir haben uns entschlossen, bereits am kommenden Donnerstag von Reggio aus nach Rom zu fahren; dort haben wir dann zwei Tage Aufenthalt vor der Rückkehr nach Deutschland. Mit diesem Zeitplan sind alle einverstanden. Uns bleibt dennoch genügend Zeit für die letzte Wanderung von Gambarie nach San Luca. Und einen Besuch in Bova werden wir auch noch am Schluß einlegen können. Um 12:02 Uhr machen wir uns jetzt erst einmal auf nach Reggio Calabria. Gespannt warten wir auf den Schaffner: und wieder wird unser deutsches Ticket anstandslos akzeptiert! Mit der Umrundung der Stiefelspitze haben wir dann aber auch die längstmögliche Bahnstrecke gefahren. Demnächst werden wir also zahlen müssen.

Über die Fahrt läßt sich nur berichten, daß die Bahnlinie fast immer direkt am Meer entlangführt; dementsprechend schön ist die Aussicht. Wieder wird der Wunsch wach, hier einmal eine längere Radtour zu machen. In Reggio Calabria merkt man schon am Bahnhof, daß es sich um einen größeren Ort handeln muß. Viel bekommen wir von dieser Stadt allerdings nicht mit, da bereits um 15:50 Uhr unser Bus hoch ins Gebirge geht. Leider ist das kein Bus bis hoch nach Gambarie; er soll laut Auskunft einige Kilometer vor Gambarie im Ort San Stefano enden. Na ja, besser als gar kein Bus! Wo sollten wir hier in Reggio auch über Nacht bleiben?

Wir sitzen am Denkmal von Guiseppe Garibaldi und beobachten den rund um den Platz flutenden Verkehr. Im Bus fragen wir dann sicherheitshalber mehrmals nach, ob es auch das richtige Fahrzeug ist. Tickets gibt es erst beim Losfahren vom Schaffner. Kurz vor der Abfahrt können wir noch einen Auffahrunfall neben uns beobachten: ein Linienbus, im Rückwärtsgang gegen einen stehenden Ape 50. Sieger nach Punkten ist eindeutig der Bus (es sieht sogar nach einem K.O. aus). In kürzester Zeit bildet sich um den lauthals schimpfenden Ape-Fahrer eine dichte Menschenmenge; bald sind drei Wagen der Polizia Municipale vorgefahren; alle mit jeweils zwei Leuten besetzt. Die stehen aber nur herum und tun eigentlich gar nichts!

Für uns beginnt nun eine aufregende Fahrt hinauf ins Gebirge; zunächst noch erst leicht ansteigend; dann in vielen, vielen Serpentinen im höher kletternd. Nicht immer gibt es in diesen Kurven Leitplanken oder Begrenzungssteine.... Vor jeder nicht einsehbaren Kurve setzt unser Fahrer seine durchdringende Hupe ein - dafür verzichtet er auf eine Reduzierung der Geschwindigkeit.

Zwischendurch wird der Bus schon mal als Lieferwagen benutzt; Haltestellen gibt es auch keine - wer einsteigen will, hebt am Straßenrand die Hand; wer aussteigen will, meldet sich beim Fahrer. So schraubt sich der Bus höher und höher in einem engen Gebirgstal hinauf; von unseren Plätzen aus haben wir eine hervorragende Aussicht.

Um 17:30 Uhr haben wir dann unser Ziel erreicht; am oberen Dorfende von San Stefano ist Endstation. Wir laden alles aus; Fahrer und Schaffner sind uns behilflich. Wie weit ist es denn nun noch bis Gambarie, fragen wir sie. Ihre Antwort: so sechs, sieben Kilometer; immer der Straße nach.

Das Wetter ist inzwischen nicht nur merklich kühler geworden; es sieht auch stark nach Regen aus. Vorsichtshalber legen wir schon mal die Regenkleidung bereit. Dann schultern wir die Rucksäcke und machen uns an den weiteren Anstieg. Wir wollen heute noch möglichst nah an Gambarie herankommen; so etwa drei bis vier Kilometer wollen wir noch schaffen, um morgen eine bessere Ausgangsbasis zu haben.

Das Wetter macht uns nun doch zu schaffen: es beginnt zu nieseln und wir müssen die bereitgehaltenen Regenanzüge anlegen. Die wiederum bringen uns beim Weitergehen bergauf arg ins Schwitzen; und das trotz der mittlerweile eisigen Temperaturen. Kurz gesagt: es macht keinen großen Spaß mehr. Alle sind insgeheim froh, daß uns die bald hereinbrechende Dämmerung zum Aufhören zwingen wird.

Eine Station der Corpo Forrestale kommt uns da gerade wie gerufen. Wir schellen an und fragen, wo man denn hier in der Nähe mit dem Zelt übernachten könne? Kein Problem, meint der freundliche Ranger; so etwa fünfhundert Meter weiter soll sich ein Sportplatz befinden; daneben könnten wir auf der Wiese für eine Nacht zelten. Als er von unseren weiteren Wanderplänen hört, ist er nicht sicher, ob sich der Weg über den Montalto bei diesen Wetterverhältnissen machen läßt. Nun gut, das können wir morgen immer noch entscheiden.

Wir fassen noch schnell zusätzliches Kochwasser und suchen dann den beschriebenen Sportplatz. Das dortige Gelände ist uns allerdings entschieden zu sumpfig; also streifen wir weiter in der Gegend herum und landen schließlich auf einer Art Plantage oder Baumschule. Und hier gibt es am Waldrand genügend passende Lagerplätze. Es stellt sich nur die Frage, ob wir uns hier vielleicht auf privatem Grund befinden. Das wollen wir aber jetzt gar nicht mehr weiter überprüfen; die Nacht bricht samt Regen herein, und wir machen uns eilig an den Zeltaufbau.

Es gibt zum krönenden Abschluß des Tages "Rollini al Pesto"; Nudeln in grüner Kräutersauce aus der Tüte. Dies ist nun nicht jedermanns Geschmack; Jan und Martin kommen dadurch an größere Portionen als sonst. In der Nacht wird es lausig kalt! Kein Wunder, liegen wir doch schon wieder auf über 1200 m Höhe! Immer wieder prasseln auch kräftige Schauer auf`s Zeltdach. Das soll morgen was geben!


Ostersonntag, 4.4.99, 10.Tag

Schnee liegt auf den Zelten, als wir aufstehen! Und dementsprechend frostig ist es auch! Allerdings brauchen wir uns über den Regen keine Sorgen mehr zu machen - der Ostersonntag bringt ausgezeichnetes Sonnenwetter! Schnell wird der Benziner angeworfen, denn heute verlangt es jeden nach heißen Getränken zum Tagesbeginn!

Der Abbau läuft zügig und reibungslos; schon bald sind wir wieder auf der Straße in Richtung Gambarie unterwegs. Ein, zwei Kilometer sind es nur noch; dann kommen wir in den kleinen Ort, der auf verblüffende Weise Winterberg ähnelt: überall Hotels und Pensionen; Andenkenläden und von der Hauptpiazza ein Sessellift hinauf ins Gebirge. Der Anblick dieses Lifts raubt uns dann alle Hoffnung für die Durchführung unserer letzten

Ende unserer Pläne - der Montalto ist hoffnungslos verschneit

Wanderung nach San Luca! Schon von hier unten aus können wir erkennen, daß das Gelände oberhalb noch dicht verschneit ist. Die letzte Hiobsbotschaft zu unseren schönen Plänen bekommen wir am Maschinenhaus des Sessellifts. Die Betreiber erklären uns, daß der Betrieb erst am Ostermontag aufgenommen würde; neben dem Lift könnte man mit unserem Gepäck nicht zu Fuß hoch. Und überhaupt: der Lift endet auf 1600 m Höhe; dort liegt zur Zeit noch über 50 cm Altschnee; beim Montalto, über dessen Gipfel wir ja wollen, liegen in über 1900 m Höhe noch sicher fast ein Meter Schnee.

Das ist das Aus für unsere Tour. Wir könnten uns ja vielleicht noch durch einige Schneefelder durchkämpfen (obwohl das natürlich keinem Spaß machen würde); rot-weiß-rote Wegmarkierungen werden wir unter dem Schnee aber mit Sicherheit nicht entdecken können - und für ein eigenmächtiges Laufen durch die völlig unbe-kannte Landschaft hat unser Reiseführer einige deutliche Warnhinweise parat. Schweren Herzens entscheiden wir uns für den Abbruch des Unternehmens; enttäuscht machen wir uns an ein Osterfrühstück auf der Piazza.

Enttäuschung macht sich breit beim Osterfrühstück in Gambarie

Wie soll es jetzt weitergehen? Zunächst mal in eine offene Bar! Und mit dem ersten Cappuccino und einem Birra oder Vino anschließend kommen wir wieder auf positivere Gedanken. Die hervorlugende Sonne unter-stützt das; die leckeren Sahneteilchen, die in der Bar angeboten werden, ebenfalls. Nun gut, heute ist Sonntag - wir haben noch volle fünf Tage für eine andere Wandertour zur Verfügung.

Wir erkundigen uns, wann denn wohl von hier aus ein Bus in welche Richtung fahren wird. Es gibt eigentlich keine Alternative: wir müssen zurück bis Reggio Calabria und von dort aus mit dem Zug weiter an der Küste entlang. Der Zielort ist auch schnell festgelegt: Bova Marina; ganz unten an der Südspitze. Dahin führt von Gambarie fast direkt die SS 183 - nur leider ohne Busverkehr über die Feiertage. Schade - aber über Reggio ist es ja auch möglich. Und wir haben eine Alternative: von Bova ins Tal der Fiumara Amendolea! Das ist die letz-te beschriebene Tour in unserem Wanderführer. Und was da alles so aufgelistet ist, gefällt uns! Wir sitzen gemütlich draußen vor der Bar in der Morgensonne und planen mit Hilfe des Reiseführers die neue Route:

"Oberhalb von Bova zweigt von der Fahrstraße ein Fahrweg ins Innere des Aspromonte ab, der hinunter in die weite Talebene der Fiumara Amendolea führt. Er beschenkt den Wanderer mit Ausblicken auf die Südküste Kalabriens, auf Sizilien von der Meerenge von Messina bis zur riesengroßen Bergmasse des Etna."

Na, das ist doch auch schon mal was! Der Reiseführer verspricht weiterhin "verlassene Dörfer und großartige Panoramen" - dann werden wir alternativ halt diesen Teil des Aspromonte kennenlernen; und in San Luca waren wir ja schon mal. Und den Etna, den wir ja genau vor einem Jahr erkundet haben, werden wir ganz nebenbei wiedersehen.

Leider fährt der Bus erst kurz nach Mittag; so bleibt genug Zeit, durch die wenigen Sträßchen des Ortes zu schlendern und die Schaufenster zu betrachten. Jan, Valle und Martin machen auf der Suche nach einem geeigneten Toilettenort dabei eine etwas größere Wanderung....

Dann die Busfahrt vom Vortag; diesmal in umgekehrter Richtung (und zum Glück direkt ab Gambarie). Bergab kommt uns die Geschwindigkeit um die scharfen Kurven noch schneller vor. In Reggio Calabria auch noch ein kurzer Aufenthalt; hier müssen wir jetzt wohl oder über mal Fahrkarten zurück bis Bova Marina lösen. Gegen Abend setzt sich dann der Zug in Bewegung; wir haben noch einen guten Blick auf die weitausufernden Vororte der Stadt. Allmählich wird uns aber klar, daß nun ein neues Problem auf uns zukommt: wo sollen wir gleich übernachten?? Auf der Karte ist Bova Marina ja ein winziges Nest; viele Kilometer nach links und rechts an der Küste entlang nichts los; da müßte doch was zum Wildcampen zu finden sein. Beim Einlauf des Zuges ist es leider schon dunkel - aber nicht so dunkel, daß wir schnell feststellen müssen: hier werden wir wohl nichts finden! Kilometerweit vor dem Bahnhof lagen schon viele Häuser an der Straße, die direkt an der Küste ent-lang führt; da ist nichts zu machen - und auf der anderen Seite verschwindet die Bahn in einem Tunnel; die Straße muß weit hoch hinauf über ein steil abfallendes Kap. Und wie es hinter dem Kap aussieht, kann man von hier aus gar nicht beurteilen. Damit haben wir jetzt ein echtes Problem!

Zelten an der Küste fällt also flach. Vor dem Bahnhof fragen wir bei Passanten nach, ob es hier vielleicht einen Camping-Platz gibt. Und die Antwort ist tatsächlich positiv! Wir bekommen eine Wegbeschreibung dorthin: ein Stück die Hauptstraße entlang; dann unter der Bahn durch in Richtung Strand: dort soll sich an der Uferpromenade ein Platz befinden.

Also auf dorthin! Unterwegs sehen wir sogar ein Hinweisschild - als wir aber an der beschriebenen Stelle an-kommen, finden wir nur ein verschlossenes Tor. Während wir noch überlegen, was nun zu tun wäre, mischen sich mehrere Passanten ein, die uns helfen wollen. Da darüber die Meinung aber anscheinend auseinander geht, erleben wir einen zünftigen Streit mit. Wir kommen nicht ganz dahinter, worum es bei dem Streit genau geht; bei Ausdrücken wie "Stronzo tedesci" verhalten wir uns vorsichtshalber mal völlig unbeteiligt.

Ein junges Pärchen bietet nun seine Hilfe an; der Mann hält einen PKW an und fährt irgendwo hin; kurz darauf kommt er zurück; einen großen Mercedes im Gefolge. Wir sollen diesem Wagen folgen; etwas außerhalb des Ortes gibt es einen "Agriturismo", wo wir preiswert unterkommen können. Was bleibt uns in dieser Situation anders übrig, als diesem Vorschlag zu folgen?

Im strammen Schritt marschieren wir aus dem Ort hinaus; den Rücklichtern des Mercedes folgend (der natürlich trotz seines "Schrittempos" für uns immer noch ziemlich schnell ist). Die Gruppe zieht sich, je nach Kondition, weit auseinander; an Abzweigungen bleibt aber immer jemand in Blickkontakt. So kommen wir hinaus in unbewohntes Terrain und landen schließlich vor einem großen Landhaus inmitten von Olivenhainen.

Und hier zeigt man uns Zimmer; der Preis ist mit 30 DM pro Person auch durchaus akzeptabel. Die Übernachtungsfrage ist somit mal wieder geklärt. Wir teilen die Zimmer auf und richten uns für die Nacht ein; danach treffen wir uns wieder unten auf der Terrasse. Mit den Besitzern des Agriturismo kommen wir schnell ins Gespräch; es sind die Brüder Leo (unser Mercedes-Fahrer), Pietro und Nino Autellitano; besser bekannt unter dem offiziellen Namen des Agriturismo: "Azienda agrituristica la Spina Santa"

Und mit dieser Unterkunft haben wir wirklich das große Los gezogen! Leo fragt nach, ob wir noch Hunger hätten, und läßt dann Spaghetti für alle machen. Serviert werden sie ausschließlich mit Knoblauchöl; aber wirklich sehr wohlschmeckend. Dazu gibt es Wein vom eigenen Faß (im dazugehörenden Barraum stehen zwei riesige Edelstahl-Fässer). Der selbstgekelterte Rosso hat es in sich: 14 Prozent! Nach all den Aufregungen des Tages geht der nun gut runter! Wir lassen den Literkrug mehrmals nachfüllen. Bedient werden wir von Lal Resham, einem Inder, der hier wohl so ziemlich jede Arbeit erledigen muß.

Lal lädt uns spät abends noch auf sein Zimmer ein; hier bewirtet er uns mit einer Flasche Limonen-Likör; gleichzeitig erfahren wir etwas über seine Arbeitsbedingungen. Für die drei Brüder ist Lal sicher ein Glücksfall; ansonsten sind die vielen Inder, Tunesier oder Marrokaner bei der einheimischen Bevölkerung nicht gut angesehen, da sie mit ihren billigen Stundenlöhnen den einheimischen Arbeitskräften natürlich Arbeit wegnehmen. Andererseits, erklärt uns Leo am nächsten Tag, könne man Kalabresen für diese Arbeiten nicht bekommen. Sie würden diese Service-Jobs auch gar nicht machen wollen.

"La Spina Santa" ist auf jeden Fall ein Geheimtip für Reisende in Kalabrien - das ist sicher! Als Leo hört, daß wir natürlich auch über diese Fahrt ein Reisetagebuch schreiben wollen, bekommen wir einige Hausprospekte überreicht. Dazu eine Karte, auf der alle Agriturismo-Unterkünfte in Kalabrien aufgeführt sind, die sich dem biologischen Anbau verschrieben haben. Wir denken sofort wieder an die geplante Fahrradtour!



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