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Calabria a piedi


Zu Fuß durch die Bergregionen der Serre und des Aspromonte an der Stiefelspitze Italiens


-Reisetagebuch-
26.3.99 - 11.4.99


Freitag, 26.3.99, 1.Tag

Ungeduldig wird jeder die letzten Stunden abgewartet haben (und einige haben sich durch die frühe Abfahrt mal wieder etliche Stündchen Schule erspart; Martin hat die Formulierungen dafür schon im Computer gespeichert: "N.N. ist seit Jahren Mitglied unseres Stammes.....Maßnahme gefördert aus Mitteln des Landes NRW.....dringend erforderlich......muß einfach schulfrei bekommen!).

Um 12:08 geht der Linienbus bereits ab Haltestelle Post; wir müssen so früh los, um rechtzeitig in Basel den Nachtzug nach Rom zu erwischen. Eine extrem lange Bahnfahrt liegt nun vor uns! Erst in etwa 33 Stunden werden wir am vorläufigen Zielpunkt, der "Stazione Pietrapaola" in Kalabrien, eintreffen - wenn alles so klappt, wie es von Signore Mühlenkamp bei der Deutschen Bahn in Meschede geplant wurde.

Wir haben erstmals ein "Spezial-Ticket" mit dem wenig prosaischen Namen "Sparpreis Italien III". Aber Name hin oder her - dieses Ticket wird seinem Namen alle Ehre machen, und zwar in des Wortes "Sparpreis" ursprünglichster Bedeutung! Aber das können wir im Moment noch nicht wissen.

Erstmalig haben wir auch nur kurze Osterferien - leider nur noch zwei Wochen. Gut, zusammen mit dem heutigen letzten Schultag werden wir auf 17 Tage kommen; mehr ist halt nicht drin. Aus diesem Grund haben wir auch auf den Transit verzichtet - der Streß in dieser kurzen Zeit bei der doch sehr langen Wegstrecke bis zur Stiefelspitze und auch die relativ geringen Bahnkosten brachten die Entscheidung für die Bahn.

In Freienohl stößt Janine dazu; für sie die erste Fahrt mit uns. Und noch einer ist kurz zuvor zur eigentlich nur achtköpfigen Gruppe gestoßen: Jan Valerius (ab jetzt zur Unterscheidung von Jan Büttner der Einfachheit halber als "Valle" bezeichnet) hat sich doch tatsächlich schon am 7.3., also vor weniger als drei Wochen, zur definitiven Mitfahrt entschieden. Die Deutsche Bahn konnte anschließend ein erstes kleines Wunder wirken und die Fahrkarten bzw. vor allem die bereits erfolgten Reservierungen von acht auf neun Teilnehmer umändern. Dies alles ist aber geschafft und wir warten nun in Freienohl auf die Ankunft des Zuges nach Hagen.

Und als der angekündigt wird, die nächste Überraschung der Bahn: den "Pfadfindern aus Wenholthausen wünschen wir eine angenehme Fahrt nach Kalabrien!" tönt es aus den Lautsprechern. Nun gut - Ehre, wem Ehre gebührt. Schnell wird die Abschiedsdose Bier geleert (Dank an Peter wie immer!) und dann sind wir unterwegs nach Süditalien. Im Zug kommen wir dann ins Gespräch mit dem Schaffner. Als wir dann in Hagen aussteigen, kommt durch den Zuglautsprecher eine weitere Durchsage: "Den Pfadfindern wünschen wir auf Kalibrien (!) schöne Ferien!" Jetzt reicht`s aber - das wird ja langsam peinlich. Aber auch ohne die Durchsage fallen wir mit unserem doch recht außergewöhnlichen Gepäck ziemlich auf: neun Leute mit extrem großen Rucksäcken; teilweise sogar mit vier statt sonst zwei Außentaschen; dazu die Wasserflaschen, Zeltgestänge und Trekking-Stöcke malerisch mit Spanngurten außen dran befestigt. Kein Wunder, reicht doch der Platz innerhalb des Rucksacks kaum aus für die notwendige Kleidung, Grundnahrung (=Tütenfutter) und sonstige Ausrüstung.

Den krönenden Abschluß hoch oben auf dem Rucksack bildet bei den meisten von uns dann noch das Zeltmaterial. Und das alles zusammen ist doch verflucht schwer - da hilft auch nicht der tröstende Gedanke, daß das Essen ja kontinuierlich abnehmen wird. Mehr noch: wenn wir erst einmal auf die einzelnen Trekking-Strecken gehen, werden wir noch weiteres, zusätzliches Gewicht durch das Trinkwasser bekommen.

Und diese Strecken haben wir im Vorfeld der Tour bereits in Grundzügen festgelegt. Grundlage für unsere Entscheidungen bilden vor allem das Buch "Richtig wandern - Süditalien" von Hans Bausenhardt und das Reisehandbuch "Süditalien", ebenfalls von Hans Bausenhardt aus dem Velbinger-Verlag. Im Laufe dieses Reisetagebuches kommen aus diesen beiden Büchern Original-Zitate (kursiv) vor.

Was haben wir uns für die nächsten zwei Wochen vorgenommen? Die zuerst geplante "Trans-Pollino-Durchquerung", also von Küste zu Küste über das 2000 Meter hohe Pollino-Gebirge, haben wir nach genauem Studium der Unterlagen schnell fallen lassen - für uns zu schwierig zu organisieren. Außerdem vermutlich jetzt, Ende März, noch erhebliche Schneeprobleme. Das kann`s ja für die Ferien wohl nicht sein. Das Sila-Gebirge steht auch nicht mehr auf dem Plan - die Beschreibungen klingen zuviel nach "Mittelgebirge" (allerdings even-tuell auch noch mit Schneeresten). Da könnten wir ja auch gleich durch`s verregnete, kalte Sauerland wandern.

Nein, wir haben da so drei, vier andere schöne Vorschläge von Hans aufgenommen: eine Wanderung durch das Stilaro-Tal mit einem Besuch in Stilo; dann durch`s "Triangolo della Morte", also dem "Todes-Dreieck" rund um Pietra Kappa mitten im tiefsten Mafia-Gebiet. Weiterhin eine Tour über den Montalto rüber nach San Luca. Und schließlich wäre da noch eine wilde, einsame Landschaft oberhalb von Bova, mit verlassenen Dörfern und den für Kalabrien so typischen Fiumendosa (weitläufige Kiesel-Fluß-Täler). Zu tun haben wir also genug.

Warum aber überhaupt Kalabrien? Dafür ist in erster Linie Toni, unser heimischer Pizza-Bäcker verantwortlich! Zu oft hatten wir ihm von Sardinien, Umbrien und Abruzzen vorgeschwärmt. Und immer wieder hatte er uns beschworen, wir sollten doch auch einmal seine Heimat, Kalabrien, erkunden. Und genau das haben wir uns für diese Osterferien vorgenommen.

Toni hat uns dafür natürlich sofort seine Unterstützung angeboten! Wir können bei der Ankunft in Kalabrien zunächst einmal auf seine Ferienwohnung in Pietrapaola zurückgreifen; direkt am Meer gelegen. Als Akklimatisationsphase durchaus gut geeignet. Der Bruder von Lucia, Tonis Frau, wird uns in Pietrapaola die Schlüssel übergeben und uns einweisen.

Jetzt aber sitzen wir gemütlich im Zug ab Hagen und brauchen mit den schweren Rucksäcken bis Basel nicht mehr umsteigen. In Basel wird es dann aber gleich wieder anstrengend: zunächst einmal ist unklar, wo genau unser Zug nach Rom abfahren wird. Als das zweifelsfrei feststeht, müssen wir über eine Traverse zum Nachbargleis. Dort machen wir es uns auf leeren Gepäckwagen gemütlich und warten auf die Ankunft des Nachtzuges.

Der stellt sich dann kurz darauf als exklusiver "Euro-Night" heraus; bei dem doch etwas ungewohnten Luxus (es werden z.B. heiße Handtücher gereicht (!); dazu stehen Wasserpäckchen bereit) wird uns klar, warum diese Liegewagenverbindung etwas teurer war als ein normaler Liegewagen ab München.

Mit dem netten, schweizer Schaffner kommen wir schnell ins Gespräch. Er berichtet uns einiges über seine Erfahrungen hier im Zug: Drogenschmuggel, Geldwäsche, Gepäckdiebstahl. In der Nacht verriegeln wir dementsprechend sicher die Türen! Unsere beiden Damen haben sich für das Nebenabteil entschieden; Valle wechselt in Olten rüber in einen anderen Waggon; leider war im gleichen Wagen kein zusätzlicher Platz mehr nachzubuchen. Noch längere Zeit stehen wir draußen im Gang und lassen die nächtliche Schweiz an uns vorüberziehen. Die Nacht verläuft ruhig und ohne besondere Vorkommnisse.


Samstag, 27.3.99, 2.Tag

Geweckt werden wir vom Schaffner gegen sieben Uhr. Draußen fliegt bereits Italien an uns vorbei - und wir bekommen ab halb acht sogar ein Frühstück serviert! Heiße Apfel- und Quarktaschen mit Orangensaft; dazu Kaffee, Kakao oder Tee nach Wunsch. Und zum Schluß die bereits erwähnten heißen Handtücher zur Erfrischung! Nobel geht`s hier in den schweizer Zügen zu!

Um 9:20 Uhr erreichen wir fast fahrplanmäßig Rom: schnell sind zwei Gepäckwagen organisiert, die die Tragelast mildern helfen. Zuerst einmal suchen wir einen Geldautomaten, um mit unseren neuen Post-Sparcards ohne Gebühren an italienisches Bargeld in ausreichender Menge zu kommen. Dann geht es samt den beiden Wägelchen hinaus auf den Bahnhofsvorplatz; mitten hinein in das heitere, italienische Wetter! Umgehend werden jetzt die Ärmel der Pullover hochgekrempelt; peinlich nur, wie blaß unsere Arme noch aussehen!

Willkommen in Rom

Jeden lockt es jetzt natürlich zu einem kleinen Einkaufsbummel. Wir schultern die Rucksäcke und stürzen uns ins römische Verkehrsgetümmel. Mit neun Leuten gar nicht so leicht! Als Kolonne kommt man so nicht über die Straße. In Zweier- oder Dreiergruppen schlängeln wir uns durch die Fiats und Motorroller hindurch; jede Lücke im nahezu ununterbrochen fließenden Verkehr nutzend. Auf eine Beachtung der Zebrastreifen durch die Automobilisti warten wir erst gar nicht!

Von `97 her kennen wir einen kleinen Alimentari in einer Seitenstraße; hier decken wir uns mit dem Nötigen für`s gleich geplante Frühstück und die Weiterfahrt bis Cosenza ein. In erster Linie sind das kühle Getränke, denn zu essen haben wir in den Rucksäcken noch reichlich. Aus Sicherheitsgründen setzen wir die Rucksäcke draußen vor dem Laden ab; wir wollen ja nicht mit unserem sperrigen Gepäck den halben Laden umwerfen.

Wenn man in Rom nicht weiß, wo die kleinen Alimentari sind, ist man aufgeschmissen!

In mehreren Kleingruppen inspizieren wir die Getränketheke des Ladens und treffen unsere Wahl. Draußen noch schnell ein Erinnerungsfoto, dann geht es zurück zum Bahnhof. Hier lassen wir uns am Rand des Busbahnhofes auf einem Mäuerchen und einigen riesigen Blumenkübeln (römischer Stil, bei genauerem Hinschauen aber aus schnödem Plastik!) nieder und genießen ein ausgiebiges Frühstück in der warmen Morgensonne.

Und ganz plötzlich wird uns dabei bewußt, daß es hier noch andere Menschen gibt, die andere Sorgen haben, als zwei Wochen Urlaub sinnvoll zu gestalten: plötzlich fallen uns die vielen Leute in abgerissenen Klamotten auf, die fast unauffällig zwischen den Blumenkübeln sitzen. Als wir dann sehen, wie einer von ihnen in einem Abfallkorb nach Essen sucht, sind wir mit unseren auf dem Mäuerchen aufgebauten vielen Köstlichkeiten (auch wenn`s nur Thunfisch und Teewurst aus dem Aldi ist) doch ziemlich betroffen! Wir suchen in unserem Gepäck die belegten Brote und Brötchen zusammen, die wir mit großer Sicherheit nicht mehr essen werden, und bringen sie rüber. Als sie unsere Alu-Päckchen auswickeln, können die Leute ihr Glück kaum fassen! Wir sind erneut etwas beschämt. Man muß es positiv sehen: als Pfadfinder haben wir die erste gute Tat des Tages vollbracht!

Dann wird alles wieder in den Rucksäcken verstaut, und wir machen uns auf den Weg zurück ins Bahnhofsinnere - und das ist hier in der "Statione Roma Termini" doch recht weitläufig! Wir bilden unterwegs zwar nicht direkt eine Wagenburg; dennoch haben wir untereinander ein argwöhnisches Auge auf unsere Rucksäcke. 1997 haben wir miterlebt, wie schnell und wie raffiniert die Taschendiebe hier vorgehen (Stichwort Beate!).

Der richtige Bahnsteig ist wegen der Monitoranzeige schnell gefunden; wir sind überrascht, was draußen an unserem Wagen steht: Roma Termini - Caltanisetta! Dann geht dieser Zug also durch bis nach Sizilien! Im letz-ten Jahr haben wir diese Stadt Caltanisetta noch quasi mit den Rädern auf unserer Radtour rund um Sizilien in den damals noch dreiwöchigen Osterferien berührt.

Im Zug belegen wir zunächst zwei komplette Abteile; müssen dann aber doch ein wenig zusammenrücken, als der Wagen immer voller wird. Und heißer wird es nun von Stunde zu Stunde auch - gut, daß wir ausreichende Getränkevorräte gefaßt haben! Einer unserer Mitreisenden entpuppt sich als netter Student aus Pisa, der nach Hause, in die Nähe von Neapel, fährt. Er erzählt uns viele Dinge über "Bella Calabria"; insbesondere über den dortigen speziellen Wein "Ciro", der auf griechischen Traubensorten basiert. Wir werden ihn sicher noch probieren!

Dann kommt auch schon bald das erste touristische "Highlight" des Tages in Sicht: der Vesuv. Er ist schon gewaltig anzusehen in seiner majestätischen Größe oberhalb von Neapel. Neapel selbst zeigt sich nicht gerade von seiner schönsten Seite - aber welche Stadt tut das schon vom Zug aus? Hinterhöfe, blätternde Fassaden; dazu überall Wäsche zwischen den Balkonen und auch quer über die Gassen.

Ab Neapel geht es dann am Meer entlang - und dessen blauer Anblick entschädigt uns für Neapel! Es ist inzwischen sehr sonnig, sehr heiß und im Zug sehr voll! Wir sind froh, als wir in Paola aussteigen können. Hier haben wir jetzt fast zwei Stunden Pause. Wir verlassen den Bahnhof und gelangen durch eine Unterführung über ziemlich ausgestorbene Straßen in eine Art Einkaufszentrum; in dem leider außer einer Bar aber nichts geöffnet hat.

Hier lassen wir uns auf den überall herumstehenden Bänken nieder. Ein Einkaufskommando wird losgeschickt, um die reduzierten Vorräte aufzufüllen. Auffällig sind die vielen Einwegspritzen, die überall auf dem Boden herumliegen. Auch sonst können wir diesem Gebiet nichts Positives abgewinnen. Jeder vertreibt sich die Zeit so angenehm wie möglich.

Aber auch diese Wartezeit geht vorbei (genauso, wie das schöne Wetter sich inzwischen verzogen hat: der Himmel ist grau geworden; dazu weht ein doch recht kühler Wind. Wir schultern die Rucksäcke erneut und machen uns auf zum nächsten Zug. Aber was heißt hier Zug! Das Ganze sieht mehr aus wie ein kleiner, zweigeteilter Wurm! Jetzt heißt es, den Stiefel in West-Ost-Richtung zu durchqueren. Kilometermäßig ist das nicht viel, das Gebirge stellt für die Bahn aber ein großes Hindernis dar!

Ein Blick auf die Karte hat uns schon verraten, daß bald einige ziemlich lange Tunnel kommen müssen. In einem davon bleibt der Zug dann noch für lange Minuten stehen, bis der Gegenzug die eingleisige Strecke freigemacht hat. Da viele von uns aber an allem, was mit Eisenbahn zusammenhängt, interessiert sind, kommen sie auf diesem Teilstück voll auf ihre Kosten. Dann erreichen wir Cosenza, müssen aber nicht aussteigen. Der Wurm ändert hier nur seine Fahrtrichtung und fährt bald darauf weiter nordöstlich durch breite Täler.

Sibari heißt unser nächster Umsteigebahnhof. Er liegt nun bereits an der anderen Küste, am "Mare Ionio"; genauer gesagt in der riesigen Bucht zwischen Sohle und Absatz des Stiefels. So lernen wir nebenbei noch ein wenig Erdkunde. Inzwischen wird es aber auch schon dämmrig. Am Bahnhof von Sibari bleibt nicht viel Zeit; wir warten direkt auf dem Bahnsteig, bis der Expreß einrollt, der uns nun entlang der Küste nach Süden mitnimmt. Jetzt ist es nicht mehr weit bis Pietrapaola. Toni hat uns sogar die Anzahl der Stationen verraten - wir können das auch schön auf unserer Karte mitverfolgen.

Die allgemeine Müdigkeit ist wie weggeblasen: Spannung kommt auf! Vor allem, als der Zug an den ersten zwei, drei Stationen ohne Halt durchrauscht. Uns schwant nichts Gutes! Es ist aber ohne Zweifel die richtige Strecke und auch die richtige Richtung. Und da kommt auch zum Glück der Schaffner. Und wir staunen: er spricht perfekt deutsch! Der Schaffner staunt nun aber seinerseits, als er unsere Karten abstempelt und von uns erfährt, wohin wir wollen. Stazione Pietraopaola? Nicht mit diesem Zug! Das wäre ein Expreß, der nur in wenigen Bahnhöfen hält - mit Sicherheit aber nicht in dem kleinen Ort Pietrapaola - die hätten ja nicht einmal einen richtigen Bahnhof dort!

Wir werden nie genau wissen, was es war: unsere betroffenen Gesichter am Ende einer 33stündigen Zugfahrt, bei der bislang alles so reibungslos geklappt hatte? Mitleid? Vielleicht auch einfach die sprichwörtliche Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, die wir in den nächsten Wochen noch so oft kennenlernen werden! Jedenfalls beruhigt uns der Schaffner erst einmal und verschwindet dann zum Lokführer. Kurz darauf kommt er zurück und verkündet lächelnd, daß unser Problem gelöst sei! Der Expreß wird heute abend einen Extra-Stop in Pietrapaola einlegen. Über diese gute Idee sind wir begreiflicherweise wirklich sehr dankbar! Der nette Eisenbahner nimmt sich sogar noch die Zeit, sich genauer nach unseren Wanderplänen zu erkundigen.

Kurz vor der Stazione Pietrapaola gibt er uns ein Zeichen, schon mal alles fertigzumachen. Lange dürfen wir den Zug nicht aufhalten! Und das tun wir auch wirklich nicht. In Windeseile quellen wir aus den Türen und werfen die Rucksäcke auf den Bahnsteig. Ein Pfiff - und schon setzt sich der Zug mit einem winkenden Schaffner in der Tür wieder in Bewegung. Wir grübeln später darüber nach, ob das in Deutschland auch so unbürokratisch gegangen wäre.

Tja, und nun stehen wir vor dem dunklen Bahnhof (ist hier überhaupt noch was los?) auf der einzigen Durchfahrtsstraße des Ortes und schauen uns ein wenig ratlos um. Von Lucias Bruder, der unsere Ankunftszeit zwar kannte, aber nicht damit rechnen konnte, daß der Expreß hier halten würde, ist natürlich weit und breit nichts zu sehen.

Wir ziehen also los in die nächste Bar; unschwer an der grellen Neonbeleuchtung zu erkennen. Hier erklären wir dem Wirt unser Problem. Si, si, Vincenzo Ruggero, fratello di Lucia in Germania - kein Problem. Schon wird telefoniert und wir haben ein weiteres Problem an diesem Tag gelöst. Nebenbei sehen wir auch, daß man hier auch Pizza essen kann. Für morgen abend merken wir uns das schon mal vor.

Schon rauscht draußen ein dunkler Mercedes vor und Vincenzo betritt die Bar. Eine herzliche Begrüßung; dann muß Vincenzo dreimal fahren, bis alle bei der Ferienwohnung angekommen sind. Sie befindet sich in einem mehrstöckigen Wohnblock; wirklich ganz in der Nähe des Strandes. Man kann das Meer schon riechen. Das Haus liegt in einer gigantischen Siedlung aus Appartementhäusern; anscheinend ist das hier eine hundertprozentige Ferienkolonie - nur jetzt, Ende März, ist alles wie ausgestorben.

Vincenzo öffnet uns die Tür zur Wohnung im dritten Stock. Es ist zwar etwas beengt für neun Leute; für zwei Tage wird es aber gehen. Jan und Valle schlafen auf Isomatten; die anderen bekommen in verschiedenen Zimmern Betten. Leider ist das Duschwasser kalt, da erst der Boiler aufheizen muß, wie Jan fachmännisch erkennt.

Nach der doch recht anstrengenden Bahnfahrt ist jetzt allgemeine Rast angesagt. Da einige doch noch Hunger auf ein warmes Essen verspüren, wird Speck geschnitten, und bald brodelt im Topf eine leckere Erbsensuppe.

Marianne legt sich schon mal hin; der Rest zieht dann aber erst einmal hinunter zum Strand. Jan vergißt später leider, den Boiler einzuschalten. Die Quittung dafür erhalten wir am Sonntagmorgen! Nach den Aufregungen der Bahnfahrt sinken dann alle schnell in einen wohlverdienten Schlaf. Schon sind die ersten beiden Ferientage wie im Nu verflogen!


Palmsonntag, 28.3.99, 3.Tag

Palmesel ist in diesem Jahr Marianne. Sie bleibt noch länger im Bett, als sie die anderen über das kalte Wasser (danke, Jan!) in der Dusche schimpfen hört. Immerhin aber macht die Kälte frisch! Und so machen wir uns bei bestem Wetter schon recht früh am Morgen auf, um unsere neue Umgebung nun bei Tageslicht zu erkunden.

Mit Tonis Wohnung haben wir das erste Etappenziel erreicht

Immerhin ist es so warm, daß wir in T-Shirts oder zumindest mit hochgeschobenen Ärmeln unterwegs sein können (wenngleich auch noch mit langen Hosen). In den Rucksäcken haben wir alles für ein ausgiebiges Frühstück dabei; das ist auch gut so, denn auch heute Morgen ist die Umgebung wie ausgestorben. Einkaufsmöglichkeiten sind weit und breit keine zu sehen.

So ziehen wir mit unseren Utensilien zum Strand und gönnen uns ein erstes kalabresisches Sonntagsfrühstück, bestehend aus deutschem Dosenbrot und Dosenfisch (die Sorte "Feine Heringsfilets in Pfeffercreme" findet allgemeine Zustimmung); dazu die berühmten kleinen Leber- und Teewürstchen aus dem Aldi (das Wort "Separatorenfleisch" ist uns zu dieser Zeit zum Glück noch kein Begriff....), die sich bestens eignen, zwei Scheiben Dosenbrot sozusagen miteinander zu verkleben. Beim Thunfisch fällt das naturgemäß etwas schwerer; so landet schon mal ab und zu etwas auf dem Boden. Erstmals ist auch der Brenner im Einsatz und liefert uns das heiße Wasser für Cappuccino oder Trinkschokolade.

So gestärkt machen wir uns dann auf einen Rundweg durch die Ferienanlage. Fünf- bis sechstausend Urlauber sollen sich hier im Sommer tummeln; die heutige Bilanz fällt wesentlich bescheidener aus: lediglich ein Hotel scheint geöffnet zu sein; und auch in ihm ist wohl nicht viel los. Wir lassen unsere Frühstücksutensilien in der Wohnung und machen uns dann auf zum Bahnhof, um für den morgigen Tag einen Zug festzulegen. Leider versperren uns die Mauern und Zäune entlang der Gleisanlagen den direkten Weg hinüber zum Bahnhofsgebäude. Jetzt erkennen wir auch den großen Umweg, den wir gestern abend über den Bahnübergang ganz weit hinten an der Straße machen mußten. Aber ist dieser Umweg wirklich notwendig? Wozu dient eigentlich die kleine Leiter, die genau gegenüber dem Bahnhofsgebäude am Mäuerchen hochführt? Und schließt sich da nicht ein gut zu erkennender Trampelpfad quer über die Gleisanlagen an?? Unsere Entscheidung ist schnellgefallen: schnell (aber auch vorsichtig wegen der Spitzen!) über den Zaun; kurz nach links und rechts gesichert, und schon sind wir drüben.

Willkommene Abkürzung hinüber zur Stazione di Pietrapaola

Der Bahnhof ist eine einzige Enttäuschung: im Prinzip wie Freienohl, nur italienisch beschriftet. Zwei Deutsche - weiß der Teufel, wo die hier herkommen - bieten uns ihre Hilfe an. Gemeinsam erkunden wir den ausgehängten Fahrplan. Es scheint nur ein einziger Zug am "Vormittag" hier zu halten: um 6:44 Uhr in Richtung Crotone. Den werden wir morgen wohl nehmen müssen.

Noch schlechter ist die nächste Nachricht der Beiden: hinauf ins "echte" Pietrapaola geht am Sonntag kein Bus! Wir haben inzwischen gemerkt, das die Stazione Pietrapaola so an die 12 Kilometer vom Dorf entfernt liegt; was wir bislang gesehen haben, ist ausschließlich die am Strand neu entstandene Feriensiedlung. Und natürlich wollen wir Tonis Dorf ja auch mal richtig sehen! Die beiden Deutschen kennen nur zwei Möglichkeiten: entweder zu Fuß oder per Anhalter.

Nun gut, wir werden diese beiden Möglichkeiten im Auge behalten. Wichtiger ist eine andere Information: etwas weiter die Hauptstraße entlang soll sich ein Sonntags geöffneter Alimentari befinden. Also nichts wie hin! Eine gute Idee, denn hier können wir uns mit allem Notwendigen für einen sonntäglichen Frühschoppen eindecken. Dazu noch gleich Wegzehrung (Brot, Käse, Wein) für die erste Tour hoch nach Pietrapaola am Nachmittag.

Auf der Suche nach einem schönen Plätzchen werden wir in der Nähe der Kirche fündig. Wir lassen uns gemütlich auf den Parkbänken nieder und haben sogar eine kostenlose, musikalische Unterhaltung: im zweiten Stock des Hauses gegenüber scheint eine Rockband zu proben. Das klingt nicht mal schlecht; vielleicht etwas laut für einen Sonntagmorgen mitten in einem Dorf.

Doch dann wird es noch lauter: der Gottesdienst in der Kirche ist beendet und die Menschen strömen heraus. Aha, hier hatten sich alle Einwohner versammelt! Und da ja Palmsonntag ist, beginnt nun eine Prozession rings um das Kirchenviertel. Und siehe da, die Gemeinde setzt auch bereits auf moderne Technik! Vorweg wird auf einer Stange eine Art mobile Lautsprecheranlage mit zwei großen Megaphonen getragen - und das übertönt nun sogar die Band! Die wiederum, nicht faul, dreht ihre Verstärker noch weiter auf und man öffnet sogar noch zusätzlich die Fenster.

Als unparteiische Schiedsrichter sitzen wir in der Mitte und genießen eine kalabresische Version von Don Camillo und Peppone. Zum Sieger nach Punkten ernennen wir die Rockband. Sie hat den längeren Atem und spielt noch, als sich die Prozession längst aufgelöst hat.

Inzwischen sind wir beim Vino "Ciro" angelangt und beschließen die Pläne für den Rest des Tages: in Kleingruppen wollen wir uns teilweise auf den Weg hinauf nach Pietrapaola machen; die Mädchen wollen lieber unten am Strand bleiben und sich sonnen. Zurück in der Wohnung werden nun die für ein Picknick erforderlichen Dinge zusammengepackt. Jan, Valle und Christoph lassen es sich nicht nehmen, zwischendurch schnell ein erstes Bad im Meer zu nehmen (sie behaupten steif und fest, das Wasser wäre überhaupt nicht kalt...). Valle läßt es sich nicht nehmen, sogar mit dem Kopf im Salzwasser unterzutauchen.

Na ja, ein wenig kalt wird es schon gewesen sein...

Marianne und Martin haben sich als erste Gruppe schon mal auf den Weg gemacht. Flobe und Flobö folgen kurz darauf und sind auf den ersten Kilometern immer so etwa 500 Meter hinter M&M, ehe den beiden diese Verfolgung zu dumm wird, und sie versteckt hinter einem Gebüsch die beiden Florians eiligen Schrittes vorbeiziehen lassen. Später trifft man dann wieder aufeinander, als die beiden Jungen eine Mittagsrast eingelegt haben.

Die Straße ist leider kaum befahren; so ist nichts mit Trampen! 12 Kilometer sind es laut Karte; dies ist aber nur eine Seite der Medaille: zusätzlich müssen wir einige Höhenmeter überwinden, den Pietrapaola liegt auf 375 m Höhe schon mitten im Küstengebirge. Die letzten vier Kilometer der Straße lassen einen auf der Karte eher an einen Dünndarm denken: Kurve um Kurve - das können nur Serpentinen sein.

Entschädigt wird man beim Laufen aber durch den Anblick der vielen Olivenhaine. Wirklich ein friedlicher Sonntagsspaziergang. M&M beschließen, zunächst einmal im Gras unter einem besonders schönen Exemplar eines Olivenbaumes ein Picknick einzulegen. Und was müssen sie da sehen, als gerade der erste Wein in die Thermobecher gluckert: Jan, Valle und Christoph fahren fröhlich winkend in einem Wagen vorbei; eine Frau hat sie direkt hinter dem Ortsausgang aufgegabelt; es war der erste Wagen, den sie versucht hatten, anzuhalten! Unterwegs komme sie natürlich auch an den beiden Florians vorbei, die laut Aussage von Valle "wie Rumpelstilzchen auf der Straße herumspringen", als die drei vorbeifahren.

Tja, die drei haben also Glück! Mit dem Wagen geht es ganz hinauf bis Pietrapaola (woanders führt die Straße ja auch nicht hin). Hier besichtigen sie die Höhlen, von denen Toni so geschwärmt hat (in denen er als Kind öfter im Sommer geschlafen hat, und in denen man sich nur einfach ganz ruhig verhalten soll, wenn nachts Schlangen mit in die Höhle hineinkriechen - sie würden auch schon wieder von allein verschwinden. Danach war uns klar, daß wir nicht in diesen Höhlen übernachten werden!); klettern ein wenig in den Felsen herum und machen sich dann auf den Rückweg; nicht ohne vorher aber ebenfalls eine ausgiebige Picknickpause eingelegt zu haben. Gut, daß sie die Videocamera im Gepäck haben - so werden wir wenigstens alle mal Aufnahmen von Pietrapaola sehen.

Flobe und Flobö haben inzwischen aufgegeben und sich (zu Fuß!) ebenfalls auf den Rückweg gemacht. M&M winken zwar bei jedem vorbeifahrenden Wagen; Martin springt jedesmal raus auf die Straße, wenn sich ein Motorengeräusch nähert - allerdings ohne Erfolg. Also wird die Weinflasche vollends geleert und man streckt sich im weichen Gras zu einem Mittagsschläfchen aus.

Plötzlich ein sich näherndes Motorengeräusch. Als Martin die Augen aufschlägt, hält gerade ein Ape 50 vor ihnen auf der Straße und wendet. Ein Traum? Nein, Wirklichkeit! Jetzt aber nichts wie hin! Noch schlaftrunken schnell auf italienisch abgeklärt, wohin die Reise gehen soll - und schon können sich die beiden hinten auf die Ladefläche schwingen. Die folgende Fahrt wird ihnen wohl lange in Erinnerung bleiben! Kilometer um Kilometer röhrt das Maschinchen die Straße entlang; das Motorengeräusch wird merklich tiefer, als der Ape in die ersten Serpentinen kommt! Und dann bekommen sie ihre Revanche und können Jan, Valle und Christoph - die schon wieder auf dem Abstieg sind - von der Ladefläche aus im Vorbeifahren zuwinken. Die drei können sich vor Lachen über den merkwürdigen Anblick kaum halten. Aber: besser schlecht gefahren als gut gelaufen!

Mit einem Ape 50 hinauf ins Bergdorf Pietrapaola

Der freundliche Ape-Chauffeur bringt die beiden bis hinauf zur höchsten Spitze von Pietrapaola; bei der rasanten Fahrt durch die engen Gassen ziehen sie lieber vorsichtshalber die Ellenbogen ein. Oben angekommen, möchte der Fahrer sie am liebsten noch zu einer Klettertour hinauf in die höchsten Felsen oberhalb von Pietrapaola animieren; dies lehnen die beiden aber dankend ab. Dafür gibt es ein Foto vom Fahrer, der ihnen von oben stolz sein Dorf präsentiert. Klar, daß nun noch viele Fotos von Pietrapaola folgen; von den engen Gassen, der kleinen Piazza mit dem Kriegerdenkmal und dem schön gepflasterten Boden; den an den Hang geklebten Häusern. Von hier oben aus kann man weit hinunter bis zum Meer schauen. Wie klein die Straße dort unten aussieht, über die man vor kurzem noch zu Fuß unterwegs war! Schade nur, daß sich der Himmel inzwischen ziemlich bewölkt hat. So sieht man das Meer nur als kleinen, silbrigen Streifen unter den Wolken.

Blick auf die Hauptpiazza von Pietrapaola Mitten im Ort befinden sich viele Höhlen

Marianne und Martin streifen nun durch die engen Gassen und schauen sich alles in Ruhe an. Überall stehen Blumentöpfe; teilweise sogar mit Lilien. Viele Häuser scheinen aber auch verlassen. Toni erklärt später, daß fast nur noch alte Leute im heutigen Pietrapaola leben - die jungen Bewohner haben sich inzwischen auf in die großen Städte gemacht, weil es hier im Dorf natürlich keine Arbeit für sie gibt. Viele Häuser stehen daher zum Verkauf (Martin überlegt, ob dies ein geeigneter Altersruhesitz sein könnte - dafür ist es dann aber doch ein wenig zu abgelegen). Auf diese Weise ist ja auch Toni mit seiner Familie nach Deutschland gekommen.

Auf der Piazza

Seine Frau, Lucia, stammt übrigens aus dem Nachbardorf Mandatoriccio; zu Fuß über eine Schotterpiste etwa 5 Kilometer. Auf unserer Karte ist keine Querverbindung eingezeichnet; also lassen wir lieber den Plan fallen, über dieses Nachbardorf zur Küste abzusteigen.

Das Denkmal für die im Krieg gefallenen Bewohner

Jetzt interessieren aber auch natürlich noch die Höhlen, die sich in großer Zahl unmittelbar rings um das Dorf herum befinden. Einige sind inzwischen sogar schon zu Garagen oder Vorratskellern umfunktioniert worden. Zu einer der Höhlen führt ein Pfad hinauf. Die Stufen sind direkt aus dem Felsen geschlagen; zur Sicherheit ist die steil an der Felswand hinaufführende Treppe durch ein wackeliges Holzgeländer gesichert.

Aufstieg zu einer der Höhlen

Oben in der Höhle dann verschiedene Kammern, die früher sicher als Unterkünfte genutzt wurden. Toni hat uns erzählt, daß hier vor einigen Jahrhunderten nur eine Handvoll Einheimischer einen engen Paß zwischen den Felsen erfolgreich gegen eine feindliche Übermacht gehalten hat. Das können wir uns gut vorstellen, als wir von hier oben aus die rings ums Dorf steil aufragenden Felsen mit den engen Schluchten sehen.

Blick aus der Höhle über den Ort

In der Höhle auch noch eine weitere Überraschung: Jan, Valle und Christoph waren auch schon hier und haben für Martin und Marianne einen Gruß im Staub der Treppe hinterlassen. Wie lange der sich wohl hier hält ?

Nun wird es aber auch für die beiden langsam Zeit für den Rückweg - es liegen immerhin noch die zwölf Kilometer vor ihnen. Die Serpentinen lassen sich teilweise noch ganz gut abkürzen; hier scheinen sich schon ganze Generationen von Dorfbewohnern einen kurzen Fußweg hinab ins Tal gebahnt zu haben. Inzwischen lacht auch schon wieder die Sonne vom Himmel (und dabei wird es leider auch schon etwas unangenehm warm). Zu Fuß geht es bis zum mittäglichen Rastplatz; hier hat sich inzwischen eine Schafherde samt Hirte eingefunden. Was aber noch besser ist: auf der Straße steht - passenderweise in Fahrtrichtung Küste - ein alter Fiat, dessen Fahrer sich mit dem Hirten unterhält. Klar, daß man diese Gelegenheit am Schopf ergreift und um Mitnahme hinunter zum Bahnhof bittet.

Und so kommen die beiden dann noch in den Genuß einer zweiten Autofahrt. Die drei Jungen haben das inzwischen auch geschafft. Sie hatten inzwischen auf dem Abstieg ähnliches Glück: ein Italiener, wohnhaft in War-stein (!!!), gabelt sie auf und bringt sie ebenfalls hinunter. Klar, daß er Toni und Lucia kennt.

An der einzigen "Hauptkreuzung" von Stazione di Pietrapaola hat inzwischen die Bar geöffnet; leckere Teilchen in der Glasvitrine laden hier zu einer kurzen Rast ein. Als alle später wieder eine Runde durch die Siedlung drehen, treffen wir auf Uwe aus Lüneburg. Er lebt hier als "Quasi-Aussteiger" ständig und seine Ideen und Gedanken scheinen uns doch ein wenig verrückt .....

"Auf in die Kneipen" heißt es anschließend. Wir haben ja heute noch nichts gekocht und wollen den Abend in der gestrigen Pizzeria beschließen. Und dort haben wir dann viel Spaß! Wie immer ist das Aufnehmen einer Bestellung für eine große Gruppe ein besonderer Akt! Trotzdem werden alle Pizzen richtig geliefert - und was sind das für Teile! Toni - an der Größe solltest du dir ein Beispiel nehmen! Mit den beiden Kellnern ist mal wieder ein Gruppenfoto fällig.

In der Pizzeria Blue Eyes im Ortskern von Stazione Pietrapaola

Einige haben anschließend noch nicht die richtige Bettschwere. Es zieht sie noch einmal ans nächtliche Meer. Und hier spielt sich später noch ein kleines Seedrama ab. Merke: steche nie mit einem Boot in See; auch wenn es verführerrischerweise nicht angekettet ist und die See im Mondlicht ruhig erscheint. Schon gar nicht, wenn das Schifflein mit drei Personen vielleicht überladen sein könnte. Gefahren lauern überall: plötzliche Sturzseen, Haifischschwärme, oder wie in diesem Fall: ein leckes Boot. Und wer dann, wenn das Meerwasser allmählich ins Boot flutet, zwanzig Meter vor dem Strand nicht die Ruhe bewahrt, sondern laut um Hilfe schreit und im Boot herumspringt, würde die Aufnahmeprüfung für Matrosen wohl nicht bestehen......!

Das Abenteuer geht schließlich noch gut aus: Valle lenkt das tiefliegende Boot souverän durch die Brandung zurück zum Ufer; lediglich Jan bekommt nasse Füße, weil einer am Ende springen muß, um das Boot ganz auf den Strand zu ziehen.

Es wird dadurch spät an diesem Abend. Die anderen haben inzwischen schon weitgehend gepackt - morgen früh müssen wir sehr zeitig aufstehen; die ganze Wohnung muß ausgefegt, dazu das Badezimmer und die Toilette gereinigt werden. Die Wecker werden somit auf Viertel nach fünf gestellt. Und das am ersten "echten" Ferientag!!


Montag, 29.3.99, 4.Tag

Planmäßig beginnt dieser Tag also sehr früh! Nachdem alles gepackt und die Wohnung gesäubert ist, verlassen wir gegen 6:15 Uhr das Haus; den Schlüssel werfen wir wie abgemacht draußen in den Briefkasten. Draußen ist es noch dunkel; am Himmel zeichnet sich aber schon eine schöne Morgendämmerung ab.

Mit dem schweren Rucksack verzichten einige lieber auf die Abkürzung über den Zaun; die scharfen Zaunspitzen schrecken sie ab. Unterwegs tritt Svenja versehentlich auf die Schnalle ihres Hüftgurtes: irreparabel! Damit würde das gesamte Gewicht nur noch auf den Schulterblättern ruhen. Zum Glück findet Martin im "Notfallbeutel" eine Ersatzschnalle. Von da ab achten wir immer darauf, daß der Bauchgurt eingerastet und möglichst auch hochgebunden ist, wenn der Rucksack abgestellt wird. Eine zweite Ersatzschnalle haben wir nicht dabei!

Inzwischen hat die Dämmerung voll eingesetzt; wir warten mit mehreren Italienern auf dem Bahnsteig auf unseren Zug. Mit ihm geht es nun immer direkt am Meer entlang bis nach Crotone. Unterwegs können wir einen beeindruckenden Sonnenaufgang mitten aus dem Meer heraus erleben. Zu diesem Zeitpunkt kommt erstmalig der Gedanke auf, irgendwann in späteren Jahren hier vielleicht auch mal mit dem Fahrrad zu fahren.

Ein Blick auf die Rucksäcke über uns in den Gepäckablagen holt uns aber schnell wieder in die Wirklichkeit zurück. In diesem Jahr ist Trekking angesagt! Und heute soll es auf die erste ausgewählte Tour gehen: zu den Wasserbecken im Stilaro-Tal und zu der in unserem Buch beschriebenen Wanderung entlang dieses Tales. Einziges Problem derzeit: wie kommen wir möglichst schnell an den Ausgangspunkt dieser Tour? Unsere Wander-führer gehen wohl nicht davon aus, daß Touristen mit dem Zug unterwegs sein könnten. Sind wir nun aber leider - und das nicht zu knapp! Drei verschiedene Züge nutzen wir am heutigen Vormittag; d.h., zweimal umsteigen. Das erfahren wir so nach und nach durch die Schaffner und die Fahrplanaushänge an den Umsteigebahnhöfen. Es gibt aber auch einen Lichtblick: die Fahrt im ersten Zug ist schon mal umsonst; noch gilt das Italien III-Ticket, da es ja bis zur äußersten Stiefelspitze im Süden gültig ist. Wir erklären dem ersten Schaffner, daß wir die Anreise nur in Pietrapaola unterbrochen haben. Und schau da: das geht anscheinend.

In Crotone also das erste Umsteigen. Es bleibt aber Zeit für ein Hörnchen und einen Cappuccino in der Bahnhofsbar; direkt am Bahnsteig. Wir kennen natürlich unseren heutigen "Zielbahnhof": Monasterace Marina. Von hier aus soll es zumindest eine Busverbindung täglich hinauf nach Stilo geben. Und wie wir von da aus weiterkommen, wissen wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht......

Zuerst einmal haben wir heute gelernt, daß die Züge nicht kontinuierlich an der Küste entlangfahren. Es gibt natürlich einige; die aber sind Expreßzüge und halten nicht in Monasterace. Unser erster Zug; auch ein Nahverkehrszug (sonst hätte er ja nicht in Pietrapaola gehalten) endete in Crotone (das ist das alte, griechische Kroton). Wir können jetzt einen weiteren Schnellzug bis nach Catanzaro nehmen; von dort geht sicher ein Bummelzug weiter bis Monasterace.

Auch im zweiten Zug nach Catanzaro zeigt sich der Schaffner von unserem deutschen Allround-Ticket beeindruckt; es wird mal wieder abgestempelt und wir danken anschließend mit bewegten Worten Herrn Mühlenkamp von der DB Meschede, der schon beim Verkauf orakelte, die Italiener würden dieses Sparpreis-Ticket gar nicht kennen. Müssen sie ja auch nicht; Hauptsache, alles sieht amtlich aus - und so kommen wir den ganzen Tag über preiswert voran.

In Catanzaro dann eine längere Pause. Inzwischen ist auch unser Hunger gewaltig gewachsen; wir hatten bis jetzt ja noch kein richtiges Frühstück. Wir finden in Catanzaro einen halbwegs passenden Park in der Nähe des Bahnhofs und machen uns dann ohne Gepäck mit einigen nochmals auf, um für`s Frühstück einzukaufen: frische Paninis, Burro, Mortadella, Salami, Tomaten. Damit lassen wir es uns im Park bis zur Weiterfahrt gutgehen.

Die letzte Fahrt bis Monasterace Marina ist preislich gesehen wieder ein Volltreffer! Dafür haben wir in diesem Städtchen nun ein anderes Problem: wann und wo fahren ab hier Busse ins Landesinnere?? Vom Bahnhof aus jedenfalls nicht - hier finden wir keinerlei Haltestellenhinweise. Also mit dem Rucksack auf dem Rücken hinunter in die einzige Hauptstraße des Ortes (das ist gleichzeitig die einzige Küstenstraße, die sich hier entlangzieht.

Zitat Reiseführer zur Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln:

"Frühester Bus ab Bivongi und Stilo ab 7 Uhr bis gegen 12 Uhr in Richtung Monasterace (Bahnhof). Auf der SS 110 ab Bivongi bis hoch ins Gebirge sowie auf der Stichstraße nach Ferdinandea keine Busverbindung."

Das hilft uns natürlich kaum weiter: wir wollen ja in umgekehrter Richtung nach Stilo hoch - tja, und dann müssen wir über die SS 110 tatsächlich irgendwie Ferdinandea erreichen. Denn da soll unsere Tour beginnen (möglichst noch heute). In einem Alimentari werden wir beraten: so gegen Mittag fährt ein Bus hoch nach Stilo; wir sollen uns einfach an die Hauptstraße stellen - der Bus wird dann halten. Für den Weiterweg hoch ins Gebirge weiß der Mann aber auch keinen Rat. Auf unsere Frage nach einem Taxi zuckt er nur mit den Schultern. Gut, das wäre geklärt. Jetzt müssen wir genau überlegen, was wir alles an zusätzlicher Verpflegung für die nächsten beiden Wandertage brauchen. Brot haben wir noch ausreichend in Dosenform im Rucksack; uns fällt außer Wasser und Wein nichts ein. Aus Sparsamkeitsgründen entscheiden wir uns für eine Fünf-Liter-Kruke Rosato; in altbewährter Weise wird sie direkt vor dem Laden, im Rinnstein der Hauptstraße, in die bereitgehaltenen Sigg-Flaschen umgefüllt. Nach freiwilligen Trägern braucht dabei nicht lange gesucht werden.... . Der Kaufmann wundert sich nicht schlecht, als wir nach fünf Minuten wieder mit der leeren Flasche im Laden auftauchen und fragen, ob wir das Leergut abstellen dürfen.

Mit Trinkwasser muß sich natürlich auch jeder eindecken - wer weiß, wann wir eine Quelle finden werden. Außerdem erwerben wir sicherheitshalber doch noch drei Brote - sie reizen uns allein schon durch ihr außergewöhnliches (weil rundes) Aussehen. Drei Freiwillige schnallen sich die Brote hinten an die Rucksäcke. Martin hat noch ein weiteres Problem: Marianne hat morgen Geburtstag! Ein Fußkettchen hat er dafür schon im Gepäck; jetzt möchte er noch eine kleine Süßigkeit kaufen. Marianne wird also mit vereinten Kräften abgelenkt, während Martin eine kleine Packung "Baci" erwirbt und unauffällig verpackt.

Noch ein kurzer Abstecher zur nahen Strandpromenade; dann sind wir pünktlich zur Stelle und warten auf den Bus. Es kommen auch mehrere; leider bleiben sie auf der Küstenstraße und laden nur Schulkinder aus. Langsam sammeln sich bei uns an der Kreuzung noch andere Reisende; wir stehen also richtig. Und da kommt er ja auch schon: "Stilo" steht schön groß auf dem Schild. Gut! Der Busstop dauert etwas länger; neun schwere Trekking-Rucksäcke müssen unten im Gepäckfach verstaut werden. Beim Lösen der Tickets das nächste Problem: wohin sollen wir genau lösen? Stilo ist ja nur eine "Zwischenetappe". Also versuchen wir es mit dem Startpunkt unserer Wandertour: Ferdinandea. Fehlanzeige! Dem schnellen Wortschwall des Fahrers und seinen Gesten können wir aber zumindest entnehmen, daß dieser Bus nicht dorthin fährt. Das hatten wir eigentlich auch nicht wirklich zu hoffen gewagt.

Jetzt mischt sich eine junge, nette Italienerin in bestem deutsch ein - Schwein muß man haben! Sie fragt nach unseren genauen Plänen und diskutiert dann wieder italienisch mit dem Fahrer (der Bus ist inzwischen schon unterwegs - peinlich wäre es jetzt, wenn wir gleich wieder aussteigen müßten!). Und siehe da, beide finden eine wunderbare Lösung für uns!

Der Bus fährt nicht direkt nach Stilo, sondern dreht vorher eine komplette Runde rund um den Monte Consolino. Und dabei berührt er vorher die Ortschaften Bivongi und Pazzano, von wo aus die SS 110 hoch ins Gebirge läuft. Und dann kommt die schönste Nachricht des Tages (nach den vielen Freifahrten mit der Bahn...): ab Pazzano soll (die beiden sind sich nicht ganz sicher) so gegen zwei Uhr ein Werksbus hoch nach Mangiatorella fahren. Dort befindet sich, so erklärt uns die Italienerin, eine große Mineralwasserfabrik. Und die haben zu dieser Zeit Schichtwechsel. Wenn das kein Glück ist! Allerdings, schränkt unsere hilfsbereite Bekanntschaft ein, wisse sie nicht, ob der Bus auch private Fahrgäste mitnähme. Aber mit unseren Rucksäcken - sie glaubt, man wird uns sicher weiterhelfen können. Nochmals mischt sich der Busfahrer ein: ab Pazzano wären es bis Mangiatorella auch nur so etwa 12 Kilometer; notfalls zu Fuß zu machen. Wir wissen, was wir von diesem Vorschlag zu halten haben: nichts! Der Abzweig in Mangiatorella liegt laut Karte auf 1147 m Höhe!! Und wir haben wirklich keine Lust, heute noch vor der eigentlichen Wanderung eine Bergetappe über eine Teerstraße einzulegen; mit tausend Höhenmetern Differenz! So zahlen wir unsere Tickets bis Pazzano (gerade mal 2 DM je Person) und steigen kurz darauf dort aus; begleitet von den guten Wünschen für unsere weiteren Ferien.

Pazzano, high noon (oder auf deutsch: was nun??). Wir bleiben auf jeden Fall auf der Hauptpiazza - denn hier zeigt ein Verkehrsschild unmißverständlich die Richtung nach Mangiatorella an. Falls der Werksbus kommt, muß er hier vorbei! Falls!

Nun, diese "Gleichung mit einem Unbekannten" (Bus) können wir momentan nicht lösen. Also machen wir das Beste daraus - und lassen es uns in der Mittagswärme gutgehen: in der naheliegenden Bar wird zuerst Eis geordert (fast alle verspüren Lust auf ein Magnum); danach geht es zügig an kühle Getränke, ehe die Bar über den Nachmittag schließt. Dies wiederum führt in direkter Linie zu einem immer heftiger werdenden Druck auf die Blase; ein Problem mitten auf der Piazza in einer Ortschaft! In unserer Not laufen wir ein wenig die Straße nach Mangiatorella rauf und stoßen auf einen langgestreckten Brunnen mit vielen Wasserspeiern. Das Plätschern gibt uns den Rest! Ein kleiner Park nebenan schafft die Befreiung.

Der Brunnen verlockt uns nun aber noch zu einer weiteren Aktion: schnell ist das Waschzeug aus dem Rucksack gekramt und wir nutzen das fließende Wasser zu einem ausgiebigen Haarewaschen. Natürlich achten wir darauf, daß kein Schaum ins Brunnenbecken gelangt. Anschließend liegen wir auf den sonnigen Parkbänken, lassen die Haare trocknen und betrachten die steil aufragenden Felswände des Monte Consolino fast direkt über uns. Ein Rätsel bleibt dabei ungelöst: welche Bedeutung haben die vielen Körbe, die überall an der Felswand verteilt hängen?

Um 13.30 Uhr kommt dann tatsächlich der Bus - und wer sitzt am Steuer? Unser Fahrer von vorhin! Wir verstauen wieder mal unten im Bus unsere Rucksäcke. Beim Einsteigen deutet der Fahrer nur mit dem Daumen nach hinten. Schon wieder Geld gespart! In schwindelerregenden Serpentinen geht es dann weiter und weiter am Berghang hinauf - und es sind 14 Kilometer laut Straßenschild. Yogi, unser Höhenmesser, klettert mit, bis weit über 1000 Meter. Gut, daß wir nicht doch auf diese wahnwitzige Idee mit dem Hochlaufen verfallen waren!

Leider fährt uns der Bus nun nicht ganz hoch bis zur Abzweigung der kleinen Nebenstraße nach Ferdinandea. An einer Wendeschleife hält der Bus; der Fahrer gibt uns zu verstehen, daß hier Endstation ist. Gleichzeitig kassiert er nun im Nachhinein das Fahrgeld. Wir holen unsere Rucksäcke aus dem Gepäckfach und stehen dann etwas ratlos herum.

"Due Chilometri" ruft uns der Fahrer zu und zeigt die Straße weiter bergauf. "Grazie!" "Prego!" Langsam können wir uns in der Landessprache zumindest bruchstückhaft ausdrücken. Vor dem Marsch die Straße hoch schauen wir mal kurz auf das Gelände der Mineralwasserfabrik. Und die ist wirklich gigantisch groß! Mit allem hätten wir in dieser verlassenen Gegend gerechnet - nur nicht mit einer Fabrik in einem solchen Ausmaß! Das Wasser in dieser Gegend muß also hervorragend sein. Gut zu wissen!

Start zur ersten Trekking-Tour von Ferdinandea nach Stilo

Jetzt hilft nichts mehr: die schweren Rucksäcke werden geschultert - nun kommt das erste, wirklich lange Wanderstück dieser Saison! Zwei Kilometer soll es bis zum Abzweig sein; dann laut Karte nochmals vier Kilometer bis nach Ferdinandea. Alles vermutlich Teerstraße. Und schon nach den ersten hundert Metern bergauf merkt jeder, wie schwer so ein Rucksack sein kann! Bislang waren wir damit ja nur auf Bahnsteigen und zwischen den Zügen und Bussen unterwegs. Dementsprechend wird nun jede Gelegenheit für eine kurze Rast genutzt. Hier oben ist es fast noch Winter; kein frisches Grün an den Bäumen, kein Gras - nur dürre Bäume und braunes Laub. Warme Fleece-Hemden oder sogar Pullover samt langen Hosen sind bei diesen Temperaturen angebracht! Die Ärmel werden bald aber hochgekrempelt! Knapp zwanzig Kilogramm werden wir so auf dem Rücken haben; und da kommt man schon nach wenigen Metern arg ins Schwitzen! Meter für Meter geht es die Hauptstraße entlang, bis wir tatsächlich nach zwei Kilometern den Abzweig nach Ferdinandea erreichen.

Jetzt sind wir auf dem richtigen Weg; verlaufen kann man sich auf den nächsten Kilometern nicht. Die Straße ist für eine Nebenstrecke relativ breit; wir können mit mehreren Leuten nebeneinandergehen und über alles mögliche quatschen.

Zwischendurch passieren wir ein Schneefeld am Straßenrand; klar, daß uns das zu einer kleinen Schneeballschlacht animiert. Weil es einige dabei etwas übertreiben, wird ihnen Schnee hinten in den Hemdkragen gesteckt!

Von weitem hören wir dann schon das Hundegebell von Ferdinandea. Und dann stehen wir vor einem großen Eisentor, das den Weiterweg in ein weitläufiges Parkgelände mit einigen verfallenen Häusern und Hallen versperrt.

Zitat aus einem der Reiseführer:

"Ferdinandea, das einstige Eisenwerk und die Stahlhütte von Ferdinand II von Bourbon, dessen Namen sie auch trägt. Ursprünglich lag hier die große Eisenhütte von Stilo, die aber Mitte des 18. Jahrhunderts aufgelassen wurde. 1789 begann man mit einer neuen Konstruktion, die aber nach wenigen Jahren unterbrochen und erst 1841 unter besagtem Ferdinand II wieder aufgenommen wurde. Die Anlage bestand aus einem Eisenwerk, Lager, Schuppen, Verwaltungsgebäude und einer Kapelle; alle von einem großen Garten umgeben, in dem auch ein eleganter Pavillon aus Gußeisen errichtet wurde. Wegen des angenehmen Klimas weilten hier die bourbonischen Könige zeitweilig zur Erholung. Nach dem Ende der Bourbonenherrschaft und der Einigung Italiens, die hier von Garibaldi vorbereitet wurde, hat man die "Ferdinandea" zu einer schönen Sommerresidenz mit einem Museum, in dem Kunstwerke aus der Antike ausgestellt waren, umgebaut. Heute sind von dieser "Ferdinandea" nur wenige Reste erhalten; insbesondere der vor wenigen Jahren restaurierte älteste Teil der Anlage von 1798. In der Parkanlage liegt noch die sogenannte Villa Borbonica, mit Resten aus dem einstigen Museum: Säulenkapitelle, Steinfiguren, Büsten und dergleichen."

Unser Wanderführer erläutert nur ganz knapp, daß heute hier nur noch ein Wärter mit seinen Hunden wohnt. Die Hunde haben wir schon von weitem gehört; jetzt lernen wir sie kennen: zum Glück trennt uns ein Tor von ihnen. Gern folgen wir daher unserer weiteren Wegbeschreibung außen um das weitläufige Grundstück herum:

"Neben dem einstigen Lagerhaus für Erz (am großen, schadhaften Dach zu erkennen), führt ein Weg hinunter zur nächsten Lichtung; dann geht es rechts in den Fahrweg und kurz darauf wieder rechts in einen schmaleren Weg, der rot-weiß-rot gekennzeichnet ist. Hinter der Brücke über den Stilaro kommt man nach 10 Minuten auf eine Lichtung mit großen Steinblöcken. Die Waldstraße führt in Kurven abwärts; man kann sie abschneiden, sollte dabei aber auf Markierungen achten!"

Oh, wie wir diese Beschreibungen lieben! Sie lesen sich so einfach - und sind doch manchmal so schwer in der Wirklichkeit nachzuvollziehen. Rechts und links ist ja noch o.k., aber was heißt schon genau "kurz darauf"? Und wenn es heißt, "auf Markierungen achten", werden wir ganz hellhörig. Viele Jahre lang haben wir mit solchen Beschreibungen schließlich schon Erfahrungen sammeln können.

Auf jeden Fall haben wir hier nun den höchsten Punkt der ersten Tour erreicht. Von nun an wird es ständig bergab gehen; bis wir morgen Bivongi erreichen. Von dort wollen wir dann wieder den Bus nehmen. Fast wider Erwarten finden wir den Weg an Hand der Routenbeschreibung. Auch die Abkürzung läßt sich Dank der roten Markierungen an den Bäumen leicht finden.

Wir laufen nun auf einem schmalen Pfad abwärts durch einen vorfrühlingshaften Laubwald. Auch die Temperaturen sind nicht unbedingt so, wie wir es uns vom Süden eigentlich erwartet hatten. Das liegt hier aber eindeutig an der Höhenlage. Immerhin befinden wir uns noch über 1000 Metern. Am Kahlen Asten sieht es Ende März sicher nicht besser aus!

"Unten im Tal stoßen wir auf den ersten Wasserfall. Der Fluß entfernt sich nun vom Weg und schneidet sich tief ins Tal ein. An verrosteten Wasserrohren entlang verläuft der Weg fast eben. Zweimal durchquert er in einem Tunnel Bergnasen, bis wir nach 25 Minuten auf einen Sporn (990 m) stoßen; tief unter uns liegen die Täler des Stilaro und seiner Zuflüsse. Hier steht unter großen Kastanien- und Nußbäumen eine verlassene Hütte mit Backofen und Kamin; heute dient sie als Quartier für Fledermäuse (1:30 Stunden)."

Also, einen Wasserfall erreichen wir nicht; logisch, weil wir nicht einmal den Fluß sehen! Der muß schon wirk-lich tief unter uns liegen. Wir sind aber ziemlich sicher, dem richtigen Pfad zu folgen. Immer wieder sehen wir an den Bäumen die roten Markierungen. Zwei verschiedene Wege wird es ja wohl nicht parallel hinunter ins Tal geben.

Gewißheit haben wir dann, als wir auf die beschriebenen Wasserrohre treffen. Und die sind wirklich gigantisch. Sie sehen eher wie Betonrohre aus; bei näherer Untersuchung stellen wir aber beim Draufschlagen am Geräusch fest, daß sie tatsächlich aus Metall bestehen. Durch die Witterungseinflüsse sind sie dicht mit Flechten überzogen.

Der Weg führt nun auch fast waagerecht neben diesen Rohren entlang; das muß früher die Zuleitung zu einem Wasserkraftwerk gewesen sein. Und schon sehen wir vor uns den Eingang zum ersten Tunnel. Einwandfrei sind wir also auf dem richtigen Weg! Aber was heißt hier "Weg"? Schon vor dem Tunnel deutet sich auf dem Boden eine starke Morast- und Grundwasserschicht an. Wie es im Tunnel selbst aussieht, können wir von außen nicht

Schon wird`s abenteuerlich - am Tunnel kommen wir nicht vorbei

abschätzen, da es drinnen stockdunkel ist. Sicherheitshalber holen wir einige Taschenlampen heraus und tasten uns dann schrittweise in den dunklen Stollen hinein. Wir müssen wirklich gut aufpassen, wohin wir unsere Füße setzen; immer wieder spiegeln sich größere Pfützen im Licht unserer Lampen. Und das Risiko, tief im Morast einzusinken, können wir nicht eingehen, da wir schließlich nur ein Paar feste Schuhe dabei haben. Dennoch genießen wir die etwas gespenstische Situation; so etwas lockert die Stimmung auf! Auch die spitzen Schreie "Iiiihh, Fledermäuse!!!" sorgen für Erheiterung.

Auf den ersten Tunnel folgt kurz darauf der zweite; danach muß jetzt irgendwann der Sporn kommen. Mit den Zeitangaben in der Wegbeschreibung können wir nicht viel anfangen; einmal dürfte unser Lauftempo mit dem schweren Gepäck nicht mit dem beschriebenen Tempo übereinstimmen; außerdem ist nicht ganz klar, von wo aus die angegebenen Zeiten beginnen.

Klar ist aber, daß wir auf dem Sporn möglichst unser Nachtlager aufschlagen wollen; anschließend soll ein stei-ler Abstieg über Geröllfelder beginnen - und da werden wir für unsere drei Zelte keinen Platz mehr finden. Kilometermäßig haben wir dann für den ersten Tag auch genug gemacht; allein der Anmarsch von Mangiatorella bis nach Ferdinandea betrug ja schon 6 Kilometer.

Und da öffnet sich auch schon der Wald und wir kommen auf den Sporn. Und dieser Platz ist wirklich zum Übernachten wie geschaffen! Es ist ein richtiges, kleines Plateau, das genügend Platz für die Zelte bietet und auch noch dazu einen grasigen Boden besitzt. Wir lassen die Rucksäcke erleichtert fallen und treten an den Rand des Plateaus, um die wirklich schöne Aussicht hinunter ins Tal zu genießen. Ein toller Lagerplatz!

Dort hinunter wird es morgen also gehen. Und dabei werden wir dann zu den berühmten Wasserfällen "Cascata del Marmarico" kommen. In Gedanken sind wir schon beim Baden in den Seen.

Nach einer kurzen Rast machen wir uns dann ans Hochziehen der Zelte - zum ersten Mal auf dieser Fahrt. Svenja und Janine haben das kleine Sierra Leone; die beiden Florians und Christoph das Basefox und Jan, Val-le, Marianne und Martin das Hilleberg. Bei schlechtem Wetter soll hier auch im Vorbau gekocht werden.

Heute aber ist das Wetter gut genug, daß wir draußen kochen können. Wir haben ein Linsengericht auf dem Speiseplan; geschmacklich verfeinert durch einen Streifen italienischen Rückenspeck. Wir müssen bei neun Leuten leider in zwei Gruppen kochen, da unsere Töpfe für alle nicht groß genug sind. So beginnt jeden Abend ein neuer Wettstreit, welche Kochgruppe das bessere Essen zubereitet. Nun, heute können die Köche nicht viel falsch machen: zunächst muß der Speck geschnitten werden; in Ermangelung einer Küche geschieht das auf einem Teller, der auf den Knien balanciert wird. Leider bekommt man dabei ziemlich fettige Hände und auch das Taschenmesser kriegt sein Fett ab bis tief in die Gelenke.

Wer "dienstfrei" hat, vergnügt sich nun in der Hütte: von einem Backofen ist nichts zu sehen; dafür scheint hier eine Art Verteilerstation für die gewaltigen Wassermassen gewesen sein, die durch die große Rohrleitung hier ankam. Wir klettern auf den Leitungen herum und probieren, ob man die großen Ventilräder vielleicht noch drehen kann - leider ist aber alles solide festgerostet.

Nach dem Essen sitzen wir dann vor den Zelten und schauen hinunter ins Tal, wo sich langsam die Abendschatten breitmachen. Zum Schutz gegen die immer stärker werdende Kälte kochen wir uns einen Cappuccino, den wir mit etwas Rum aus unserem Medizinvorrat verfeinern. Danach geht es bald in die warmen Schlafsäcke, da auch der Wind rund um unseren Sporn allmählich immer mehr zunimmt.


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