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Dienstag, 2.4.96, 12. Tag

Jetzt sind wir schon über eine Woche lang unterwegs. Heute scheinen wir Pech mit dem Wetter zu haben. Immer wieder ziehen kurze Regenschauer über uns hinweg und hindern uns am Abbau. Zwischendurch sind wir am Strand zur Morgentoilette; insbesondere aber zum Spülen. Hätten wir doch gestern noch gespült! Das fettige Kochgeschirr widersteht hartnäckig unseren Reinigungsversuchen. Marianne will Sand aus dem Strandbereich holen, der direkt von den Wellen umspült wird - ein riskantes Unternehmen, das sofort bestraft wird: beim Rückwärtsspringen rutscht sie auf den Kieselsteinen aus und geht zu Boden! Die nächste Welle beschert ihr ein Fußbad und uns anderen Heiterkeit!
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Dann müssen wir aber schon wieder alle vor dem nächsten Schauer Schutz in den Zelten suchen. Hier packen wir schon mal so weit wie möglich unsere Satteltaschen und warten auf die nächste Schauerlücke. Denn den ganzen Tag hier herumliegen wollen wir auch nicht!

Zum Glück bessert sich das Wetter ja doch noch; wir können die Außenzelte sogar etwas trocknen lassen. Mit ordentlichem Frühstücksappetit geht es dann zurück zum gestrigen Alimentari. Hier verpflegen wir uns auf die gewohnte Weise; können aber leider nicht draußen an den Tischen frühstücken, da die Möbel inzwischen wohl weggeräumt wurden.

Also wir das Mäuerchen vor dem Alimentari zum provisorischen Frühstückstisch umfunktioniert. Leider spielt uns nun der starke Wind unangenehm mit! Immer wieder hilft nur ein schneller Griff, um die in Fettpapier eingewickelten Wurst- und Käsescheiben vor dem Davonfliegen zu retten.

Außerdem ist es an diesem Morgen empfindlich kalt! Nun, wir ziehen uns eben die warmen Sachen an und lassen uns bei dem genußvollen Frühstück nicht weiter stören. Gegenüber, an einer Trafostation, kann man sogar im Windschatten auf dem Boden in der Sonne sitzen.

Nach letzten Einkäufen für die nun bevorstehende Tagesetappe starten wir; diesmal zunächst in Richtung Inland. Die höchste Höhenangabe ist laut Karte zwar nur 24 m; ein Paßsymbol macht uns aber mißtrauisch! Bei noch recht gutem Wetter geht es zunächst sacht ansteigend durch ein ziemlich bebautes Tal; es gibt jede Menge zu sehen.

Dann erreichen wir nach einigen Kilometern wieder die Hauptstraße, die wir gestern zu Gunsten der Küstenstrecke verlassen hatten. Dummerweise wird von Westen her der Himmel immer dunkler. Auf der langgezogenen Steigung zum Paß hinauf erwischt es uns dann: schneller, als wir die Regenanzüge aus den Taschen herausholen können, setzt strömender Regen ein; dazu peitschender Wind, der uns immer wieder die Kapuze vom Kopf zu reißen droht. Wir hätten uns früher umziehen sollen!

Durch den strömenden Regen rollen wir, so schnell es geht, über den Paß und den Gegenhang hinunter. Unten zum Glück ein Gasgeschäft; davor eine Art Zeltpavillon, so ca. 4x4 m groß; seitlich offen. Das ist besser als gar nichts! Wir stehen eng zusammengedrängt und hoffen, daß es bald aufhört. Kalt ist es!!

Leider schließt der Laden in der Mittagspause, und der Inhaber komplimentiert uns vom Betriebsgelände, da er das Tor abschließen will. Also weiter! Kurz darauf die Einfahrt zu einem Hotel - davor ein Torbogen, der wiederum ein wenig Schutz verspricht. "Capo blue" heißt das Hotel - der Himmel ist da völlig anderer Meinung! Die Satteltaschen triefen inzwischen vor Nässe; na, Ortlieb sollte das eigentlich aushalten. Der Torbogen ist zudem nicht allzu breit; im Torhäuschen ist zwar mehr Platz, dafür ist das Dach allerdings mit Stroh gedeckt. Also geduldig stehen; den Rinnsalen von oben ausweichen und auf ein (eventuelles) Aufhören warten.

Marianne muß sich erst einmal komplett umziehen, da sie großzügig auf die Regenhose verzichten wollte; auch Svenja, die erst im T-Shirt fahren wollte, ist klitschnaß.

Glücklicherweise hört es dann doch bald auf zu regnen! Der Regen hat unserer Stimmung nicht sehr geschadet - wir machen die Räder wieder reisefertig und weiter geht es über die nasse Landstraße.

Links und rechts, wie gestern schon, Anlagen für den Sommertourismus: ein Hotel reiht sich ans andere. Obwohl die Straße nur wenig entfernt von der Küste verläuft, ist vom Strand nichts zu sehen - alles total zugebaut! Hier möchten wie bestimmt keinen Urlaub machen!

Irgendwann dann vor uns Aufregung: Svenja ist vom Rad gestürzt; leichter Auffahrunfall durch zu geringen Sicherheitsabstand. Außer dem Schrecken ist aber zum Glück nichts passiert.

Wir nähern uns nun auf der völlig ebenen Straße schnell Pula. Hier ist die Abzweigung nach Nora; einer versunkenen römischen Stadt. Kurz vor Pula setzt wiederum leichter Regen ein. Er drängt uns förmlich in eine Bar am Stadtrand! Die Räder werden draußen aufgebockt; die Sättel gut gegen den Regen geschützt - Brooks- oder Gelsättel vertragen sich nicht gut mit Nässe!

Drinnen dann versucht uns der Inhaber ein wenig übers Ohr zu hauen. Erst nach mehrmaliger Nachfrage erläßt er uns einen Teil der Rechnung. So etwas ist uns bislang noch nicht passiert!

Wir sind froh, als es draußen endlich heller wird. Durch Pula hindurch folgen wir den Wegweisern nach Nora zur Küste.

Nora: wahrscheinlich schon von den Phöniziern gegründet; dann eine punische Nekropole (?); vielleicht war Hannibal ja mal hier, ehe er nach Umbrien mit seinen Elefanten zog (wir jedenfalls haben beides schon gesehen); ein karthagischer Tempel; schließlich noch die Reste eines römischen Theaters, in dem Anton und Ansgar 1989 einen Sonnentanz aufführten. Anders ausgedrückt: jede Menge Trümmer! Wir hoffen, daß wegen des schlechten Wetters kein Eintritt verlangt wird. So ist es!

Wir schlendern durch das Gelände, bestaunen die Trümmer und schauen dem tosenden Meer zu. An diesem Tag sind wir fast allein in den Ruinen; an Sommertagen drängeln sich die Touristen hier scharenweise durch.

Nora

Teilweise werden wir argwöhnisch von einem Arbeiter beobachtet; wir haben aber nicht vor, eine der umgefallenen Steinsäulen auf dem Fahrrad mitzunehmen. Eine Toilette zu finden ist für uns viel wichtiger. Notfalls muß eben eine schöne Blumenwiese dafür herhalten.

Interessant, wie schnell sich das Meer verändern kann! Gestern plätscherte es noch sanft zum Abendessen um unsere Füße am Torre di Chia; heute donnert es mit voller Wucht gegen die Klippen von Nora.

Küste bei Nora

Nun ja, ein riesiges Mosaik verführt uns dann doch - wenn schon keine ganze Säule möglich ist.....

Über eine andere Strecke geht es dann zurück nach Pula; hier folgen wir den diversen Einbahnstraßen, ehe wir wieder auf der Ausfallstraße nach Cagliari landen. Am Ortsausgang dann eine kleine Panne mit Sarah`s Schaltung; nach gutem Zureden läuft sie wieder, ohne daß wir den Grund dafür erkennen.

Und dann taucht Sarroch vor uns auf - ein erster, untrüglicher Hinweis auf die Großstadt Cagliari; und gleichzeitig ein guter Einblick in die sardische Art, die eigene Umwelt rücksichtslos zu versauen.

Industriekomplex bei Sarroch

Es ist schon erschreckend, diese geballte Menge an chemischer Industrie mit all ihren negativen Seiten zu sehen. Dennoch fahren wir von der Hauptstraße nach Sarroch hinein, weil wir uns für den Abend noch verpflegen wollen. Nur, wo gibt`s hier einen Supermarkt? Ein freundlicher Sarde eskortiert uns mit dem Wagen zu einem Supermarkt (wir haben Mühe, mit dem Wagen Schritt zu halten); der leider noch geschlossen hat. Wir sitzen im Rinnstein; genießen die wieder aufgetauchte Sonne, und warten geduldig. Auch andere Leute tauchen von Zeit zu Zeit auf und rütteln an der verschlossenen Tür. Schließlich geben wir auf und kaufen in einer Art Fruchtladen ein; wenigstens Getränke gibt es hier.

Durch ein endloses Industriegebiet müssen wir nun erst einmal hindurch; Tankanlagen und Raffinerien, soweit das Auge reicht. Dazu ein allgegenwärtiger Ölgestank.

Über eine stark befahrene Hauptstraße müssen wir dann weiter in Richtung Cagliari; der Verkehr macht uns langsam zu schaffen! Insbesondere die vielen schweren LKWs, die meist nur mit knappem Seitenabstand an uns vorbeirauschen.

Ein Supermarkt im nächsten Ort lädt uns natürlich nochmals ein; ein süßes Teilchen gibt neue Kraft. Und jetzt kommt das schwierigste Stück des Tages: direkt am Meer entlang; mit guter Sicht auf Cagliari, noch weit vor uns am anderen Ende der Bucht. Rechts der "Strand": schwarze, träge Wellen klatschen gegen einen total verdreckten Strand; überall ist Öl! Am schlimmsten aber ist der Seiten- und Gegenwind, der uns fast von der Straße drängt. Wir sind heilfroh, als wir diese Straße endlich, nach Norden abzweigend, verlassen können.

Ein Lehrer, gut englisch sprechend, hat uns eine Umgehungsroute für Cagliari empfohlen. Im Moment sind wir aber erst einmal in einem riesigen Industriegebiet gelandet. Und hier einen Übernachtungsplatz zu finden, dürfte sehr schwierig werden! Links und rechts der Straße weites, offenes Gelände; durchzogen von Entwässerungsgräben und Klärbecken.

Nach mehreren Kilometern mit anstrengendem Gegenwind, der einem die letzte Freude am Fahren nimmt (das Tempo sinkt auf 8 bis 10 Km/h ab) erscheinen rechts neben der Straße plötzlich steinige Weideflächen, auf denen zwei einsame Pferde grasen. Weiter hinten ein kleines Bauernhaus.

Das dürfte die einzige Chance für die nächste Zeit sein. Außerdem wird es mal wieder dunkel. Wir biegen in den Feldweg ein und fahren zum Haus. Aber was heißt hier schon Haus - es ist nicht viel mehr als ein Stallgebäude. Zwei Männer befinden sich in der kärglich eingerichteten Wohnstube. Wir haben Mühe, ihnen auf italienisch unsere Bitte vorzutragen, ob wir hier auf dem steinigen Gelände für eine Nacht unser Zelt aufschlagen dürfen.

Als das schließlich geklärt ist, werden wir von der Gastfreundschaft der sardischen Bauern überrascht. Sie bieten uns Bier an und laden uns ein, ihnen beim Melken der Schafe zuzuschauen. Hier bieten sie uns frische, warme Schafsmilch an; außer Jan, der gleich zwei Tassen tapfer trinkt, probiert aber nur Sarah.

Danach kümmern wir uns um den Zeltaufbau. An diesem Abend wird mal wieder italienisch gekocht: Spaghetteria parmesano (bei dem Geruch fallen nicht einmal mehr die Fahrtsocken ins Gewicht) Die Bauern kommen uns besuchen; wir revanchieren uns mit einem Schluck Rotwein; sie laden uns im Gegenzug in ihr Haus ein.

Es sind zwei Brüder, die hier den Sommer über leben und arbeiten; die Eltern sind noch in Nuoro; an diese Adresse wollen wir auch ein Erinnerungsfoto schicken. Strom aus der Steckdose gibt es hier nicht; der Diesellaster draußen treibt mit seiner Lichtmaschine eine nackte Glühbirne und einen kleinen SW-Fernseher an.

Natürlich erzählen auch wir von unserer bisherigen Tour und unseren weiteren Plänen und lassen uns dann ihre Adresse in Nuoro, wo ihre Eltern wohnen, geben.

Zurück im Zelt können wir die Lichter der Großstadt Cagliari auf der einen Seite des Golfs sehen; auf unserer Seite vor der Bergkette die vielen Lichter an den stillgelegten Raffinerie-Anlagen. Kurz vor dem Einschlafen müssen wir mit einigen gezielten Steinwürfen den sehr zudringlichen Hund des Bauern vertreiben; vor Schreck läßt er glücklicherweise den frisch erbeuteten Kochlöffel fallen und sucht das Weite.


Mittwoch, 3.4.96, 13. Tag

Wie schon gewohnt ein schöner Morgen mit blauem Himmel und angenehmen Temperaturen. Unser Hirte treibt seine Herde an unseren Zelten vorbei; wir beeilen uns mit dem Abbau, um möglichst bald zum nächsten Ort und damit zu unserem Frühstück zu kommen.

Landwirtschaft und Industrie liegen hier dicht beisammen

Leider stecken wir immer noch mittendrin im Industriegebiet. Man sieht zwar nicht viel von den Betrieben, dafür nutzt der Gegenwind aber erbarmungslos die breite Schneise der Autostraße aus und bremst bei jeder Pedalumdrehung unser Vorankommen. Es ist ein frustrierendes Fahren - die schnurgerade Straße; die Kilometersteine ständig neben uns zeigen das langsame Vorwärtskommen.

Aber auch diese Strecke ist endlich überwunden! Am Ende der Straße fahren wir mehr nach Gefühl in Richtung Norden und erreichen auch bald das kleine Örtchen Uta (ab hier wissen wir wieder genau, wo wir uns auf der Karte orientieren müssen). In einem winzigen Alimentari kaufen wir ein; Martin lernt von der kleinen, schwarzgekleideten Besitzerin hinter der Theke dabei die genaue sardische Aussprache für Butter ("burrrrro") und wendet dies auch gleich auf`s Bier an ("birrrrra"). So kommen wir problemlos an unser gewohntes Frühstück. Gegenüber ist ein winziger Park; wir sitzen in der Sonne und genießen so gegen 10 Uhr das Leben in vollen Zügen!

Ein Gemeindearbeiter setzt sich zu uns; auch andere Männer scharen sich um uns und wollen von uns wissen, woher und wohin wir fahren. Wir trinken mit dem Gemeindearbeiter ein Bier; dann beweist er uns seine Macht, indem er einen Marokkaner(?) mit seiner Machete wegjagt, weil er seinen Schäferhund sein Geschäft auf dem Rasen verrichten läßt. Für uns etwas peinlich. Auch hier werden Adressen ausgetauscht.

Bei der Weiterfahrt stellen wir fest, wie groß Uta wirklich ist - wir waren beim Frühstück sozusagen im Vorort hängengeblieben. Am Ortsende nutzen unsere Damen einen dichten Orangenhain als willkommenen Sichtschutz für ein dringendes Bedürfnis; zum Dank bringen sie gleich noch einige Hände voll reifer Orangen mit.

Frische Vitamine zum Frühstück

Weiter geht es Richtung Norden; zum Glück eher Flachland; dafür aber mit extremem Gegenwind, wie wir ihn bislang auf dieser Tour noch nicht hatten.

Im nächsten Dörfchen verpflegen wir uns sicherheitshalber mit allem, was wir für`s Mittagessen brauchen: heute wollen wir einmal mittags kochen: Reis und Ratatouille stehen auf dem Speiseplan. Interessiert begutachten wir die verschiedenen Wandmalereien an den Hauswänden.

Nicht nur in Orgosolo gibt es Murales

Auf einer idyllischen Wiese machen wir Mittagsrast. Jeder packt mit an, um die vielen Vorbereitungen fürs Mittagessen zu treffen. Das viele Gemüse muß zerkleinert werden; dazu die Zwiebeln. Es ist reichlich zu tun.

Und schon wieder Vitamine...

Danach steht die Vorspeise auf dem Programm: unsere frischen Orangen. Die Mädchen schälen sie fachgerecht. Es ist schon ein besonderer Geschmack, so frisch geerntete Orangen zu essen! Vielleicht schmecken sie auch deshalb so gut, weil sie selbst geerntet wurden? Egal - wir lassen sie uns jedenfalls gut munden!

Es ist auch mal schön, mittags nicht zu fahren, sondern im Gras zu liegen und den wenigen, weißen Wölkchen am Himmel zuzuschauen. Ab und zu saust ein Düsenjäger im Tiefflug an uns vorbei und erinnert uns daran, daß in der Nähe ein großer Militärflugplatz liegt.

Auf der Straße ist nicht viel Verkehr, dafür umso mehr auf der parallel verlaufenden Bahnlinie. Es muß eine der Hauptstrecken nach Cagliari sein.

Martin hat sich inzwischen an die wichtige Aufgabe des Kochens gemacht. Weil wir nur einen Brenner zu Verfügung haben, wird zunächst der Reis angekocht und dann beiseite gestellt. Dann füllt sich der andere Topf nach und nach mit den Zutaten für das Gemüseratatouille.

Damit es beim Kochen nicht ganz so langweilig wird, kreist die Weinflasche: zur Feier des Tages haben wir einen sardischen Weißwein ausgesucht. Eine Schwierigkeit muß Martin dabei in den Griff bekommen: gleichzeitig im Topf rühren, damit nichts anbrennt; den Weinbecher halten und dafür sorgen, daß keine Asche von der Zigarre in den Topf fällt. Etwas Wein kommt zur Verfeinerung noch ans Ratatouille, dann kann gegessen werden - auch ohne Fleisch überraschenderweise eine leckere Mahlzeit!

Nach einer längeren Mittagspause machen wir uns gegen 16.00 Uhr wieder auf den Weg; es ist inzwischen recht stürmisch geworden, natürlich mit Gegenwind. Dazu verschlechtert sich das Wetter zunehmend und zu allem Überfluß wird es auch immer kälter. Gegen Abend erreichen wir das kleine Städtchen Furtei; hier biegen wir von der Hauptstraße ab, um im Ort einen Supermarkt für die letzten Einkäufe zu finden. Und hier, welch Überraschung, finden wir auch "unseren" Bauern aus Cagliari wieder! Er ist mit einem Kumpel irgendwohin unterwegs; genau verstehen wir das nicht so ganz. Als wir den Laden verlassen, erwarten uns die ersten, vereinzelten Tropfen. Nun heißt es schnell werden. Natürlich ist weit und breit in der ziemlich offenen Landschaft kein vernünftiges Plätzchen zu sehen! Am Himmel ballen sich die Wolken zusammen; mal wieder so ein Augenblick, wo man sich auch zu Hause vor dem Fernseher sitzen sehen könnte.

Entscheidungen müssen getroffen werden - links oder rechts von der Straße runter? Rechts soll sich irgendwo der Fluß Flumendosa Mannu befinden; das gibt den Ausschlag. Also ab in den nächsten rechten Feldweg. Und der hat es in sich - von fahren keine Spur mehr; wir quälen uns mit den Rädern immer weiter ins Feld. Und dann stehen wir vor dem Fluß - an einer Furt, die durchs Hochwasser blockiert ist. Aber wenigstens sind wir von der Straße weit genug weg und auch sichtgeschützt - und wenn wir nicht weiter durch den Fluß kommen, kann von drüben natürlich auch niemand zu uns herüber.

Kein schlechter Freicamper-Platz - dennoch eine verhängnisvolle Entscheidung

Links und rechts werden vom Weg die beiden Zelte aufgeschlagen; und nun beginnt es auch pünktlich zu regnen. Wir laufen in den Regenanzügen herum und Svenja kann Papas Gamaschen testen. Und nach einem Schlückchen Weißwein sieht die Welt schon wieder freundlicher aus. Auch dieses Wetter gehört halt zu Sardinien im April. Am gegenüberliegenden Horizont leuchtet eine Art Turm; vielleicht ein Hochspannungsmast, auf - er wird spontan in "Eiffelturm" umbenannt.

Nachts dann noch ein kräftiges Gewitter mit viel Sturm und Regen; der Fluß rauscht immer lauter und treibt uns tatsächlich nach draußen, um zu prüfen, wie weit der Wasserspiegel noch vom Dovrefjell entfernt ist - an plötzlich steigendes Wasser hatten wir bei der Platzauswahl natürlich nicht unbedingt gedacht!


Donnerstag, 4.4.96, 14. Tag

Gegen 7:15 Uhr werden wir durch Schafsgeläute und Blöken geweckt; auf der anderen Flußseite zieht eine Herde entlang; dem Hirten scheint unsere Anwesenheit egal zu sein. Nach der unruhigen Nacht machen wir uns erst gegen 10 Uhr in aller Ruhe fertig; der Regen hat zum Glück nachgelassen, und wir können trocken abbauen.

Bei der "Abfahrt" dann eine höchst unerfreuliche Überraschung: der Feldweg, gestern ja wenigstens noch vernünftig mit Schieben passierbar, hat sich dummerweise über Nacht in eine arge Schlammstrecke verwandelt. Hier mit den Rädern durch erweist sich rasch als völlig sinnlos!

Der Weg hat sich in eine Schlammpiste verwandelt; vielleicht gehts durch das Feld besser?

Jeder versucht, die schweren Räder irgendwie neben dem Weg herzuschieben. Aber auch hier geraten wir in aufgeweichten Boden. Und wo der sich überall absetzen kann! In kürzester Zeit werden Vorder- und Hinterräder durch den Schlamm blockiert! Immer wieder muß zwischendurch der Dreck entfernt werden.

Meter um Meter kämpfen wir uns zur Straße zurück

Als erst einmal der Schlamm zwischen Schutzblech und Reifen gerät, bewegt sich gar nichts mehr!! Aus, Ende, vorbei!! Fluchend werden die Räder abgepackt; die Taschen paarweise nach vorn zur Straße geschleppt; zuletzt das Fahrrad mehr tragend als schiebend nachgeholt. Die Stiefel werden immer schwerer; handliche Matschbrocken setzen sich im Stollenprofil fest und hemmen jeden Schritt. Die 400 Meter bis zur Straße scheinen endlos.

Irgendwann rollen die Räder nicht mehr - jetzt heißt es Rad hochheben und tragen!

Nachdem diese Strapaze endlich überwunden ist (Frühstück hatten wir noch nicht, da uns die Karte ja in wenigen Kilometern den nächsten Ort mit frischen Brötchen versprach) steht Teil II dieses Abenteuers an: Räder reinigen! Mein Gott, wo sich der Schlamm überall zwischengesetzt hat! Unter den Schutzblechen, um die Felgenbremsen herum in dicken Klumpen; sogar in die Ritzel hinten. Mühsam muß alles mit Schraubenzieher und kleinen Stöckchen entfernt werden.

In Pfützen dann die ersten Drehversuche. Nach und nach bekommen wir Vorder- und Hinterräder wieder ans freie Drehen. Eine Stunde kostet uns das noch einmal - und ein Blick auf die Uhr zeigt uns, daß 13 Uhr und damit das Schließen der Läden, nicht mehr weit ist. So gegen halb eins starten wir dann endlich; zusammen mit wieder einsetzendem Regen.

Kurz vor 13 Uhr erreichen wir dann doch noch vor Geschäftsschluß Villamar und schwelgen im Angebot des örtlichen Supermarkets - heute ist uns kein leiblicher Genuß zu teuer! Wir sind kaum draußen, da gehen hinter uns die eisernen Rolläden hinunter. Wir haben dafür Muße, unter dem Vordach des Ladens trocken sitzen zu können, ohne von neugierigen Kunden beim nun stattfindenden "Frühstück" gestört zu werden.

So richtig glücklich ist zu diesem Zeitpunkt wohl keiner...

Erst gegen 15 Uhr starten wir wieder. Der Regen hat aufgehört; das ist schon mal was - da stört es uns im Moment auch kaum, daß wir an der Bank kein Geld bekommen können. Irgendwann unterwegs werden dann auch noch die Zähne geputzt, ehe wir uns mit einem weiteren Problem befassen müssen: unser Gasvorrat geht dem Ende entgegen - schon gestern in Furtei hatten wir im Supermarkt Pech - und heute war in Villamar wieder Fehlanzeige. Wir müssen also wohl oder übel in den nächsten Ort abbiegen (der den schönen, klangvollen Namen "Lunamatrona" trägt). Doch der schöne Name trügt - wieder kein Erfolg! Wir werden zwar von vielen freundlichen Leuten zum ortsansässigen Domestico" (Hausratsladen) durchgelotst - aber auch hier gibt es nur die alten Stechkartuschen. Da uns der Verkäufer auch keine Hoffnung machen kann, daß wir irgendwo in erreichbarer Nähe unsere erforderlichen Ventilkartuschen bekommen können, kaufen wir kurzentschlossen einen passenden Gasbrenner dazu!

Inzwischen steht schon wieder der Abend vor der Tür - ein winziges Wäldchen neben der Straße scheint uns für diese Nacht der geeignete Platz zu sein. Und als erst einmal die Dämmerung fällt, sieht uns hier wirklich keiner mehr - nur der Untergrund ist etwas uneben und steinig. Mit 24 Kilometern heute eine extrem kurze Tagesstrecke.


Freitag, 5.4.96, 15. Tag

Heute brechen wir bereits früh auf. Um neun Uhr sind wir unterwegs. Dies liegt weniger am wieder wirklich tollen Sonnenschein, sondern an der Tatsache, daß das Wochenende vor der Tür steht, und wir immer noch kein Geld gewechselt bekommen haben. Vor der Abfahrt erkunden wir die auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindliche Hausruine (ein willkommenes Toilettenörtchen, bei dem eigentlich nur die tote Katze ein wenig stört).

Alès heißt die etwas weitab von unserer Route liegende Stadt, die wohl über eine vernünftige Bank verfügen soll. Wir gehen davon aus, daß die Bank, wie allgemein üblich, zu Mittag übers Wochenende schließen wird - das ist uns allen klar und wir treten dementsprechend in die Pedalen; wieder mal ohne Frühstück im Magen!

Unterwegs reicht es in einem kleinen Örtchen noch für dringend benötigtes Toilettenpapier; mehr ist leider nicht mehr drin in der Reisekasse. Und wo wir schon mal gerade ein Päuschen einlegen, können wir mit Stöckchen und Schraubenzieher wieder etwas vom inzwischen hartgewordenen Schlamm abkratzen.

In Ales haben wir dann endlich Glück: die Bank hat geöffnet; und nach der üblichen Prozedur mit Fotokopie und hochnotpeinlicher Überprüfung des Reisepasses werden sowohl Visa als auch Euroschecks anstandslos akzeptiert. Mit unseren Trekking-Hosen (immer noch leicht schlammverkrustet) kommen wir uns zwischen den adrett gekleideten Bankangestellten allerdings ein wenig deplaziert vor. Die verstohlenen Blicke, die sie uns zuwerfen, sprechen Bände. Okay, was soll`s? Wie sagte schon Nero: "Pecunia non olet - Geld stinkt nicht"!

Mit vollem Geldbeutel läßt es sich dann fürs Wochenende gut einkaufen; bei inzwischen beträchtlicher Hitze frühstücken wir gemütlich und ausgiebig vor auf den Stufen des kleinen Ladens. Sarah leistet sich im Überschwang des wieder prallen Geldbeutels sogar einen kleinen Joghurt für 4500(!) Lira.

Nun müssen wir erst einmal zu unserer eigentlichen Route zurückkehren. Am Ortsausgang treffen wir in einem Vorgarten doch tatsächlich auf einen schön geschmückten Tannenbaum!

Ist dieser geschmückte Baum für das Osterfest gedacht???

Die Hitze ist inzwischen recht lästig geworden; wir ziehen uns kurze Klamotten an und nehmen dann die weitere Berg- und Talstrecke in Angriff. Nach einiger Zeit stoßen wir wieder auf unsere `95er-Strecke; direkt am Beginn des Örtchens Usellius (von uns wegen der elendig langen Steigung nach dem Ort schon damals in "Unseliges" umbenannt.

Oben angekommen Erinnerungen an unseren letztjährigen Übernachtungsplatz, als wir Manfred (das Schaf) hier trafen. Heuer rauschen wir gleich weiter - unterwegs diesmal auch keine Blumen für Marianne und Sarah - stattdessen der Blick angestrengt hinab ins Tal zum Flüßchen - denn uns allen ist inzwischen sehr nach Waschen zumute! Leider ist der Fluß sehr tief unten im Tal - den mühsamen Abstieg wollen wir uns ersparen - laut Karte muß er irgendwann die Straße kreuzen. Und so ist es auch. Wir lassen die Räder oben auf der Brücke stehen und steigen hinab in den Fluß - na ja, doch eher ein Bach. Jan und Martin verschwinden unter der Brücke und gönnen sich eine Ganzkörperwäsche.

Rast nach der Waschpause am Fluß

Erfrischt und von so viel Säuberung ermattet pausieren wir hinterher oben auf der Brücke und ziehen nur widerwillig die Füße an, wenn mal ein Fahrzeug vorbeikommt. Villa Urbana heißt nun unser nächstes Ziel - vor einem Jahr haben wir hier am Palmsonntagmorgen schön in der Sonne gefrühstückt; heute wird nur ein kleiner Erinnerungstrunk genommen.

Leicht bergab rauschen die Räder fast wie von allein ins Tiefland hinunter - Oristano ist nicht mehr weit. Wir kaufen im letzten Dorf für die Nacht ein; füllen wie immer im Rinnstein unsere Flaschen um und trollen uns dann an Oristano vorbei weiter nach Norden. Rings um uns herum wächst viel Bambus; es fällt nicht schwer, einen Platz für die Nacht zu finden: diesmal neben einem halbfertigen Haus, welches wohl niemals zu Ende gebaut werden wird; umgeben von riesigen Bambushainen. Die Damen klettern sogar über ein rostiges Eisentor in eine Art Orangenhain und bauen dort, mitten unter saftigen Orangen, ihr Sierra Comfort auf.

Lagerplatz hinter Gittern

Während der Vorbereitung des Abendessens bleibt noch Zeit, einen prächtigen Sonnenuntergang zu genießen. Darüber vergeht die Zeit, und wir dürfen mal wieder im Dunklen essen. Aber daran sind wir ja inzwischen gewöhnt. Danach kriechen wir bald nach einem letzten Schlummertrunk in die Zelte. 53 Kilometer heute - gemessen an dem hügeligen Gelände nicht schlecht.


Karsamstag, 6.4.96, 16. Tag

Der Tag beginnt für die Mädchen mit viel Aufregung: Jan macht sich den Spaß und gibt sich als Tier, daß aus dem Bambus kommend am Zelt der Mädchen rüttelt - lautes Gequieke ist die Folge. Danach gibt es für alle eine weitere Aufregung: ein kleiner Ape 5o biegt von der Straße ab und fährt langsam auf unseren Platz zu - oh, je, jetzt kommt der Besitzer des Orangenhains! Also ganz cool bleiben! Die Mädchen verstecken sich vorsichtshalber im Zelt.

Na ja, das Tor ist ja auch deutlich mit einer großen, roten Kette versperrt - es wird uns schnell etwas einfallen müssen, was wir dem Besitzer jetzt erklären wollen.

Der kleine Wagen hält an, und heraus steigt ein alter Mann. Er grüßt allerdings freundlich und wir kommen schnell ins Gespräch über woher und wohin unserer Tour. Und erfreulicherweise hat er überhaupt keine Probleme mit unserem Übernachtungsort. Er will heute, zusammen mit zwei jüngeren Männern, die inzwischen auch aufgetaucht sind, Artischocken ernten.

Geschenke statt Ärger: Artischocken für die Weiterfahrt

Für uns ist das eine ganz neue Sache. Der alte Mann lädt Marianne ein, mit ihm ins Feld zu kommen. Unterwegs versucht er ihr wohl einiges über die Artischocken zu erzählen; ein flüssiges Gespräch kommt wegen der sprachlichen Barrieren natürlich nicht zustande. dafür kommen die beiden mit einem Arm voll der stacheligen Gewächse zurück.

Der Bauer erklärt Jan, wie man mit einer Art Machete den Stiel abtrennt. Dann muß er uns allerdings auch noch erklären, wie wir die Artischockenköpfe zubereiten sollen - denn all die mitgebrachten Köpfe sind ein Geschenk für uns!

Das gibt natürlich einige Transportprobleme, denn leider sind die frischen Artischocken unangenehm stachelig. Wieder gibt der Bauer hilfreiche Tips: mit einem Taschenmesser kann man vorher jeweils die Spitzen der Blätter abknipsen. Wir bedanken uns bei ihm und machen uns nun nach all den Aufregungen an den Abbau der Zelte. Jan findet beim Beladen der Räder im Gras noch eine alte Artischocken-Machete; ein willkommenes Souvenir. Der Bauer schaut uns zu und kann es nicht fassen, wie man freiwillig mit so viel Gepäck unterwegs sein kann. Zuletzt kommen oben auf den Gepäckträger die in Müllsäcke verpackten Artischocken; wir wollen sie unterwegs zum Mittagessen zubereiten.

Zum Transport werden die Artischocken von Jan fachmännisch zerkleinert

Dann schieben wir die beladenen Räder zur Straße zurück, und nach einem letzten Winken schwingen wir uns in die Sättel. Auf in den nächsten Ort zum Frühstück. Zerfaliu heißt dieses Örtchen, verfügt aber leider über keinen Laden. Über eine ebene Landstraße strampeln wir durch dichte Bambushaine zum nächsten Ort Solarussa. Hier werden wir zum Glück fündig: ein kleiner Alimentari bietet uns alles für ein ausgiebiges Frühstück. Wir sitzen in der Sonne auf den Stufen des Geschäftes und beobachten das geschäftige Treiben um uns herum: alles scheint sich heute, am Karsamstagmorgen, für Ostern einzudecken. Nun, das tun wir dann auch noch, denn wer weiß, ob wir über die Feiertage unterwegs ein offenes Geschäft finden. Insbesondere Brot, Butter und Aufschnitt brauchen wir für die nächsten Tage.

Nach 5 Kilometern erreichen wir die Schnellstraße 131; biegen wegen des starken Verkehrs aber bald auf eine parallele Nebenstraße nach Paulilatino ab. Ein großer, schwarzer Hund will zunächst sein Spielchen mit uns treiben - wir drehen den Spieß um und treiben ihn ein wenig. Die Straße läßt sich trotz der ständigen Steigung recht bequem fahren. Als dann links noch ein plätscherndes Flüßchen erscheint, machen wir Mittagspause. Nachdem der Brenner angeworfen ist und die Artischocken im Topf köcheln, nutzen wir das frische Wasser für ein ausgiebiges Badevergnügen - aus Erfahrung wissen wir, daß man solche Stellen ausgiebig nutzen sollte! Nach einiger Zeit wagen wir uns dann an die gekochten Artischocken. Leider können wir sie nur "pur" essen; es soll aber ja auch nicht die Hauptmahlzeit für heute sein.

Fertig - die Artischocken sind gekocht und warten auf den Verzehr

Da außer Martin (dessen Erinnerungen daran aber auch schon dreißig Jahre zurückliegen) noch niemand frische Artischocken gegessen hat, versuchen wir, das Fruchtfleisch mit den Zähnen von den Blättern zu ziehen. Es schmeckt ein wenig nach Kartoffel und ist ein mühseliges Essen. Die gleichzeitig gekochten Eier sorgen dann aber für einen vollen Magen.

Aber wie ißt man die Dinger jetzt richtig?

Nach dieser ausgiebigen Wasch- und Essenspause geht es weiter bergauf nach Paulilatino. Der bislang strahlende Sonnenschein weicht zunehmend bedecktem Himmel. na, solange es nicht regnet, soll es uns auch recht sein. In Paulilatino setzen wir uns an die Kreuzung; die Mädchen versuchen zu telefonieren, während wir anderen dem Samstagnachmittagtreiben der Dorfjugend und der alten Männer zuschauen (die widerum uns zuschauen - na, wann kommen auch schon mal schwerbepackte Radfahrer durch dieses Städtchen abseits der Schnellstraße?).

Nun müssen wir doch wieder ein Stück über diese Schnellstraße und machen dabei einen Abstecher zur Nuraghe Losa, die quasi am Wegrand liegt. Jan probiert seine Kletterkünste am Gemäuer aus, wird aber von der Aufsicht zurückgepfiffen. Nachdem wir uns an der fast wie eine Autobahnauffahrt angelegten Zubringerstraße ein wenig verfahren haben (merke: auch Einbahnstraßen kann man als Radfahrer bequem entgegen der Fahrtrichtug nutzen) erreichen wir bald den Ort Abbasanta. Da dies die letzte Stadt vor der abendlichen Platzsuche sein wird, fahren wir hinein und suchen ein noch geöffnetes Geschäft, um ein Eis zu kaufen und Getränke für`s Osterfest auf Vorrat zu haben.

Anschließend beginnt die Suche nach einem geeigneten Platz für die Osternacht - und schön gelegen soll er sein, denn wir wollen natürlich am nächsten Morgen ungestört Ostereier suchen können. Laut Karte soll von der Haupstraße ein weiß eingezeichneter Weg zum drei Kilometer entfernten San Ignazio führen - genau das Richtige für uns!

Die Abzweigung ist auch schnell gefunden - links und rechts erstrecken sich üppige Wiesen, durchsetzt mit Korkeichen. Also durchaus passabel für uns. Nur befinden sich leider auf fast allen Weiden noch Tiere, mal Schafe, mal Kühe. Und zu unserem Verdruß liegen an dieser "Strada bianca" jede Menge Bauernhöfe. Und in deren Sichtweite wollen wir nicht unbedingt zelten.

Da die Dämmerung nicht mehr lange auf sich warten lassen wird, fragen wir zuletzt einen Bauern, ob wir auf einer der Wiesen am Straßenrand zelten dürfen. Er will aber nicht so recht und zeigt uns seine Schafherde, die durch uns gestört werden würde.

Nun ist guter Rat teuer: es wird allmählich dunkel, und wir haben immer noch nichts für die Nacht gefunden. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als weiter der kleinen Straße bergauf zu folgen.

Endlich nach rechts ein halb zugewachsener Feldweg. Heute gibt es keine Diskussionen - hier muß es sein! Der zugewachsene Fahrweg zeigt, daß hier schon seit geraumer Zeit kein Fahrzeug mehr gefahren ist. Warum sollte also gerade in der Osternacht plötzlich ein Auto kommen? Zudem ist der Weg zwischen brusthohen Steinwällen zusätzlich sichtgeschützt.

Wir schieben die Räder bis um eine Biegung und warten noch ein wenig ab, bis es dunkler wird. Durch die Bäume beobachten wir wieder einen tollen Sonnenuntergang.

Dann heißt es anpacken und im Halbdunklen die Zelte hochziehen. Immer, wenn auf der noch recht naheliegenden Straße ein Auto vorbeirauscht, halten wir inne und atmen erst auf, wenn sich die Scheinwerfer entfernen. Wildcampen in bewohntem Gebiet ist manchmal doch schon recht aufregend! Eine heiße Linsensuppe beschließt diesen Tag nach 43 Fahrtkilometern - heute haben wir sehr lange Pausen gemacht, das merkt man am Tachostand.


Ostersonntag, 7.4.96, 17. Tag

Jan ist als erster auf und versteckt auf der Wiese nebenan überall die kleinen Osterüberraschungen. Erst danach dürfen alle anderen aus den Zelten. Ein strahlendblauer Himmel erwartet uns! Nun gibt es kein Halten mehr! Die Suche nach den Süßigkeiten artet zu einer wilden Jagd aus! Man merkt, daß wir lange keine Schokolade mehr hatten!

Besonders Sarah und Svenja kämpfen um jedes Schokoladenei! Die Fahrradhelme kommen dabei während dieser Tour erstmalig zum Einsatz - zweckentfremdet als "Ostereiersammelkörbchen". Svenja übersieht fast noch ihr kleines Plüschtier in einem Baum. Als alles gefunden ist, werden die Schätze am "Frühstückstisch" ausgebreitet und brüderlich geteilt. Zum Frühstück selbst gibt es heute, am Ostermorgen, natürlich Eier (leider weiß). Wir genießen die wärmenden Sonnenstrahlen und bauen in aller Ruhe ab. Heute werden wir auf keinen Fall hetzen! Außerdem wissen wir aus dem Reiseführer, daß wir uns mit Macomer einer deutlichen Bodenschwelle hinauf zu einer Hochfläche nähern.

Martin opfert seine inzwischen schon recht leer gewordene Zigarrenkiste und funktioniert sie zu einer Schatzkiste um, in der seine Süßigkeiten ein wenig beim Transport geschützt sind. Einige gefüllte Schokoeier haben den bisherigen Transport sowieso nicht besonders gut überstanden und lassen den klebrigen Inhalt ein wenig herausquellen.

Über die Strada bianca geht es zurück zur SS 131. Es herrscht starker Osterreiseverkehr und dummerweise auch ein heftiger Gegenwind. Wir strampeln verbissen vor uns hin; möglichst nahe am Straßenrand und im Windschatten des Vordermannes. Trotzdem geht es nur mühsam vorwärts.

Erst 7 Kilometer vor Macomer können wir die Schnellstraße verlassen. Wir sind froh, wieder auf einer stillen Straße fahren zu können. Hier sollen sich laut Karte und Reiseführer auch Riesengräber befinden - wenn das die am Rande liegenden Steinhaufen sein sollen, sehen die nicht allzu interessant aus. Wir halten dennoch kulturbewußt an und machen wenigstens ein Foto!

Vor uns türmt sich die "Bodenschwelle" auf - besser gesagt, ein richtiger Bergzug! Und leider sieht man auch schon recht deutlich die nach oben führende Straße! Aber noch schlimmer verläuft die Route der Staatsstraße - gut, daß wir von ihr abgezweigt sind! Da sich das Wetter inzwischen stark eingetrübt hat, ziehen wir uns lange Sachen an. Neben uns ein Ehrenmal, "malerisch" von senkrecht stehenden Artilleriegranaten eingerahmt. Nun beginnt der lange Aufstieg nach Macomer; von 349m auf 550 m. An einem Bahnübergang machen wir Pause, spielen an den Schranken herum und genießen den Blick auf die inzwischen schon weit unter uns liegende Tiefebene.

Man gönnt sich ja sonst nix: Ostertörtchen in Macomer

Schwitzend erreichen wir dann die Ausläufer von Macomer; im diesigen Licht eine eher trostlos wirkende Stadt. Erfreulich aber die geöffnete Pasticceria, deren Kuchenangebot wir nicht widerstehen können! Direkt neben der Konditorei machen wir uns auf einer Bank über die süßen Köstlichkeiten her. Danach quält uns der Durst. Wir fahren durch Macomer hindurch, finden aber nichts besonders Einladendes. Von einer Telefonzelle werden Ostergrüße nach Hause geschickt; dann fahren wir ein wenig in den Ortskern zurück und lassen uns in einer "Nautic-Bar" nieder. Marianne kostet zur Feier des Tages ein exotisch aussehendes, grünes Getränk; wir anderen halten uns an Cola und Bier. Mit Hilfe des eigenen Toilettenpapiers kann man auch die vorsintflutliche Toilette nutzen.

Bei der Weiterfahrt können wir die beiden einander gegenüberliegenden Bahnhöfe von Macomer sehen; einmal die Normalspur der FS und daneben den Schmalspurbahnhof einer Privatbahn. Leider steigt die Straße immer weiter bergan; dazu müssen wir wieder auf die SS 131 zurück - es gibt hier im Bergland keine Alternative. Erneut macht uns der Gegenwind, der hier mächtig über die nun erreichte Hochfläche pfeift, stark zu schaffen. Mehrmals machen wir Pause, ehe wir, inzwischen auf 660m Höhe, auf eine Nebenstrecke abzweigen können.

Von hier aus bieten sich kurz darauf schöne Ausblicke hinab auf die andere Seite der Hochebene. Unten verläuft bereits wieder die Schnellstraße; daneben die Hauptstrecke des Bahn. Wir warten, bis ein Zug aus dem Tunnel aus Macomer kommt. Von oben sieht das fast wie eine Spielzeugeisenbahn aus.

In wilden Serpentinen geht es dann hinunter nach Bonorva; wir sehen die ersten schon ganz unten, als wir uns oben auf den Weg machen. Leider gestaltet sich die Platzsuche wieder mal recht schwierig. Heute bleiben wir direkt an der Straße; nach einem Bahnübergang hinter einem halbverfallenen Bahnwärterhäuschen.

Uns ist dabei nicht so recht wohl, ein besserer Platz ist aber nicht zu erwarten. Inzwischen geht auch schon die Sonne unter und schon wieder gibt es eine tolle Abendstimmung zu bewundern. Vor dem roten Abendhimmel sieht man die Schafe auf der nächsten Hügelkuppe wie auf einem Scherenschnitt.

Und dann hält ein Auto! Wie die Aufschrift zweifelsfrei zeigt, ein Wagen der Carabinieri!! Langsam wird das Fenster heruntergekurbelt, und genauso langsam geht Martin zum Wagen hin. Auf französisch kommt man schnell ins Gespräch; die anfängliche Skepsis der beiden Carabinieri schwindet, als sie von unseren Reiseplänen hören. Es stellt sich heraus, daß die beiden aus Sizilien stammen. Sie fragen, ob wir dort nicht auch mal auf Tour gehen wollen. Als Martin dies für die kommenden Jahre verspricht, sind sie zufrieden und verabschieden sich bald darauf.

Nun sozusagen mit amtlicher Genehmigung können wir in Ruhe unseren Platz genießen. Wir sitzen bei der hereinbrechenden Dunkelheit vor den Zelten; lassen uns das Abendessen schmecken und schauen zu, wie auf den gegenüberliegenden Bergen die Lichter der kleinen Dörfer nach und nach aufflammen. 40 Kilometer auf dem Tacho - wir haben die 600 Kilometermarke überschritten. Bis zum Bauern ist es nun - gemessen an der schon zurückgelegten Strecke - nicht mehr weit.



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