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Dienstag, 31.3.98, 4.Tag

Erfreulicherweise hat sich das Wetter sozusagen „über Nacht“ stark gebessert. Nach Auflösung des Frühnebels wird es wohl einen schönen Tag geben. Und früh sind wir auch auf – haben wir doch mal wieder nichts zum Frühstück eingekauft! Nach einem Kaffee geht es dann auch schnell ans Abbauen. Schon um 8:50 Uhr schieben wir die Räder hoch zur Straße. Ebenfalls erfreulich: der Blick auf die Karte zeigt uns, daß uns nun auf der Straße drei Steigungspfeile entgegenkommen – und zwar auf der Strecke der nächsten zehn Kilometer! Für uns heißt das: bis dahin wird es zügig bergabgehen!

Wir rauschen durch den morgenfrischen Tag unserem heutigen Zwischenziel entgegen: Gela, eine Hafenstadt an der Südküste. Allerdings spricht unser Reiseführer ("Sizilien" aus der Reihe "Merian live!", Verlag Gräfe und Unzer, ISBN 3-7742-0448-9, Zitate ab jetzt in kursiv gesetzt) bezüglich von Gela eine eindeutige Sprache:

„Es fällt angesichts der Raffinerien und Tankschiffe schwer, in Gela eine der ältesten und bedeutendsten griechischen Städte auf Sizilien zu erkennen. Durch den Tyrannen Gelon wurde die Stadt zum Machtzentrum Siziliens! Gelon eroberte Syrakus und besiegte 480 v. Chr.(!) die Karthager bei Imera. Nachdem Gela 280 v. Chr. Von den Agrigentern zerstört worden war, blieb die Stadt bis weit ins Mittelalter hinein verlassen. Die Entdekkung der ergiebigen Erdölfelder vor der Küste haben dann im Jahre 1956 zu einem wahren Erdölboom geführt, der das Stadtbild der Hafenstadt erheblich verschandelt hat.“

Na ja, zum Einkaufen und Frühstücken wird es für uns aber ja wohl reichen. Etwa 12 Kilometer vor Gela liegt neben der Straße ein großer Brunnen, an dem einige Sizilianer mit Kanistern ihr Trinkwasser abfüllen. Es ist schon bemerkenswert, wie viele Kanister mit einer Vespa transportiert werden können! Uns aber ist der Brunnen mit angegliedertem Freibecken eine willkommene Gelegenheit für eine große Körperwäsche. Wer weiß, wann wir wieder solche Verhältnisse antreffen. Inzwischen haben wir bereits nur noch eine Höhe von 90 m über NN.; bei der Abfahrt waren es noch so an die 400 Höhenmeter. Schade, daß die sausende Abfahrt nun vorbei ist – bis Gela, das am Horizont bereits auszumachen ist, geht es nun nur noch mäßig bergab. Aber darüber freuen wir uns eigentlich auch; wissen wir doch, daß auf der weiteren Sizilienumfahrung noch Paßhöhen bis zu 1000 m vor uns liegen. Unterwegs kommen wir noch an einer merkwürdig aussehenden „Burg“ vorbei, die majestätisch auf dem einzigen Hügel in der Landschaft thront. Eigentlich sieht das Ganze mehr aus wie ein etwas groß geratener Bergfried. Wer wird das wohl mal gebaut haben – und wozu. Egal – schon sind wir vorbei; wie demnächst so oft, wenn wir an archäologischen Sehenswürdigkeiten vorbeifahren. Als Rad-Fernfahrer bewegen uns halt oft viel profanere Dinge: heute die Aussicht auf ein opulentes Frühstück! Zwischendurch gibt es noch direkt an der Straße eine kleine Einstimmung darauf: da Martin seine Ortliebtaschen an Svenja abgetreten hat, fährt er selbst mit seinen alten Taschen, die nun allerdings hinten beidseitig zusätzliche Außentaschen haben. Und die wurden schon am ersten Tag zu einer Art „Minibar“ umfunktioniert. Und so gibt es kurz vor Gela für alle erst einmal ein kleines, aufmunterndes Schlückchen.

Über eine Hochstraße werden wir nun nach Gela hineingeleitet – und richtig: besonders einladend sieht die Stadt aus dieser Perspektive wirklich nicht aus! Heruntergekommene Hochhäuser; Fabrikschornsteine, Raffinerien mit brennenden Gasfackeln. Italienischer Flair wird mühsam verbreitet durch die überall herumhängende Wäsche. Vor einem Supermercato bocken wir die Räder auf und begeben uns nacheinander in Kleingruppen ins Geschäft. Wir haben zwar keine Bedenken hinsichtlich der Mafia oder so – dennoch: in Städten ist es immer angebracht, ein wachsames Auge auf die Räder und das Gepäck zu haben.

Kurz hinter dem Supermercato dann ein kleiner Park, der mit seinem Schatten unter den Palmen zur Rast einlädt. Schnell sind die frischen Paninis, Käse, Mortadella, Burro&Latte und was man sonst noch für ein Frühstück um 12 Uhr braucht, auf einer Parkbank in Form eines improvisierten Buffets angerichtet. Wir selbst sitzen auf den anderen Parkbänken oder auf den abgeschnallten Packsäcken. Schon haben wir uns an die üblichen Fahrtbräuche wieder gewöhnt. Welch ein Unterschied zum Leben zu Hause!

Mitten ins Mahl hinein platzen zwei Sizilianer, ein Vater mit seinem taubstummen Sohn, und wir werden – leider auf italienisch – nach dem Woher und Wohin ausgefragt. Wir bieten eine Tasse Wein an, die aber höflich abgelehnt wird mit dem Hinweis, das gäbe es hier nur zum „mangiare“. Na ja, für uns trifft das ja auch gerade zu! Stattdessen gibt es von Martin dafür eine Zigarre. Und schon taucht ein weiterer, alter Mann auf, der uns fragt, ob wir „Arancis“ mögen. Klar, damit haben wir ja schon einschlägige Erfahrungen gegen den Hunger sammeln können. Kurz darauf kommt er zurück und schenkt uns die obligatorische große Plastiktüte voller Apfelsinen. Wir schreiben seine Adresse auf und machen ein Erinnerungsfoto (und er wird auch zu Weihnachten 1999 tatsächlich dieses Foto zugeschickt bekommen!). Anstandshalber vertilgen wir gleich an Ort und Stelle einige der süßen Früchte. Problematisch wird danach nur das Verstauen der restlichen Apfelsinen – jeder muß so drei, vier irgendwo in den Satteltaschen verstauen. Gar nicht so leicht, da wir uns ja gerade im Supermercato schon zusätzlich mit Lebensmitteln auf Vorrat versehen haben. Nachdem Jan die unhandliche Sizilienkarte in drei leichter in die Klarsichthülle der Lenkertasche passende Teile zerschnitten hat, geht es ab 13 Uhr durch Gela hindurch zur Ausfallstraße in Richtung Agrigento. Unterwegs wegen uns noch fast ein Auffahrunfall, weil sich die Fahrer mehr auf den Anblick unserer sommerlich gekleideten Damen als für den vor ihnen rollenden Verkehr interessieren. Nun, Schadenfreude ist die reinste Freude!

Die Straße, es ist die Strada della Stato Nr. 115, die uns nun bis zur Westspitze leiten wird, ist gut zu fahren; der Verkehr hält sich in Grenzen und die Sizilianer sind auch in der Regel sehr zuvorkommende Fahrer, die uns als Radgruppe respektieren und den nötigen Sicherheitsabstand einhalten. Ab und zu leuchtet nun links neben uns das strahlendblaue Mittelmeer auf; die warme Sonne und der fast wolkenlose Himmel tun ein Übriges, um unsere Laune noch weiter zu heben. Rechts neben der Straße ziehen sich riesige Obst- und Gemüsebeete hin, die mit Folientunneln überspannt sind. Der Reiseführer bemängelt dies als Zeichen einer Landschaftsverschandelung. Klar, ganz gut sieht das nicht aus – andererseits: irgendwas müssen die Menschen hier ja schließlich an Arbeitsplätzen haben! Und wir wollen ja das ganze Jahr über südländische Produkte bei uns kaufen können. Uns stören sie jedenfalls nicht weiter.

Im winzigen Dörfchen Falconara (Tip aus einem der vielen WDR III – Filme, die wir uns vorher angeschaut haben), biegen wir zum Meer ein, um das dort befindliche Castell zu besuchen. Damit wird`s aber nichts, weil alles fest verrammelt ist. Nach einem kurzen Umweg landen wir aber an einem herrlichen Strand. Die Räder müssen wir nach wenigen Metern zurücklassen, weil die Reifen hoffnungslos im Sand versinken. Da wir ganz alleine sind, lassen wir schnell die Hüllen fallen und schon geht es hinein ins warme (na ja), blaue und saubere Mittelmeer (um es ganz exakt auszudrücken: Jan, Martin und Christoph; der Rest begnügt sich mit einem Fußbad). Anschließend ist eine Kletterei in den Felsen und ausgewaschenen Grotten am Fuße des Castells angesagt. Die Damen bestehen nun auf einem Sonnenbad im heißen Sand; außerdem müssen noch Muscheln als Souvenir gesucht werden. Nach einigen Erinnerungsfotos und Schwenks mit der Videocamera (wobei wir höllisch auf den feinen Flugsand aufpassen müssen), wuchten wir dann recht beschwerlich die Räder wieder hinauf zur Straße. Alles in allem eine erholsame Pause!

Kurz vor 17 Uhr erreichen wir dann das kleine Städtchen Licata. Da der örtliche Laden erst wieder um 17 Uhr aufmacht, lassen wir uns davor auf dem Parkplatz häuslich nieder und machen uns über unsere letzten Brot- und Getränkevorräte her. An der gegenüberliegenden Tankstelle wird die Benzinflasche aufgefüllt – das sorgt immer wieder für Erstaunen, wenn wir mit Fahrrädern zum „Tanken“ an einer Tankstelle vorfahren. Im Supermercato erstehen wir dann außer Nudeln tiefgefrorene Erbsen, die wir für die abendliche „Wurst-Nudelpfanne“ benötigen. Durch Licata hindurch folgen wir den Hinweisschildern weiter in Richtung der SS 115 nach Agrigento. Gerade noch rechtzeitig fällt uns ein, daß wir ja das Trinkwasser vergessen haben! An einem Brunnen am Stadtrand werden unsere Vorratsflaschen aufgefüllt. Auch hier treffen wir auf jede Menge Sizilianer, die es uns gleichtun. Entweder ist das Leitungswasser von so schlechter Qualität, oder viele Häuser haben gar keine eigene Wasserversorgung. Für uns unvorstellbar, jeden Tag sein Trinkwasser in Kanistern ins Haus zu holen. Dafür klagen wir Deutschen dann noch über hohe Wasser- und Abwasserpreise! Wir kommen mit ihnen ins Gespräch und bekommen den Tip, abends ganz in der Nähe am Strand, an der „Baia d`oro“, zu deutsch: „Goldene Bucht“, unsere Zelte aufzuschlagen. Dort sei es um diese Jahreszeit noch ruhig und somit auch keine Schwierigkeiten mit den Carabinieris zu befürchten.

An einem Rondell biegen wir von der Hauptstraße ab und folgen einer Schotterpiste zur verheißungsvollen Baia d`oro. Hier müssen wir uns nun auch unbedingt was für die Nacht suchen, denn die Sonne steht schon recht tief am Horizont. Die Baia d`oro entpuppt sich als eine große Halbbucht; gesäumt von mehr oder weniger großen Hotelanlagen; alles irgendwie recht stark heruntergekommen. Aber das kann uns egal sein – Hauptsache, hier rennt niemand `rum und stört uns beim Wildcamping! Rechter Hand finden wir grasbewachsene Dünen mit einigen zerfallenen Ruinen – genau das Richtige für uns! Vor den Erfolg haben die Götter nun aber bekanntlich den Schweiß gesetzt – für uns in Form einer Strandüberquerung mit den beladenen Rädern.

Das sieht zunächst noch ganz einfach aus, weil der Sand hier naß und fest aussieht. Ist er aber nicht! Schon nach den ersten Metern wühlen sich die Reifen tief in den widerspenstigen Sand und bringen uns beim Schieben ordentlich ins Schwitzen.

Bald stehen unsere Zelte, gut geschützt vor neugierigen Blicken zwischen einigen hohen Dünen. Aufpassen müssen wir allerdings, daß wir nichts im Sand oder Gras liegenlassen – das wäre wohl unweigerlich weg. Die Ruinen bilden eine willkommende Freiluft-Toilette mit bestem Blick über das abendliche Meer. Klar, daß diese Abfälle anschließend vernünftig vergraben werden! Damit dürften wir aber die Einzigen sein, die aktiv was zum Umweltschutz hier beitragen: überall liegt Abfall und dergleichen herum. Die Bucht ist wirklich schön und hat früher mal zu Recht ihren Namen getragen – jetzt müßte man sie eigentlich umtaufen in „Bucht des Mülls“! Wir haben zwar noch ein relativ sauberes Fleckchen erwischt; vor allem aber rings um die Hotels und Villen liegt eine Menge Unrat herum.

Während sich die Jüngeren auf zur Erkundung der Gegend machen und in den vielen Felsen herumklettern, bereiten Marianne und Martin die Wurst-Nudelpfanne vor: eine Premiere, da diese Tütenmahlzeit erst vor kurzem auf dem deutschen Markt erschienen ist (Dank sei Maggi !). Und die Zubereitung ist denkbar einfach und wie geschaffen für Radtouristen, die ja nicht unbeschränkt Gewicht mitschleppen können. Lediglich das Pulver ist erforderlich – den Rest kann man unterwegs dazukaufen. Nun gut, Wurst haben wir noch in Form der guten alten Sommerwurst im Gepäck; die hätten wir aber auch noch hier besorgen können; vielleicht sogar mit besserem Geschmack. Zuerst werden jede Menge Zwiebeln angedünstet; dazu die kleingeschnittene Wurst. Ein Kilo Tiefkühlerbsen sorgt für den erforderlichen Vitaminschub. Das Ganze wird nun mit Wasser aufgefüllt; das Pulver kommt als Sauce dazu; zum Schluß nur noch die Pasta – und basta! Wir sitzen um den Topf herum und warten gespannt, was passieren wird. Und tatsächlich – nach ca. 15 Minuten haben die Nudeln die Flüssigkeit aufgenommen; die Sauce riecht verführerisch – das Essen ist fertig. Und alles in einem einzigen Topf – das spart anschließend unnötige Spülarbeit und gleichzeitig beim Kochen und anschließenden Spülen kostbares Trinkwasser. Denn gerade mit den Wasservorräten haben wir gelernt, unterwegs sparsam umzugehen, weil man nie genau weiß, wo und wann es dafür wieder Nachschub gibt.

Vom Essensgeruch angelockt erscheinen jetzt auch die Anderen. Die neue Wurstpfanne findet allgemeinen Anklang; ein Essen, das auf künftigen Fahrten sicher mit zum festen Repertoire gehören wird. Nach dem Abendessen und Spülen genießen wir dann noch am Strand den Ausblick über das abendliche Meer.

Tageswerte: 70,2 Kilometer, 4:15 Stunden im Sattel, Durchschnitt 16,53 Km/h


Mittwoch, 1.4.98, 5.Tag

Jan ist schon ab halb sieben auf und beschäftigt sich mit den „Spinnen“ von Hohlbein (denn natürlich wird wie auf den anderen Fahrten aus kulturellen Gründen schon mal ein gutes Buch gelesen); um 7:30 gibt`s dann Kaffee. Frühstücken wollen wir hier am Platz nicht, dafür ist es etwas zu sandig. Wir bauen also ab und gehen dann noch einmal auf einen kurzen Trip durch die Klippen.

Im Ort selbst suchen wir uns dann ein windgeschütztes Plätzchen; müssen allerdings den Anblick des vielen Mülls um uns herum hinnehmen. In der Nähe versucht ein Barbesitzer, sein Anwesen für die anstehende Sommersaison fit zu machen. Wir machen uns für die anstehende Tagesetappe fit mit einem etwas mageren Frühstück.

Jetzt müssen wir zuerst einmal wieder zurück zum Rondell; hier wählen wir eine parallel zur SS 115 verlaufende kleine Nebenstraße für den Weiterweg. Die Sonne lacht vom Himmel und bringt uns beim steten Auf und Ab bald ins Schwitzen. Also runter vom Rad und kurze Sachen an. Die ganze Gegend ist hier mit den großflächigen Folien-Gewächshäusern übersät; wir ignorieren sie einfach und genießen dafür den Anblick des blauen Mittelmeeres linker Hand. Und mit einem Blick auf die Karte setzen wir alle Hoffnung auf die in Kürze erscheinende Ortschaft „Torre di Gaffe“. Uns läuft bei den Köstlichkeiten des dortigen Alimentaris bereits das Wasser im Munde zusammen. Der Ort ist nach etwa 6 Kilometern Küstenstraße auch bald erreicht – für uns allerdings eine große Enttäuschung: alles wie ausgestorben; natürlich auch kein Alimentari weit und breit.

Fahrt durch blühende Plantagen Gelungene Straßenführung Und immer noch der Etna in Sichtweite

Weiter nun auf der Hauptstraße, die hier leider recht eng und kurvig ist und zudem zwei völlig überflüssige Berge aufweist! Das heißt, zweimal kräftig bergantreten (mit Pfeil auf der Karte); danach dann zum Ausgleich wieder zwei schnelle Abfahrten. Unserer Reisegeschwindigkeit machen diese Anstiege nicht viel; aus Erfahrung wissen wir, daß der langsame Anstieg mit 5 bis 6 Km/h durch die Abfahrt wieder in etwa ausgeglichen wird. Nach weiteren 6 Kilometern liegt etwas abseits der Hauptstraße der kleine Ort „Palma di Montechiaro“. Kilometermäßig kaum ein Umweg; wir könnten schon vorher auf einen 2 Kilometer langen Zubringer einbiegen und später die hintere Dorfausfahrt zur Hauptstraße nehmen. Bedenklich allerdings wieder der Pfeil auf der Zufahrtsstrecke. Wir haben inzwischen gelernt, die Karte richtig zu lesen! Dennoch gibt es über die zusätzlichen 100 Höhenmeter keine Diskussion: die Sonne brennt heiß und uns ist inzwischen allen nach einer kühlen Erfrischung.

Und schon am Ortseingang werden wir „fündig“: aus einer Art Garage wird Waschpulver und dergleichen verkauft; ein Schild weist aber unzweifelhaft auch auf einen Getränkeverkauf hin. Also runter von den Rädern, vor dem Geschäft aufgebockt und schnell hinein. Kurz darauf sitzen wir draußen auf den Stufen vor dem Laden und lassen es uns in der warmen Sonne gutgehen. Die Ladenbesitzerin spricht fließend deutsch; sie erzählt, sie habe vier Jahr in Deutschland gearbeitet. So können wir ausgiebig über unsere Tour berichten. Die Frau übersetzt das dann immer wieder an die übrige Kundschaft, die unsere schwerbepackten Räder mit Interesse begutachtet. Man merkt, daß durch diesen abseits gelegenen Ort nicht viele Touristen kommen – und wir mit unseren Rädern dürften wohl eine ganz seltene Spezies sein! Aber genau das ist ja auch der Vorteil, wenn man als Radfahrer durch das Land reist und auch in kleineren Orten Station macht: Kontakte stellen sich dabei von ganz alleine ein.

Bei der Weiterfahrt haben wir dann allerdings einen Kontakt, der uns gar nicht so lieb ist. Ein Rollerfahrer scheint sich ab dem Dorf sehr für unsere Mädels zu interessieren und kurvt nervig um uns herum. Als wir dann auf der Hauptstraße etwas auseinandergezogen fahren, nützt er dann schamlos die Gelegenheit, um der hinten fahrenden Marianne zweimal an den Allerwertesten zu tatschen. Jan und Martin kommen zwar zu spät zurück; die gezogenen Luftpumpen sowie eindeutige Handbewegungen lassen den Typ dann doch vor unserer Übermacht kapitulieren. Zu seinem Glück ist er mit dem Roller schneller und kann den Luftpumpen und damit seiner gerechten Strafe leider entgehen.

Nach diesem Abenteuer bleiben wir zunächst etwas dichter zusammen. Wer weiß, ob der Typ, vielleicht mit Verstärkung, nochmal zurückkommt? Der nächste Steilanstieg auf der Straße bringt uns aber schon bald wieder zu wichtigeren Themen: wann kommen die beiden Tunnelstrecken, die laut Karte glücklicherweise den vor uns liegenden Berg unterqueren? Und wie werden sie aussehen? Unbeleuchtet – so wie teilweise in Norwegen oder auf Sardinien?

Unsere Sorgen lösen sich zum Glück schnell auf, als wir den ersten Tunneleingang erreichen: zumindest dieser erste Tunnel ist nicht sehr lang und außerdem noch schnurgerade, so daß man bereits das andere Ende sehen kann. Außerdem ist er gut beleuchtet. Also flott hindurch! Tunnel zwei genauso. Und danach haben wir schon das Gebiet um Agrigento erreicht – und damit liegen unsere ersten Tempel vor uns. Wir biegen auf eine kleine Nebenstrecke ab, weil wir in San Leone, dem Badeort von Agrigento, einen Campingplatz ansteuern wollen, der laut Reiseführer ganzjährig geöffnet haben soll. Mit 40 Km/h rauschen wir diese kleine Straße bergab zum Meer. Danach geht es in leichtem Auf und Ab weiter; jedesmal schauen wir gespannt, ob irgendwo vor uns die ersten Tempelsäulen zu sehen sind. Leider Fehlanzeige; das „Valle dei Templi“, das „Tal der Tempel“, scheint doch noch etwas weiter entfernt zu sein. Dafür finden wir aber recht schnell die Zufahrt zum „Camping Internationale San Leone“. Aber was heißt hier: Zufahrt? „Gehen Sie 300 m hinauf“, steht noch auf dem Hinweisschild. Und wie es hinaufgeht! Mühsam schieben wir unsere schweren Räder hoch; getröstet nur vom Zusatzschild: „Bar-Market-Pizzeria-Selfservice“.

Dann haben wir das große eiserne Tor erreicht und drücken jetzt die Daumen, daß der Platz tatsächlich geöffnet hat. Und so ist es zum Glück auch! Und siehe da: direkt am Eingang befindet sich eine Bar mit überdachten Sitzplätzen. Also parken wir die Räder wie immer schwungvoll davor und lassen uns erschöpft in den Stühlen nieder. Für heute reicht es! Der Tacho zeigt zwar nur etwa 40 Tageskilometer, dafür ging es aber immer wieder mal stark bergauf.

Als der Wirt erscheint, machen wir uns erst einmal über die Preise kundig. Na ja, und die sind zum Glück erträglich: etwas über 10 Mark pro Person für den Campingplatz und 500 Lire für warmes Duschen. Und die haben wir natürlich nach den ersten Fahrttagen mal dringend nötig. Interessant auch die Preise für den an der Bar käuflichen Rotwein: 1 Liter soll 6000 Lire kosten; der Wirt will uns Sonderpreise machen: 10 Liter für 39.000 Lire und 100 Liter für nur 50.000 Lire. Na ja, er kann uns diesen 100 Liter-Preis gut anbieten, weiß er doch genau, daß wir mit unserem Gepäckvolumen da nicht mithalten können. Wir bescheiden uns dann mit 4 Litern, die als Vorrat für die nächsten Tage dienen.

Auch sonst ist der Mann sehr hilfsbereit! Für den Abend können wir bei ihm frisches Gemüse und Brot bestellen. Seine guten Sprachkenntnisse hat er im Umgang mit den vielen deutschen Touristen erlernt, die diesen Platz ganzjährig ansteuern. Viele Deutsche überwintern hier sogar für mehrere Monate – kein Wunder bei „Tiefsttemperaturen“ von +15 Grad! Das können wir uns für später auch vorstellen – wozu im kalten Deutschland sitzen und viel Heizkosten zahlen? Allein mit den eingesparten Heizkosten könnte man über den Winter hier einen Bungalow mieten.

Mit diesen angenehmen Zukunftsgedanken machen wir uns auf, um weiter unten, möglichst dicht am Strand, ein Plätzchen für unsere Zelte zu finden. Leider ist der Platz vom Strand durch einen Zaun und Schilfmatten abgegrenzt. Wir finden eine Terrasse ganz für uns allein und bauen die Zelte auf. Jan und Martin setzen sich dann zu einem Umtrunk an den Strand ab; der Rest macht sich auf in Richtung warme Duschen und – wie könnte es auch anders sein – unsere Damen beginnen mit der großen Wäsche. Es ist doch erstaunlich, wieviel man nach vier Fahrttagen so alles waschen muß! Zum Trocknen wird der ganze Plunder dann in die Zweige der Bäume rings um die Zelte gehängt – eine verhängnisvolle Entscheidung, wie sich binnen 12 Stunden herausstellen wird.

Das Warten auf das bestellte Gemüse verkürzen wir uns wieder bei Eis, Chips und Keksen in der Bar. Mit den vielen frischen Zutaten und dem Rest der gestern eingekauften Nudeln gibt es noch einmal eine abgewandelte Form der Wurstpfanne.

Abends sitzen wir dann noch lange am Strand und schauen den anrollenden Wellen zu. Das Wetter ist kühler geworden; der Wind hat aufgefrischt und alles in allem schaut es gar nicht so gut am Himmel aus.

Tageswerte: 37,4 Km; 2:49 Stunden im Sattel, Durchschnitt 13,25 Km/h


Donnerstag, 2.4.98, 6.Tag

Nun hat das schlechte Wetter erstmals doch zugeschlagen: in den frühen Morgenstunden hat ein heftiger Regen eingesetzt, der uns in den Zelten aber nichts anhaben kann (deshalb drehen wir uns auch ohne Sorgen morgens in den Schlafsäcken nochmals um). So gegen 8 Uhr hört der Regen dann auch wieder auf und es klart schnell auf.

Als die Mädchen aus dem Zelt kommen, müssen sie leider feststellen, daß ihre eigentlich zum Trocknen aufgehängte Wäsche nun pitschnaß ist. Das gibt natürlich ein Problem beim Verpacken! T-Shirts, Slips und Socken müssen malerisch am Lenker und hinten am Ortliebsack zum Trocknen befestigt werden. Jan und Martin bekommen dafür beim morgendlichen Duschen ein Problem: trotz gekauftem Chip will sich kein warmes Wasser einstellen – also muß zähneklappernd kalt geduscht werden.

Die Räder werden oberhalb der Terrasse auf dem asphaltierten Zufahrtsweg gepackt; auf der Terrasse selbst haben wir Probleme mit dem feuchten Sand, der überall, besonders an den nassen Zelten, haften bleibt. Da wir für Innen- und Außenzelt getrennte Packsäcke haben, können wir zum Glück die Innenzelte trocken verpacken. Die Außenzelte müssen halt eben am Abend beim Wiederaufbau abtrocknen. Beim Abbau kommen wir mit einem deutschen Ehepaar ins Gespräch, das schon lange mit dem Wohnmobil auf Sizilien unterwegs ist und noch bis Mai bleiben will.

Nach getaner Arbeit ziehen wir noch einmal zum Strand, um Gott Güpi das versäumte Regenopfer zu bringen. Ja, ja, man darf in dieser Beziehung nicht nachlässig werden!

Beim Abschied macht uns der Wirt noch eine Zeichnung, wie wir am besten in den Ortskern von San Leone kommen können – hier wollen wir unbedingt neue Campinggas-Kartuschen kaufen. Damit wird es leider nichts, denn unser Click-System ist hier anscheinend nicht sehr verbreitet. Aber wir haben ja noch immer unseren Benziner im Gepäck. Dafür treffen wir auf einen großen Supermarkt, in dem wir alles für`s Frühstück bekommen. Das wollen wir aber erst bei den Tempeln zu uns nehmen. Und die sehen wir jetzt auch schon in der Ferne vor uns! Wir halten die Räder an und bewundern die Anlage schon mal von weitem. Jetzt ist natürlich ein Blick in den Reiseführer angesagt:

Nicht unbedingt Badewetter Unser erster Tempel kommt in Sicht Gruppenfoto vor dem Tempel

„Die griechischen Tempel von Agrigento liegen verstreut auf einem langgestreckten, steilabfallenden Hügelrücken unterhalb des heutigen Agrigento. Um 500 v. Chr. wurde der Herakles-Tempel erbaut; ein paar hundert Meter weiter der gleichaltrige Concordia-Tempel. Dieser äüßerst imposante Tempel hat die Wirren der Zeit nur deshalb so gut überstanden, weil er im 6. Jahrhundert n. Chr. zur christlichen Kirche geweiht wurde. Er zählt zu den besterhaltendsten Bauwerken der griechischen Antike und verkörpert die vollendete klassische Form dorischer Sakralarchitektur. Schon Goethe lobte seine „schlanke Baukunst“. Der Trick dabei war, daß die Baumeister der damaligen Zeit die Säulen im unteren Bereich leicht verbreiterten und so dem Tempel trotz seiner Größe zu einer Ausstrahlung von Elastizität und Leichtigkeit verhalfen.

Weiter oberhalb erinnert leider nur noch ein Trümmerfeld an den ehemaligen Zeus-Tempel. Doch auch die Maße dieses Trümmerfeldes sind noch heute imposant: 56 x 112 Meter war der Tempel groß; die Säulen hatten einen Umfang von über 4 Metern! Dieser größte dorische Tempel wurde seinerzeit nach dem Sieg über die Karthager im Jahr 480 v. Chr. errichtet. Doch das Blatt wendete sich! 406 v. Chr. gingen die Karthager als Sieger aus einer weiteren kriegerischen Auseinandersetzung hervor und zerstörten zur Strafe nicht nur den noch nicht ganz vollendeten Tempel, sondern dazu noch gleich die ganze Stadt. Eintritt frei.“


Vor allem der letzte Satz freut uns natürlich! Weniger erfreulich allerdings die Tatsache, daß wir hier nicht allein sind! Je näher wir der Tempelanlage kommen, desto mehr Touristen tauchen auf. Jetzt wissen wir, warum wir unterwegs kaum jemand von dieser Gattung getroffen haben: die wuseln alle hier herum! Reisebus an Reisebus steht auf dem Parkplatz und ein steter Menschenstrom wälzt sich hinauf zu den Tempeln. Wir mit unseren Rädern mittendrin. Vor dem Concordia-Tempel bocken wir die Räder auf und machen uns um 12 Uhr erst einmal an ein ausgiebiges Frühstück. Viele Deutsche und Italiener sprechen uns an und zeigen sich gebührend beeindruckt von unseren Fahrtplänen. Wir, auf der anderen Seite, können uns aber nicht vorstellen, jeden Tag mit dem Bus vom Hotel aus von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit kutschiert zu werden. Und siehe da, diese Busse scheinen einem geheimen Zeitplan zu folgen: nach kurzer Zeit verebbt der Besucherstrom und wir können in Ruhe unsere Fotos vor dem Tempel machen.

Frühstück vor antiker Kulisse Ein hilfreicher Rollerfahrer lotst uns kilometerweit zu einem Übernachtungsplatz Verborgen im Wald

Anschließend schieben wir die Räder noch hinauf bis zum Zeus-Tempel. Hier oben sind wir ganz allein; das war den Bustouristen wohl zu Fuß zu weit! Unsere Damen können es nicht lassen, das Trümmerfeld als Toilette zu nutzen.... . Danach noch einige Kletterpartien in den griechischen und römischen Grabstätten, dann reicht es für heute mit der Kultur. Wir werden auf unserer weiteren Strecke noch auf viele Tempel treffen.

Der weitere Straßenverlauf der SS 115 führt nun fast schnurgerade, leider aber nicht flach (!) an der Küste entlang. Wir haben also bei bestem Wetter (unser morgendliches Opfer scheint Erfolg zu haben) schöne Sicht aufs Mittelmeer und immer wieder auf endlos erscheinende Steigungsstrecken. Unterwegs ein Straßenverkauf von eigenartig aussehenden Gewächsen: wir fahren hin und fragen nach. In bestem Deutsch erklärt uns der freundliche Sizilianer (22 Jahre hat er in Mannheim gearbeitet), daß das wilder Spargel sei, von ihm selbst an den Wegrändern gepflückt. Der Mann stammt aus Montallegro, einem kleinen Ort nicht weit vor uns neben der Strecke. Wir sollen das Dörfchen unbedingt besuchen!

Das tun wir dann auch. An der Bar, vor der wir uns mit kühlen Getränken ausruhen, kommt es mal wieder zu intensiven Begegnungen zwischen unseren Damen und der Dorfjugend auf ihren Rollern. Das wird Svenja und Sarah dann aber zunehmend lästig und Jan und Martin müssen sich mal wieder dazwischendrängeln. Allein wären die beiden hier aufgeschmissen. Inzwischen ist es schon nach fünf; Zeit, sich im Supermarket für den Abend mit Lebensmitteln einzudecken. Im Park spielen alte Männer eine Art Kugelspiel.

Wir verlassen den Ort und werden bei der folgenden Suche nach der Nebenstrecke zum Meer von einem jungen Rollerfahrer angesprochen. Als er hört, daß wir auf der Suche nach einem ungestörten Freicamping-Plätzchen sind, läßt er sich nicht mehr abwimmeln und besteht darauf, uns einen geeigneten Ort zu zeigen. Laut singend fährt er vor uns her und lotst uns immer weiter von der Hauptstraße weg. Uns wird die Sache langsam mulmig! Schließlich erreichen wir ein ausgedehntes Pinienwäldchen. Hier könnten wir ungestört zelten, meint der Junge.

Wir machen noch ein Abschiedsfoto mit ihm (samt Nummer des Rollers) und nehmen seine Adresse auf. Dann verschwinden wir rechts ins Wäldchen, warten aber nur ab, bis der Roller verschwunden ist und fahren dann ein Stück weit in den linken Teil des Pinienhaines. Hier suchen wir uns eine gegen Sicht geschützte Mulde und bauen unsere Zelte auf. Und richtig geahnt: wir sind gerade bei einsetzender Dämmerung beim Kochen unserer Linsensuppe, da nähert sich Motorengeräusch. Unser treuer Rollerfahrer ist wieder da und hat noch ein paar Kumpel mitgebracht! Tja, nur leider suchen sie an der falschen Stelle nach uns! Sie fahren zwar auch in unseren Waldteil, können aber bei der inzwischen hereingebrochenen Dunkelheit mit den Rollern nicht tiefer zwischen die Bäume eindringen. Wir beobachten von unserem Hügel die hin- und herfahrenden Scheinwerfer und verhalten uns ruhig. Dann herrscht wieder Stille und wir verbringen eine ungestörte Nacht.

Tageswerte: 47,97 Km; 4:27 Stunden im Sattel; Durchschnitt 10,72 Km/h


Freitag, 3.4.98, 7.Tag

Wir werden von der aufgehenden Sonne zwischen den Bäumen und lautem Vogelgezwitscher geweckt. In aller Ruhe wird zunächst gefrühstückt und danach abgebaut. Von hier aus bis zum Meer sind es nur wenige hundert Meter. Wir fahren also hin und stehen mal wieder an einem einsamen Sandstrand. Ganz in der Nähe kreuzen vor einem Felsen Fischerboote, deren weiße Segel sich vom Blau des Wassers und des Himmels abheben. Dort muß sich auch schon die nächste Tempelanlage befinden.

Für uns heißt es nun aber erst einmal, kräftig in die Pedalen treten. Jeden einzelnen Meter der 5 Kilometer langen Strecke, die wir gestern, von Montallegro kommend, zum Meer runtergefahren sind, müssen wir heute erst einmal wieder hinauf. Das geht zwar nur langsam, aber beständig voran. Bald erreichen wir einen einsam gelegenen Brunnen, der uns mal wieder eine ausgiebige Wäsche erlaubt. So erfrischt rollen wir nochmals ins morgendliche Montallegro ein. Wir müssen hier mal dringend den Bankomat plündern. Das verbinden wir gleichzeitig mit einem zweiten Frühstück in der Bar: hier gibt es leckere Paninis, mit Käse überbacken und im Ofen heißgemacht. Zum Essen setzen wir uns nach draußen und schauen dem morgendlichen Treiben zu; wir wiederum (oder nur unsere Damen?) werden beobachtet von jungen Bauarbeitern über uns, die auch gerade Pause machen.

Nach einigen freundlichen Grüßen machen wir uns dann gutgelaunt an die neue Tagesetappe. Das Schöne an unserer diesjährigen Fahrt ist, daß wir keine festen Stellen haben, die wir abends erreichen wollen. Wir lassen uns halt so treiben, wie es kommt. Am frühen Vormittag erreichen wir eine kleine Kreuzung, an der es links abgeht zu den Ruinen von Eraclea Minoa. Marianne leist dazu aus dem Reiseführer vor:

„Über schneeweißen Kreidefelsen liegen die Ruinen des antiken Eraclea Minoa. Die Stadt wurde im 6. Jahrhundert v. Chr. von Siedlern aus Selinunt gegründet. 500 Jahre später zerstört, fiel Eraclea Minoa der Vergessenheit anheim. Die 1907 begonnenen Ausgrabungen brachten wertvolle Ruinen zum Vorschein. Neben Resten der Befestigungsanlagen, einem Wohnviertel und einem kleinen Museum beeindruckt vor allem das griechische Theater. Eintritt frei.“

Es gibt eine kurze Diskussion, ob wir uns das ansehen wollen. Interessant wäre es ja schon – aber dann ein Blick auf die Karte: das Ziel läge direkt am Meer – und das würde wieder – wie heute morgen – eine steile Abfahrt hinunter bedeuten und anschließend alles wieder umgekehrt bergauf. Außerdem haben wir die ganze Anlage schon von einem WDR-Film zu Hause auf Videoband; wir könnten uns alles also später bequem im Sessel anschauen.... . Ergebnis der Diskussion: wir lassen Eraclea „links liegen“ und fahren weiter nach dem Motto, frei nach Wilhelm Busch: „Schön ist es auch anderswo und hier sind wir sowieso“.

Am Strand bei Eraclea Minoa Nur nicht drängeln - wir haben Zeit genug Elvis zur Pause

Kurz darauf werden wir von einer Schafherde aufgehalten; wir zockeln gemütlich hinterher und freuen uns am Geläut der vielen Glocken. Inzwischen ist es mal wieder recht heiß geworden. Da kommt uns eine Bar am Straßenrand gerade recht! Elvis prangt in Überlebensgröße von der Fassade; wir genehmigen uns ein kühles Eis, das wir im Schatten der Palmen vor der Bar genießen. Wenige Kilometer weiter machen wir dann zum ersten Mal auf der Tour wegen der Mittagshitze eine Siesta. Wir machen es uns auf dem Randstreifen im Schatten einiger Bäume gemütlich und warten ab, bis die ärgste Mittagshitze vorbei ist. Gegen drei Uhr fahren wir dann weiter und erreichen bald eine Aussichtsplattform oberhalb der Hafenstadt Sciacca und treffen hier auf italienische Pfadfinder! Und hier müssen wir bei Sarah nun Erste Hilfe leisten. Ihre Sonnenallergie hat inzwischen größere Ausmaße angenommen. Bislang hat sie immer aus der Medikamententasche eine Creme auf die Bläschen geschmiert; Tage später werden wir feststellen, daß es sich dabei um eine Rheumasalbe handelte, und nicht um die richtige Allergiesalbe, die natürlich auch im Set vorhanden ist. Wir verbinden ihr die Knie und sie muß ab jetzt wohl oder übel lange Hosen tragen.

Am Hafen von Sciacca Fischausbeute am Hafen von Sciacca

Steil hinunter geht es nun nach Sciacca; und dort gleich weiter zum Hafen. Und hier ist vielleicht was los! Die Fischerboote sind anscheinend gerade mit ihrem Fang eingetroffen, und überall wird heftig gefeilscht und gehandelt. Wir schlendern zwischen den zum Kauf ausgestellten Meeresfrüchten herum und wundern uns, was es doch im Meer alles so zu fangen gibt. Nicht, daß es uns großen Appetit machen würde! Den wollen wir lieber im Supermarkt stillen – aber die haben bis 5 Uhr ja leider alle zu. Und so lange wollen wir nicht mehr warten – bis wir außerhalb der doch recht großen Hafenstadt einen passenden Zeltplatz finden, werden wir noch einige Kilometer fahren müssen. Ein Italiener hat uns beobachtet und bemerkt, daß wir die Ausfallstraße nicht ohne Probleme finden würden. So bietet er uns spontan an, uns mit dem Wagen durch die engen Gassen hinauszulotsen. Dieses Angebot nehmen wir dankbar an – auch, wenn wir kräftig in die Pedale treten müssen, um Anschluß zu halten. Es ist aber auch ein ungleiches „Rennen“: selbst ein PKW mit „nur“ 20 Km/h gegen schwerbepackte Radfahrer, die schon ein Tagespensum hinter sich haben. Die Mannschaft zieht sich dementsprechend auseinander, hält aber untereinander glücklicherweise immer Sichtkontakt. Dann haben wir es endlich geschafft: Sciacca liegt hinter uns; wir bedanken uns bei unserem freundlichen Helfer, der lange in Siegen gelebt hat, und haben mal wieder hautnah erfahren, was südländische Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft bedeutet! Soweit zu unseren nordländischen Vorurteilen gegenüber „Sizilien und Mafia“!!

Stark bergauf führt unsere weitere Route; allerdings abseits der vielbefahrenen 115. Mag sein, daß sie ebener verläuft – wir haben dafür aber eine fast unbefahrene Straße für uns ganz alleine. Baustellenschilder haben uns allerdings unmißverständlich gewarnt, daß die Straße gesperrt sei – na, für Räder dürfte das aber kein Problem sein.

Jetzt brauchen wir nur noch einen passenden Lagerplatz. Unter uns windet sich in Serpentinen eine stillgelegte Bahnstrecke; schon ohne Gleise – das wäre zur Not was – allerdings von allen Seiten gut einsehbar. Und dann dämmert uns langsam, daß wir noch ein weiteres Problem haben: wir haben es versäumt, rechtzeitig Trinkwasser zu fassen! Und ohne Trinkwasser kein warmes Abendessen (vom Durst ganz zu schweigen). Abhilfe tut Not! Also halten wir am ersten Haus, an dem wir vorbeikommen an und schellen. Ein altes Ehepaar erscheint, und wir schildern in bestem Italienisch unser Logistikproblem. Und wieder einmal ein Beweis sizilianischer Gastfreundschaft: obwohl die Familie selbst anscheinend keine Wasserversorgung über eine Leitung hat, füllt sie uns bereitwillig alle Wasserflaschen und unseren Wassersack von einem Kanister ab. Dazu gibt es noch die besten Wünsche für unsere weitere Tour! Wir sind dankbar!

Trinkwasser bei hilfsbereiten Sizilianern Ein Lagerplatz wie auf dem Präsentierteller

Nach ein paar Kilometern senkt sich die Straße hinab in ein tief eingeschnittenes Tal. Der folgende Gegenanstieg gibt den Ausschlag für unsere Entscheidung: hier werden wir irgendwo übernachten. Aber wo? Alles scheint bewirtschaftet zu sein. Neben der Straße ein tiefer Graben, dahinter in einiger Entfernung ein weites Weinfeld, auf dem gerade die Drähte gespannt werden. Aber dazwischen ein etwa 50 Meter breiter Brachlandstreifen. Sollen wir, oder sollen wir nicht?

Wir wollen! Problem 1 ist der tiefe Straßengraben, der mit vereinter Hilfe schnell überwunden ist. Problem 2 dann die vielen Disteln auf dem Brachland – hier hilft nur vorsichtiges Schieben der Räder. Na ja, weit müssen wir ja nicht. Wie auf dem Präsentierteller liegt unser heutiger Lagerplatz! Nun gut, die Landarbeiter winken uns freundlich zu, als wir uns häuslich niederlassen – wir wollen mit dem Zeltaufbau allerdings noch warten, bis es dämmrig wird. Danach ist uns alles egal! Also beginnen wir zuerst mit der Zubereitung des Abendessens. Pasta Primavera, eine neue Aldi-Kreation, steht auf dem Speiseplan. Und während wir so um den Brenner herumsitzen und der untergehenden Sonne zuschauen, taucht Problem 3 auf: wir haben es total versäumt, uns ein wenig mit Wein oder dergleichen einzudecken! Ein halbes Tässchen Rosso steht jedem zur Verfügung. Na ja, Wasser mit einer Vitamintablette tut`s zur Not auch. Und durstig sind wir heute Abend – oder besser ausgedrückt: richtig ausgedörrt! Das war unser erster Tag unter einer wirklich prallen Sonne. Und dementsprechend geschwitzt haben wir natürlich. Der Körper verlangt am Abend jetzt nach der ausgeschwitzten Flüssigkeit.

Nach dem Sonnenuntergang wird es schnell merklich kühler und wir ziehen uns bald in die Schlafsäcke zurück. Schnell bricht die Dämmerung herein und wir sind nun auch von der Straße her mit den grünen Zelten nicht mehr sichtbar.

Tageswerte: 57,63 Kilometer; 4:25 Stunden im Sattel; Durchschnitt 13,02 Km/h Gesamtkilometer bis jetzt: 292,93 Km; Gesamthöhenmeter bergauf: 2720 m; bergab: 2662 m


Samstag, 4.4.98, 8. Tag

Wieder ein schöner Tag, wieder ein früher Tagesbeginn (kein Wunder bei der kräftig ins Zelt scheinenden Sonne). Pünktlich zum Sonnenaufgang gibt es den ersten Kaffee. Wir genießen ihn, noch im Schlafsack sitzend, um 7:15 Uhr. Um halb neun ist alles schon wieder abgebaut und auf den Rädern verstaut; jetzt müssen wir nur noch die beiden Pfeile auf der Straße nach Menfi überwinden und uns von 30 m bis zum Ort auf 120 m hocharbeiten. Mit den noch frischen Kräften ist das in der angenehmen morgendlichen Kühle aber kein Problem.

In Menfi treffen wir gleich auf einen „Standa“-Supermarket. Beim Einkauf werden wir von einem Sizilianer angesprochen, der im Winter in Leverkusen lebt und im Sommer mit seinem Servicefahrzeug im Auftrag des „Standa“ für Touristen kostenlose Pannenhilfe anbietet. Er gibt uns seine Telefonnummer und bietet uns auf ganz Sizilien seine Hilfe bei eventuellen Schwierigkeiten an. Ein deutsches Ehepaar rät uns danach zwar ab, in den Ort zu fahren, da dort absolut nichts los sei – wir fahren dennoch hinein und finden einen wunderschönen Park, in dem wir uns unter den schattenspendenden Palmen für`s Frühstück häuslich niederlassen.

Mittlerweile ist es schon später Vormittag; wir müssen uns beeilen, in den nächsten Ort namens Campobello di Mazara zu kommen – wer weiß, wann die Geschäfte für`s Wochenende schließen? So legen wir die nächsten 25 Kilometer auf einer kleinen, verkehrsarmen Nebenstraße in flotter Fahrt zurück und werden Dank einer guten Wegbeschreibung einer freundlichen Sizilianerin am Dorfeingang auch sicher zum Obst- und Gemüseladen mitten im Zentrum geleitet. Das Gemüse brauchen wir dringend für das abendliche Gulasch.

Wieder machen wir Siesta; diesmal im Park von Campobello; mitten im Zentrum gelegen. Wir dösen ein wenig auf den Parkbänken und werden zwischendurch immer mal wieder angesprochen. Von einem alten Mann bekommen wir ein paar Tips über Höhlen und einen alten Steinbruch in der Nähe, den wir uns unbedingt anschauen sollen.

Nach der Siesta schauen wir uns die Karte genauer an und beschließen, heute einen Umweg zu fahren und nach Süden zur Küste abzuweichen. Dort müßte man doch eigentlich einen schönen Lagerplatz finden können. Und bei der Weiterfahrt kommt es dann auf schnurgerader Strecke (!) zum ersten Unfall unserer Fahrt: Marianne entdeckt endlich das schon lange gesuchte Motiv für ein schönes Foto: einen knorrigen, alten Olivenbaum. Die hinter ihr fahrenden Mädchen hören aber nicht ihren Hinweis auf`s Abbremsen und prallen in voller Fahrt auf ihr Rad. Das Ergebnis läßt sich sehen: Svenja hat sich die Hand beim Sturz verstaucht; Sarahs Lenker ist verbogen und das Schutzblech schleift; dazu ein paar Quetschungen am Oberschenkel. Martin hat es gerade noch geschafft, um die ineinanderverkeilte Truppe herumzuziehen. Die kleinen Schäden sind aber schnell wieder behoben, und nachdem der erste Schreck vorbei ist, können wir problemlos weiterfahren.

Wir machen noch einen kurzen Abstecher zum beschriebenen Steinbruch; hier wurden vor 2000 Jahren die großen Säulen für die Tempel gewonnen; halbfertige Säulen liegen noch malerisch in der Gegend herum. Das kennen wir aber auch schon von den Filmen her.

Nach kurzer Weiterfahrt erreichen wir dann das winzige Hafenörtchen Granitola-Torretta. Der Wirt in der Bar „Canada“ gibt uns den entscheidenden Tip für den abendlichen Lagerplatz: nicht weit vom Ort entfernt, befindet sich „il Faro“, ein Leuchtturm. Dort würde öfter mal gecampt. Und was noch schöner ist: zur Bar gehört ein Alimentari, der auch am morgigen Sonntag geöffnet hat und frisches Brot liefern kann.

Trotz der Winzigkeit des Ortes schaffen wir es, uns zu verfahren. Eine alte Frau weist uns schließlich den richtigen Weg. Unterwegs zum Faro müssen wir eine riesige Pfütze, fast schon eine Furt, mit den Rädern durchqueren. Und dann landen wir auf einer phantastischen Blumenwiese mit soviel Blumen, daß die ganze Wiese violett erscheint. Ein guter Lagerplatz; allerdings müssen wir hier auch höllisch auf Kleinteile wie Häringe oder Taschenmesser aufpassen, damit sie nicht auf Nimmerwiedersehen im Blumenteppich verschwinden. Nun gut, ein wenig windig ist es hier auch – aber das werden die Zelte problemlos aushalten. Gekocht wird wegen des starken Windes im Vorzelt; mit einem Kilogramm Zwiebeln, jeder Menge Paprika und zwei deutschen Fleischdosen entsteht ein randvoller Topf Gulasch; dazu gibt`s Tortellini.

An diesem Abend ein Lagerplatz in einer gigantischen Blumenwiese Hinunter zum Leuchtturm von Granitola Sonnenuntergang am Leuchtturm von Granitola

Um 19 Uhr machen sich Jan und Sarah nochmals auf zur Bar, um für Nachschub zu sorgen. Danach sitzen wir am Strand und können endlich mal einen Sonnenuntergang im Meer miterleben. Die beiden Mädchen malen zwischenzeitlich noch Grüße an die Daheimgebliebenen in den Sand.

Mit dem Sonnenuntergang wird es dann aber auch empfindlich kühl; dazu der Wind. Schon gegen 20:15 Uhr liegen wir daher in den Schlafsäcken und lesen noch etwas.

Tageswerte: 51,32 Km; 3:47 Stunden im Sattel; Durchschnitt 13,53 Km/h; Max: 54,8 Km Gesamthöhenmeter bergauf: 3170 m; bergab: 3124 m (werden wir als Gesamthöhe den Mount Everest schaffen?)

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