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Montag, 12.10.98, 11. Tag

Das gute Wetter treibt uns zeitig aus den Zelten. Am Horizont ziehen erste Wolken auf, und wir wollen für den letzten Teil der Strecke das trockene Wetter so lange wie möglich nutzen. Bald dampft der Wasserkessel und wir genießen den heißen Kaffee.

herrlicher Morgen auf dem Poggio Valcagora


Wir bauen ab und machen uns dann in Kleingruppen auf den Weg. Der ist auch nicht zu verfehlen - wir müssen nur einer Art Treckerspur folgen, immer den Hang hinauf. Gut, daß wir gestern noch wenigstens bis zu Vor-Kuppe aufgestiegen sind - sonst hätten wir heute gleich zu Beginn einen tollen Anstieg gehabt.

So bleibt es erträglich und schon bald stehen wir oben auf dem Poggio Valcagora (1473 m). Und im nächsten Sattel verlassen wir wieder die Provinz Marken und betreten erneut umbrisches Gebiet. Es folgt ein Finale, wie es schöner nicht sein könnte: bestes Wetter und ein mehr oder weniger leichtes Auf und Ab! Die Namen der nun zu überschreitenden Gipfel zergehen einem auf der Zunge: Monte La Bandita (1563m), Colle Ramacete (1636m), Monte Prata (1652m), Monte Colventoso (1725m) und Monte Fausole (1753m). Unterwegs treffen wir auf einen Wagen der CF, vom Comando di Norcia, die uns schon seit zwei Tagen gesucht haben! Sie sind froh, daß mit uns alles in Ordnung ist und wollen am nächsten Tag in Castelluccio wieder vorbeischauen, um uns auf den Monte Vettore zu begleiten. Unterwegs machen wir mehrmals Rast und genießen den tollen Rundblick. Heute läuft es sich fast von allein!

Rast nach dem ersten Tagesanstieg am Monte La Bandita


Und nach einem letzten Anstieg hoch zum Monte delle Rose (1861m) ist es geschafft: vor uns liegt in voller Größe der Monte Vettore, König und Hauptgipfel der Monti Sibillini, 2476 m hoch. Ihn wollen wir morgen, wenn sich das Wetter hält, sozusagen als Krönung der Tour, besteigen!

Der Monte Vettore liegt fast greifbar nahe


Nach einer letzten Rast laufen die Füße dem Ziel wie von alleine entgegen


Nach einer letzten Rast geht es oberhalb des Piano Grande, einer beeindruckenden Hochebene, entlang hinab bis auf 1452 m nach Castelluccio. Acht Wandertage liegen hinter uns; wir sind ein wenig erschöpft aber auch stolz auf unsere Leistung! Zusammen mit den vorher in Deutschland erarbeiteten Geldern haben wir durch diesen Marsch 5.000.000 Lire, also 5400,-DM erwandert! Zufrieden sitzen wir vor der Bar in der Abendsonne!!

Die Bar in Castelluccio - ein dankbar angenommerer Ort nach dieser langen Wanderstrecke


Nach einer ausgiebigen Rast suchen wir unsere Herberge: Franco hat hier in Castelluccio für zwei Nächte in einem Agriturismo Zimmer für uns vorbestellt - nach so vielen Tagen im Zelt wollen wir uns ein weiches Bett gönnen, vor allem aber heiße Duschen!

Nachdem die Zimmer eingerichtet sind, ziehen wir auf einem ersten Rundgang durchs Dorf, ehe wir uns alle zum Essen in der Taverne von Guiseppe treffen. Heute bleiben die Gasbrenner kalt - Guiseppe`s Angebote wollen wir nicht verschmähen!


Dienstag, 13.10.98, 12. Tag

Was soll man schon von einem 13. erwarten? Als wir um sechs Uhr aufwachen, hängt ein Gewitter über Castelluccio; der gesamte Monte Vettore ist in den Wolken verschwunden! Doch gegen acht Uhr sind davon nur noch ein paar Wölkchen übrig - einer Tour zum Gipfel scheint also nichts mehr im Wege zu stehen.

Immerhin fünf Leute aus der Gruppe wollen die Gelegenheit dazu nutzen; der Rest will lieber einen Ruhetag einlegen. Als die Fünf aber vor die Tür treten, werden sie vom draußen tobenden Sturm fast umgeworfen! In der Bar wird dennoch kurz gefrühstückt und auf die CF gewartet. Die kommen aber erst gar nicht, weil sie wohl annehmen, daß wir ja doch nicht hoch wollen. Als die Einheimischen von unserem Plan hören, raten sie uns eindringlich ab - oben auf dem Grat sei es heute zu windig und für eine Überschreitung zu gefährlich.

Natürlich folgen wir diesen Ratschlägen; wollen aber zumindest bis zur Forca Viola, etwa auf 1800 m, aufsteigen. Gut gegen die Kälte und den Wind gewappnet, machen wir uns auf den Weg durch die "Colli Bassi e Alti" (die "hohen und niedrigen Hügel").

Unterwegs haben wir noch eine merkwürdige Begegnung mit einer seltsam gekleideten Frau, die gut als die der Sage nach hier lebende Zauberin Sibylle durchgehen könnte. Sie will uns aber nicht verzaubern, sondern hat eher an Zigaretten Interesse, mit denen wir aber nicht aushelfen können. Wir erreichen zwar nicht ganz die Forca, werden dafür aber mit ungewohnten Blickwickeln auf Castelluccio und das Piano Grande belohnt.

Wenigstens ein Stück weit sind wir an den Vettore herangekommen


Oben sitzen wir, die Kapuzen der Jacken gegen den schneidenden Wind über die Ohren gezogen, im Gras und machen Brotzeit. Schade, in diesem Jahr haben wir es also wieder nicht auf den Gipfel geschafft - das bleibt nun einer dritten Tour überlassen.

Lange schauen wir dem Spiel von Licht und Schatten über den steilen Hängen des Monte Vettore zu; die Wolken ziehen mit enormer Geschwindigkeit über den Grat und lassen den dort oben herrschenden Sturm erahnen.

Auf dem Rückweg treffen wir kurz vor Castelluccio auf eine andere Kleingruppe, die das schöne Wetter zu einem Gang hinunter ins Piano Grande gelockt hat. Zurück im Dorf lassen wir uns auf der Terrasse einer Bar nieder und haben von dort, im Windschutz sitzend, einen guten Überblick über die Tiefebene und Castelluccio.

"Dieses Dorf, das heute höchstgelegene bewohnte Dorf Italiens, zählte 1973 noch 350 Einwohner. 1993 waren es gerade noch 140 - im Winter sogar nur 30., vorwiegend Alte. Sie stehen herum, reden, gestikulieren, spielen Karten und schauen, was sich so alles draußen vor der Bar tut. Keine Spur von Hektik. Es ist eine eigene, archaisch anmutende Welt."

Zum Abendessen geht es natürlich wieder zu Guiseppe. Die Wirtin kennt uns inzwischen, wir haben ihr unsere Geschichte erzählt und haben jetzt bei ihr einen "Sonderbonus". "Pane e Coperto" werden nicht berechnet. Wir genießen bei ihr alle möglichen Spezialitäten, die für Castelluccio typisch sind, natürlich auch die Linsen. Die Rechnung wird dann der Einfachheit halber direkt auf der Papiertischdecke aufgeschrieben.


Mittwoch, 14.10.98, 13.Tag

Heute werden wir nach Colle zurückkehren. Natürlich nicht wieder zu Fuß, sondern bequem per Bus. Da ab Castelluccio nur 3 mal in der Woche ein Bus fährt, hilft uns beim Transport die italienische Regierung. Sie hat einen Reisebus gechartert, der uns um 10 Uhr abholen wird.

Nun heißt es, die Zimmer zu räumen und alles sauber zu machen. Schnell noch eine letzte heiße Dusche; dann werden auch schon die Rucksäcke nach draußen transportiert. Wieder mal bestes Wetter; wir können im Freien frühstücken. Franco hatte uns noch einen dritten Sack zum Agriturismo gebracht. Jetzt sind die meisten unserer Vorräte aufgebraucht; der Rest ist für die letzten Tage in Colle und Assisi bestimmt.

Und weil der Friedhof von Castelluccio direkt nebenan liegt, statten wir ihm nach dem Frühstück noch einen kurzen Besuch ab. Wir haben schon auf unserem Marsch öfter bemerkt, daß in Italien Gräber anders als bei uns angelegt werden. Seit unserem letzten Besuch vor drei Jahren sind inzwischen viele Gräber neu "besetzt". Nach einigem Suchen finden wir das Grab von Giovanni Bertoni, der gerade zu Grabe getragen wurde, als wir 1995 in Castelluccio eintrafen.

Nach einem letzten Gang durch das morgendliche Castelluccio steht unten bereits der Bus bereit. Es gibt ein letztes Gruppenfoto vor der Bar, dann geht es los. Im Bus sitzend, fliegen die Kilometer nur so vorbei. Zuerst fahren wir durch das Piano Grande, dann über einen Paß und steil hinunter nach Norcia.

Nach etwa zwei Stunden haben wir Foligno erreicht und biegen ab auf die Via Flaminia nach Norden. Dann kommt schon Nocera Umbra; diese Gegend kennen wir inzwischen recht gut. An der Tankstelle unten an der Hauptstraße steigen wir aus; ein letztes Mal heißt es die schweren Rucksäcke schultern. Im Blumengeschäft kaufen wir noch einige Topfblumen, um uns bei Corinna, der Frau aus Colle, die uns zum Essen eingeladen hatte und natürlich bei Gabriella zu bedanken.

Auf "unseren" Terrassen bei Franco schlagen wir dann noch einmal die Zelte auf; morgen früh werden wir auch hier Abschied nehmen müssen. Jetzt haben wir erst einmal frei bis zum Nachmittag. Dann sind wir in der Gemeindeverwaltung zu einem offiziellen Empfang verabredet. Hier soll das neue Begegnungszentrum auf den Weg gebracht werden und wir sollen von unserem Projekt berichten.

Jetzt, wo die Strapazen des Marsches überstanden sind, kommen uns die Ereignisse unterwegs fast schon als Vergangenheit vor: die Regennacht auf dem Monte Alago; der Nebel am Monte Cavallo; die vielen mühseligen Anstiege mit dem schweren Gepäck. Nun liegen wir entspannt in der Sonne, lassen uns bräunen und kochen in aller Ruhe. Ein Leben wie Gott in Frankreich. Scusi - natürlich wie in Italien!

Wieder zurück in Colle


Nachmittags werden wir dann mit mehreren Autos nach Nocera Umbra gefahren. Hier warten wir eine Zeitlang vergeblich auf zwei Minister, ehe wir auf den Stühlen im großen Sitzungssaal Platz nehmen. Martin darf vorne zwischen den "Offiziellen" sitzen; muß dafür aber auch eine Rede halten.

Unter den Augen der Presse und des Fernsehens berichten wir über unser Solidaritätsprojekt. Anna und Janine überreichen dann einen symbolischen Scheck über 5.000.000 Lire. Der Bürgermeister der Gemeinde Nocera Umbra dankt uns. Wir erhalten als Zeichen der Anerkennung das Wappen der Gemeinde in Form einer silbernen Lilie sowie zwei frisch erschienene Bücher, die die Schönheiten der Gemeinde und ihrer Ortschaften zeigen. Wir versprechen, in unserer Gemeinde über unsere Erlebnisse zu berichten; vor allem aber innerhalb unseres Pfadfinderverbandes. Colle eignet sich wirklich gut für Reisen nach Umbrien; von hier aus sind alle Möglichkeiten gegeben.

Zurück im Camp lädt uns Franco für den Abend zu einer Abschlußfeier in seinen Keller ein. Wir machen schon mal alles für die Nacht fertig und ziehen ein letztes mal nach Colle hinab. Es ist unser letzter Abend hier - ein wenig Wehmut kommt schon auf, als wir draußen auf den Stufen vor dem Alimentari sitzen. In diesem Gebäude soll in den beiden oberen Stockwerken das Zentrum eingerichtet werden, für das wir gelaufen sind. Franco hat den Leitern bereits die Räumlichkeiten gezeigt. Er hofft, daß im Frühjahr die Einweihung stattfinden kann.

Der Abend bei Franco im Keller bringt dann den Höhepunkt des Tages: Franco hat mit Hilfe einiger Freunde für uns eine große Feier vorbereitet. Über dem offenen Feuer werden Würste gegrillt; dazu gibt es frisch geröstetes Brot, mit Knoblauch und Salz eingerieben und mit Olivenöl beträufelt. Dazu natürlich Wein aus einer großen Flasche. Es wird ein lustiger Abend..... .


Donnerstag, 15.10.98, 14.Tag

Trotz der etwas längeren Abendgestaltung sind wir so gegen 8 Uhr bereits munter. Für halb zehn haben wir uns mit Franco verabredet wegen des Gepäcktransportes und für die Fußkranken, die per Wagen nach Assisi transportiert werden sollen. Die Durchquerung unseres dritten umbrischen Nationalparks, des "Parco del Monte Subasio", liegt heute noch vor uns.

1991 sind wir mit acht Leuten den Weg von Colle nach Assisi schon einmal gewandert, damals mit vollem Gepäck und auf zwei Tage verteilt. Heute wird es nur das erste Teilstück von Colle bis zur Teerstraße 6 Kilometer vor Assisi sein - das müßte ohne Gepäck in einer einzigen Tagesetappe zu schaffen sein. Nun, trainiert sind wir ja weiß Gott genug!

Die richtige Lust zum Frühstück scheint niemand zu verspüren - das bereitgestellte Knäckebrot samt der spärlich gewordenen Wurst- und Marmeladenvorräte weckt nur wenig Begeisterung. Lediglich der Wasserkessel wird immer wieder für einen zweiten oder dritten Cappuccino oder einen letzten Kakao aus dem persönlichen Vorrat aufgefüllt. Wir beschließen, unser "richtiges" Frühstück ein letztes Mal auf dem Platz in Colle einzunehmen.

Das Wetter könnte für den Zeltabbau und den letzten Marsch besser nicht sein: fast wolkenloser Himmel mit dem Versprechen auf einen regenfreien Tag.

Nach und nach kommen die Rucksäcke aus den Zelten zum Vorschein und es beginnt ein fast wehmütiges Packen - in wenigen Stunden werden wir Colle ein zweites Mal, diesmal endgültig, verlassen haben. So zwischendurch stellt sich heraus, daß doch nicht alle mit nach Assisi laufen wollen: übrig bleiben zuletzt nur noch die beiden Florians, Friedhelm, Thomas, Jan B., Christoph, Marianne und Martin. Diese Wanderer müssen sich nun gut überlegen, was alles mit in den Tourenrucksack soll, und was eventuell, wie z.B. der Schlafsack oder die Isomatte, für den Transport im Seesack verstaut werden kann. Trotzdem sind auch die abgespeckten Rucksäcke immer noch beachtlich schwer - schon allein deshalb, weil wegen des warmen Wetters natürlich ausreichende Wasservorräte eingepackt werden müssen. Ein letzter Gang zum Waschhaus; dann wird noch einmal der Platz abgesucht auf liegengebliebenen Abfall oder gar Ausrüstungsteile. Danach geht es hinunter zu Francos Haus.

Zu unserer Überraschung hat er noch eine Wanderkarte für das Gebiet parat - wir wollten uns ansonsten von der großen Wandkarte unten im Haupthaus die Route notdürftig abzeichnen. Franco schlägt auch vor, die ersten Kilometer mit dem Wagen bis nach Lanciano, einem kleinen Weiler am Fuße des Monte dei Cani, zu fahren. Dies erscheint uns recht günstig, da wir damit wiederum die ersten Kilometer reiner Teerstraße ab Colle vermeiden können. Auf der Motorhaube seines Wagens wird die Karte ausgebreitet und eingehend studiert: ja, wir werden bei der 91er-Strecke bleiben! Sie ist als Wanderweg auf der Karte rot markiert und endet gut 300 Höhenmeter tiefer als der Ausgangsort Lanciano, auf der Straße von Assisi nach Gualdo Tadino. Gleichzeitig zeigt die Karte aber auch, daß wir von Lanciano aus erst einmal gut 200 Meter aufsteigen müssen! Massimo steht mit seinem Rucksack auch schon bereit und wird uns begleiten.

Leider wartet nun auch schon der Kleinbus der Gemeinde. Wir trollen uns also im Schnellgang hinunter nach Colle und kaufen ein letztes Mal hier ein: Mortadella, Prosciutto, burro e birra (Wein haben wir noch vom Einkauf am Vorabend in den Flaschen). Auch letzte Süßigkeiten wechseln noch rasch den Besitzer und nach einer freundlichen Verabschiedung durch die Ladenbesitzerin klettern wir in die beiden Autos, natürlich nicht ohne uns vorher von Leopoldo verabschiedet zu haben. Ihn werden wir wohl erst als "Erwachsenen" wiedersehen! Franco und Gabriella werden dagegen morgen noch einmal nach Assisi kommen, um uns auf der Fahrt zum Monte Peglia zu begleiten.

Wir kurven durch Colle hinunter zur Hauptstraße und überqueren sie. Vorbei an der riesigen Kühlgeräte-Fabrik geht es etwa drei Kilometer über die kleine Teerstraße, die wir seinerzeit bei Regenwetter gelaufen sind - heute aber noch mit dem traurigen Unterschied, daß die meisten der vereinzelt stehenden Häuser starke Erdbebenschäden aufweisen. Marianne und Martin erkennen viele Punkte von damals wieder: ein kleiner Bildstock am Wegesrand, bei dem endlich die Regenponchos ausgezogen werden konnten, eine Scheune, an der Rast gemacht wurde.

Dann windet sich ein kleines Sträßlein weiter hinauf bis auf 676 m Höhe: Lanciano! Beim Aussteigen werden wir schon vom Ortsvorsteher begrüßt, der uns einlädt, nach dem Frühstück sein Dorf zu besichtigen. Ein vorbeifahrender Trecker hat eine volle Ladung frisch geernteter Weintrauben auf dem Hänger: wir werden eingeladen, zuzugreifen. Der Ortsvorsteher verabschiedet sich von uns, nicht ohne vorher eine Flasche vom eigenen Weißwein herbeigeholt zu haben. Dazu ein Pappbecher. Er erklärt uns, hier sei es Sitte, daß alle gemeinsam aus einem Becher trinken würden - nun, damit werden wir auch keine Probleme haben!

Rast in Lanciano vor der letzten Etappe nach Assisi


Dann verabschieden sich auch Franco und der Gemeindefahrer und wir bleiben allein zurück. Vor einem idyllisch mit Blumen und Pflanzen geschmückten Haus breiten wir nun unser mitgebrachtes Frühstück aus. Wir sitzen gegen die warme Hauswand gelehnt und genießen die warme Oktobersonne. Wie wird es wettermäßig jetzt wohl in Deutschland aussehen? Ob uns jetzt am Telefon wohl einer glauben würde, wie wir hier schwitzen?

Eine Katze hat sich inzwischen zu uns gesellt. Nachdem sie eine zeitlang mit der herunterbaumelnden Messerkette gespielt hat, läßt sie sich von uns gerne mit Schinken und Mortadella verwöhnen. An diesen Tag wird sie sicher noch lange zurückdenken!

Danach steht der Rundgang durch`s Dorf an. Schon von weitem können wir die erheblichen Schäden sehen, die das Erdbeben auch diesem Dorf zugefügt hat: halb eingestürzte Häuser; andere mit breiten Rissen. Überall die Warnschilder: Einsturzgefahr. Dazwischen aber auch immer wieder völlig intakte und dementsprechend auch bewohnte Häuser. Und immer wieder ein freundliches "buon giorno!"

Inzwischen hat die Sonne bald ihren Höchststand erreicht - es wird fast schon unangenehm warm. Gleich zu Beginn der Tour ist nun eine schwierige Wegentscheidung zu treffen: folgen wir der Empfehlung des Ortsvorstehers, der uns rechts den Berg hochschicken wollte, oder lieber unserem "Karteninstinkt" und den doch etwas vagen Erinnerungen an 1991? Dann müßten wir uns links entlang halten. Die Karte jedenfalls zeigt den rot markierten Wanderweg auf der "Dorf-Ausfallstraße". Und für diese Variante entscheiden wir uns schließlich.

Die Rucksäcke werden geschultert und schon geht`s gleich mächtig bergan! Bei den letzten Häusern werden wir noch ein kleines Stück Weges von einem Pfau begleitet, dem die meisten Schwanzfedern allerdings schon abhanden gekommen sind. So etwas wie uns wird er wohl auch noch nicht gesehen haben. Rechts brodelt etwas in einem großen Kessel auf einem offenen Holzfeuer; wir halten es zuerst für Teer; beim näheren Hinsehen stellt sich aber heraus, daß hier im Freien Kartoffeln gekocht werden.

Der Weg führt uns nun immer höher hinauf; nach unseren Berechnungen am Osthang des Monte dei Cani entlang. Die Schotterpiste ist vom Regen stark zerfurcht; teilweise sogar zur Seite weggespült und daher durch Barrieren für den Autoverkehr gesperrt.

Ein letzter, unverhoffter Rückblick auf die Trekking-Route der letzten Tage: bis hin zum Steilabbruch am Monte Vettore


Und ganz plötzlich liegt an einer Wegbiegung geradeaus eine markante Berg-Silhouette: die Monti Sibillini mit dem Monte Vettore am rechten Ende! Na, wer hätte das gedacht! Im Nachhinein doch eine wahrhaft imposante Strecke, die wir da per Pedes zurückgelegt haben! Hier ist nun natürlich ein letzten Erinnerungsfoto und ein letzter Video-Zoom fällig. Ciao, Vettore! Demnächst werden wir dich wieder besuchen!

Marianne und Martin sind sich nun sicher, auf dem richtigen Weg zu sein - sie erzählen von der brenzligen Situation vor 7 Jahren, als der Wandergruppe damals plötzlich eine Kuhherde in wildem Galopp entgegenkam: Platz zum Ausweichen gab`s nicht, da links und rechts Stacheldrahtzäune waren. Svenja und Christoph, damals gerade mal 8 Jahre alt, wurden kurzerhand per Schwung über den Stacheldrahtzaun gehievt; der Rest samt Rucksäcken folgte im Eiltempo nach.

Heute ist alles friedlich; die Strecke hat inzwischen ihren höchsten Punkt passiert und wir bewegen uns auf einer Art Wasserscheide entlang. Und so, wie "unsere" Bergketten der vergangenen Woche langsam entschwinden, tauchen rechts die Berge um Assisi auf. Und dann liegt im Westen die ebenfalls nicht zu übersehende Silhouette von "La Rocca" vor uns: die Burg, die oberhalb von Assisi thront - zwar noch etwas verschwommen im Dunst, da mindestens noch 15 Kilometer entfernt, aber nicht zu übersehen. Dort werden wir am Abend also ankommen.

Und beim zügigen Marsch über den staubigen Schotterweg und dem vielen Erzählen passiert es, genau wie schon 1991: wir verpassen die richtige Wegabbiegung. Beim Schreiben dieser Zeilen, die Wanderkarte vor Augen, wird klar, daß wir auf der Kuppe der Wasserscheide falsch abgebogen sind. Wir laufen nun eine gewundene Straße entlang, die sich an den vielen verstreut liegenden Bauernhöfen vorbeischlängelt. Der direkte Wanderweg wäre an der anderen Talseite geradlinig auf Assisi zugelaufen.

Stattdessen werden wir auf unserem Weg nun immer wieder mit den Folgen des Erdbebens konfrontiert: überall Risse in den Häusern; Container neben den Viehställen. Eines der größeren Gebäude ist mit einem enormen Stahlgestänge eingerüstet. Selbst hier hat es also zugeschlagen.

Marianne und Martin verkünden nun immer wieder, daß eigentlich gleich eine kleine Kirche kommen müßte. Zuerst aber kommt mitten im Wald aber eine Weggabelung: der Hauptweg führt weiter links bergauf; ein kleinerer Weg schwenkt rechts taleinwärts. Nun ist guter Rat teuer! Zum Glück kommt von unten her ein Trecker angetuckert. Wir halten ihn an und erkundigen uns nach dem Weg in Richtung Assisi. Die Daumenbewegung des Fahrers ist einwandfrei zu verstehen: nach unten!

Die Straße schlängelt sich nun immer tiefer ins Tal hinab; unterwegs kommen uns zwei Brüder unseres "Joringels" entgegen (wer Joringel nicht mehr kennen sollte: es war unser großer, blauer Transit-Bus). Hier fahren sie also immer noch als Schulbusse! Der Fahrer des ersten Transits gibt uns auf unsere Frage nach dem Weg eine exakte Entfernungsangabe: noch 12 Kilometer bis Assisi! Nun, das kann für uns ja nicht mehr allzu weit sein - schließlich ist ja auch noch die Hauptstraße dazwischen, und die werden wir ja mit Francos Wagen zurücklegen. Die Bauernhöfe liegen nun dichter zusammen; ein kleiner Bergbach lädt zu einer kurzen Erfrischungspause ein.

Und dann taucht plötzlich etwas unterhalb doch noch die kleine Kirche auf - hier soll nun endlich die Mittagspause stattfinden! Das kleine Kirchlein mit dem klangvollen Namen "Madonna dei Tre Fossi" hat es leider beim Erdbeben auch schwer erwischt - um Wände und Turm herum sind als Schutz gegen weitere Schäden Stahlbänder und Holzverschalungen angebracht; nebenan steht als vorübergehender Ersatz eine Container-Kirche.

Wir überspringen einen frisch aufgeworfenen Graben, vermutlich für eine neue Strom-Erdleitung gedacht, und machen es uns auf dem weichen, grünen Rasen vor dem alten Gebäude gemütlich. Brot, Käse, Wurst und Getränke werden aus den Rucksäcken hervorgeholt und wir genießen bei herrlichem Wetter die Mittagsrast. Sie wird leider jäh unterbrochen durch das Auftauchen eines Mannes, der mit seiner Aktentasche und mehreren Einkaufstüten zielstrebig auf das direkt an die Kirche angebaute Haus zusteuert - scheint wohl der Besitzer zu sein. Ob er wohl was dazu sagen wird, daß wir es uns sozusagen in seinem Vorgarten gemütlich gemacht haben? Tatsächlich - er spricht uns an und wir erzählen ihm von unserem Marsch. Damit gibt er sich zufrieden und verschwindet in seinem Häuschen. Eigentlich nicht schlecht, so etwa 10 Autominuten von Assisi entfernt in einer solchen Umgebung zu wohnen.

Nach ausgiebiger Rast machen wir uns an die letzte Etappe - der Mann hat uns erzählt, daß es noch etwa 3 bis 4 Kilometer bis zur Straße sind. Und dann kommt uns auch schon Franco entgegen. Die erste Gruppe steigt ein und wird nach Assisi gefahren; kurz darauf erreicht der Rest die Teerstraße und macht sich hier schon mal auf den Weg. Eine knappe halbe Stunde später kommt Franco zurück und holt die letzten Wanderer.

Bei der Einfahrt nach Assisi schlägt uns der Tourismus förmlich entgegen! Eine Reisegruppe nach der anderen wird hier wie eh und je durchgeschleust. Für uns nach der Einsamkeit der umbrischen Berge eine gewaltige Umstellung!

Wir fahren direkt hoch zum Platz Fontemaggio und bauen die Zelte auf unserer "alten" Terrasse auf. Marianne, Martin und Friedhelm gönnen sich den Genuß eines Zimmers - das Vorrecht des Alters!

Aufs Kochen hat im Lager heute keiner besondere Lust - das "Dal Carro" lockt mehr. Bei einsetzender Dämmerung schlendern wir also in kleinen Grüppchen hinunter nach Assisi; im Städtchen gehen diese Gruppen dann ihre eigenen Wege. Marianne bekommt hier endlich auch die dringend erforderliche Batterie für den Fotoapparat; die anderen begnügen sich mit Getränken im Alimentari (mein Gott, welche Preise im Gegensatz zu Colle!)

Dann sitzen wir auf dem Platz am Brunnen und beobachten das bunte Treiben ringsumher. Unsere Mädchen und Manuel versuchen sich zwischen den Säulen des alten Minerva-Tempels mit deutschem Gesang; vergreifen sich dabei allerdings arg im Ton und auch in den Texten.

Nach und nach machen sich alle dann auf zum "Dal Carro" - und siehe da: es hat geöffnet! Nur der Kellner ist nicht mehr da - dafür aber wie gewohnt die Besitzerin. Wir machen es uns in der nüchternen Beton-Umgebung und im Licht der Neonlampen gemütlich und genießen Pizza&Co, die im Vergleich zu den bisherigen Essen bei Franco und unterwegs aber qualitativ doch stark abfällt.

In Kleingruppen geht es dann wieder hoch zum Zeltplatz, wo es je nach Kondition noch etwas länger bis zur Nachtruhe dauert.


Freitag, 16.10.98, 15. Tag

Gegen halb acht kommen die Leute aus den Zimmern hinunter zum Platz - hier schläft aber noch alles! Brötchen soll es ab 8 Uhr oben im Laden geben - dort angekommen müssen wir aber feststellen, daß der Laden für die Wintersaison schon geschlossen hat. Also, weiter ins Restaurant. Hier werden wir von Benito, dem guten Geist von Fontemaggio, freudig begrüßt. Und Brötchen gibt es für uns direkt aus der Küche des Restaurants.

Auf unserer Terrasse wird dann um den einzigen Steintisch herum im Stehen gefrühstückt (einige haben sich vorausschauenderweise von oben Stühle mitgebracht). Der weitere Tagesverlauf wird kurz besprochen: wer Lust hat, kann bis mittags die Stadt erkunden; dann soll gekocht werden und nachmittags ist die Fahrt mit dem Bus zum Monte Peglia angesetzt.

So gegen vier Uhr erscheint dann auch der Bus. Zusammen mit Gabriella, Franco, Massimo und einem Freund Francos geht es nun quer durch Umbrien in eine für uns bis dahin völlig unbekannte Region. In der Gemeindeverwaltung werden wir von zwei Mitarbeitern begrüßt; einer davon ist der Referent von Signora Ada Girolamini (italienische Regionalregierung in Perugia). Hier ist schon ein kleiner Imbiß für uns vorbereitet; dazu gibt es Erläuterungen an Hand von Karten- und Prospektmaterial über den "Parco del Tevere", einen weiteren Nationalpark. Wirklich beeindruckend, welche Anstrengungen diese Region unternimmt, um ein interessantes touristisches Angebot zu bieten. Nach einem Erinnerungsfoto vor der Gemeindeverwaltung geht es dann mit dem Bus hoch zum Monte Peglia, dem Herz des neuen Nationalparks.

Zu Fuß geht es durch den Nationalpark, bis hin zu einem Bauernhaus, welches demnächst als Info-Zentrum dienen soll. Wir können uns gut vorstellen, auch hier einmal eine längere Trekking-Tour zu unternehmen, zumal man uns dazu jegliche Hilfe anbietet.

Auf Einladung der italienischen Regierung am Monte Peglia


Nach einem Abschieds-Cappuccino geht es wieder zurück nach Assisi. Hier heißt es nun Abschied nehmen von Gabriella, Franco und Massimo. Sie müssen heute zurück nach Colle. Wir können uns nur mit Worten bei ihnen bedanken für die vielen, vielen Dinge, die sie in den letzten Wochen für uns getan haben. Wir laden sie nochmals herzlich zu einem Gegenbesuch bei uns im Sauerland ein; vorgesehen ist die erste Dezember-Hälfte; das könnten sie gut mit dem schon länger geplanten Besuch bei einer Jugendgruppe in Borken verbinden.

Für uns dann noch ein letzter italienischer Abend vor den Zelten auf Francos Platz. Morgen ist unsere Fahrt vorbei!


Samstag, 17.10.98, 16. Tag

Lagerabbau in Assisi - fast schon ein Ritual! Mein Gott, wie oft haben wir das hier schon gemacht? Im Prinzip ist der weitere Tagesablauf durch die organisatorischen Abläufe ziemlich genau festgelegt. Zuerst einmal heißt es frühstücken, danach müssen die Zelte abgebaut werden. Und dann muß der gesamte Krempel wieder in den Rucksäcken bzw. in den drei Seesäcken reisefertig verpackt werden. Zuletzt ist das Aufräumen des Platzes dran - dann geht`s hoch zu Benito. Und hier dann die letzte Überraschung Francos: als wir die Euroschecks zum Zahlen der Platzkosten zücken wollen, meint Benito, der gute Geist des Platzes, das wäre schon alles o.k. so. Wir sind sprachlos. Danke, Franco! Und nach einem Abschiedsfoto mit Benito müssen wir dann endgültig los; hinab nach Assisi zum Bus, der uns zum Bahnhof bringen soll.

Abschied von Benito, der


Unten, auf der Piazza Mateotti, schlendern wir noch einmal über den bunten Wochenmarkt, ehe uns der Bus hinunter zur Neustadt und zum Bahnhof bringt. Wir haben bis zur Zugabfahrt noch genügend Zeit eingeplant, weil wir jetzt erst einmal den Reiseproviant kaufen müssen. Allgemeiner Wunsch ist es, noch einmal italienische Paninis zu essen; mit allem Drum und Dran! Im Supermercato holen wir also verschiedene Wurstsorten, Käse, Thunfisch, Tomaten, Gurken, Oliven, Majonaise. Dazu leisten wir uns mal wieder den Luxus frischer Butter, auf die wir während der Trekking-Tour natürlich aus Transportgründen verzichten mußten.

Paninis für die Rückreise - so, wie jeder sie mag


Für eine Besichtigung der großen Kuppelkirche wäre zwar auch noch Zeit; das lohnt aber nicht, weil alles noch abgesperrt ist. Schwerbepackt geht es zurück zum Bahnhof; diesmal nicht entlang der Gleise, als wir die Höhe der Strafe dafür auf einem Schild lesen! 60.000 Lire - wahrscheinlich je Person! Dafür nehmen wir lieber einen kleinen Umweg in Kauf. Auf einer Parkbank hinter den Bahnhofstoiletten kann sich jeder dann seine "persönlichen“ Paninis zubereiten. Damit hätten wir die Verpflegungsfrage für die Rückfahrt nach Deutschland geklärt.

Und dann läuft unser Zug nach Florenz ein. Ein letzter, wehmütiger Blick auf die draußen vorbeigleitende Stadt und wir sind unterwegs nach Hause. Ein letzter Programmpunkt liegt allerdings noch vor uns: Florenz erwartet uns zu einem mehrstündigen Stadtbummel. Im Bahnhof von Florenz geben wir unsere Rucksäcke bei der Gepäckaufbewahrung ab (die wird anscheinend von Jahr zu Jahr teurer!) und können so ohne hinderliches Gepäck in Kleingruppen durch Florenz streifen.

Wir machen das, was wohl die meisten Touristen machen: Dom, Ponte Vecchio, Piazza Michelangelo. Es gibt überall genug zu schauen.

Oben, auf der Piazza Michelangelo, wird in einem großen Zelt gerade der neue VW "Lupo" vorgestellt. Schöner ist aber sicherlich der Ausblick auf das abendliche Florenz. Um 21 Uhr startet dann der Zug nach München. Wir stehen im Gang und lassen das nächtliche Italien an uns vorbeigleiten. Schön war`s!!


Sonntag, 17.10.98, letzter Tag

München, morgens halb sieben - wie immer. Wir schlendern durch das weiträumige Areal unter dem Bahnhof und frühstücken dort. Dann mit dem IC nach Mannheim, von dort weiter nach Hagen. Alle Plätze sind reserviert, alle Anschlüsse klappen. Danke, Herr Mühlenkamp!!

Tja, und dann zieht der Bahnsteig von Freienohl an uns vorbei - wir sind wieder zurück. Auf dem Bahnsteig viele Eltern; mit dem PKW geht es weiter nach Wenholthausen. Im Pfadfinderraum müssen zumindest die feuchten Zelte ausgelegt werden. Und bei einer Flasche Bier schildern wir unsere ersten Eindrücke von der Reise.

Wir erzählen von den vielen Menschen, die wir getroffen haben, von der Welle der Gastfreundschaft überall, von der beeindruckenden Natur und der Landschaft. Und von unseren Plänen mit dem Gegenbesuch. Unsere Eltern erklären sich spontan bereit, dabei nach Kräften organisatorisch mitzuhelfen.

Im Dezember, wenn Franco mit seinen Freunden dann da ist, werden wir alle Teilnehmer, die Eltern und natürlich auch unsere Sponsoren zu einem Treffen einladen.

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