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Dienstag, 12.10.93, 5. Tag
Gegen Morgen flaut der Sturm dann endlich ab. Alle sind schon früh auf
den Beinen, denn heute soll die erste anstrengende Tagesetappe bewältigt
werden.
Das Tageslicht macht die Schäden der vergangenen Nacht sichtbar: Tschernobyl
hat doch einiges hinnehmen müssen. Bei einer der drei Hauptstangen hat
sich das Verbindungsseil gelöst oder ist durch die ständige übermäßige
Belastung irgendwann im Laufe der Nacht gerissen. Immer noch steht ein
strammer Wind auf der einen Zeltseite und beult sie stark ein.
Zuerst aber wird gefrühstückt. Es gibt heißen Kaffee aus den Epas und
die sonstigen kulinarischen Genüsse aus den Rationspackungen, sprich
Hartkekse, Marmelade und Wurst. Nicht jedermanns Sache, aber erstens
können wir nichts anderes mitschleppen und außerdem liegt ein anstrengender
Tag vor uns. Also hinunter damit.
Dann müssen alle mithelfen, Tschernobyl flachzulegen - ein Hineinfahren
des Windes in die Nylonbahnen, und wir haben die ersten Risse. Dank
Martins Gewicht bleibt das Zelt auf dem Boden und wird verpackt. Die
inzwischen aus vielen Einzelteilen bestehende Stange wird notdürftig
geflickt. Niemand weiß, ob das eine weitere Nacht halten wird. Das Dovrefjell
hat die Nacht ohne Schwierigkeiten überstanden. Es bleibt zunächst stehen
und nimmt sämtliches Gepäck auf.
Nach dem Frühstück gehen wir zuerst einmal ein paar Schritte den Abhang
hinunter und können eine großartige Aussicht auf die Täler genießen.
Die Ortschaften weit unter uns liegen zum Teil noch unter dichten, weißen
Nebelbänken. Wir haben schon strahlenden Sonnenschein in unserer Höhe.
Nur mit dem Notwendigsten ausgerüstet machen wir uns auf in Richtung
Gipfel. Irgendwo unterhalb soll der Eingang zur Grotte liegen. Dieses
Höhlensystem ist laut Reiseführer das größte Italien; das fünftgrößte
der Erde überhaupt. Seit etwa 1550 entdeckt; heute 26 Kilometer erforscht;
935 Meter tief - und ein Ende ist noch nicht abzusehen. Das hat uns
natürlich Appetit gemacht, zumal wir ja auch schon in der Grotta Su
Marmori auf Sardinien waren. Natürlich ist klar, daß wir nur den allerersten
Teil der Höhle betreten werden - weiter reicht unsere Ausrüstung nicht.
Die Beschreibung im Reiseführer (ab jetzt kursiv) stimmt uns ein wenig
nachdenklich:
"Trittsicherheit und Schwindelfreiheit ratsam. Vorsicht mit Kindern!
In die Höhle führt zwar eine Eisenleiter (25m), die jedoch abkletternd
in nassem Fels (Schwierigkeitsgrad II) erreicht werden muß"
Aber Anschauen wollen wir uns die Sache doch! Beim Anstieg über den
gut beschrieben Weg kommen wir schon kräftig ins Schwitzen. Die vorsichtshalber
mitgenommenen Regenjacken erweisen sich als recht hinderlich. Unterweg
passieren wir die Stelle, die im Reiseführer fotografiert ist - hier
ist natürlich ein eigenes Foto fällig. Wir dirigieren Marianne auf einen
schön weit hervorragenden Felsen, damit die Gruppe gut ins Bild kommt.
Und dann stehen wir plötzlich vor dem Höhleneingang - aber was heißt
hier Eingang! Es ist ein Loch, das relativ senkrecht in den Berg hineinführt.
Im Dunkeln unten sieht man die Stufen der Eisenleiter im Nichts verschwinden.
Jetzt können wir die Beschreibung des Reiseführers gut nachvollziehen!
Erst einmal muß die Eisenleiter erreicht werden - sie beginnt etwa acht
Meter unterhalb des Höhlenloches. Der Weg dahin führt über in den Fels
eingelassene Eisenklammern, die schräg versetzt sind - und weiter unten
immer feuchter und glitschiger werden.
Die ersten diskutieren nicht lange und verschwinden einer nach dem anderen,
begleitet von guten Ratschlägen und Ermahnungen. Dann hört man von unten
nur noch ihre Stimmen. Svenja und Martin sowie Marianne und Christoph
bleiben zunächst oben; Martin schließt sich dann zögernd doch noch der
Klettergruppe an. Svenja bleibt schweren Herzens oben; sie wäre zu gerne
mit hinuntergeklettert.
Nach unten nimmt das Tageslicht immer mehr ab - dafür nimmt die Feuchtigkeit
ständig zu. Von überall her tropft einem das Wasser auf Kopf und Schultern.
Ist man erst einmal auf der Eisenleiter, gibt es kein zurück mehr: nur
noch nasse Sprossen, eine nach der anderen, 25 lange Meter hinunter.
Keine Stelle zum Ausruhen zwischendurch. Die Leiter ist an einigen (wenigen)
Haken im Fels verankert und scheint frei im Raum zu hängen. Ein Erlebnis
besonderer Art!
Als die Gruppe unten vollzählig ist, geht es weiter: der erste Weg,
jetzt schon fast im Dunklen, landet schnell an einer Felswand; also
die andere Seite probiert. Hier geht es immer tiefer! Natürlich, wie
sollte es auch anders sein, haben einige ihre Lampen im Camp vergessen.
Diese vorausschauenden Höhlenforscher tasten sich nun mühsam hinter
den Lampenträgern her; bei jedem Schritt darauf gefaßt, auszurutschen
oder mit dem Kopf irgendwo anzustoßen. Nur haben die stolzen Mini-Mag-Lite-Besitzer
auch nicht lange Freude an ihren geliebten HighTech- Geräten! Wie uns
später der Wirt in der Albergo "Monte Cucco" erklärt, verlieren selbst
frische Batterien schnell ihre Kraft durch Kriechströme - bis dahin
für uns böhmische Dörfer. Deshalb gehen Profis mit Fackeln hinunter.
Unser "Weg" führt uns immer tiefer. Aber was heißt hier schon Weg! Bei
jedem Tritt muß man gut aufpassen, wohin man seinen Fuß setzt. Immer
wieder stellt sich die Entscheidung, wie man die Hindernisse umgehen
möchte. Leider lassen die schwachen Lampen keine gute Sicht in die domartigen
Höhlenkuppeln über uns zu. Wir sind schon froh, daß wir nicht an größere
Abzweigungen kommen, die uns bei der Rückkehr Schwierigkeiten machen
könnten. Auch so ist es ganz schön spannend. Inzwischen hat sich die
Gruppe ziemlich weit auseinandergezogen. Martin quengelt schließlich
so lange herum, bis die Gruppe aus Sicherheitsgründen umkehrt.
Schritt für Schritt gelangen wir wieder ans Tageslicht. Hoffentlich
sind die Blitzlichtfotos was geworden. Oben erwarten uns schon die Zurückgeblieben,
die inzwischen bergauf hinter einem kleinen Tunnel eine weitere, recht
gefährlich aussehende Spalte entdeckt haben. Im Vergleich zur Höhle
ist es hier oben richtig warm. Während einige ihre Fähigkeiten im Steinerollen
testen, kreist die mitgenommende Weinflasche (leider die letzte aus
unserem Vorrat) auf das bestandene Abenteuer.
Zurück geht es dann leicht über den Weg des Anstiegs zurück zum Basislager.
Hier heißt es nun packen! Für heute haben wir uns zwar nichts Festes
als Ziel vorgenommen; uns ist jedoch klar, daß es jetzt mit der Trekking-Tour
ernst wird (Wir wollten es ja nicht anders..) Also hoch mit den Rucksäcken
und auf geht`s; zunächst vorbei an den schon wieder zahlreich erschienenen
Drachenfliegern. Einige geben uns noch gute Ratschläge mit; wie wir
z.B. am schnellsten zur Albergo Monte Cucco kommen.
"Beim Wirt Alberto Beni sind Wandersleute bestens aufgehoben, zumal
er und seine deutsche Frau Uschi keinerlei Sprachprobleme aufkommen
lassen. Er ist außerdem Höhlenfachmann und kennt die hiesigen Wanderwege.
Im gemütlichen Speisesaal sitzt man neben dem Stamm einer 300 Jahre
alten Buche und genießt die "cucina casalinga".
Also genau das, was wir brauchen: verläßliche Weginformationen, Informationen
über die gerade besuchte Höhle, vor allem aber endlich was zum Beißen
(und Trinken), denn inzwischen stellt sich bei allen der Hunger auf
ein vernünftiges Mittagessen ein.
Nach 2, 3 Kilometern bergab über die Teerstraße von gestern und einer
Abzweigung hinunter ins Tal (dabei wird erst einmal ein Gruppenfoto
auf der Leitplanke mit dem Monte Cucco im Hintergrund gemacht) kommen
wir an die ersten Häuser: hier hätte man völlig windgeschützt auf flachem,
grünen Rasen zelten können; mit Restaurant direkt nebenan. Abgehakt.
Dann, am Ende des Weges die Albergo Monte Cucco. Die Rucksäcke werden
fallen gelassen und wir stürmen - je nach Bedarf - zur Toilette oder
an die schöne, zum Freien offene Bar. Das erste Bier schmeckt hervorragend!
Mit Alberto kommen wir schnell ins Gespräch: es ist zwar noch nicht
die richtige Zeit, aber er will sehen, was er für uns in der Küche organisieren
kann. Und tatsächlich: Spaghetti sind für alle möglich. Das Problem
mit dem peinlicherweise fehlenden Bargeld ist schnell gelöst - einige
werfen zusammen und wir können für alle bestellen.
Von Alberto erfahren wir viele Einzelheiten über die Höhle, vor allem
aber kann er behilflich sein bei der weiteren Routenplanung. Hier bekommen
wir endlich die fehlende Wanderkarte. Alberto zeigt uns einen seiner
Meinung nach günstigen Platz für eine windgeschützte Übernachtung; am
Paß Valico di Fossato (in 723 m Höhe). Laut Reiseführer sollen das von
der Albergo aus nur 2½ Stunden sein; das müßte leicht zu schaffen sein
(denken wir noch zum jetzigen Zeitpunkt). Und da wir auf eine weitere
windige Nacht keinen gesteigerten Wert legen, peilen wir das schon mal
als Tagesziel an.
Dann kommen die Spaghetti - große Portionen, die unserem Hunger angepaßt
sind! Dazu ein leckerer Rotwein (von dem wir sicherheitshalber gleich
einige Flaschen in die Rucksäcke packen) Beim Käse lassen wir uns nicht
lange bitten; Alberto und seine Helfer müssen mehrmals neu auffüllen.
Nach einer guten Stunde Rast heißt es von diesem angenehmen Ort und
seinen freundlichen Leuten Abschied nehmen; Socken und Schuhe werden
wieder angezogen; die Rucksäcke aufgeschnallt (sie kommen einem von
mal zu mal schwerer vor) und mit einem letzten Winken durchs Tor hinaus.
Nach kurzer Zeit verlassen wir in einer Spitzkehre die Straße und folgen
der Erklärung von Alberto und den Hinweisen im Reiseführer:
"Vom Albergo Monte Cucco ansteigen; am Albergo Cappeloni vorbei.
An der Rechtskurve wird das Sträßchen links verlassen gemäß Wegnummer
9. Mit schwacher Grasspur bergan, rechts am Leitungsmast vorbei und
weglos hoch zu einer Straße. Aus dem Tal grüßt Sigillo. Links weiter
(obere Trasse) zum Montarone (1208m), auf dem die Bauten der Telefongesellschaft
SIP stören. Die Kuppe wird rechts umgangen. Nordwestlich füllt der Monte
Cucco das Blickfeld. Im Süden zeigen sich die technischen Anlagen auf
der Cima di Mutali, von der wir noch 3½ Stunden entfernt sind."
Na ja, so ist es tatsächlich. Als "Tourenanfänger" haben wir zuerst
noch ein wenig Scheu, einer "schwachen Grasspur weglos" zu folgen. Der
Reiseführer stimmt aber - es klappt und wir erreichen die Straße. Was
nicht drin stand: es geht kräftig bergauf! Die Sonne läßt sich auch
nicht lumpen und wir schwitzen zum ersten mal recht ordentlich. An der
Leitplanke der Schotterstraße eine kurze Verschnaufpause, dann geht
es unterhalb des Montarone durch eine Terrassenanlage weiter. (Schöne
Schilder mit Totenkopf und Hinweise auf Lebensgefahr durch Strom am
Wegesrand..)
"Gipfelreigen! Auch ohne Markierungen kann man den Kammverlauf nicht
verfehlen. Mom Monte Testagrossa (1175m) trennt uns eine ¼ Stunde. Über
seinen Südrücken in gut 5 Minuten hinunter zum Paßsattel (1080m) eines
Schottersträßchens, das schräg links gekreuzt wird"
Martin geht den anderen langsam auf die Nerven mit seinen Reiseführerzitaten.
Die Wirklichkeit übertrifft dann auch die Beschreibung! Oben auf dem
Grat erwartet uns - als wir Schritt für Schritt näher kommen - ein kaum
beschreibbarer Anblick hinunter in das Gegental. Noch eindrucksvoller
ist der Wind, der uns förmlich hinaufbläst. Sebastian muß sogar seine
Brille abnehmen! Oben natürlich ein Erinnerungsfoto - kurz vor dem Abbruch
(je nach Risikobereitschaft), mit ausgebreiteten Armen schräg gegen
den heraufbrausenden Wind gestemmt. Einer der vielen bleibenden Eindrücke.
Es ist inzwischen 14.00 Uhr und wir bekommen erste Zweifel an unserer
Zeitplanung: im Reiseführer nicht einkalkuliert ist natürlich die knappe
Zeit bis Sonnenuntergang jetzt, Mitte Herbst, und unseren zusätzlichen
Zeitverlust durch Platzsuche und Zeltaufbau.
Hinunter am Südhang - jeder wählt auf dem Grashang seine eigene Route
- tun zum ersten mal beim ungewohnten Bergabsteigen mit schräg gesetzten
Füßen und dem schiebenden Gepäck auf dem Rücken die Zehen in den Wanderschuhen
weh. Am Paß wieder eine kleine Pause - wir besinnen uns an unsere Mineralsalztabletten
und Jan teilt eine Runde aus (nur Andree weigert sich, eine zu nehmen);
dann weiter.
"Südöstlich benötigt man noch 20 Minuten bis zur flachen Kuppe des Monte
Pratiozzo (1124m). Der Kammverlauf biegt in Südrichtung ein. Rechts
senkt sich der Fosso Vetorno nach Purello an der Via Flaminia. Der aus
dem Grat ragende, felsdurchsetzte Aufbau von Punkt 1100 wird rechts
umgangen. Auf der Cima Filetta (1120m) steckt ein Grenzstein."
Wir treffen hier auf ein älteres Ehepaar, mit dem wir in Kontakt kommen;
d.h., der Mann redet mit uns auf italienisch, wir erklären ihm auf deutsch,
was wir heute noch vorhaben und zeigen unsere Karte. In der nächsten
halben Stunde laufen wir mal vor, mal hinter den beiden her. Dann der
Felsengrat! Dieses Teilstück werden wir auch nicht so schnell vergessen.
Die Kinder müssen einige Meter unterhalb des Grats laufen - auf beiden
Seiten geht es ziemlich steil (und weit!) hinunter. Oben, am Grenzstein,
wieder eine Rast - die Pausen werden langsam das Schönste an der Wanderung.
Nach Westen hin das Bergland von Umbrien; nach Osten das Tiefland von
Ancona. Hinter einer letzten, niedrigen Bergkette ist alles flach -
das müßte schon die Adria sein. Martin will sogar am anderen Ende Jugoslawien
sehen können - ein Blick einige Tage später auf einen Atlas zeigt, daß
das wohl eine Sinnestäuschung war.
Inzwischen zieht sich die Wandergruppe weiter auseinander. Sarah und
den Jungen ist das Tempo zu langsam; sie haben einen immer größeren
Vorsprung vor dem Rest. Nach einem letzten kleinen Gipfel, dem felsigen
"Sasso Grande" mit 1030m) müssen wir ziemlich weit hinunter zu einem
Sattel (88o m) vor dem Monte della Rocca. Der Abstieg erweist sich als
schwierig, da man sich auf dem steilen Abhang nirgends abstützen oder
festhalten kann. Zusätzlich noch eine Tortur für die Zehen, die sich
bei jedem Schritt an den Stiefelspitzen stoßen. Während unten die ersten
der Gruppe bereits in einem kleinen Wäldchen im Gegenanstieg verschwinden,
tasten sich die letzten Schritt für Schritt den Abhang hinunter.
Es ist immer noch recht warm - oder zumindest verschaffen einem der
naßgeschwitzte Rücken und die drückenden Rucksackriemen diesen Eindruck
- und die hintere Gruppe macht noch mal eine kurze Pause. Tief unter
uns immer noch das Tal von Ancona. Weit kann es zum Paß eigentlich nicht
mehr sein.
"Halb rechts auf schattigem Hangweg zum nächsten Sattel (885 m) am
oberen Rand einer Hochtalmulde. Südlich lockt der Monte Maggio, erkenntlich
an seinem Gipfelspitzchen. Vom Albergo Monte Cucco knapp 2 Stunden.
In der Mulde absteigen. Man hält sich an die rechte Flanke und peilt
ein Häuschen an. Rechts vorbei (links breiter Weg zum Brunnentrog).
Etwa 5 Minuten bergan, worauf sich der breite Weg senkt, schwach rechts
halten, um eine Kuppe halb links herum. Achtgeben! Rechts ist an den
Steinen das Rot der Wanderroute gepinselt. Abermals bergwärts, geradeaus,
dann links durch Gesträuch zur Kuppe von Punkt 832."
Die Wegbeschreibung des Reiseführers stimmt genau! Für uns sind die
Zeiten allerdings so nicht einhaltbar, das wird nun immer deutlicher.
Allerdings wollen wir ja auch nicht auf jeden Fall diese Vorgaben verbindlich
sehen - wir müssen selbstverständlich auch auf die Kleineren achten.
Beim Abwärtsdurchqueren der Mulde - die ersten sind schon außer Sicht
am kleinen Haus vorbei - finden wir viele wilde Blumen und Kräuter.
Auf dem breiten Weg nach dem Häuschen zeigen sich erste Ermüdungserscheinungen.
Es will nicht mehr so recht vorangehen. Wir halten uns an den Reiseführer
und geben gut acht! Immer wieder finden wir am Wegesrand eine rot-weiß-rote
Markierung; meist auf einen Stein gepinselt; schon mal auch an einem
Baum. Umso erstaunter sind wir, als wir von weit oberhalb plötzlich
lautes Rufen hören! Die Jungs der Kolonnenspitze haben sich wohl ein
wenig verlaufen. Nach kurzem Hin- und Herdiskutieren kommen sie zu uns
herunter. Endlich sind die Rollen mal vertauscht.
Oben herum soll es auch Markierungen gegeben haben; egal - wir befinden
uns jedenfalls auf dem richtigen Weg. Vor uns öffnet sich eine weite
Senke; auf allen Seiten von mehr oder weniger hohen Hügeln umgeben.
Hier wird es schwierig. Wir finden partout nicht den Weiterweg und verfluchen
die fehlenden Markierungen. Ein Blick auf den Sonnenstand und auf die
Uhr zeigt uns, daß wir für heute besser Schluß machen sollten. Hier
ist seit langer Zeit wieder mal eine flache, grasige Stelle! Also kurzer,
einstimmiger Beschluß: hier wird das Nachtquartier aufgeschlagen.
Die Suche nach einem nun tatsächlich geeignetem Fleckchen für unsere
Zelte dauert ein wenig länger: mal scheint der Boden zu sumpfig, mal
zu steinig, mal zu uneben. Und wenn viele mitdiskutieren, geht`s davon
auch nicht schneller. Windgeschützt, darin sind wir uns alle einig,
dürfte es bei den vielen Hügeln ja wohl sein!
Dann sind die Standorte festgelegt und der Aufbau beginnt. Beim Dovrefjell
ist das kein Problem; bei Tschernobyl tut sich nun aber das Problem
mit der zerrissenen Stange auf. Mit vereinten Kräften kriegen wir das
Kuppelzelt aber doch hoch - jetzt kommt die mühselige Arbeit des Häringebefestigens
- leider erweist sich der Boden unter der dünnen Grasnarbe als durchweg
steinig. Wieder müssen einige tadellose Leichtmetallhäringe dran glauben.
Wenn unser Häringeverbrauch so weitergeht, kommen wir mit leichtem Gepäck
in Assisi an. Zu allem Überfluß fehlen plötzlich auch noch zwei Bodenstücke
am Kuppelzelt. Wir sind schon dabei, mit dem Beil ein Ersatzstück aus
einem Alunagel zu schlagen, da findet Andree sie zum Glück wieder und
versucht sie dauerhaft zu befestigen.
Vorsorglich befestigt Martin sämtliche Sturmleinen - eine Sturmnacht
hat gereicht! Andere haben inzwischen an der in der Nähe gelegenen Viehtränke
mit den Wassersäcken Kochwasser geholt; bald zischt der Benzinbrenner
und die Alupacks tauchen nach und nach aus den Rucksäcken auf. Das Zelteinrichten
geht inzwischen schon fast routinemäßig; Feuerholz ist auch schnell
zusammengeholt, und dann warten wir darauf, daß das Abendessen heiß
wird.
Wir haben zwar das vorgesehene Ziel nicht erreicht, sind aber auch mit
der bisher zurückgelegten Strecke zufrieden. Um uns herum wird es dämmrig
und die ersten Sterne leuchten auf. Gleichzeitig wir es auch schon wieder
recht kühl. Wir wärmen uns am Feuer und essen die Rationspackungen -
nach einem so anstrengenedem Wandertag schmecken die inzwischen sogar.
Dann noch ein Becher Wein (leider sind keine großen Vorräte mehr da);
dann verschwinden die meisten in den Schlafsäcken. Peter und die beiden
Michael sehen in der Ferne Lichter; sie überlegen, ob es sich wohl lohnen
würde, dort nach einer Pinte zu suchen. Der gesunde Menschenverstand
hält sie schließlich davon ab! Morgen werden wir rechtzeitig an die
Logistik denken!
Beim Einschlafen umweht ein leichter Wind die Zelte. Der schon lang
defekte Eingang von Tschernobyl flattert zwar ein wenig; aber kein Vergleich
zur letzten Nacht. Die verdiente Nachtruhe beginnt.
Nicht lange! Mitten in der Nacht werden wir alle geweckt! Es hört sich
an, als ob aus weiter Ferne ein Schnellzug heranbraust - erst hört man
ihn von links, dann von rechts - dann Stille! Urplötzlich ein heftiger
Stoß gegen das Zelt und der Wind, jetzt plötzlich von vorn kommend,
faßt in den Eingang und unter das Überdach. Wieder ächzt das Alugestänge.
Diesmal drückt der Scheißwind - wo kommt der eigentlich an dieser tollen
"windgeschützten Stelle" her? - nicht seitlich gegen das Kuppelzelt,
sondern bläht es durch den Eingang auf. Sogar die Bodenplane wird immer
wieder angehoben. So geht das mit Unterbrechungen fast die ganze Nacht
durch; immer wieder hört man von Ferne die Windboen herankommen, dann
nach kurzer Pause das Rütteln an den Zelten. Doch die lange Wanderung
und die erste schlaflose Nacht lassen einen diesmal leichter einschlafen.
Es wird schon halten!
Mittwoch, 13.10.93, 6. Tag
Früh am Morgen werden wir unsanft durch laute Knallerei geweckt. Langsam
dämmert uns, daß wir wohl mitten in einem Jagdrevier liegen müssen.
Und tatsächlich: als wir aus den Zelten kriechen, sieht man immer wieder
auf den umliegenden Hügeln einzelne Jäger. Unklar bleibt nur, worauf
die eigentlich schießen.
Das Wetter meint es erneut gut mit uns. Es ist bereits am frühem Morgen
schon recht warm. Im Sonnenschein sammeln wir uns um den Benzinbrenner
und hoffen auf leckere Überraschungen aus den obligatorischen Epas.
Inzwischen haben wir uns zwangsläufig an die leicht süßen Hartkekse,
wahlweise mit Marmelade oder Bierwurst/Schmalzfleisch gewöhnt. Untereinander
wird fleißig ausgetauscht. Mit den knappen Wasservorräten reicht es
nur für einen Becher Kaffee oder Tee; alternativ wird das Getränkepulver
angerührt.
Danach bleibt Zeit, die neuen Zeltschäden der vergangenen Nacht zu begutachten:
diesmal hat es das Dovrefjell erwischt; am hinteren Eingang ist am Boden
ein Stück entlang der Naht gerissen. War wohl zu nachlässig aufgebaut!
Da dies nun aber eh nicht mehr zu ändern ist, soll uns das auch im Moment
nicht weiter belasten.
Stattdessen nutzen wir die einmalige Gelegenheit der Viehtränke oben
auf dem Hügel zur ausgiebigen Morgentoilette; erst die Herren, danach
die Damen. Während Marianne und die Mädchen ihre Morgenwäsche ungestört
erledigen können, bekommt die erste Gruppe plötzlich unerwarteten Besuch:
immer mehr Kühe kommen den Abhang herunter und wundern sich über die
fremden Gäste an ihrer Tränke. Wir sind erst ein wenig unschlüssig,
wie wir uns verhalten sollen; aber kampflos wollen wir das Feld, bzw.
das Wasserbecken auch nicht räumen. Schließlich einigen wir uns mit
den Neuankömmlingen auf ein friedliches Miteinander. Während wir uns
die Haare waschen und Zähnen putzen bedienen sich die Kühe zwischen
uns an der Tränke.
Zurück im Camp heißt es zuerst wieder Zelte abbauen, verpacken und Abfälle
einsammeln. Dann kommt das persönliche Gepäck an die Reihe. Ein letzter,
prüfender Blick über den Platz und los geht`s; die Abfälle nehmen wir
in mehreren Plastiktüten aus den Epas hinten am Rucksack angebunden
mit.
Heute läßt sich die gestern unauffindbare Wegmarkierung ganz leicht
entdecken. Ohne Schwierigkeiten können wir den rot-weißen Zeichen folgen;
exakt wie im Reiseführer beschrieben. Der Anstieg gleich zu Beginn zur
Kuppe 832 treibt einem gleich den Schweiß auf die Stirn. Es geht weiter
über eine Wiese , geleitet von den im Reiseführer erwähnten Nebelstangen.
Anschließend geht es dann steil hinunter zum Paß, den Alberto uns als
Nachtquartier vorgeschlagen hatte. Alles in allem sicher nicht mehr
als ein Kilometer vom gestrigen Schlußpunkt entfernt. Aber gestern waren
wir einfach nicht mehr in der Stimmung, diesen letzten Kilometer zu
laufen. Schade, denn hier unten wäre wirklich ein schönes Fleckchen
gewesen. Unter den Bäumen ruhen wir uns ein wenig im Schatten aus. Hier
können wir auch unseren Müll deponieren.
Der Valico di Fossato (723m) ist der alte Paß der Straße Umbrien - Ancona.
Heute kaum noch befahren; die neue Superstrada sehen wir kurz darauf
unter uns in Tunnels verschwinden; ebenso die Bahnlinie. Unser GEA-Wanderweg
setzt sich auf der jenseitigen Straßenseite fort; als recht breiter
Fahrweg, identisch mit mehreren anderen Wanderwegen. Wir wollen diesmal
darauf achten, ob wir den einzelnen Zeitangaben im Reiseführer folgen
können. Die ersten Minutenangaben stimmen mit unserem Marschtempo exakt
überein. Wir laufen in zügigem Tempo; später hintereinander auf einem
schattigen Waldpfad, an einem Hang entlang. Über uns türmt sich ein
beachtlicher Berg auf, und uns ist klar, daß wir den irgendwann in den
nächsten Stunden mal überwinden müssen.
"Zusätzliche Markierungen "AG" in gelbem Feld. Ungefähr 40 Minuten
nach dem Paß darf man die halb links abzweigenden Farbzeichen nicht
übersehen! Sie begleiten, von Baum zu Baum, eine Grasspur in wenigen
Minuten zu einem Querweg vor der Wiesenkuppe Cima Costicciola. Links,
aber nicht mit der Linkskurve (????) und dem breiten Weg, sondern hinter
der Kurve rechts, erneut nur mit rot-weiß-roten Markierungen, welche
sicher leiten, auch anschließend auf dem breiten Panoramaweg, vorbei
an einem Wasserbehälter"
Soweit die Theorie! Die Karte gibt auch nicht allzu viel zusätzliche
Informationen her; nur hinab ins Tal dürfen wir keinesfalls. Also, immer
wieder auf die Uhr geschaut - 40 Minuten und dann bloß nicht die Abzweigung
verpassen. Wieder zieht sich die Kolonne auseinander. Dann ein breiter
Querweg, der nach links schräg zurück führt. Die Zeit ist auch herum
- aber wo soll die Abzweigung sein. Andree erkundet nach links, Martin
weiter nach rechts - keinerlei Zeichen mehr. Nach kurzer Rast, wobei
sich die knappen Trinkwasservorräte weiter vermindern, entschließen
wir uns für die rechte Alternative. In diesem Moment kommt ein Jäger
auf einem klapprigen Motorrad vorbei. Wir halten ihn an und fragen ihn
nach dem Weg - er antwortet wie ein Wasserfall (leider als italienischer
Wasserfall); zeigt aber auch nach rechts. Und - Glück muß man ja auch
mal haben - nach wenigen hundert Metern erneut unsere Farbzeichen! Sie
biegen auch richtig links hangaufwärts ein; wir immer hinterher; von
Baum zu Baum über eine weite, ansteigende Wiesenfläche. Schon wieder
diese großen, weißen Kühe/Bullen/Stiere?? Jetzt noch schnell das Rätsel
mit der Linkskurve gelöst - und dann befinden wir uns auf dem angekündigten
"Panoramaweg". Es ist heiß geworden; das Hemd klebt am Rücken und der
Blick auf den ansteigenden Schotterweg entlockt uns manchen Seufzer.
Leider entpuppt sich der hoffnungsvoll erwartete "Wasserbehälter" als
eingezäunter Betonteich; fast ausgetrocknet; keinesfalls als Trinkwasservorrat.
Dafür entschädigt ein wenig der weite Blick rechts hinab über das umbrische
Bergland. Irgendwo dahinten liegt der Monte Subasio und Assisi.
Dann erreichen wir bei praller Sonne die kleine Asphaltstraße, die uns
weiterführen soll. Zeit fürs Umziehen! T-Shirts und teilweise kurze
Hosen tauchen aus den Rucksäcken auf; die nassen Stellen auf den Hemdrücken
trocknen langsam wieder. Ein Stück Schokolade aus der Epa bringt zusätzliche
Energien. Hier übernehmen einige der Großen etwas Gepäck der kleineren,
um sie bei Laune zu halten. Sorge bereiten uns die nur noch knappen
Trinkvorräte. Jetzt eine schöne Pinte, oder wenigstens ein Bauernhaus
- selbst Wasser würde uns schon genügen! (Soweit sind wir gekommen)
Dann in der unbarmherzigen Mittagshitze weiter - immer der Beschreibung
des Reiseführers und den Markierungen nach. Im Tal, bei der neuen Hochspannungsleitung,
versucht sich die Mehrheit an einer Abkürzung; sie ist aber durch die
Höhenunterschiede sicher nicht einfacher. Oberhalb, an einem Wasserbecken,
beobachten wir neidisch drei Pferde, die bis zum Bauch ins kühle Wasser
treten. Deren Kraft müßte man jetzt haben, um so flott den Gegenhang
raufzujagen.
Dann erwischt es uns an diesem Tag doch noch: die weit auseinandergezogene
Gruppe - absolut sicher, dem richtigen Weg zu folgen, findet sich plötzlich
auf immer schmaler werdenden Pfaden in einem dichten Laubwald wieder.
Andree macht sich wieder auf Spurensuche, diesmal leider erfolglos.
Nach oben, auf den Monte Maggio, wollen wir auf keinen Fall - die Spitze
liegt immerhin bei 1364 m); nach unten liegt weit unten ein verlassenes
Tal - auch nicht ratsam. Wir beschließen, dem Gelände durch das Unterholz
parallel zum Berghang zu folgen - laut Karte wäre das zumindest die
richtige Richtung. Vorher wird eine letzte Dose River Orange geöffnet
und reihum getrunken; das muß für die Mobilisierung der letzten Kräfte
reichen.
Endlich kommen wir aus dem Wald heraus; in dem dichten Laub ließ es
sich nur mühsam mit schräggesetzten Füßen laufen. Wenigstens haben wir
schon mal einen weiteren, angekündigten Hochbehälter gefunden. Aber
ist das überhaupt der richtige? Der schmale Weg, dem wir die letzten
Meter gefolgt sind, verschwindet nach links unten ins Tal. Das kann
es also nicht sein. Irgendwo müssen doch diese verdammten rot-weißen
Markierungen sein! Martin findet sie schließlich weit oberhalb quer
am Hang. Zur Belohnung darf er noch mal nach unten und seinen Rucksack
holen. Gedanken an das Hotel Stella mit seinen Getränkevorräten machen
sich im Kopf breit; maximal noch eine Stunde.
Dann kommen wir wieder aus einem Wäldchen heraus und haben das Valsorda,
einen Hochtalkessel, vor uns liegen - unsere nächste Verpflegungsstation.
Während die ersten schon lange unten an der Bar angekommen sind, macht
sich der Schluß der Gruppe an den mühsamen Abstieg über das lose Geröll
auf dem Weg - oder ist es ein ausgetrocknetes Bachbett?
Die Formulierung des Reiseführers, der diese Wegstrecke von der Albergo
Monte Cucco wie folgt beschreibt, kann auch nicht mehr viel aufmuntern:
" Verde Umbria! Grün in allen vorstellbaren Schattierungen. Wie ein
Drang zum Leben. Friedlicher Wettstreit ewiger Zeiten: Berge und Himmel,
sich scheinbar in der Ferne berührend, begrenzend - verwischend im Dunst
des heißen Tages. Frei weidende Pferde stieben mit geballter Kraft und
fliegenden Mähnen unbeschwert durch ihr Paradies. Versöhnender Ausklang
für ständiges Auf und Ab ist schließlich das Eindringen in den Hochtalkessel
Valsorda., wo bis spät am Nachmittag die Sonne hineinscheint. Valsorda
verzögert den Schritt! Schon schwirrt der nächste Tag durch den Kopf."
Absolut echter Originalton! Na, und eigentlich stimmt ja auch alles
- trotzdem glauben wir, daß der Verfasser das entweder abends in der
Albergo geschrieben hat, oder aber genügend Vorräte mitführte....
Natürlich hat das Hotel Stella schon für diese Saison geschlossen, ebenfalls
der benachbarte Campingplatz. Offen ist lediglich eine kleine Bar namens
Clelia , direkt an der Paßstraße. Also Schuhe aus und auf Strümpfen
hinein. Mit "Aqua minerale" und "Birra grande" (Tuborg grün,kalt, 0,66l
!!) kommen wir schnell mit dem Wirt klar. Dazu stellen einige Rekorde
im Eisessen auf!
Dann meldet sich der Hunger - seit dem Frühstück haben wir ja auch nichts
mehr gehabt; und mittlerweile ist es fast 16 Uhr. Mit warmen Essen ist
hier nichts - wir haben sogar noch Glück, daß sich der Wirt erbarmt
und uns seine letzten 2½ Brotlaibe und ein großes Stück Käse aus seinen
privaten Vorräten überläßt; dazu ein paar Flaschen Rotwein, die er an
einem Faß abfüllt.
Zu diesem Zeitpunkt setzen heftige Diskussionen ein, wie die Tour weitergehen
soll - da Donnerstagabend auf alle Fälle Assisi wieder erreicht sein
muß, bleibt uns höchstens noch der nächste Vormittag zum Wandern. Dann
müssen wir die Bahnlinie erreicht haben. Die Vorschläge reichen von
Abbruch zum jetzigen Zeitpunkt, bis zum strammen Weitermarsch laut Vorplanung.
Wir entscheiden uns nach langer Diskussion für einen Mittelweg: heute
noch ein kurzes Stück, und dann am morgigen Vormittag hinunter nach
Colle zur Bahnstation Gaifana.
Man spürt bereits den Abend näherkommen, als wir uns verabschieden und
uns bergauf wieder auf den Weg machen. Diesmal folgen wir abweichend
vom Reiseführer der breiten Schotterpiste bis ziemlich weit hinauf.
Dann erreichen wir ein kleines Wäldchen. Da oberhalb nur die nackte
Graskuppe des Berges zu sehen ist, zudem noch ziemlich steil, beschließen
wir, hier für heute Schluß zu machen.
Zum Glück finden sich zwischen den Bäumen genügend einigermaßen flache
Stellen zum Zeltaufbau. Während Jan sich mit der Säge am Taschenmesser
bemüht, einige störende Äste zu entfernen, um Platz für die Kuppel von
Tschernobyl zu schaffen, beschließen andere, direkt oberhalb der Felsen
mit Blick auf Gualdo Tadino im Freien zu schlafen. Schließlich bleibt
das Kuppelzelt auch unten und wird lediglich als Unterboden benutzt;
von unten weht ein warmer Wind den Hang herauf und erinnert lebhaft
an die vorausgegangenen windigen Nächte. Also wird der Sturm in dieser
Nacht überlistet: er wird eben kein Zelt vorfinden.
Es bleibt noch Zeit für eine kurze Erkundung der Umgebung (wegen der
vielen schönen Bäume endlich auch keine Toilettenprobleme); dann müssen
die Schlafstellen vorbereitet werden, denn die Nacht kündigt sich an.
Schon im Dunklen werden die letzten Alupacks dieser Tour warm gemacht.
Beim Abendessen und kurzem Gute-Nacht-Trunk ein herrlicher Blick hinab
auf das beleuchtete Gualdo Tadino, dort, wo vor drei Tagen die Tour
begann. Wir können von oben sogar den Marktplatz erkennen.
Allerdings können wir auch ohne Mühe die schwarzen Wolken am Horizont
erkennen, die sich langsam von Westen heranschieben, und im Laufe der
Nacht immer näherkommend den Sternenhimmel auslöschen. Martin nimmts
gelassen. Er wartet langsam auf den Einsatz der Regenjacke.
Vor dem Einschlafen noch schnell einige kurze Gruselgeschichten, die
zu den knarrenden Baumwipfeln über den Schlafsäcken passen.
Donnerstag, 14.10.93, 7. Tag
Eine ruhige Nacht liegt hinter uns; d.h., je nachdem wie man vorher
den Boden unter seiner Isomatte vorbereitet hatte. Der Himmel ist stark
bewölkt; der von Martin herbeigesehnte Regen (ob die Jacke ihr Geld
wohl wert ist ?) scheint unmittelbar bevorzustehen. Ein kühler Wind
fegt über den Hang herauf. Von Gualdo Tadino ist durch den Dunst nicht
mehr viel zu sehen.
Andree ist schon früh unterwegs; er will weiter nach oben, findet aber
nur weitere Kuppen vor. Aus Sicherheitsgründen wird zuerst alles verpackt.
Heute dürfte es aber auch egal sein, ob wir was von oben abkriegen,
denn abends werden wir ja wieder in Assisi sein.
Dann Frühstück: das letzte Brot aus der Bar, dazu jeder ein Stück Käse
und was so noch an Resten in der Epa ist (bei einigen nicht mehr viel).
Dann die Rucksäcke hoch und in Einerreihe quer dem Hang folgend.
Auf den Reiseführer wird verzichtet; jetzt zählt die Karte! Und die
zeigt uns unmißverständlich, daß wir gleich auf eine schroffe Schlucht
stoßen werden! Und weil die mehreren hundert Meter Steilwände nichts
für uns sind, müssen wir irgendwo einen passablen Abstieg finden.
Zunächst geht es immer parallel am Hang entlang, teilweise durch ein
Wäldchen leicht abwärts. Oben, die Gipfel, verschwinden im Nebel. Zunehmend
wird es feuchter. In einem Taleinschnitt scheint ein Weg abwärts zu
führen. Eine bessere Gelegenheit werden wir wohl nicht mehr bekommen;
also hinunter! Leider verliert sich dieser Weg nach einiger Zeit und
wir laufen weiter bergab querfeldein; immer mit der Sorge, gleich vor
einer Steilwand zu stehen. Jetzt fallen die anfänglich zögernden Tropfen
dichter. Zeit für Sympatex oder Goretex - oder eben einfaches Plastik.....
Wieder ein Weg, sehr steinig, sehr steil und unerfreulich rutschig durch
den Regen. Manche benutzen lieber alle Viere um abzusteigen. Unterwegs
dafür viele Usambaraveilchen in lia, rosa oder rot und verschiedene
Kräuter, die von Marianne und Svenja begeistert gesammelt werden. Martin
bleibt an einer engen Stelle mit dem Rucksack an einem Ast hängen und
landet auf dem Hintern.
Dann sind wir unten - auf dem Boden der Rocchetta-Schlucht. Links und
rechts ragen fast senkrecht die Wände auf. Hier muß auch alles unterhöhlt
sein. Uns aber steht der Sinn nach der Zivilisation, d.h. vor allem
nach einer Einkaufsmöglichkeit. Nach längerer Wanderung abwärts der
Schlucht weitet sich vor uns das Gelände, und wir erreichen die Außenbezirke
von Gualdo Tadino. Vorbei an einer Mineralwasser-Fabrik (gleich gibts
hoffentlich was Besseres!) erreichen wir die ersten Straßen - und siehe
da: ein schönes, kleines Geschäft! Wir machen am Rinnstein Pause und
holen Obst, Teilchen und Getränke.
So gestärkt geht es weiter. Wir haben die Wahl zwischen dem Bahnhof
von Gualdo Tadino oder dem von Gaifana, etwa 4 Kilometer talabwärts.
Um nicht durch die ganze Stadt zu müssen, entscheiden wir uns für Gaifana
- auch aus Nostalgiegründen, denn hier begann 1991 unsere Wandertour.
Leider müssen wir erst mal einige hundert Meter an der Hauptstraße entlang.
Dann teilt sich die Gruppe: einige vorweg auf dem kürzesten Weg entlang
der Straße zum Bahnhof; die anderen zweigen nach der Karte auf einen
Nebenweg ab. In einem kleinen Örtchen vor einem Lebensmittelgeschäft
noch eine Mittagsrast: wir lassen uns Paninis mit Schinken belegen und
lassen dazu unsere Becher kreisen.
Die alten Leute, die ab und zu vorbeikommen, betrachten uns mit unserem
Gepäck neugierig. Alle aber sind freundlich! Unterwegs gibt es die Gelegenheit,
Feigen und dunkle Weintrauben vor Ort abzuernten (was ausgiebig getan
wird). Die letzten Reben müssen beim Weg durch die Weinplantagen hin
zur Hauptstraße dran glauben.
Stazione Gaifana - edel mit Marmor gebaut; aber leider wenig Zugverkehr!
Der Beamte an der Fahrkartenausgabe sucht uns eine passende Verbindung
über Foligno heraus; Abfahrt leider erst in einigen Stunden, gegen 15
Uhr. Wir nutzen die Zeit für eine ausgiebige Rast; einige verbinden
das wieder mit einer Eisorgie in der nahegelegenen Bar; Martin versucht
sich an einem kalten Bauerntopf (soll laut Packungsaufdruck auch ohne
Erhitzen ohne größeren Geschmacksverlust schmecken) Na ja.
Die Trekking-Tour ist also vorbei. Schade. Leider haben wir es nicht
ganz geschafft, es zu erleben wie es ist, wenn "Landschaften, Täler
und Bergketten links und rechts des Kammes wie in einem breiten Strom
fließen". Auch der Abschnitt des Reiseführers, mit dem Martin die anderen
immer wieder genervt hat " Der Wanderer auf dem Kamm, das dunkle Pünktchen
in spürbarer Weite, fühlt sich in goldener Mitte - an der Nahtstelle
zwischen Wirklichkeit und Traum." Etwa 40 Kilometer haben wir in diesen
Tagen zurückgelegt; bei dem schweren Gepäck und der durch die kurzen
Tage begrenzten Zeit durchaus beachtlich. Wettermäßig hatten wir unverschämtes
Glück. Die Beschreibungen im Reiseführer, die Nebelstangen auf der Route
sprechen da eine deutliche Warnung aus.
Die Sonne scheint inzwischen wieder und man macht es sich auf dem Bahnsteig
gemütlich. Erinnert Andree und Martin an eine Station auf Sardinien,
wo sie auch lange Aufenthalt hatten. Dann kommt endlich unser Zug, und
über Foligno geht es mit Umsteigen zurück nach Assisi; Kosten gerade
so um die drei Mark. Am Abteilfenster fliegt Spello vorbei; dann der
lang gezogene Hang des Monte Subasio. Wir denken an die anstrengende
Wandertour mit den Jufis 1992, als wir über Spello vom Monte Subasio
herunterkamen.
In Assisi können wir auf den Kartenkauf für den Bus verzichten; wir
haben noch ausreichende Vorräte von der Hinfahrt. Von der Busendstation
dann noch der gewohnte Fußmarsch zum Campingplatz (jedesmal immer wieder
anstrengend!) Unterwegs kommt uns Peter mit Sebastian entgegen und nimmt
uns einiges an Gepäck ab. Jetzt gibt es natürlich viel zu erzählen.
Bärbel hat schon für alle ein tolles Abendessen vorbereitet; es gibt
Hörnchennudeln mit Hackfleischsauce und dazu einen großen, gemischten
Salat. Dann bleibt uns auch an diesem Abend der Aufbau der Zelte nicht
erspart; zumal sich am Horizont wieder mal schwarze Wolken abzeichnen.
Das läuft inzwischen aber routinemäßig ab; sogar im Dunklen.
An diesem Abend bleiben wir natürlich im Camp. Bei einigen Fläschchen
ziehen die Erlebnisse der letzten Tage noch einmal an uns vorbei. Uns
wird jetzt erst richtig klar, wie schnell die Zeit verflogen ist. Morgen
ist unser letzter voller Tag - dann heißt es schon wieder Abschied nehmen.
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