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„Schwarzer Mittwoch“, 6.10.99, 6.Tag

Wir hatten eine ruhige Nacht ohne besondere Vorkommnisse. Die werden an diesem Tag aber noch kommen. Glücklicherweise ahnen wir davon aber noch nichts.....

Als die Sonne sich kurz vor halb acht über den Bergen zeigt, sind wir schon lange auf und haben auch schon das Morgenrot bewundern können. Nach einem heißen Getränk setzen wir uns im Morgenlicht noch ein wenig ans Meer oder erkunden die eigenartig vom Wasser geformten „Sandfelsen“ entlang der Küste, ehe wir uns ans Abbauen machen. Frühstück soll es erst in Bosa geben.

Auch an den Bussen gab es keinerlei Probleme; bald ist alles wieder verstaut und wir kommen am frühen Vor­mittag bei bestem Wetter im kleinen Städtchen Bosa an. Hier wird eingekauft und ein kleiner Park lädt zum Frühstück ein. Und danach lockt der danebenstehende Brunnen mit seinen drei Wasserkränen zu einer ausgie­bigen Morgentoilette. Na ja, fairerweise müßte man vielleicht doch sagen, daß es mehr zu einer Art Wasser­- schlacht ausartete! Und während das Wasser schon über die Straße davonläuft, beginnt das Unheil. Es naht, während Martin als letzter die Szene betritt, um sich noch schnell die Haare zu waschen, in Gestalt eines erbo­sten Sarden: lautstark macht er uns klar, was er von uns hält! Wir sollen uns gefälligst wieder nach Deutschland zurückscheren usw. usw. Das zwar alles auf italienisch und mit etlichen Kraftausdrücken versehen, die wir in­zwischen durchaus verstehen (uns aber nichts anmerken lassen); aber auch für diejenigen unter uns, die über­haupt kein italienisch verstehen, ist der Sinn sonnenklar: wir scheinen hier am Brunnen gerade eine Art Tod­sünde mit der Wasserpanscherei begangen zu haben. Nun gut, wir halten still und lassen das Donnerwetter über uns ergehen - wozu noch Öl ins Feuer gießen? Wenngleich Martin nun das Problem hat, mit dem Handtuch den Schaum vom Kopf zu bekommen. Aber natürlich auch irgendwie verständlich - die scheinen hier extreme Wasserknappheit zu haben. Wir sind ja auch zum ersten Mal im Oktober auf Sardinien; sonst, bei den Früh­jahrsfahrten, war das Waschen an öffentlichen Brunnen nie ein Problem. Da auch von „Polizia“ die Rede ist, verschwinden wir schleunigst in den Bussen und machen einen Stellungswechsel hinunter zum Fluß.

Hier parken wir die Busse unter großen Palmen (einer von uns identifiziert sie zielstrebig als Riesenananas) und machen uns in Kleingruppen auf zur Stadterkundung. Wer will, kann mit hochkommen zum mittelalterlichen „Castello“ hoch über Bosa; von hier aus hat man wirklich einen hervorragenden Ausblick über die Stadt. Die ab jetzt kursiv gesetzten Abschnitte wurden dem Reiseführer von Hans Bausenhardt entnommen, der - unserer Meinung nach - den besten Reiseführer über Sardinien geschrieben hat („Sardinien“, Hans Bausenhardt, Verlag Martin Velbinger, ISBN 3-88 316-016-4)

„Bosa ist eine mittelalterliche Kleinstadt am Ufer des Temo, der als einziger Fluß Sardiniens vom Meer bis nach Bosa mit Schiffen befahren werden kann. Der Fluß wurde bereits von den Puniern benutzt; später von den Römern. Geschützt von der Burg konnten im Mittelalter die Waren vom Meer bis in die Stadt Bosa transportiert werden. Aus Angst vor Piratenüberfällen errichtete man im 16. Jahrhundert eine Sperre im Fluß; nahe der Mündung. Allerdings fatal, da die Sperre auch den eigenen Schiffen den Weg ins Meer versperrte. Zur Wende in unser Jahrhundert war das Mündungsgebiet des Temo eines der Malariagebiete der Insel. Es wurde 1946-49 trockengelegt und bereinigt.“

Blick von der Burg hinunter auf Bosa bis hin nach Bosa Marina Am Strand von Bosa Marina

Oben auf der Burg läßt uns eine alte Frau ein; sie will uns irgendwas erklären, mit einem verlorengegangenen Schlüssel oder so ähnlich. Als sie auch noch anfängt zu weinen, ziehen wir uns langsam zurück. Unten in einem Straßencafe ein letztes Päuschen, danach nutzen wir noch einen winzigen Alimentari zur Beschaffung von fri­schem Gemüse für das am Abend geplante Ratatouille.

Weiter geht es nun nur ein paar Kilometer bis nach Bosa Marina, dem Badeort von Bosa direkt am Meer. Hier lockt das blaue Wasser und der Sandstrand zu einer ausgiebigen Badepause. Während die Sonne heiß vom Himmel brennt, plätschern wir im angenehm temperierten Wasser oder lassen uns von den Wellen in Strand­nähe herumwerfen.

Wir haben die Busse oben an der Promenade geparkt; hier befindet sich auch ein Brunnen(!), der zum Abspülen des salzigen Meerwassers einlädt (denn leider sind die ganzen Badehäuschen unten am Strand bereits für den Winter geschlossen). Und prompt erwischt es uns hier erneut: diesmal kann der erboste Italiener sogar deutsch - und er macht uns drastisch klar, was gleich passieren würde, wenn die Polizei uns hier erwischt! Einige Jufis lassen sich nur mühsam vom wirklichen Ernst der Lage überzeugen - klar, es ist ja auch nicht angenehm, sich die Klamotten über die salzige Haut zu streifen. Auch hier machen wir, daß wir zügig wegkommen. Diese Lek­tion haben wir heute gründlich gelernt: Wasser sparen ist jetzt im Oktober auch für uns wichtig. Wir werden es beherzigen, nun, da wir es wissen. Zur Not müssen wir uns unterwegs an den Kanistern waschen.

Die Fahrt führt nun weiter hinein ins Bergland; über Cuglieri geht es dann wieder zur Küste zurück bis hinunter zur Halbinsel von Sinis. Tharros haben wir als Ziel für heute Abend schon gestrichen; wir folgen einer winzi­gen Stichstraße, die uns zum etwa 5 Kilometer entfernten Meer bringt. Schon beim Abbiegen von der Haupt­straße in diese Nebenstraße überall Schilder; einwandfrei zu identifizieren, und direkt an uns gerichtet: „NO CAMPING“. Aber irgendwo müssen wir ja schließlich heute Abend bleiben! Also fahren wir weiter, bis die Straße an einem Parkplatz direkt hinter den Dünen endet. Auch hier jede Menge Verbotsschilder - dazu eine verlassene Strandbar und so vier, fünf Autos; unter anderem ein deutsches Wohnmobil.

Während wir noch beratschlagen, nähern sich uns zwei Deutsche, die sich anscheinend während einer Strand­wanderung entfernungsmäßig verschätzt haben und hier auf eine geöffnete Bar gehofft hatten. Wir geben ihnen Wasser und eine gut gekühlte Dose DAB-Pilsener und erhalten im Gegenzug dafür pure Dankbarkeit und zu­sätzliche Informationen über diesen Küstenstrich. Nein, mit Polizei brauchen wir hier zu dieser fortgeschritte­nen Jahreszeit nicht mehr zu rechnen, meinen sie.

Nun gut, wir werden mal abwarten, bis es dunkel wird. Vielleicht können wir ja ohne Zelte direkt oben auf den Dünen schlafen. Keine Zelte - kein Camping! Für uns eine klare Logik, falls doch nachts eine Kontrolle kommen sollte (auch das kennen wir inzwischen von einem nächtlichen Polizeiabenteuer während der diesjährigen Kalabrienfahrt)

Wir fahren Busse und Hänger zu einer Art Wagenburg auf dem Parkplatz zusammen und beginnen im Wind­schatten zu kochen; diesmal sind die Mädchen an der Reihe und die Jungen haben, nach der Installation der Küche, dienstfrei (leider!). Während Marianne, Anna und Christoph mit den Mädchen also ein schmackhaftes Ratatouille mit Reis herstellen und die anderen Leiter im Schatten müßig herumsitzen, verschwinden die Jun­gen so nach und nach aus dem Blickfeld; nicht weit, aber auch nicht folgenlos! Denn leider lockt der sich hinter der Bar befindliche Bambushain unsere Jufis zu einem improvisierten Speerkampf. Die Speere sind schnell gefunden; man muß ja nur den Bambus fällen (übrigens der einzige Hain weit und breit in der verdorrten Land­schaft). Dabei stören dann eigentlich nur noch die Bambusblätter. Aber auch kein Problem, man kann sie ja malerisch überall verstreuen, vorwiegend im Bereich der überdachten Sitzplätze, die noch zur Bar gehören aber nicht abgeschlossen sind.

Bald darauf ist das Essen fertig; in einer langen Reihe bedienen wir uns am Bräter. Einigen Mädchen scheint ihr selbstbereitetes Essen dann doch nicht so ganz zu schmecken; auch diese Reste auf den Tellern lassen sich gut irgendwo unter den Tischen beseitigen. Martin notiert zu diesem Zeitpunkt im Reisetagebuch: „Um 18 Uhr sind wir ganz allein am Strand - das Wetter ist prächtig. As wird der Abend noch an Unerwartetem bringen?“

Und nach diesen vorbereitenden Aktionen kann das Drama, Teil III des heutigen Tages, endlich anfangen. Es beginnt mit der Heranfahrt eines kleinen Wagens, aus dem eine ganze italienische Großfamilie quillt und ziel­strebig zur Bar eilt. Oh je - das sind wohl die Besitzer! Sie sind es, wie man gleich darauf unschwer an ihren finsteren Mienen erkennen kann, mit denen sie zielstrebig über den Parkplatz auf uns zusteuern. Denn daß wir für die ganze Sauerei rund um ihre Bar verantwortlich sind, ist klar: sonst ist ja weit und breit keiner mehr hier! Wieder einmal wird es an diesem schwarzen Mittwoch laut - und wieder trotz mangelhafter Italienischkennt­nisse für alle eindeutig zu verstehen. Martin und Peter müssen nun vor und die Angelegenheit entschärfen und entschuldigen. Unsere Jungpfadfinder bekommen jetzt doppelten Segen ab: erst von den Italienern, dann von Peter und Martin. Ziemlich kleinlaut machen sie sich ans Aufräumen. Zuletzt haben die beiden anwesenden Italienerinnen dann auch noch Mitleid mit unseren Jufis - wir sollen doch nicht soviel schimpfen, es sind doch noch „Bambinis“ (wenn die wüßten!) und überhaupt - sie hätten es ja vielleicht gar nicht böse gemeint. Peter glättet die Wogen dann noch zusätzlich mit einer Flasche Thaora als kleiner Wiedergutmachung; dazu erzählen wir von unseren bisherigen Erlebnissen und unseren weiteren Plänen.

Und dann, bei ihrer Abfahrt, laden uns die Sarden auch noch ein, wir könnten ohne Weiteres heute Nacht unter dem Vordach übernachten! Dort hätten wir keine Probleme mit der Polizei zu befürchten, weil sie uns das als Besitzer ausdrücklich angeboten hätten. Wir sind nun doch ein wenig beschämt!

Während all dieser Ereignisse ist nun leider inzwischen die Sonne im Meer versunken - das war unsere letzte Chance, noch einmal einen einmaligen, blutroten Sonnenuntergang an der Westküste zu erleben. Dafür sehen wir Flamingos, die nun aus der Lagune neben uns starten und übers Meer davonfliegen. Und während es schnell dämmrig und auch windstill wird, bekommen wir es schlagartig mit einem weiteren Problem zu tun: Mücken! Obwohl wir uns in Windeseile lange Sachen anziehen, kassieren wir jede Menge Mückenstiche. Das mit der Malaria vor einigen Jahrzehnten können wir uns lebhaft vorstellen.

Wir prüfen nur kurz die Lage unter dem Vordach: auch hier ist es windstill - und auch hier werden uns die Mücken nachts als willkommene Opfer sehen! Unser Beschluß ist einstimmig und zügig gefaßt: hinauf mit den Schlafsäcken auf die Dünen; hinein in den Seewind, der dort zum Glück bläst und uns die Plagegeister vom Leib hält. Einige Jufis haben mal wieder nicht richtig zugehört und müssen für diese Nacht auf eine Bodenplane unter den Isomatten verzichten; wir anderen suchen uns grüppchenweise flache Stellen zwischen den Dünen und richten uns dort mit unseren Schlafsachen häuslich unter freiem Himmel ein. Und an diesem Abend gibt es keinen nächtlichen „Ausgang“ mehr für unsere Jufis: auf ein viertes, unerwartetes Abenteuer können und wol­len wir Leiter heute gerne verzichten. Die Aussicht hinaus auf`s nächtliche Meer ist auch aus den Schlafsäcken heraus schön genug. Dazu über uns wieder mal ein leuchtender Sternenhimmel.


Donnerstag, 7.10.99, 7.Tag

Das frühe Aufstehen wird uns allmählich zur Regel! Wieder haben wir heute den Wettlauf mit der Sonne ge­wonnen. Dafür gibt es heute aber einen ganz plausiblen Grund: es ist der Wind, der über die Düne pfeift, dies­mals von Land her. Und war dieser Wind gestern noch ein gerngesehener Verbündeter gegen die Mückenplage, so ist er heute selbst zur Plage geworden: er ist durchdringend kalt (na ja, das hängt subjektiv natürlich auch ein wenig vom Schlafsack ab. Ein „Schlaffsack“ aus dem Discounter für 30,-DM gerät dabei natürlich eher an seine Grenzen als ein hochwertigerer Expeditionsschlafsack.

Als dann aber die Sonne kurz darauf ihre wärmende Kraft entfaltet, ist die Kälte der Nacht schnell vergessen. Länger werden wir uns an den Sand um uns herum erinnern: er hat über Nacht unserer Ausrüstung ziemlich zugesetzt und ist in so ziemlich jede Ritze und Spalte gekrochen. Hier hilft nun nur gutes Schütteln!

Wir ziehen sofort kurze Hosen und T-Shirt an und machen uns auf zu den hinter den Dünen stehenden Bussen. Frühstück ist erst in Riola, der nächsten Stadt, angesagt. Die haben wir so gegen 9 Uhr auch erreicht; ein freundlicher Sarde macht uns darauf aufmerksam, daß wir mitten im Halteverbot stehen („Attenzione, Polizia stradale!“); also schnell die Wagen in eine Seitenstraße umgesetzt. Wir kaufen jede Menge frischer Paninis, Milch und dergleichen und lassen uns in „unserem“ alten Park am Sportplatz häuslich nieder. Leider läuft die vorhandene Sprinkleranlage nicht; mit Waschen wird`s hier also nichts. Dafür gibt es aber einen Brunnen, an dem wir alle Kanister für die Weiterfahrt füllen können. Na ja, und auch ein Zähneputzen muß ja wohl hier drin sein!

Nach einer idyllischen Übernachtung unter dem Sternenhimmel auf der Sinishalbinsel Auf der Tharroshalbinsel Am Sarazenenturm von Tharros

Weiter geht es dann quer über die Sinishalbinsel, durch den kleinen Ort Cabras mit seinen verwinkelten Straßen hindurch. Wir kommen an dem kleinen Ort San Salvatore vorbei, wo vor Jahren viele Italo-Western (z.B. „Vier Fäuste für ein Halleluja“) gedreht wurden (und von uns seinerzeit 1989 in den noch vorhandenen Kulissen eine Westernparodie mit Anton und Kongo). Unser Ziel ist aber jetzt Tharros, die halb im Meer versunkene Stadt aus der Zeit der Karthager.

Und hier ist inzwischen vieles neu geschaffen: eine neue Umgehungsstraße; viele Parkplätze (teilweise noch im Bau) und leider auch ein Kassenhäuschen am Eingang zur Ruinenstadt. Wir erkunden erst einmal die Preise (na ja, was nix kostet, is`auch nix) und klettern dann hoch zum alten Sarazenenturm, von dem man laut Reiseführer den besten Ausblick über Tharros haben soll. Martin liest dort einige Informationen aus dem Buch vor:

„Tharros. Vor Jahrtausenden einst eine unermeßlich reiche Stadt. Gegründet schon 1200 Jahre vor (!) Chri­stus; nacheinander bewohnt von Phöniziern, Puniern, Römern. Seit 1100 nach Christus nicht mehr bewohnbar, da ständig Überfällen der Piraten von drei Meeresseiten ausgesetzt. Eine Geisterstadt, über deren Ruinen der Wind den Sand blies und Pflanzen alles überwucherten. Dazu noch eine Landsenkung, bei der die für damalige Zeiten gigantischen Hafenmauern im Meer versanken. 1851 per Zufall neuentdeckt; Schatzgräber plünderten alles. Ein zeitgenössischer Bericht sagt, daß damals an die 1000 Leute herumbuddelten und schon bald der letzte Spaten in der ganzen Gegend ausverkauft war! Die meisten Schätze heute in England und Frankreich; die gesamten Goldfunde unwiderruflich damals eingeschmolzen. Ein trauriges Schicksal für eine der einst bedeutendsten Hafenstädte im gesamten Mittelmeerraum!“

Oben vom Turm hätte man sicher noch eine bessere Aussicht; aber auch hier prangt ein Preisschildchen. Wir stellen es den Jufis frei, den Eintritt vom Taschengeld zu zahlen. Es will aber keiner. Nach diesem ersten Über­blick geht es also wieder hinunter zum Kassenhäuschen. Dort können wir zunächst keinen Gruppentarif be­kommen, weil wir nur 18 Personen sind. Kurzentschlossen stocken wir die Gruppe also auf die Mindestzahl von 20 Leuten auf; bekommen dafür billige Tickets, die zudem sogar noch den Eintritt oben in den Sarazenen­turm beinhalten. Jetzt müßten nur noch zwei Touristen kommen, denen wir die beiden überzähligen Karten verkaufen könnten... Die freundliche junge Dame an der Kasse weist uns darauf hin, daß der Turm um 12 Uhr, also in etwa 20 Minuten, wegen der Mittagspause geschlossen würde. Also zuerst dorthin: wieder den steilen Berg und die Stufen im Turm hinauf. Oben dann nach allen Seiten ein umfassender Ausblick! Von hier aus konnte man jedes ankommende (Piraten)schiff schon lange vorher erkennen. Unsere Jufis lockt aber mehr die Aussicht auf die tollen Sandstrände unter uns. Klar, daß sie jetzt einen Badeaufenthalt nach der Tharros-Erkun­dung verlangen.

Zuerst aber schlendern wir durch die Ruinen und Überreste der einstigen Mittelmeer-Metropole; begutachten die 2000 Jahre alte Kanalisation der Römer und landen schließlich am „Tophet“, ein Heiligtum, in dem früher die Erstgeborenen geopfert wurden, um den Gott Melqart gütig zu stimmen. Wir halten in unserer Gruppe Aus­schau, wer denn hier ein Erstgeborener ist, und wen somit das Schicksal getroffen hätte. Wir werden fündig und schleppen das Opfer zum Tempel; zumindest bis zum Absperrzaun davor. Unser eigener Regengott, Güpi, gibt sich ja glücklicherweise mit kleinen Geldopfern zufrieden.... Vorbei an Tempel- und Thermenüberresten geht es dann wieder zurück zum Eingang; alles in allem mehr ein Höflichkeitsbesuch, weil man nun schon mal in der Nähe war, als ein wirkliches Interesse. Na ja, wer interessiert sich mit 11, 12 Jahren schon so intensiv für Geschichte?

Das anschließende Baden im Mittelmeer findet dafür allgemeinen Anklang. Man kann sich daran gewöhnen, Mitte Oktober unter strahlend blauem Himmel im warmen Wasser zu paddeln. Wir treffen eine ältere Frau, die hier im Nachbarort Urlaub macht. Sie erzählt, daß jetzt kaum noch Touristen da wären; dementsprechend billig kann man Ferienwohnungen mieten. Dafür gibt es auch hier extreme Wasserknappheit: kein fließendes Wasser mehr; selbst das Toilettenpapier muß trocken eingesammelt werden...

Für uns drängt nun allerdings ein wenig die Zeit: Etappenziel für heute ist die „GIARA di GESTURI“, eine Hochfläche im Inland der Insel. Und die ist noch gute 100 Fahrtkilometer von Tharros entfernt. Hinzu kommt, daß einige jetzt menschliche Bedürfnisse drängen, die man hier in den flachen Dünen kaum erledigen kann.

Zügig geht es jetzt also weiter nach Oristano, wo wir Zeit für eine Erkundung auf eigene Faust festlegen. Da aber auch in dieser recht großen Stadt jetzt über Mittag alles dicht hat, fahren wir so gegen 15 Uhr weiter. Zu­vor haben wir zum Glück einen geöffneten Supermarkt gefunden, in dem wir uns mit dem Notwendigen für das abendliche Kochen eindecken können.

Die folgende Fahrt führt uns durch ein ganz neues Sardinien: viel Flachland; die Erde braun von der Sonne ver­brannt; oftmals hoher Bambusbewuchs links und rechts der Straße. Für uns eine Gegend mit vielen Erinnerun­gen; hier machte das Fahrradfahren immer viel Spaß. Über Villanova und Usellus nähern wir uns nun der Giara.

„Giara di Gesturi. Sardiniens ausgedehntestes Basaltplateau; 12 Kilometer lang, bis zu 4 Kilometer breit. Eine riesige Hochfläche, auf der bis zu 1000 verwilderte Pferde leben. Wildpferde im biologischen Sinn sind sie nicht; sondern Nachfahren der Hauspferde aus der Nuraghenzeit, als die Giara letztes Bollwerk gegen die ein­dringenden Phönizier und Römer war. Die Nuraghenreste rings an den Steilrändern der Giara weisen sie heute noch als einst gigantische Festung aus (12 x 4 Kilometer groß!) Die Bestimmung der Pferde ist heute aber längst nicht mehr so edel, wie man in manchem Sardinien-Reisebuch lesen kann: einmal im Spätsommer gibt es eine große Jagd; dann werden die Tiere zu Hunderten hinunter in die Dörfer getrieben; Jungtiere bekommen das Brandzeichen, und was dafür geeignet erscheint, endet als Schlachtvieh.“

Im Frühjahr gibt es hier oben ausgedehnte Seen, nicht tiefer als 50 Zentimeter; jetzt im Herbst wird es höch­stens noch Tümpel geben. Diese Gegend ist für uns alle Neuland; wegen des Steilanstieges haben wir sie auf Radtouren immer umfahren. Mit zwei Bussen ist so ein Anstieg natürlich ungleich einfacher; wenngleich vielen auch ziemlich mulmig wird, als wir uns das enge Serpentinensträßchen ohne Seitenbegrenzungen ab Tuili hochquälen. Als wir dann Gegenverkehr bekommen, sind wir froh, daß wir gerade zur Bergseite hin auswei­chen müssen. Kurz darauf stoppen uns wilde Schweine, die sich an der einzigen Wasserstelle im Schlamm vergnügen.

Zielstrebig haben wir dann den im Reiseführer beschriebenen Parkplatz erreicht; hier können wir die Busse par­ken und in der Nähe sicher einen Zeltplatz finden. Unklar ist allerdings, was die paar Hirten, die sich noch hier oben befinden, dazu sagen werden. Wir warten also noch ein wenig ab, bis wir allein sind, und suchen dann die im Reiseführer beschriebene Kapelle „Santa Lucia“, die als Beispiel für Spontanarchitektur angepriesen wird. Und rings um diese kleine Kirche ist tatsächlich genug Platz für unsere Zelte, wenngleich der Boden auch etwas steinig ist. Vorsicht beim Zeltaufbau ist also geboten. Die Aussicht dafür von hier oben ist einfach toll: weit schweift der Blick über das unten liegende Hügelland; im Süden muß schon bald Cagliari und die Südküste liegen; im Südwesten die Sulcis-Berge mit dem Capo Teulada, dem südlichsten Punkt der Insel.

Viel Zeit zum Genießen der Aussicht bleibt allerdings jetzt nicht! Zuerst gilt es die Zelte hochzuziehen. Gleich­zeitig macht sich die Kochgruppe auf dem Parkplatz an die Arbeit: Hackfleisch-Nudelpfanne mit frischen Erb­sen wird es heute geben, dazu als Nachtisch Kirschen mit Sahne. Jan und Andree machen sich daran, die steilen Felsen unterhalb der Kapelle mit Seil und Haken zu erklimmen. Und wie immer kommt uns die einsetzende Dämmerung dazwischen. Als die Sonne rot hinter den fernen, zackigen Bergen der Costa Verde untergeht, hal­ten wir aber ein und genießen das Schauspiel.

Danach wird es aber hier oben auch gleich wieder recht kühl! Wir ziehen uns warme Sachen an und essen - schon fast bei Dunkelheit - auf dem Parkplatz. Obwohl der Bräter mit der Nudelpfanne randvoll war, bleibt nur wenig übrig. Es scheint zu schmecken. Unsere Kochmannschaft unter Aufsicht von Svenja und Anna erntet Lob!

Peter startet nun mit Andree noch ein äußerst kompliziertes Manöver, um Busse und Hänger möglichst dieb­stahlsicher zu parken. Danach sitzen wir noch längere Zeit auf den Stufen der Kapelle; genießen ein Schlück­chen Thaora und beobachten, wie unter uns die Lichter in den vielen Dörfern aufleuchten. Mehr als 30 Ort­schaften können wir zählen. Und dazu etliche große Feuer, die vom Abbrennen der Felder herrühren. Wir dis­kutieren lange, ob am Horizont schon die Lichter von Cagliari zu sehen sind. Einsame Autoscheinwerfer ziehen unter uns ihre Bahn entlang; über uns - wie gewohnt - der Sternenhimmel. Ziemlich durchgefroren kriechen wir in unsere Schlafsäcke.

Freitag, 8.10.99, 8.Tag

Eine Zeltmannschaft macht schon vor 6 Uhr Krach und muß von Martin mit wohlgesetzten Worten zur Ruhe ermahnt werden. Draußen ist es schweinekalt! Während wir noch in warmen Fleecesachen herumstehen und uns am dampfenden Kaffeebecher festhalten, erscheint plötzlich ein sardischer Hirte. Na, gibt`s jetzt wieder neuen Ärger? Nein - ganz im Gegenteil! Der Hirte betrachtet mitleidig unsere frierenden Jufis. Dann reißt er einen Busch aus, zündet ihn an und meint, unseren armen „Bambinis“ wäre doch sicher „freddo“, kalt! Und während wir noch darüber nachdenken, ob gleich die ganze Giara in Flammen stehen wird, reißt der Hirte einen Busch nach dem anderen aus und macht für uns mehrere Lagerfeuer! Wir revanchieren uns zunächst mit einem heißen Kaffee, aus einer norwegischen Holztasse serviert, was den Hirten sehr interessiert; danach gleich noch ein Be­cher Wein. Über 400 Ziegen hat unser Hirte hier oben in seiner Herde; abends fährt er aber immer wieder zum Schlafen hinunter ins Dorf. Und außerdem erfahren wir, daß unsere Kirche gar nicht Santa Lucia heißt, wie im Reiseführer angegeben, sondern Santa Luisa - was unsere Luisa natürlich mächtig freut!

Ein Hirte macht für uns wein wärmendes Morgenfeuer auf der Giara di Gesturi Blick von der Giara di Gesturi über die Tiefebene

So gewärmt machen wir uns nach Sonnenaufgang an den Lagerabbau; zurück bleibt nur ein kleiner Steinaltar, den unsere Jungen gebaut haben. Leider muß die Küchengruppe nun erst noch spülen; die anderen machen da­für einen etwa einstündigen Ausflug hinein in die Giara. Überall Korkeichen; dazwischen viele Steinmäuer­chen. Und natürlich jede Menge an Hufspuren, die unsere Mädchen begeistern: jetzt wollen sie natürlich die Wildpferde sehen, von denen wir so oft vorher gesprochen haben. Aber natürlich sehen wir keine! Enttäuscht müssen die Mädchen schließlich ihre Suche abbrechen. Dafür treffen wir am Parkplatz nun auf eine riesige Ziegenherde, die sich von unseren Autos nicht sonderlich beeindrucken läßt. Wohl aber die Hirten, denn die geraten wegen uns scheinbar in Streit.

Wieder unten in Tuili angekommen, gibt es dort auf der Piazza Frühstück. Die Jufis gehen diesmal einkaufen und kommen mit dem erlernten italienisch auch ganz gut klar. Für Svenja wird zuerst im Alimentari eine Knoblauchzehe gekauft; ihre Mückenstiche von der Dünenübernachtung haben sich inzwischen über das ganze Bein ausgebreitet und der Knoblauch soll ein altes sardisches Hausrezept dagegen sein. Sicherheitshalber mar­schieren wir mit unseren Medikamenten aber auch in die Apotheke und lassen uns dort ein anderes Mittel geben.

Vor der Weiterfahrt schnell noch die Flaschen am Brunnen gefüllt; heute Abend werden wir auf einem Cam­pingplatz an der Ostküste schlafen; da können wir genug Wasser zum Kochen und Waschen bekommen. Und natürlich achten wir auch immer darauf, daß alle Abfälle ordentlich weggeräumt werden. Das alles unter den neugierigen Augen der vielen alten Männer, die bereits auf den Parkbänken auf der Piazza sitzen, und für die unser Aufenthalt eine willkommene Unterbrechung der sonstigen Eintönigkeit darstellt.

„Su Nuraxi“ bei Barumini ist nun in 5 Minuten erreicht; wir konnten dieses erste Tagesziel bereits oben von der Giara sehen. Klar, daß wir dieser größten Nuraghenfestung auf Sardinien einen Besuch abstatten werden, auch, wenn das hier natürlich touristisch überlaufen ist.

„Su Nuraxi wurde erst 1949 entdeckt, als ein Erdrutsch nach starken Regengüssen die oberen Teile des Hauptturms freilegte. Danach wurde eifrig ausgegraben. Die ältesten Teile stammen aus der Zeit um 1500 Jahre vor Christus. So um das Jahr 400 v. Chr. wurde dieses wichtigste Bauwerk des aus über 70 Nuraghen rund um die Giara bestehenden Verteidigungssystems von den Phöniziern erobert und teilweise zerstört. Die Römer nutzten das Gelände später als Begräbnisstätte; danach kamen nur noch Hirten hierher, bis der ganze Bau in Vergessenheit geriet. Heute, nach den Ausgrabungen, der größte und eindruckvollste Nuraghenkom­plex; umgeben von seinem Dorf aus Rundhütten, die in Grundrissen von oben gut erkennbar sind, und die an die noch heute üblichen Hirtenhütten erinnern (wir werden eine davon während unserer Wandertour kennenler­nen). In der Mitte der aus mehreren Türmen bestehende Festungsbau, von dessen ursprünglich drei Stockwerken noch zwei erhalten sind.“

Diesmal gibt es an der Kasse mit 18 Personen keine Schwierigkeiten, einen guten Preis zu bekommen; wir er­halten sogar noch einen Führer dazu. Da der leider nur italienisch spricht, mieten wir uns einen Walkman, der auf deutsch jede Menge Informationen zu den einzelnen Stationen des nun folgenden Rundgangs durch die Nu­raghenfestung gibt. Und hieran scheinen unsere Jufis nun doch mehr Interesse zu haben als an den Steinen von Tharros. Vielleicht liegt es auch daran, daß man sich mit Hilfe der Informationen des Führers und der Audio­cassette mehr unter der ganzen Sache vorstellen kann.

Nach dem fast einstündigen Rundkurs machen wir uns schnell auf in die Busse: nächstes Ziel ist die „Grotta Su Marmuri“ in der Nähe von Ulassai. Und aus einem Prospekt, der an der Kasse von Su Nuraxi ausliegt, erfahren wir, daß die Grotte im Oktober jeweils um 14:30 und 17 Uhr noch eine Führung hat. Und das ist nun für uns sehr wichtig, denn mehrmals haben wir dort vor einem verschlossenen Tor gestanden (was uns, als Kleingruppe damals, aber nicht am Betreten gehindert hat...). Jetzt ist es 13 Uhr - die Frage ist, ob wir es bis 14:30 Uhr zur Grotte schaffen werden. Die Entfernung beträgt etwa 90 Kilometer - das wäre ein Durchschnitt von 60 Km/h; aber was sagt das schon bei der nun vor uns liegenden Gebirgsdurchquerung. Es ist natürlich nicht zu schaffen! Das sieht auch Peter ein, der trotz Hänger, dafür aber mit kräftiger Unterstützung des starken Sprin­ter-Diesels, den lahmeren Transit immer wieder abhängt. Dies ruft allerdings nicht unbedingt den Beifall der auf der Rück­bank Sitzenden hervor; nach der ersten halben Stunde Fahrt ist ihnen redlich schlecht! Und da wir es sowieso zeitlich nicht schaffen werden, können wir es nun auch ruhiger gehen lassen und die rauhe Berg­landschaft be­wundern. Unsere Fahrt führt uns bis hinauf auf über 1000 Meter; hier überqueren wir den im Winter geschlos­senen „Passo Arcueri“. Auch diese Kilometer für uns mit vielen Erinnerungen verbunden: hier wurde Peters Mercedes 1989 von einem LKW seitlich gerammt; der Fahrer beging Fahrerflucht und wir lernten bei der Un­fallmeldung die Gastfreundschaft der Carabinieris kennen; gleichzeitig wurde Martin auf dieser Strecke die Videocamera geklaut.

Die Straße führt in engen Serpentinen durch Ussassai weiter hinab, bis sich plötzlich vor uns ein langes Tal öffnet: links am Hang liegt Gairo; darunter das alte „Gairo Vecchio“; eine verlassene Ortschaft, fast schon eine Geisterstadt. Früher hat es hier oberhalb mal einen Erdrutsch gegeben, und die alte Stadt mußte aus Sicher­heitsgründen aufgegeben werden. Wir halten uns nun aber an der rechten Talseite wieder bergan; bald haben wir Ulassai erreicht, wo wir eine kleine abbiegende Straße zur Grotte nehmen. Und wie klein sie ist, merken wir, als wir in den engen Gassen Gegenverkehr bekommen. Nicht nur mehrere kleine Fiats müssen wegen uns ein gutes Stück zurücksetzen, sondern auch ein großer LKW; dazu noch rückwärts um eine Kurve. Die Sarden nehmen das aber ganz gelassen hin, zumal sie sehen, daß wir mit dem Hänger dazu gar nicht in der Lage wären.

Dann ist der Parkplatz an der Grotte erreicht; es ist 16 Uhr. Nach einem kurzen Gespräch in der Bretter-Bar mit dem Höhlenführer haben wir die Besichtigung um 17 Uhr geklärt; es bleibt Zeit für`s Mittagessen. Wer weiß, wann wir heute Abend auf dem Campingplatz ankommen werden - dunkel wird es dann auf jeden Fall sein - da ist es besser, wir weichen heute mal von der normalen Routine ab und kochen schon am Nachmittag. Schnell sind Brenner, Gasflasche und alle erforderlichen Kochutensilien hervorgeholt und bald blubbern unsere „Ra­violi Picante“ im Topf.

Pünktlich um 17 Uhr sind wir fertig. Da in der Höhle konstante 10 Grad herrschen, ziehen wir uns vorsorglich warme Sachen an. Kluge Leute haben bereits am Morgen zugehört und ihre Taschenlampen nun griffbereit. Zusammen mit unserem Führer machen wir uns auf den Weg hinauf zum Eingang der „Grotta su Marmuri“.

„Grotta su Marmuri. Nicht nur für Höhlenfans sehenswert. Eine der schönsten Tropfsteinhöhlen Sardiniens. Auf den ersten 1,2 Kilometern inzwischen mit einer Beleuchtungsanlage versehen. Mächtige Tropfsteine, Seen und Wasserläufe.“

Wer nur nach dem Reiseführer gehen würde, könnte dieses Besucherangebot leicht übersehen oder links lie­genlassen. Mit unseren Jufis haben wir diese Höhle allerdings schon einmal 1989 begangen; damals war das noch ein Geheimtip; nur aufgeführt in unserem alternativen Reiseführer. Damals gab es auch keinen Strom, und wir mußten uns ohne Führer nur mit Taschenlampen ausgerüstet durch dieses unterirdische Reich tasten. Heute schaltet unser Führer abschnittsweise die Beleuchtung in der Höhle an, und wir können erstmals sehen, wie weitläufig die Hallen und Gänge sind. Dazu gibt es in einer Mischung aus deutsch und italienisch viele erläu­ternde Informationen. Als erstes erfahren wir den genauen Unterschied zwischen Stalagmiten und Stalagtiten. Schnell haben wir diesbezüglich eine Art Eselsbrücke entwickelt, um uns diesen Unterschied zu merken. Wir erfahren etwas über das geringe Wachstum der Säulen: gerade mal 1 Zentimeter in hundert Jahren. Und wir lernen auch den Grund kennen, warum diese Teile niemals mit bloßen Händen berührt werden sollen: der Handschweiß würde den Kalk zersetzen und jedes Wachstum unwiderruflich stoppen. Immer wieder bleiben wir staunend vor besonderen Gesteinsformationen stehen - man braucht wirklich nur wenig Phantasie, um in diesen Steinen Vorhänge, Wasserfälle, Kakteen oder auch mal eine Madonna zu erkennen. Inzwischen hat man in der Höhle auch einen hölzernen Laufsteg gebaut, so daß wir nicht durch die Pfützen und Tümpel waten müs­sen wie Anno 1989. Aber auch hier muß man noch höllisch aufpassen: die Bohlen sind glitschig und teilweise auch schon recht brüchig. Mancher Jufi muß in seiner Schnelligkeit gebremst werden. Stellenweise haben wir Säle mit über 50 m Höhe; über uns liegen dann noch 30 bis 100 m Gestein, durch die langsam das Regenwasser sickert, welches letztlich für die Entstehung dieser Grotte verantwortlich ist. Im Winter ist sie übrigens nicht begehbar; dann steht das Wasser hier drin meterhoch. Die vielen Farben ringsum sind für eine Tropfsteinhöhle außergewöhnlich: sie kommen durch die vielen Erze im Gestein (Kupfer, Eisen Zink usw.)

Nach über einem Kilometer haben wir dann das Ende des begehbaren Teils der Grotte erreicht. Unser Führer dreht hier einige Steine um und zeigt uns die hier unten lebenden Bewohner. Es sind nicht viele Arten: die kleinsten Grottenbewohner sind Käfer; gerade mal so ein, zwei Millimeter groß, die sich im Licht unserer Ta­schenlampen schnell wieder unter die Steine verdrücken. Dabei werden wir ihnen gar nicht gefährlich: ihr ei­gentlicher Freßfeind sind die etwa einen Zentimeter großen Tausendfüßler. Allerdings haben auch die hier un­ten kein gefahrloses Leben: auf sie lauert in der Dunkelheit der Grottensalamander. Auf die Frage der Jufis nach seiner Größe meint der Führer lächelnd, die Jufis sollten auf dem Rückweg auf jeden Fall aufpassen und nicht zu tief in die vielen abzweigenden Gänge und Spalten gehen. Wir erfahren leider nicht, ob dies hier das Paradies für Grottenmolche ist, oder ob sie auch noch natürliche Feinde haben. Die letzte Tiergattung hier unten ist es jedenfalls nicht: an der Decke hängen Fledermäuse, auf italienisch "„Pippistrella", die nachts nach drau­ßen fliegen und dort auf Jagd gehen. Ihr Kot allerdings ist die Lebensgrundlage für die kleinen Käfer, und so schließt sich wieder der Nahrungskreislauf.

Unsere Führung geht auch dem Ende zu; am Schluß bekommen wir noch einen Tropfsteingorilla zu Gesicht, der sich aus einem anderen Blickwinkel dann in einen Frauenkopf verwandelt (auch dazu haben wir schnell einige Erklärungen parat). Draußen dann ein Gruppenfoto zur Erinnerung und eine Flasche Thaora als Dank für unseren Führer.

Leider ist es jetzt schon bald halb sieben - und das bedeutet nun eine zügige Weiterfahrt. Somit ist auch leider kein Aufenthalt mehr möglich im nahegelegenen Ort Jerzu; der Heimat des berühmten „Canonau“-Weines. Für uns allerdings noch wichtiger die Hinweise zum Verkehr in unserem Reiseführer:

„Jerzu. Großartige Lage am Berghang. Wie ein Schwalbennest an den Berg gefügt; die Häuser hochgebaut, mit vier oder fünf Stockwerken. Mit größeren Autos unbedingt den Ort meiden. Der PKW-Verkehr wird, von Ulas­sai kommend, durch ein Gassengewirr in den unteren Ortsteil umgeleitet, wo selbst Kleinwagen an einigen Stellen gerade in Millimeterarbeit um die Hausecken kommen oder rangieren müssen.“

Mit diesen Erwartungen nähern wir uns nun mit den Bussen dem Ort. Und hier ist vielleicht was los! Das ganze Dorf scheint um diese Zeit auf den Beinen zu sein - und jeder scheint sich auf der „Hauptstraße“ aufzuhalten. Einige Leute weisen uns durch das Gewirr der Gassen den richtigen Weg. Größtes Problem bei der Durchfahrt aber sind die vielen Kinderwagen auf der Straße. Es ist zwar nicht ganz so schwierig, wie im Reiseführer be­schrieben; wir sind aber froh, als wir die Gassen endlich wieder verlassen haben.

Durch die Dämmerung geht es nun in Richtung Ostküste; so gegen 20 Uhr erreichen wir dann Tortoli. Hier ist noch ein großer „Crai“-Supermarkt geöffnet; die Jufis decken sich mit billigen Getränken und Chips ein, ehe wir bis zum Meer weiterfahren. Und uns im Dunkeln prompt verfahren! Aber schließlich stehen wir doch am Tor zum Campingplatz „Telis“. Diesen Platz haben wir schon bei der Vorplanung als Übernachtungspunkt ins Auge gefaßt - zwischendurch brauchen wir mal wieder richtige Duschen. Und ein schöner Badestrand gehört auch mit zum Platz.

Leider trifft uns doch ein Schock, als wir die Übernachtungspreise sehen: statt der bisherigen 8.000 Lira sind es nun 13.000 je Person. Das reißt doch ein empfindliches Loch in unsere Reisekasse! Und fast noch unangeneh­mer ist, daß der Platz noch ziemlich gut belegt ist; natürlich ausnahmslos von Deutschen. Auf „unserer“ Ter­rasse scheint gerade ein Gelage in Gange zu sein, geht man nach dem Gegröle aus den dort bereits stehenden Zelten. Wir Leiter erkunden die anderen Plätze: überall steht aber zumindest schon ein Zelt. Wir müssen uns also irgendwo dazwischen niederlassen. Um die bereits Schlafenden nicht zu stören, gilt nun die Devise: abso­lute Ruhe beim Zeltaufbau! Und das klappt auch recht gut: außer dem Klappern der Zeltstangen und dem Ge­räusch beim Einschlagen der Häringe ist kaum was zu hören.

Unten am Strand versammeln wir uns später, um noch ein Abendessen einzunehmen: wer will, kann sich noch ein Cevapcici heiß machen. Die meisten Jufis haben sich aber inzwischen an Unmengen von Chips sattgeges­sen. Wir sitzen noch lange im Mondlicht auf den Felsen und sehen hinaus auf die Bucht. Wirklich ein idyllisches Plätzchen! Jetzt, im Oktober, sind auf dem Platz sogar noch ein Restaurant und ein Alimentari geöffnet.

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