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Sonntag, 23.7.95, 10. Tag

Heute heißt es Abschied nehmen von Olav und seinem Platz am Sognefjord - unser nächstes Ziel heißt Flamtal.

Nach dem Beladen der Busse und dem Begleichen der Rechnung am Kiosk geht es, versehen mit den besten Reisewünschen von Olav, die steile Auffahrt hinauf zur Hauptstraße.

Vik, ein zentraler Ort am Sognefjord, ist unsere erste Raststation. Wir bummeln bei bestem Wetter durch die Kleinstadt, kaufen Souvenirs und Lebensmittel und werfen unsere Postkarten ein.

Am Ortsrand können wir im Vorbeifahren eine norwegische Hochzeitsgesellschaft sehen, die mit einem alten amerikanischen Straßenkreuzer zum Fototermin bereitsteht.

Ehe wir nun den langen, beschwerlichen Anstieg hinauf ins Vik-Gebirge, dem Vikafjell, beginnen, machen wir noch einen Abstecher zur berühmten Stabkirche von Vik. Sie ist eine von den über ganz Norwegen verstreuten Stabkirchen, deren Besonderheit die ausschließliche Holzbauweise ist.

An der Stabkirche von Vik


Na ja, hier ist man mit dem Eintritt nicht gerade zimperlich - allerdings sind Kinder bis 12 Jahre vom Eintritt befreit. So bleiben die älteren Teilnehmer draußen zurück und lassen sich anschließend von den auch nicht gerade sonderlich interessierten Jufis berichten, was man so alles verpaßt habe - einhellige Meinung: nicht viel!

Interessanter ist da schon der letzte Ausblick hinunter auf den majestätisch wirkenden Sognefjord von einer der vielen Haarnadelkurven beim nun folgenden Gebirgsanstieg.

Blick zurück über den Sognefjord


Während wir so da stehen und die Aussicht genießen, nähert sich von unten kommend mehr oder weniger im Schneckentempo ein schwerbepackter Touren-Radler; französicher Herkunft, wie sich gleich darauf bei unseren Begrüßungsrufen zeigt. Seine hinteren Satteltaschen sind gekrönt von einem enormen Rentiergeweih. Selbst in unserer steilen Haarnadelkurve gibt er nicht auf, sondern strampelt verbissen im Stehen weiter.

Kurz darauf überholen wir ihn wieder mit unseren Bussen, die nun ebenfalls die enorme Steigung im zweiten, gelegentlich auch im ersten Gang hinaufkriechen.

Bald danach haben wir das Hochplateau des Vikafjell erreicht. Von hier aus geht es jetzt viele Kilometer leicht hügelig durch fast vegetationsloses Fjell - durchsetzt von vielen Seen, die teilweise noch Eisschichten tragen. Von hier aus startete 1989 eine dreitägige Radtour unserer Pfadfindergruppe. Hier oben ist der norwegische Sommer nur kurz zu Gast. Wir nutzen die Schneeflächen, die teilweise bis an die Straße hinabreichen, zu einer ersten ausgiebigen Schneeballschlacht, mitten im Juli! Ein paar vorbeikommende Schafe werden ebenfalls gnadenlos gejagt.

Als der Abstieg allmählich einsetzt, stoßen wir, wie gewohnt, auf das wohl alljährlich hier befindliche "Lappen-Camp". Richtiger müßte es eigentlich statt "Lappen" "Samen" heißen - so nennen sich die eigentlichen Ureinwohner Skandinaviens selber. "Lappen" dagegen ist mehr ein Schimpfwort für sie.

Nun gut - die Samen bieten in ihren typischen Zelten hier alles an, was man sich so als Souvenir vorstellen kann. Insbesondere die Messer finden bei unseren Leuten reges Interesse. Und die Preise halten sich erfreulicherweise in Grenzen.

Und als kostenlose Beigabe gibt es endlich mal einen Fototermin mit echten nordischen Rentieren - wenn sie auch wegen der bereits einsetzenden Abstoßung des Sommerfelles etwas zauselig wirken. Egal - wir, die wir ja eigentlich nur Kühe kennen, zeigen uns von ihnen beeindruckt. Viele Einzelfotos müssen gemacht werden.

Zugegeben - etwas zerzaust ist das Rentier ja schon! Für uns aber die erste Begegnung mit dieser Tierart


In engen Serpentinen geht es dann wieder hinunter aus dem Vikafjell. An dem nebenan rauschenden Wasserfall zeigen nur wenige Interesse - wieder mal bleiben fast alle im Bus sitzen und beobachten das Naturschauspiel hinter den Scheiben.

An der nächsten größeren Kreuzung - einigen Fahrtteilnehmern als das "blaue Cafe" noch in guter Erinnerung, halten wir uns wieder links: über Gudvangen am Naeroy-Fjord, dem engsten Fjord Norwegens mit bis zu 1000 m hochaufragenden Felswänden, geht es weiter in Richtung Aurlands-Fjord.

Vorher gönnen wir uns aber eine Befahrung eines "Museums-Straßenstückes": die Stalheims-Sleiva. 13 Serpentinenkurven geht es hier mit einem Gefälle von 22(!)% hinunter - eine wahre Prüfung für unsere Bremsen bzw. den ersten Gang unserer Busse. Norwegen hat dieses Straßenstück parallel zur neuen Haupstraße erhalten, damit interessierte Besucher sich ein Bild davon machen können, wie früher die Paßstraßen durch das Fjell führten.

1987 sind wir mit unseren beiden Jufi-Bussen diese Strecke anders herum, also aufsteigend, gefahren. Martin erinnert sich noch gut daran, wie er dabei in einer der Serpentinenkurven wegen Gegenverkehr anhalten mußte und trotz Handbremse kaum noch anfahren konnte. Zum Glück war das damals ein gemieteter Wagen, so daß der enorme Kupplungsverschleiß unsere Kasse nicht belastete... Aber auch heute, bei der Abwärtsfahrt, riecht es am Ende deutlich nach Bremsbelag und heißer Kupplung!

Anschließend gleich ein weiterer straßenbaulicher Höhepunkt: nacheinander durchqueren wir zwei ganz neue, jeweils fast 10 Kilometer lange Tunnel bis direkt zum Aurlands-Fjord. Früher war in Gudvangen Schluß: Reisende in Richtung Oslo mußten ab hier eine lange Fähre bis Revsnes nehmen, um ihre Fahrt auf der E16 fortzusetzen - der einzigen eisfreien und passierbaren Route von Bergen nach Oslo im Winter. Und das natürlich mit entsprechenden Preisen bei der Fährpassage. Heute sieht man überall Werbeschilder: "Wollen Sie Ihr Geld an Fährtickets verschwenden, oder lieber eine schnelle, kostenfreie Landverbindung nutzen?" Der Tunnelbau der letzten Jahre hat bei den Fährgesellschaften am Sognefjord sicher für viel Unmut gesorgt - wie überhaupt viel von dem Geld, daß die Norweger in den letzen Jahren durch ihren Erdölschatz in der Nordsee verdient haben, einer besseren Infrastruktur, insbesondere dem Bau von modernen Straßen, zu Gute kam.

Und so erreichen wir nach einer knappen Stunde Flam, das Ende des Aurland-Fjordes. Und hier ist was los! Tourismus total - vor allem Japaner, wohin das Auge reicht. Aller Ziel ist natürlich eine Fahrt mit der berühmten Flam-Bahn - der einzigen Eisenbahnstrecke Europas, die noch mit 4% (üblich sind sonst maximal 2% im Eisenbahnbau) als Normalspurbahn ohne Zahnstangenantrieb fährt.

Eine Attraktion, nicht nur für begeisterte Eisenbahnfans, wie man sofort sieht. Die Bahn ist zwar nur etwa 20 Kilometer lang, überwindet auf dieser Entfernung aber fast 1000 Höhenmeter, bis hinauf nach Myrdal. Hier hat sie Anschluß an die Hauptlinie Oslo-Bergen. Unten in Flam geht es dagegen per Schiff, auch als Schnellbootverbindung, durch den Sognefjord weiter; wenn gewünscht, ebenfalls in knapp 4 Stunden auf dem Wasserweg bis nach Bergen.

Und so finden sich täglich enorme Touristenmassen ein, um dieses kleine Bahnstück zu befahren. Die Bahntrasse selbst ist nebenbei gesagt natürlich auch ein Meisterwerk der Ingenieurkunst: jede Menge in den Fels gesprengte Tunnel - am Schluß sogar als dreifacher Kehrtunnel übereinander(!) gebaut - so was gibt`s sonst in Europa nirgendwo. Und als besonderes Bonbon hält der Zug mitten auf freier Strecke bei der Überquerung eines gigantischen Wasserfalles zu einem Fotostop für die Touristen.

Natürlich haben wir diese Fahrt auch in unserem Programm eingeplant - noch wichtiger allerdings ist für uns der zweite Programmpunkt: das ganze Flamtal wollen wir von oben, von Myrdal her kommend, zu Fuß zurücklaufen, und unterwegs an einem uns vertrauten Platz dabei eine Nacht biwakieren.

Damit das Gepäck aber nicht ganz so schwer wird, hat Jürgen es übernommen, einen der Transits über den schmalen Feldweg bis zum vorgesehenen Biwakplatz zu steuern.

Am Anlegekai des Schnellbootes bereiten wir uns auf die nächsten 24 Stunden vor: Ausrüstung aussortieren; Verpflegung einpacken. Dann werfen wir uns in Schale und glänzen in unseren (fast) frischen Klufthemden. Die Fahrkarten sind inzwischen besorgt und wir entern den nächsten Zug. Wir entscheiden uns für die rechte Fensterseite, denn von hier aus wird man meistens den besseren Ausblick haben. Nach und nach füllt sich der Zug und setzt sich dann langsam in Bewegung.

Bereits nach kurzer Zeit beginnt spürbar der Anstieg; wir schauen aus dem Fenster bald hinunter in das zurückbleibende Tal: dort werden wir morgen zurücklaufen!

Bekannte Mini-Stationen ziehen vorbei - hier haben wir seit 1985 immer wieder Station gemacht oder den Zug unterwegs nach ähnlichen Wanderungen bestiegen. Dann der Wasserfall - überwältigend wie immer und auch für uns ein wichtiger Fotostop.

Danach ist bald Myrdal erreicht - für uns wie auch für viele andere Wanderer, die von hier aus durch die Hardanger-Vidda weiterlaufen wollen, Endstation.

Wir dagegen schultern unsere Rucksäcke und sind bald darauf völlig abgeschieden auf dem Abstieg ins Tal hinab; zuerst über viele, schottrige Serpentinenwege an der fast senkrechten Talrückwand hinunter. Gegenüber haben wir die Kehrtunnel der Bahn direkt vor uns - und einmal können wir den verschlungenen Weg einer der roten Züge genau verfolgen. Von hier aus kann man erst erahnen, welche Mühe die deutschen Ingenieure hatten, die erst 1940 diese Stichbahn in nur zweijähriger Bauzeit zum Sognefjord anlegten.

Zu Fuß von Myrdal hinunter ins Flamtal


Ab und zu werden wir doch tatsächlich von Mountain-Bikern überholt, die diese Strecke ebenfalls für radelnswert halten!

Nachdem diese Biker aber erst einmal an uns vorbei sind, haben wir das Flamtal ganz für uns allein. Nach etwa 2 Stunden erreichen wir die fast 100 Jahre alte, morsch wirkende Eisenbrücke, die hier erstmals den schäumenden Fluß überquert, der uns seit dem Talende begleitet hat.

Und an dieser Stelle soll traditionsgemäß auch das Biwak stattfinden - wie schon 1987, 1990 und 1994. Leider ist es auch jetzt wieder so, daß sich in der Erinnerung alles besser und schöner darstellt: heute erscheint uns der zu Verfügung stehende Platz zwischen den wenigen Nadelbäumen viel zu klein für unsere vorgesehenen Biwakzelte - wie schon bei der Kanutour nur als Überdächer vorgesehen. Dazu ist das Wetter inzwischen auch nicht mehr angetan, uns den Aufenthalt besonders geschmackvoll zu machen: es beginnt zu nieseln; dichte Wolken hängen im Tal.

Über allem aber schwirren die Mücken und geben uns einen Vorgeschmack auf die kommende Nacht und ihre Gefahren! Dafür aber sitzen wir in der Natur pur! Alles wird überdeckt vom steten Brausen des Wildwassers wenige Meter von unseren Zelten entfernt: direkt unterhalb der Brücke geht der Fluß in einen weißbrodelnden Wasserfall über. Ein kleines Holzkreuz mit der Aufschrift "Jan" macht uns klar, daß das Gelände direkt oberhalb des Wasserfalles nicht ganz ungefährlich ist. Wir zünden die dort stehende Kerze zum Andenken an diesen Jungen/Mann? an. Letztes Jahr war das Kreuz jedenfalls noch nicht hier.

Beate und die Mädchen fühlen sich bei dem Nebelwetter nicht so ganz wohl - sie beschließen, die Nacht im Bus zu verbringen. Dort ist es zwar trocken, dafür wird aber nachts unerbittlich die Kälte zuschlagen. Wir anderen ziehen es vor, zu mehreren lieber in einem Zelt etwas enger, dafür sicherlich wärmer, zu liegen.

Als alle Nachtquartiere eingerichtet sind und klar ist, wer denn nun in welchem Zelt schlafen wird - das ist gar nicht so einfach, denn manche von uns haben sich vorher darum gar nicht gekümmert und sich auch dementsprechend keine Gedanken um den Transport des Zeltmaterials gemacht, wird am Transit gekocht - Fertigfutter steht auf dem Speiseplan - schnell und leicht zu erwärmen.

Und dann hält uns bei dem schauderhaften Wetter auch nicht mehr viel draußen! Nach und nach verschwinden wir in unseren Notbehausungen und setzen die Mückenspiralen in Gang, um die lästigen Tierchen aus dem Innenraum zu vertreiben.


Montag, 24.7.95, 11. Tag

Über Nacht hat sich das Wetter zum Glück etwas beruhigt; wir können unser Material trocken wegpacken und können auch ohne Belästigung durch Regen oder Mücken im Freien frühstücken.

Danach geht es hinüber über die Brücke zu einem einmündenden Nebenflüßchen, das geradewegs von einem Schneefeld weit über uns herabfließt.

Denn hier soll der Tag - ebenfalls schon traditionsgemäß - mit einer eiskalten Wäsche beginnen! Wie eisig das Wasser ist, merken wir erst, als wir uns die Haare waschen und die Kopfhaut schon nach kürzester Zeit gefühllos geworden ist! Egal - eine ausgiebige Wäsche an dieser Stelle gehört nun mal zum Pflichtprogramm. Selbst unsere Damen lassen sie sich nicht nehmen!

Eine erfrischende Morgenwäsche im Gletscherbach


Da wir zum Ausspülen der Haare aus begreiflichen Gründen nicht den gesamten Kopf ins Wasser tauchen wollen, müssen die Trinktassen als Schöpfgeräte herhalten.

Erfrischt geht es dann an den weiteren Rückweg - wer will, kann aber auch mit dem Transit nach unten fahren. Die meisten aber ziehen den zwar beschwerlichen, dafür aber erlebnisreichen Fußweg nach unten vor; sogar mit dem doch etwas drückenden Marschgepäck.

An einer kleinen Eisenbahnstation machen wir kurz Rast - jeder muß sich entscheiden, ob er die letzten Kilometer weiter zu Fuß oder mit dem Zug zurücklegen will. Der Zug kommt, hält, fährt weiter: alle von uns stehen noch auf dem Bahnsteig. Nun gut, also wird weitergelaufen.

Dann erreichen wir die ersten Häuser. Findige Kinder haben hier eine Art "Verpflegungsstation" für müde Wanderer eingerichtet: sie bieten frische Waffeln mit Beeren und "Römme", einer Art Sauerrahm, für 5 Kronen an - eine willkommene Sache natürlich!

Die letzten Kilometer mit den schweren Rucksäcken bis hin zum Kai sind dann doch noch recht anstrengend; zumal es am Schluß viel über Aspalt geht. Ein letzter Einkauf in den Supermärkten in Flam, dann setzen sich unsere beiden Busse wieder in Bewegung - noch liegt eine lange Tagesetappe mit dem Auto vor uns: wir wollen heute noch hinauf bis nach Tungastolen, der letzten Hütte vor dem Austedalsgletscher.

Das bedeutet aber zunächst einmal, daß wir mit den Transits wieder mal extrem steil hoch ins Fjell müssen: über 1300 Meter hoch liegt der Paß in diesem namenlosen Fjell, über das wir wieder hinunter nach Revsnes zu dem uns ja bereits bekannten Fähranleger am Sognefjord gelangen. 1987 sind uns bei dieser Überquerung die vorderen Bremsscheiben am gemieteten Mercedes-Bus tiefrot-glühend geworden.....

Nun, vielleicht sind Ford-Bremsen ja besser - jedenfalls kommen wir in diesem Jahr problemlos nach Revsnes hinunter, wenn einen die monotone Fjellandschaft auch langsam ein wenig nervt.

Über Kaupanger gelangen wir zügig wieder nach Sogndal - wiederum letzte Einkäufe im letzten größeren Supermarkt vor dem Gletscher (und nebenbei noch schnell ein paar Glücksspielchen an den Kugelautomaten). Dann geht es Richtung Norden: Nordeuropas größtes Gletschergebiet liegt nun vor uns - und wir wollen zumindest auf einem kleinen Ausläufer davon ein wenig herumkraxeln!

In Hafslo verlassen wir die Hauptstraße und fahren etwa 25 Kilometer weit hinein in ein Seitental bis Veitastrond. Hier endet die normale Straße an einem "Vegbom" - zu deutsch: Zollstation! Allerdings ohne besonderen Aufwand: wer hier durchfahren will, füllt seinen Zollschein aus und wirft ihn zusammen mit dem Geld in einen Briefkasten. Und das scheint auch zu funktionieren!

Wir jedenfalls zahlen pflichtgemäß unsere 20 Kronen für die beiden Fahrzeuge, öffnen die Schranke und fahren über die doch recht arge Rüttelpiste weiter durch das ausgewaschene Gletschertal. Vor hundert Jahren erstreckte sich der Austerdalsgletscher noch bis hierher!

Jetzt strömt nur noch der smaragdgrüne Fluß, gespeist vom Gletscher, durch das Tal; in der Talebene haben sich mittelhohe Birken breitgemacht, und überall grasen zwischendurch Kühe. Für uns bedeutet das, daß wir keinerlei Schwierigkeiten haben werden, einen schön ebenen Wildcamper-Platz für die Nacht zu finden. Und dies ist hier in Norwegen ja noch erlaubt; im Gesetz sogar ausdrücklich als "Jedermannsrecht" festgeschrieben: freies Zelten und Bewegen in der Natur, solange man nichts beschädigt oder sich auf Privateigentum begibt.

Nach einigen Kilometern über diese Piste, die wir fast nur im Schrittempo befahren können, weitet sich das Tal zu einer großen Ebene aus und endet dann vor einer Felsbarriere. Der Weg führt zwar noch etwas weiter durch die Felsen hinauf zur Hütte Tungastolen, für unsere Busse ist hier aber Endstation. Wir parken die Fahrzeuge unmittelbar vor der zerbrechlichen Holzbrücke über den Gletscherabfluß und bauen zuerst einmal unsere Zelte auf. Die Sonnen hat das Tal natürlich bereits verlassen, nur hoch oben an den uns umgebenden Felswänden sieht man noch ihren Schein. Das Wetter ist im Laufe des Tages immer besser geworden, und so können wir vermutlich mit einer sternenklaren Nacht rechnen. Das ist uns aber gar nicht so lieb, denn auch so sind die Außentemperaturen schon ziemlich nah am Gefrierpunkt angekommen.

Wir machen noch schnell einen "Antrittsbesuch" oben beim Hüttenwart, mit dem wir vorab schriftlich eine Gletscherführung am folgenden Tag vereinbart hatten. Danach geht es nach einer heißen Nudelsuppe ziemlich schnell in die warmen Schlafsäcke. Der rauschende Gletscherfluß, keine 10 Meter von uns entfernt, begleitet uns schnell in den Schlaf.


Dienstag, 25.7.95, 12. Tag

Morgenstimmung an der Tungastolen-Hütte


Beim ersten, fröstelndem Blick aus dem Zelt sehen wir, daß wir inzwischen Besuch bekommen haben: eine ganze Kuhherde schnüffelt neugierig um unsere Zelte herum. Über uns ein strahlend blauer Himmel; die Frühsonne blendet uns von den schneebedeckten Gipfeln hinter der Tungastolen-Hütte. Beim Herauskriechen aus den Zelten zeigt das Autothermometer zwar noch unter null Grad; sobald aber die Sonne ihre ersten Strahlen ins Tal schicken kann, wird es spürbar wärmer und wir entledigen uns nach und nach unserer warmen Fleece-Pullover und Windjacken.

Zuerst einmal steht eine etwas zitternde Morgentoilette am Gletscherfluß an; vom Flamtal her kennen wir aber ja schon die eisigen Waschwassertemperaturen!

Die Zelte können heute alle stehen bleiben: geplant ist eine Tageswanderung hin zum "Austedalsbreen", dem Austedals-Gletscher mit einer Zeit von etwa 6-8 Stunden. Danach wollen wir am gleichen Platz noch eine weitere Nacht verbringen.

Da doch einige Kilometer zu Fuß zurückzulegen sind, dazu in doch recht schwierigem Gelände, haben wir für diese Wanderung die Mitnahme von Sandwiches vorgesehen und auch dafür dementsprechend eingekauft. Neben Wurst und Käse kann sich jeder seine Brote nach Geschmack mit Gurken, Tomaten, Thunfisch oder Oliven verfeinern. Zum Schluß über alles noch ein Salatblatt oder etwas Majonaise - fertig ist der Mittagsimbiß! Nur - aktiv werden muß hier schon jeder selber - es gibt keine Mamas, die einem das Broteschmieren abnehmen! Aber das haben auch unsere jüngeren Fahrtteilnehmer inzwischen begriffen!

Learning by doing - seine Brote muß sich schon jeder selbst schmieren!


Auf der roten Metallkiste ist alles übersichtlich von Marianne und Beate ausgebreitet worden; jetzt versammeln sich unsere Leute nach und nach um diese Kiste und bereiten ihre Marschverpflegung vor.

Die gute Laune der Fahrtteilnehmer spiegelt das gute Wetter wieder: ein hervorragender Tag für unsere Gletscher-Exkursion. Leider mußten wir gestern an der Hütte erfahren, daß der Hüttenwirt aus Termingründen uns eventuell nun doch nicht, wie vorgesehen, begleiten kann. Das soll sich aber endgültig erst heute früh entscheiden.

Wir stehen in der wärmenden Morgensonne und frühstücken im Stehen; danach werden die Sandwiches in Gefrierbeuteln verpackt und in den Tagesrucksäcken verstaut. Auch um das Füllen seiner Trinkflasche muß sich jeder selbst kümmern. Das macht aber auch keine Schwierigkeiten; problematischer ist dagegen immer wieder die Frage, wer sich anschließend ohne große Aufforderung ums Wegräumen der Reste kümmert....!

Jeder muß auch selbst für sich abklären, was er nun an Bekleidung wählen will: klar ist, daß festes Schuhwerk erforderlich sein wird; Sonnencreme und Sonnenbrille sind ebenfalls unbedingt notwendig. Einige wählen nun gleich T-Shirts; andere beginnen die Tour noch in warmen Sachen. Regenzeug ist natürlich für alle Fälle auch mit im Gepäck.

Dann verschließen wir Zelte und Autos und machen uns auf den Weg hinauf zur Tungastolen-Hütte. Hier dann die Enttäuschung: die Tour kann vom Hüttenwart nicht begleitet werden. Da Martin aber zumindest den Weg zum Gletscher von der `87er-Tour her kennt, gibt es zumindest mit der Orientierung keine Probleme. Der Weg soll auch durch das rote "T" des norwegischen Bergwandervereins gekennzeichnet sein.

Der Hüttenwart ist auch der Meinung, daß ein kurzer Besuch auf dem unteren Ausläufer des Austedalsgletschers zur Zeit gefahrlos sei, wenn elementare Sicherheitsvorschriften beachtet würden: nur angeseilt in einer Gruppe, mit Eiskrallen unter den Schuhen und nicht zu nah an die offen sichtbaren Spalten heran.

So entscheiden wir uns für diese etwas abgespeckte Version unserer Tour und bekommen vom Hüttenwart die erforderlichen Ausrüstungsteile ausgehändigt: jede Menge Eiskrallen; einen Eispickel und ein langes Seil. An Ort und Stelle erklärt er uns noch das richtige Anlegen des Materials, und dann geht es los, hinein ins Tal, das zum Austedalsbreen führt.

Schon nach kurzer Wanderstrecke wird uns klar, daß die Tour anstrengend werden wird! Der "Weg" ist nicht mehr als ein schmaler, etwas ausgetretener Pfad; oftmals morastig oder auch durch kleine Tümpel unterbrochen.

Die letzten Pullover verschwinden bei der ersten Rast im Rucksack - die Hitze im windstillen Tal macht sich spürbar bemerkbar! Langsam merken wir auch, daß man sich entfernungsmäßig in der klaren Luft hier schnell verschätzen kann: das Talende ist noch sehr weit entfernt! Und dort hinten erst befindet sich hinter einer letzten Biegung der Ausläufer des Austedalsbreen.

Anmarschweg zum noch weit entfernt liegenden Austedalsbreen


So heißt es nun also weiterwandern; oftmals von Stein zu Stein über Tümpel zu gelangen oder seinen Weg von Grasbüschel zu Grasbüschel durch den Talsumpf zu finden. Manchmal hilft ein Ast oder eine morsche Bohle über die etwas breiteren Bäche weiter.

Trotzdem ist es schwierig, den richtigen Weg, teilweise zwischen den Krüppelbirken hindurch zu finden. Martin und Marianne wollen abkürzen und müssen dafür wieder ein gehöriges Stück zurück.

Unterwegs machen wir mehrmals kurz Rast, um zu Verschnaufen; der Weg hat es in sich! Die letzten paar hundert Meter geht es teilweise steil bergauf; das Geröll auf dem Boden macht es uns dabei auch nicht gerade leichter.

Aber schließlich hat alle Mühsal und alles Schwitzen ein Ende: hinter einer Biegung taucht der Austedalsbreen auf - erfreulicherweise nun unmittelbar vor uns.

Er liegt aber nicht nur vor uns, sondern auch über uns! In einer gewaltigen Kaskade scheinbar erstarrten Eises ragt er vor uns bis zur Höhe der umgebenden Berge aus. Natürlich ist uns klar, daß dieser Eisfluß ständig in Bewegung ist. Die vielen Spalten sprechen da eine deutliche Sprache. Wir wollen aber auch nicht im Gletscher selbst aufsteigen - unser Ziel ist lediglich der untere "Auslauf". Hier wollen wir ein wenig auf dem Gletschereis umherwandern.

Zuerst aber einmal machen wir ausgiebig Mittagspause, vertilgen die mitgebrachten Sandwiches und genießen den Anblick des Austedalsbreen. Für diesen Ausblick haben wir ja auch in den letzten Stunden genug geschwitzt!

Vor dem Start auf den Gletscher werden alle fachmännisch angeseilt


Nicht alle wollen nun mit aufs Eis - einige bleiben lieber zurück und werden dafür Fotos machen. Beim Anlegen der Eiskrallen verdreht Jan unglücklich seinen Fuß; ein stechender Schmerz im Kniegelenk ist die Folge - und damit das Ende seiner Gletschertour erreicht. Zum Trost wird ihm das Teleobjektiv anvertraut. Als alle angeseilt sind, geht es im Schneckentempo los - Schritt für Schritt - Jürgen mit dem Eispickel vorweg, Martin als letzter und gleichzeitig als "Gegengewicht" am Seil.

Schnell merkt die kleine Expeditionsgruppe, daß so ein Marsch gar nicht so leicht ist: es muß peinlich genau Abstand gehalten werden, damit das Seil möglichst immer gespannt bleibt; vor allem darf man aber nicht mit seinen Eiskrallen auf das Seil treten!

Mit den Händen ist dabei nicht viel anzufangen: die Eisschicht ist sehr schartig und rauh; wer hier richtig reinfaßt, hat die Fingerspitzen schnell blutig gescheuert! Stück für Stück geht es nun über die Eisfläche - immer im respektvollen Abstand zu plötzlich auftauchenden Spalten. Aber auch so ist die Wanderung schon ganz interessant - für mehr brauchte man unbedingt einen erfahrenen Führer und auch eine bessere Ausrüstung.

Unterwegs auf dem Austedalsbreen


Nach einer knappen Stunde langt es uns und wir streben wieder unserem Ausgangspunkt zu - nur merken wir dabei schnell, daß es auf Eis mit Eiskrallen zwar ziemlich problemlos bergauf geht - jetzt aber, beim Abstieg wesentlich schwieriger ist. Wir sind alle froh, als wir heil unten angekommen sind.

Nun wird es aber auch langsam Zeit mit dem Rückweg! Wir verstauen die Ausrüstung wieder in den Rucksäcken und machen uns mit einem vorsichtig hinkenden Jan langsam auf den Rückweg.

Erinnerungsfoto nach der Gletscher-Exkursion


Auf einem Felsen sitzend nutzen wir die Gelegenheit noch schnell zu einem Erinnerungsfoto. Die Sonne steht schon ziemlich tief, als wir erschöpft der Tungastolen-Hütte zustreben. Hier sitzen wir noch lange in der Nachmittagssonne, gegen die Hüttenwand gelehnt, und genießen heiße Waffeln mit Römme oder auch nur kühle Getränke; egal zu welchem Preis.....

Zurück bei den Zelten wird gekocht und an einem aus dem Felsen kommenden Rinnsal ausgiebig Kleidung gewaschen. Mit vereinten Kräften werden die nassen Sachen dann ausgewrungen - vielleicht wird es ja heute noch trocken.


Mittwoch, 26.7.95, 13. Tag

Nach dem Frühstück wird alles im Wagen verstaut und die Fahrt geht in umgekehrter Richtung zurück durchs Austedal. Wieder ein erfreulich gutes Wetter - bei der heute anstehenden Durchquerung des Hochgebirges auch sehr willkommen. Wir fahren am Seeufer des Veitastrondsees zurück und machen mit Hilfe des Transit-Lichts einige kleinere Spielchen in den engen, unbeleuchteten Tunnel. In Gaupne, dem Zentralort der Gemeinde Luster, fahren wir das dortige Einkaufszentrum an und machen ausgiebig Rast. Dann geht es am Lustrafjord , dem letzten Zipfel des Sognefjords, immer weiter nach Norden.

In Skjolden endet der Fjord dann schließlich; jetzt beginnt ab Höhe null (Meeresniveau) der Aufstieg hoch hinauf zum Sognefjell. Die Reichsstraße 55, die wir jetzt entlang fahren (besser: bergauf fahren) heißt eigentlich "Sognefjellsvegen" und ist Nordeuropas höchste Straße: der Paß liegt am Fantestein bei über 1400 Metern! Noch ist von diesem Gebirge aber nicht viel zu sehen; die Straße aber führt unerbittlich bergauf, in regelmäßigen Abständen wechseln wir am Hang in den Serpentinenkurven die Richtung. Unsere Busse entwickeln sich, schwerbeladen und schwerfällig wie sie nun einmal sind, zum Verkehrshindernis: mehr als Tempo 20, 30 ist nicht drin. In den Serpentinenkurven müssen wir teilweise in den ersten Gang zurückschalten; ansonsten sind wir froh, wenn es im zweiten Gang einigermaßen läuft!

Als wir die Baumgrenze erreichen, halten wir an einem Wasserfall, der sich in verschiedenen Kaskaden unter der Straße hindurch ergießt. Wir klettern ein wenig durch die Klippen und finden unsere "Alte" Badestelle oberhalb des Wasserfalls wieder.

Inzwischen haben wir uns an das etwas kühlere norwegische Wasser gewöhnt; wir tauchen die Köpfe zum Haarewaschen jetzt einfach ganz hinein! Ben meint sogar, ein kühles Bad nehmen zu müssen, hat leider jedoch vergessen, vorher seine Hose auszuziehen... Nun ja, Schadenfreude ist doch die reinste Freude!

So langsam gewöhnt man sich beim Haarewaschen an die doch recht frischen Wassertemperaturen


An einem Aussichtspunkt halten wir dann kurz darauf nochmals an und genießen den Rundblick. Schneebedeckte Berge, wohin man schaut. Wir haben inzwischen die 1000-Meter-Marke überschritten und klettern weiter stetig bergan. Kleine Schilder am Straßenrand informieren uns über die erreichte Höhe. An der Turtagrö-Touristhytta (ein richtiges Hotel für Wintersportler und Ausgangspunkt für mehrtägige Wanderungen über Nordeuropas Dach) machen wir erneut Kaffeepause. Wie in fast allen Raststätten läuft das hier nach dem gleichen Prinzip: der erste Kaffe wird voll bezahlt; nachschenken darf man dann für weniger Geld. Wir nutzen diesen Rabatt natürlich aus!

Der weitere Straßenverlauf führt nun durch das Sognefjell-Hochgebirge: Gipfel, Schnee, Eis wohin man blickt! Hier in der Nähe liegen auch die beiden höchsten Berge Norwegens: der Galdhöpiggen (2469m) und der Glittertind (2452m). Zwei Jahre später, im Sommer `97, wird eine 6er-Gruppe des Stammes in diesem Gebiet, Jotunheimen, eine Trekking-Tour durchführen.

Jotunheimen von der RV 55 gesehen


Es ist eine eigenartige Landschaft, die wir hier durchfahren. In diesem Jahr liegt sehr wenig Schnee; wir haben diese Straße auch schon im Juli kennen gelernt mit bis zu vier Meter hohen Schneewänden auf beiden Seiten.

Nach etwa 50 Kilometern beginnt das Gelände wieder abzuflachen, und wir fahren durchs Leirdalen und Böverdalen hinunter zum Knotenpunkt Lom. Und hier ist nun wirklich der Bär los! Sämtliche Touristen Norwegens scheinen sich an diesem sonnigen Spätnachmittag hier eingefunden zu haben. Souvenirs, insbesondere Trolle in allen Größen, an jeder Ecke.

Wir steuern zielstrebig "unseren" alten Campingplatz an und wollen dort einige Hütten für die Nacht mieten: Fehlanzeige - ausschließlich Familiencamping, keine Gruppen. Nun, wir können unsere Dollars sicher auch an einem anderen Platz lassen! Einige Kilometer außerhalb von Lom finden wir einen schön gelegenen Platz an einem See, dessen Besitzer mit einer Vermietung von Hütten an uns keine Probleme hat.

Und so kann nun zu einem weiteren Programmhöhepunkt der Fahrt geschritten werden: dem traditionellen (und fast schon rituellen) Hamburger-Essen. Dazu haben wir alle notwendigen Zutaten eingekauft. Jeder muß nun entscheiden, ob er einen Einfach-, Doppel- oder gar Dreifachburger zu sich nehmen will; wie er sie belegen will und vor allem, wieviel er davon wohl schaffen kann..... Ein eifriges Hantieren mit gebratenen Fleisch(?)scheiben, Gurken- und Tomatenscheiben, Salatblättern; insbesondere aber mit Ketchup- und Hamburgersauceflaschen hebt an; dumm, wer dann am Schluß nicht noch an eine kräftige Portion Röstzwiebeln denkt! Hunger verspürt an diesem Abend sicher keiner mehr.......

Hamburger bis zum Abwinken


Wir gönnen uns dann noch einen Busausflug zurück ins Zentrum von Lom - schließlich will man ja auch mal "richtiger" Tourist sein. Dabei wechseln einige Andenken den Besitzer. Na ja, und ein kleines Eis paßt inzwischen auch schon wieder hinein....

Am Abend schlendern wir noch ein wenig zum Seeufer hinunter; hier befindet sich auch noch ein Zeltplatz und wir bestaunen die Vielfalt der möglichen Zeltvariationen. Nicht alle sehen so aus, als ob sie einem kräftigen Sturm gewachsen wären. Die bei der Abendstille plötzlich wieder auftauchenden Mücken treiben uns aber bald in unsere Schlafquartiere.


Donnerstag, 27.7.95, 14. Tag

Wenn man nicht so viele Zelte abbauen muß, geht das Packen natürlich schneller. Inzwischen haben wir aber auch schon Routine darin bekommen. Schon früh sind wir wieder mit den Bussen unterwegs. Die vorgesehene Strecke ist zwar kilometermäßig nicht besonders weit; am Weg liegen aber viele Sehenswürdigkeiten.

Die erste ist gleich 50 Kilometer hinter Lom der Pollfossen, ein mächtiger Wasserfall. Da direkt an der Straße zum Geiranger gelegen, natürlich auch stark touristisch bevölkert.

Am Pollfossen zwischen Lom und Grotli


Kurz darauf biegen wir aber bei Grotli von der Hauptstraße ab. Dies wäre zwar der kürzere Weg in Richtung Geiranger, unserem Tagesziel; wir wollen aber das alte Straßendenkmal, die RV 258 nehmen.

Früher war dies die einzige Verbindung; in den letzten Jahren hat man aber eine neue Strecke mit vielen Tunnel direkt durch das vor uns liegende, mächtige Gebirgsmassiv getrieben.

Die alte Strecke ist zwar nicht asphaltiert; dafür sind wir (fast) allein unterwegs und können uns wieder mal in Ruhe mit einer Schneeballschlacht beschäftigen. Nur beim Fahren muß man höllisch aufpassen; ab und zu hat das Eis des letzten Winters und die Schneeschmelze doch ein Stück von der Straße mitgerissen.

Unterwegs auf der alten RV 258, jetzt ein Straßenbau-Denkmal


Über einige Umwege gelangen wir dann wieder zurück zur neuen Straße und setzen unseren Weg bis zur Auffahrt zum Dalsnibba fort. Hier leisten wir uns die Maut-Fahrt über eine private Schotter-Waschbrett-Piste hinauf zum auf 1476m hoch gelegenen Gipfel. Von hier aus hat man einen atemberaubenden Rundblick über die Gebirgswelt - und natürlich hinunter zum Geirangerfjord.

Geiranger - diesen Namen kennt man auch, wenn man noch nicht in Norwegen war: er soll angeblich der schönste Fjord Norwegens sein (was zumindest unserer Meinung nach umstritten ist). Hier legen in schöner Regelmäßigkeit die Kreuzfahrtschiffe an und schicken Busladungen voller Touristen durch die nähere Umgebung.

Und auch jeder "normale" Tourist, der in Norwegen mit Wohnwagen oder Wohnmobil unterwegs ist, wird sicher hierher einen Abstecher machen. Unter anderem sind wir ja auch hier: Norwegen ohne Geiranger - da fehlt halt irgendwas!

Aber: wir haben noch einen anderen Grund, dieses Gebiet anzusteuern: in unserem Wanderführer haben wir hier ein Gelände gefunden, das für eine zweitägige Trekking-Tour wie geschaffen ist. Wir wollen die Autos unten in Geiranger stehen lassen und dann mit Zelt und Rucksack zwei Tage in der den meisten Touristen sicher unbekannten Wildnis verschwinden. Von hier oben aus können wir das Wandergebiet auch schon ganz gut erkennen.

"Örnesvingen: letzte Haarnadelkurve (500m) der RV 58 nördlich von Geiranger, mit schönem Blick über den Fjord und den Wasserfall "Sieben Schwestern" sowie auf die Felskanzel Preikestolen am Südufer. Im Fernglas sind die Gebäude des Ende des 19.Jahrhunderts aufgegeben Hofes Knivsfla neben dem Wasserfall zu erkennen. Dem Pfad folgen, der nur in den ersten 10 Minuten von Touristen bevölkert wird. Dann ist der Bergbach Kviturda zu durchschreiten, was manchmal unmöglich ist. Und weiter geht es in schwindelerregender Höhe mit phantastischer Aussicht bis auf über 900 Meter hinauf, gelegentlich Markierungen, festes Schuhwerk erforderlich; zelten im Tal Gomsdalen gut möglich (Karte 1219 II Geiranger)"

Wir haben die Karte besorgt, haben festes Schuhwerk und wollen also im Gomsdalen zelten - die Frage ist jetzt: läßt sich der Bach durchschreiten? Das werden wir hoffentlich unten in Geiranger an der Information erfahren.

Jetzt genießen wir erst einmal den Blick hinunter ins Geiranger-Tal - und siehe da - gleich zwei Kreuzfahrer liegen im Hafen! (s. Titelbild dieses Reisetagebuches!)

Nachdem wir wieder vom Dalsnibba herunter sind, machen wir für eine Foto-Session noch einmal oberhalb von Geiranger Pause. Viele von uns wollen ein besonderes Erinnerungsfoto mit dem Fjord im Hintergrund.

Danach geht es hinunter bis zum Fjordufer. Hier wurde vor einem Jahr unser Transit von einem Norweger gerammt (das Geld werden wir erst 1997 dafür bekommen). Wir parken die Fahrzeuge etwas außerhalb vom Ort und bummeln dann durch das quirlige Leben. Trolle, Norwegerpullover, Silberschmuck, Postkarten - die ganze Palette ist hier vertreten; zu garantiert überhöhten Preisen!

Wichtig ist nun aber auch der Besuch der Tourist-Information. Und hier erblaßt die nette, englischsprechende Dame, als sie von unserem Vorhaben hört. Wir wiederum erblassen, als sie uns drastisch erklärt, wie denn die Wegstrecke nach dem Bach genau aussieht: eine von uns zu durchquerende Felswand mit ca 45 Grad Neigung; nicht markiert und vor allem nicht gesichert. Das war`s natürlich mit dieser Tour! Wir sind ja keine Alpinisten!

Zum Glück hat man für uns aber einen ungefährlichen Ersatzvorschlag: wir sollen die Südseite nehmen und zum Preikestolen aufsteigen; dort oben soll man ebenfalls mit herrlicher Aussicht hinüber zu den "Sieben Schwestern" zelten können. Wir bekommen sogar ein Tourenblatt mit einer Skizze dafür ausgehändigt.

Die gefährliche Tour kommt natürlich nicht mehr in Betracht; der andere Vorschlag findet allgemeine Zustimmung. Und ein Opfer, das auf die Busse während der Tour aufpassen soll, ist ebenfalls schnell ausgemacht: Jan! Er will zwar unbedingt mit auf die Trekking-Tour; hat andererseits aber immer noch Schmerzen im Kniegelenk. Und Sebastian erklärt sich spontan bereit, über Nacht bei ihm zu bleiben. Damit sind beide Busse ausreichend abgesichert und die Beiden werden auch keine Langeweile haben. Ursprünglich wollten wir die Busse oben, an der letzten Haarnadelkurve, bei einem Bauern abstellen; hier unten, in Geiranger, ist uns ein unbewachtes Abstellen der Fahrzeuge über Nacht dann doch zu riskant.

Als das prinzipiell geklärt ist, tätigen wir im einzigen (und daher dementsprechend teuren!) Supermarkt von Geiranger-City die notwendigen Einkäufe und ziehen uns dann ans Fjordufer zurück.

Hier sitzen wir, genießen kühlen Joghurt zum Mittagessen und beobachten die vielen Touristen, die sich durch die wenigen Straßen des Ortes auf- und abwälzen.

Mittagspause direkt am Geirangerfjord


Wir fahren zunächst am Südufer entlang, bis es mit den Autos nicht mehr weitergeht. Hier wird in praller Sonne alles in die Rucksäcke eingepackt, was man so für eine Nacht braucht; neben der persönlichen Ausrüstung natürlich auch Zelte, Kochutensilien und Verpflegung. Danach fahren wir die Busse wieder ein Stück zurück. Hier haben wir bei der Anfahrt eine Art Mini-Steinbruch gesehen, in dem wir die Wagen gut für eine Nacht parken können. Die beiden Fahrer, Martin und Potti, müssen das ganze Stück dann leider wieder zu Fuß zurück.

Und nun beginnt ein schweißtreibender Aufstieg! Laut Karte und Informationen sollen es insgesamt 500 Höhenmeter sein, die es zu überwinden gilt. Aber was sagt eine solche Zahl schon aus über die tatsächliche Lage?

Vielleicht werden sich unsere Fahrtteilnehmer beim Lesen dieser Zeilen wieder an diesen Aufstieg erinnern - die pralle Sonne, die uns nun gnadenlos verfolgt; den gerölligen Weg, der steil bergauf führt, ab und zu von großen Felsplatten unterbrochen, die uns mit ihrer starken Schräglage zusätzlich den Anstieg erschweren.

Nach kurzer Zeit hat sich die Wandergruppe weit auseinandergezogen - immer wieder legen einzelne Teilnehmer eine kurze Verschnaufpause ein. Am oberen Ende eines Felsgeländes treffen dann alle wieder aufeinander. Die vorderen Wanderer haben inzwischen darüber diskutiert, ob man bei diesem Wetter, vor allem der enormen Hitze, nicht besser auf einen weiteren Aufstieg verzichten solle. Nach hitziger Diskussion findet man eine für alle akzeptable Lösung: wer will, kann wieder absteigen und eine Nacht auf dem Camping-Platz von Geiranger verbringen; Kathrin und Potti werden sie begleiten und zusammen mit Sebastian, der ja schon mit Jan unten ist, die Aufsicht übernehmen. Wer aber unbedingt möchte, kann weiter, wie geplant, hinauf zum Preikestolen hinaufwandern.

Für diese Lösung entscheiden sich sechs der Teilnehmer; acht andere wollen lieber wieder umkehren. Nachdem das geklärt ist, muß natürlich hinsichtlich des Gepäcks umdisponiert werden: es gilt, das Zeltmaterial entsprechend der Größe und Zusammensetzung der beiden Gruppen aufzuteilen, aber natürlich auch die Kochutensilien und die Verpflegung.

Nach genauer Terminabsprache, wann die Sechsergruppe morgen wieder zurückkehren wird und daher unten ein Kleinbus bereitstehen soll, geht es nun in entgegengesetzter Richtung weiter.


Zunächst zur "Berggruppe": bereits wenige hundert Meter weiter flacht der Weg glücklicherweise ab und taucht in ein kleines Wäldchen ein. Das Laufen ist zwar durch das Gewicht auf dem Rücken und besonders durch die Blockfelder immer noch recht mühsam; glücklicherweise fehlt nun aber die direkte Sonneneinstrahlung und die bisherige Steilheit.

Unterwegs wird noch eine ausgiebige Rast mit schöner Aussicht hinunter auf den Geirangerfjord gemacht; interessant dabei zu sehen, wie die soeben im Fjord gestarteten Wasserflugzeuge unter einem hindurch fliegen.

Weiter oben finden wir dann einen einigermaßen ebenen Lagerplatz für die Nacht; mit überwältigender Aussicht hinunter auf den Fjord - in der Richtung, die man von Geiranger selbst aus nicht mehr sehen kann. Trinkwasser gibt es hier oben in kleinen Bächen ebenfalls genügend - das wird uns also keine Probleme bereiten.

Lagerplatz hoch über dem Geirangerfjord, direkt gegenüber dem Wasserfall der sieben Schwestern


Während wir noch sitzen und einfach die Aussicht hinüber zum Wasserfall der sieben Schwestern genießen, zieht unter uns langsam der Kreuzfahrer wieder aus dem Fjord hinaus.

Zu sechs Personen haben wir nur zwei Überdächer mitgenommen; die sind schnell aufgerichtet und sturmgerecht abgespannt; danach geht es an die Zubereitung des Abendessens und die "Einrichtung" der Schlafstellen.

Nach der anstrengenden Wanderung verschwinden alle bald in den Schlafsäcken; vorher halten wir noch einen kleinen Plausch mit zwei jungen Deutschen, die uns schon auf dem Anstieg leichtfüßig überholt hatten und nun abends auf dem Rückweg vom doppelt so hoch gelegenen See wieder bei uns vorbeikommen. Dort oben ist noch überall Schnee; der See, in dem sie (kurz!) gebadet haben, teilweise noch mit Eisschollen bedeckt.

Die "Talgruppe" ist inzwischen wieder wohlbehalten bei Jan und Sebastian eingetroffen, die darüber nicht schlecht staunen. Die Fahrzeuge werden zum Campingplatz von Geiranger umgesetzt und dort das Lager für die Nacht aufgebaut. Für den nächsten Tag schlägt Jan eine etwas kürzere Wanderung zum Storfossen vor.


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