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Ostermontag, 13.4.98, 17. Tag
Und es ist besser! Mit Genugtuung schauen wir am frühen Morgen aus den
Zelten und sehen erstes Sonnenlicht gegenüber auf den Hängen. Jetzt,
wo der Nebel weg ist, kann man erst die tolle Landschaft richtig wahrnehmen.
Wir sind schon richtig hoch im Gebirge - kein Wunder, das es über Nacht
so kalt war! Kurz ein Blick auf den Höhenmesser: er zeigt 12000 m aktuelle
Höhe an und steigt beständig, ohne daß wir uns vom Fleck rühren!!! Und
beim Umschalten des Display erlöschen plötzlich alle Werte und es erscheint
die mysteriöse Anzeige "lo". Erst später werden wir in der Anleitung
nachlesen können, daß dieses "lo" nichts anderes heißt als "low" hinsichtlich
des Batteriestroms. Aus und vorbei mit unserem Höhenmesser für diese
Tour! Und erstmals die bittere Erkenntnis, daß unser Höhenmesser anscheinend
ein sehr teurer Batteriefresser ist! (Ein Satz kostet ca. 35 DM und
hält nur ca. 2 Wochen). Unsere Rekonstruktion der Daten ergibt aber,
daß wir jetzt die Höhe des Mount Everest in der Summe erreicht haben
- das genügt uns! Zumindest zeigt der Höhenmesser im Temperaturmodus
aber noch die derzeitige Morgentemperatur: 8 Grad (zum Glück plus!)
Wir hieven die Räder leer über die Leitplanke und beladen sie direkt
auf der Straße. Das geht leichter, als sie schwerbeladen über den holprigen
Feldweg zurückzuschieben. Und nach einem wärmenden Kaffee machen wir
uns bereits um 8:20 Uhr auf, in der Hoffnung, irgendwo vielleicht eine
geöffnete Bäckerei zu finden.
Aber zunächst erreichen wir nach 5 Kilometern den echten "Colle del
Contrasto" (mit "echter" Höhenangabe auf einem Schild). Unser Gesamtkilometerstand
beträgt hier inzwischen 754 Km. Und ab hier rollt es nun wirklich gut!
Bestes Wetter, weite Fernsicht, ein leichter Wind, der uns umspielt.
Klar, es ist immer noch vergleichsweise kalt; aber die Strecke führt
einfach zu fahren über eine aussichtsreiche Hochfläche. So macht das
Fahren wieder Spaß! Unterwegs mehrere Foto- und Videostops, da erstmalig
wieder der Etna mit seiner unverwechselbaren Rauchfahne am Horizont
zu erkennen ist. Unser letztes Ziel auf unserer Rundfahrt! Und wir haben
immerhin noch 5 Tage zur Verfügung.
Sogar einen Wanderparkplatz entdecken wir am Wegesrand mit einem anscheinend
gut ausgeschilderten Fernwanderweg. Vielleicht werden wir ja mal irgendwann
hier wandern. Nicosia hießt unser nächstes Etappenziel für diesen Vormittag;
laut Karte ein doch beachtlich großes Örtchen, gerade mal 19 Kilometer
entfernt. Und da müßte doch vielleicht - jawohl, wir haben Glück! Wir
finden ein geöffnetes Lebensmittelgeschäft! Um 10 Uhr haben wir für
ein Ostermontagsfrühstück eingekauft und suchen nun nach einem ungestörten
Picknickplätzchen. Als die einzige Hauptstraße des Ortes aber immer
tiefer abwärts führt (in die falsche Richtung), wenden wir und lassen
uns am oberen Ortsausgang auf einem kleinen Parkplatz häuslich nieder.
Neben uns ein halb durchgeschnittener Oldtimer, der wohl zu Werbezwecken
dient; hinter uns ein Hochhaus. Zu dieser Zeit ist aber in Nicosia noch
kaum jemand auf den Beinen; ungestört genießen wir unser opulentes Frühstück.
Bei der Weiterfahrt treffen wir dann schließlich auf die Bewohner Nicosias:
rund um eine Kirche findet ein Pfarrfest statt; hier tummeln sich enorme
Menschenmassen. Selbstverständlich erregen wir bei der Vorbeifahrt jede
Menge Aufmerksamkeit.
Inzwischen ist es ziemlich heiß geworden und Zeit für kurze Sachen.
Ein festes Tagesziel haben wir uns heute nicht gesetzt; Hauptsache näher
an den Etna heran. Die SS 117 haben wir zugunsten einer kleinen Nebenstraße
verlassen; auf ihr können wir ein Stück in Richtung der nächsten Stadt,
Agira, abkürzen. Und wirklich prächtig rollt es jetzt bergab. Aber "Erfahrungen"
dieser Art haben uns vorsichtig gemacht! Was bergab geht, geht irgendwann
unweigerlich wieder bergauf. So ist es leider auch: unseren Abstieg
haben wir einem Fluß zu verdanken! Und nach der Überquerung auf einer
Brücke geht es nun wieder in gleichem Maße (nur langsamer) bergauf.
Vorher gönnen wir uns ein Vino-Päuschen an der Brücke und liegen entspannt
im Gras um dem gemächlichen Zug der weißen Wölkchen am Himmel zuzuschauen.
Kurz darauf in voller Fahrt eine Hundeattacke, die wir mit gezogenen
Luftpumpen siegreich für uns entscheiden. Leider ist Martins Pumpe danach
nicht mehr brauchbar..... Überall auf den kleinen Gehöften links und
rechts neben der Straße wird Ostermontag gefeiert; diesen Brauch kennen
wir schon von spontanen Einladungen auf Sardinien. Und so nimmt auch
hier das Schicksal seinen Lauf! Beim mühsamen Hochkeuchen eines Anstiegs
werden wir gestenreich von der Straße weg von jungen Damen auf ein Privatgrundstück
gelotst.
Na ja, was sollen wir dagegen schon machen? (Wollen wir ja auch gar
nicht.....) Also wirklich, nette Leute sind das hier! Nachdem wir samt
vollbepackten Rädern unten am Haus angekommen sind, werden wir sofort
von der gesamten Gesellschaft umringt. Zuerst müssen wir natürlich erzählen,
woher wir kommen, wohin wir wollen, und warum wir quer über die Insel
mit dem Rad unterwegs sind. Und dann lösen wir uns in kleine Grüppchen
auf und werden sozusagen von den Feierlichkeiten aufgesogen....
Im Klartext heißt das: ein Glas Vino in der einen Hand, ein gegrilltes
Würstchen in der anderen, und mit vollem Mund auf italienisch Konversation
machen. Und weil wir dabei mit unserem leider immer noch arg beschränkten
Wortschatz stark auf die Mithilfe der Hände zum Gestikulieren angewiesen
sind, grenzt das schon fast an Akrobatik!
Natürlich tauschen wir die Adressen aus und versprechen, eine Postkarte
zu schreiben (haben wir später auch zu Weihnachten eingehalten!). Ein
Keyboard samt Lautsprecheranlage, praktischerweise auf Demobetrieb geschaltet,
dudelt lautstark eine Abart von "Macarena" vor sich hin; dadurch kommen
wir in den Genuß, die wirklich vorteilhaft ausschauenden sizilianischen
Maiden beim Tanz zu bewundern. Wir werden zum Mittanzen aufgefordert;
dazu lassen sich unsere jungen Leute aber nicht verführen. Marianne
und Martin unterhalten sich derweil intensiv mit den Eltern, Großeltern,
Onkeln und Tanten.
Das Ganze ist wirklich für uns völlig unerwartet gekommen - hinterher
werden wir noch oft an diesen bemerkenswerten Nachmittag zurückdenken.
Und jedesmal müssen wir dann auch daran denken, ob so etwas bei uns
Deutschen zu Hause überhaupt vorstellbar wäre.
Äußerst beschwingt verabschieden wir uns dann; selbst der nun folgende
Anstieg hinauf nach Agira stört uns nicht mehr; und danach noch eine
sausende Abfahrt die Serpentinen hinunter in Richtung Regalbuto. Vor
allem Sarah entwickelt plötzlich ungeahnte Kraftreserven und rauscht
allen anderen davon (mit hochrotem Kopf, was sie später auf die heutige,
starke Sonneneinstrahlung zurückführt). Von den Serpentinen aus haben
wir bereits den "Lago di Pozzillo" gesehen, einen der seltenen Stauseen
auf Sizilien. Auf der 12 Kilometer langen Strecke von Agira am Seeufer
entlang (die Karte zeigt einen grünen Streifen für eine besonders schöne
Straßenführung) wollen wir heute einen Lagerplatz suchen.
Dies gestaltet sich aber mal wieder sehr schwierig, da die an und für
sich reichlich vorhandenen Wiesen beiderseits der Straße durch Stacheldrahtabsperrungen
für uns unerreichbar sind. Als dann in einiger Entfernung vor uns aber
schon das nächste Dorf zu sehen ist, suchen wir auch die Zäune nach
einer etwaigen "Schwachstelle" ab. Und bald werden wir diesbezüglich
auch fündig! Eine Art Treckerzufahrt ist lediglich durch einen einfachen
Draht gesperrt. Dies kann uns nun wirklich nicht aufhalten! Wir warten
eine Lücke im Verkehr ab; dann hält Jan uns den Draht hoch, und schon
sind wir rasch hinter einer Hügelkuppe den Blicken neugieriger Autofahrer
entschwunden. Und wir haben wirklich Glück: hinter dieser Kuppe liegt
ein kleines, einigermaßen ebenes Plateau, auf das unsere beiden Zelte
gut hinpassen.
Wir bauen aber noch nicht sofort auf, sondern warten die Abendzeit ab,
um bei eventuellen Schwierigkeiten mit einem vorbeikommenden Bauern
nicht wieder abbauen zu müssen. Bei einbrechender Dämmerung ziehen wir
dann die Zelte hoch und genießen einen schönen Ausblick über den abendlichen
See hinüber zum Etna, der noch in der Abendsonne liegt. Uns wird dabei
aber auch deutlich, daß wir bis zum Fuß des Etnas noch einige Kilometer
fahren müssen. Leider ist es abends so windig, daß wir im Schutz des
Innenzeltes kochen müssen.
Tageswerte: 58,5 Tageskilometer; 4:16 Stunden im Sattel, Schnitt 13,07
Km/h; keine Höhenangaben mehr
Dienstag, 14.4.98, 18. Tag
Vier Tage haben wir noch für den Etna Zeit - zwei Tage brauchen wir
dafür auf jeden Fall. Von einer Zufallsbekanntschaft haben wir unterwegs
erfahren, daß der Ort Nicolosi am Hang des Etnas der wohl beste Ausgangspunkt
für eine Bergtour ist. Den Gipfel selbst können wir auf keinen Fall
erreichen; es soll aber von Nicolosi aus eine Straße hochführen zum
Fuß einer Seilbahnstation. Mit dieser Seilbahn und per Jeeps kann man
dann ziemlich weit nach oben kommen. Aber bis es so weit ist, müssen
natürlich noch die dazwischenliegenden Kilometer per Rad gefahren werden.
Also heißt es wieder mal früh aufstehen; schnell ein erster Kaffee,
dann Zeltabbau und zurück zur Straße. Auf der SS 121 geht es in Richtung
Regalbuto. Dort kaufen wir am Ortsrand im Supermarkt die Frühstücksutensilien
ein und fahren weiter in Richtung Zentrum.
Unterwegs wird Martin auf deutsch angesprochen; wo wir herkämen usw.
Und dann die Überraschung! Salvatore Valentin wohnte lange Zeit in Gladbeck,
Martins Geburtsstadt. Da gibt es natürlich eine Menge zu erzählen, Adressen
auszutauschen (mit Salvatore hatten wir noch über 2 Jahre Schriftverkehr)
usw. Die anderen fahren schon mal vor und richten auf der Piazza unter
Palmen den "Frühstückstisch" her. Der besteht wie immer aus einer zentral
stehenden Parkbank, auf dem die Paninis, Burro, Mortadella und all die
anderen Köstlichkeiten ausgebreitet werden. Wir sitzen dann auf unseren
Ortliebsäcken im Kreis drum herum. Wichtigstes Requisit beim Frühstück
ist das Taschenmesser: es schneidet die Brötchen auf; schmiert die Butter
und Wurst und ist zum Öffnen der Flaschen unentbehrlich. Kein Wunder,
daß es bei fast allen griffbereit an einer Messerkette in der Seitentasche
der Hose steckt.
Bei bestem Wetter geht es dann über Paterno (wo wir uns an einer Schnellstraßenauffahrt
ein wenig verfahren) und Belpasso zügig weiter: die Straße stellt keine
besonderen Ansprüche; weder steigungs- noch verkehrsmäßig. Am Spätnachmittag
erreichen wir den Stadtrand von Nicolosi und finden schnell einen Campingplatz.
Erst können wir es gar nicht glauben, daß es sich hier um einen Campingplatz
handeln soll; entweder ist er noch nicht fertig, oder er ist schon wieder
zerfallen. Egal; es gibt eine funktionierende Toilette samt Dusche (kalt)
und direkt neben dem Platz ein schönes Restaurant.
Nach dem Zeltaufbau geht es nach Nicolosi (zu Fuß); wir kaufen alles
für ein abendliches Ratatouille ein sowie ausreichende Getränkevorräte.
Nach dem Kochen und Essen sitzen wir am Rand des Platzes und schauen
hinunter in die Ebene, wo irgendwo schon Catania liegen muß. Zu erwähnen
sind hier noch einige Radrennfahrer, die auf einer nicht weit entfernt
liegenden Straße ständig hin- und herfahren. Der Sinn bleibt uns verborgen,
allerdings belegen wir schnell einige markante Fahrer mit eindeutigen
Spitznamen.
Morgen soll es also hinaufgehen zu Etna; sozusagen der "Höhepunkt" unserer
Sizilientour. In Nicolosi haben wir uns erkundigt: ein Linienbus fährt
hoch zur Talstation der Seilbahn; wir können unsere Räder also am Campingplatz
lassen. Dies freut uns sehr, wäre doch der Höhenanstieg beträchtlich
gewesen!
Tageswerte: 54 Tageskilometer; 4:40 Stunden im Sattel bei einem Durchschnitt
von exakt 10 Km/h
Mittwoch, 15.4.98, 19. Tag
Bei bestem Wetter geht es, nur mit Lenkertaschen und Windjacken ausgerüstet,
auf nach Nicolosi. Erster Schock: der Linienbus ist schon weg; ein anderer
fährt heute nicht mehr. 2 andere Touristen stehen ebenfalls enttäuscht
da - schnell werden wir uns einig: wir nehmen zu acht 2 Taxen (eigentlich
ist es das gleiche Taxi, das zweimal fährt). Und bald stehen wir am
Fuß der Seilstation, am Rifugio Sapienza. Hier kaufen wir ein Kombiticket
für 80 DM (je Person!). Aber dieser hohe Preis ist allen recht: Sizilien
ohne den Etna gesehen zu haben, wäre nichts (frei nach Goethe zitiert)
Die Fahrt hinauf verläuft über ödes, verbranntes Gelände. Im Sommer
2001 werden wir in den Fersehnachrichten live miterleben können, wie
sich ein Lavastrom auf das Refugio zuwälzt und die Masten unserer Seilbahn
mit glühender Lava zuschüttet.
Was soll man überhaupt von dieser Etna-Tour berichten? Es ist wohl so,
daß jeder von uns sechs vom Etna sehr beeindruckt ist und die folgenden
Bilder zur Auffrischung seiner eigenen Erinnerungen genügen werden.
"Mongibello", Berg der Berge, nennen die Sizilianer den mit rund
3350 m Höhe größten Vulkan Europas. Seine genaue Höhe ist schwer zu
bestimmen - sie schwankt wie bei allen aktiven Vulkanen. Und der Etna
schlummert keineswegs: zwischen zehn und zwanzig größere Ausbrüche werden
pro Jahrhundert gezählt; der bislang größte, der Catania zerstörte,
ereignete sich 1669"
Und jetzt stehen wir auf diesem gewaltigen Berg und steigen von der
Seilbahn in große Jeeps um, die uns noch weiter nach oben bringen (bis
auf ca. 2500 m). Dann noch ein kurzer Fußweg, und wir stehen an einer
Barriere - vor und über uns der "Torre di Filosofo", aus dem doch tatsächlich
mit lautem Donners immer wieder Felsbrocken hochfliegen (wenn man auf
dem Foto der nächsten Seite genau hinschaut, kann man sich einige am
oberen Bildrand einbilden. Neben uns steigt aus Erdspalten immer noch
heißer Qualm auf; nicht allzu tief unter uns wartet das Magma! Wir füllen
unsere Taschen mit einigen Lavabrocken als Souvenir und sind beeindruckt!
An einer Schautafel können wir uns über die noch weiter oberhalb von
uns liegenden Gipfel informieren. Kein Wunder, daß es im Reiseführer
heißt: "Sich dem Gipfel ohne sachkundige Führung zu nähern ist lebensgefährlich!"
Bei den weiter oberhalb überall aufsteigenden Rauchfahnen ist das leicht
nachvollziehbar!
Nachdem wir wieder mit Jeep und Seilbahn zur Talstation hinuntergefahren
sind, bummeln wir durch die Andenkenläden rings um dieses Etna-Zentrum.
Wir haben noch Zeit, da wir für den Rückweg natürlich den Linienbus
nehmen werden, der ab hier irgendwann um fünf fahren soll.
Und dieser Bus ist nun doch um einige Lira billiger als das Taxi! Unterwegs
macht uns der Schaffner auf ein Haus aufmerksam, daß direkt neben der
Straße liegt, und von dem nur noch das Dach zu erkennen ist - der Rest
ist von erstarrten Lavamassen eingeschlossen. Uns wird klar, daß das
gesamte Gelände, daß wir jetzt gerade auf der noch ziemlich neu aussehenden
Straße durchfahren, vor nicht allzu langer Zeit ein Opfer der Lava geworden
ist. Es sieht hier aber auch aus wie auf einer Mondlandschaft - erstarrte
Lava, wohin man schaut!
Weiter unten am Hang erkennt man überall kleine Nebenkegel des Etnas:
mehr als hundert Vulkanausbrüche haben sie in den letzten Jahrtausenden
geschaffen. Die Leute, die sich hier überall angesiedelt haben, sind
sich der Risiken bewußt: der Etna kann hier überall seitlich ausbrechen,
nur da, wo ein Kegel ist, wird er nicht ein zweites Mal zuschlagen.
Zu Fuß geht es von Nicolosi dann die kurze Strecke zum Campingplatz.
Heute wird nicht gekocht - wir wollen das Ende unserer Tour im Restaurant
des Platzes mit einem ausgiebigen Essen feiern. In der Dämmerung geht
es dann hinüber ins Restaurant. Wir sind nahezu die einzigen Gäste und
machen dementsprechend viel Krach. Vielleicht liegt es auch ein wenig
am Wein, der jetzt in Strömen fließt, jedenfalls ist die Stimmung recht
ausgelassen. Wir bestellen an Hand der Speisekarte alle möglichen sizilianischen,
zumindest aber italienische Gerichte; angefangen mit einer Vorspeisenplatte
"a la casa" (mit jeder Menge an Wurst, diversen Käsesorten, Oliven,
Artischocken, Pilzen usw., alles recht würzig mit viel Knoblauch und
Olivenöl angemacht). Als zweiten Gang haben wir je nach Geschmack verschiedene
Pastagerichte oder Fleisch gewählt; dazu ein Salat. Den Abschluß bildet
selbstverständlich "dolce" in verschiedenen Varianten.
Mit diesem Abend geht die Sizilienrundfahrt eigentlich zu Ende, das
ist allen klar. Wir müssen zwar noch 48 Stunden bis zum Abflug überbrücken;
dies hat aber nicht mehr viel mit unserer Radrundreise zu tun. Gut 850
Gesamtkilometer haben wir zurückgelegt; das war`s mit "Sicilia per bicyclette".
Vieles haben wir kennengelernt und "erfahren"; unsere Eindrücke müssen
sich nun erst einmal setzen.
Nach dem guten Mahl geht es mit ausreichender Bettschwere in die Zelte.
Dummerweise müssen Svenja und Sarah feststellen, daß ein herumstreunender
Köter ihnen ausgiebig ans Zelt gepinkelt hat.
Donnerstag, 16.4.98, 20. Tag
Wir schlafen heute etwas länger; es gibt auch keinen Grund zur Eile:
Catania liegt gerade mal so um die 30-40 Kilometer entfernt; dazu noch
bergab. Nach einer letzten (kalten) Dusche wird gepackt und im Restaurant
bezahlt (alles in allem mit Platzgebühren ziemlich preiswert). Dann
nach der Verabschiedung auf`s Rad und hinein nach Nicolosi.
Hier finden wir schnell die Ausfallstraße nach Catania; ab hier ist
alles gut beschildert. Bergab geht es - und das Wetter verschlechtert
sich, so daß wir an einer Toreinfahrt halten und die kurzen Hosen gegen
lange tauschen. Schon mal ein Vorgeschmack auf daheim?
Der Verkehr nimmt von Kilometer zu Kilometer zu - man merkt die Nähe
der Großstadt. In Gravina, fast schon einem Vorort von Catania, frischen
wir an einem Automaten noch schnell unseren Bargeldvorrat auf - argwöhnisch
beäugt von einem bewaffneten Wachtmann, der nebenan die Bank bewacht.
Und dann kommt das, was wir ja schon von Palermo her kennen: mit sechs
Rädern quer durch`s Verkehrsgewühl einer Großstadt! Diesmal haben wir
aber einen entscheidenden Vorteil: wir kennen zwar nicht die genaue
Fahrtroute durch die Stadt (wir kennen nicht einmal das genaue Ziel....),
wir wissen aber, daß der Zeltplatz, den wir jetzt erst einmal ansteuern
wollen, direkt am Meer in der Nähe des Flughafens, liegen soll. Und
das bedeutet für uns: jede Straße, die weiter bergab führt, ist für
uns richtig - irgendwann muß sie am Hafen oder am Meer enden.
Allerdings müssen wir bei dem starken Verkehr höllisch aufpassen, daß
die Gruppe zusammenbleibt. Wenn sich hier jemand verfahren sollte -
nicht auszudenken. Zudem machen uns die catanischen Autofahrer das Leben
schwer: mehr als einmal nehmen sie uns die Vorfahrt. Schließlich aber
haben wir es geschafft: am Hafen angekommen fahren wir südwärts; erreichen
einen riesigen Kreisverkehr und folgen den Schildern Richtung Flughafen.
Einheimische haben uns diesen Weg gewiesen; ja, irgenwo an der Ausfallstraße
soll ein Campingplatz liegen.
Liegt er aber nicht! Dort, wo er eigentlich sein sollte, befindet sich
eine Art Bungalowsiedlung. An der Rezeption (mit Schranke und allem
drum und dran) weist man uns aber für eine Nacht einen "Platz" auf dem
Parkplatz der Anlage zu. Hier gibt es auch einen Container mit Toiletten.
Zwischen den Autos schlagen wir ein letztes Mal unsere Zelte auf.
Jan und Martin fahren gegen fünf noch einmal zum Kreisverkehr zurück
um einzukaufen; danach wird auf dem Parkplatz gekocht. Abends sitzen
wir am Strand. Viel los ist hier nicht - dafür haben wir in der Dämmerung
aber einen schönen Blick hinüber zum Etna. Über dem Gipfel ist ab und
zu Feuerschein zu sehen.
Tageswerte: 31,54 Tageskilometer; 2:05 Stunden im Sattel, Schnitt 15
Km/h
Freitag, 17.4.98, 21. Tag
Eine zweite Übernachtung hier ist weder möglich noch wünschenswert;
dafür war nachts zu viel Autolärm um uns herum. Die kommende Nacht müssen
wir auf dem Flughafen verbringen. Also können wir heute schon die Zelte
endgültig verstauen. Beim Bezahlen an der Rezeption nimmt man uns das
weg, was wir gestern in Nicolosi eingespart haben - kein empfehlenswerter
Platz!! Schon gar nicht bei diesem spartanischen "Komfort"!
Egal - irgendwo mußten wir ja unterkommen - das ist halt das Problem
in Großstädten. Frühstücken wollen wir am Hafen. Unterwegs kaufen wir
ein - sogar eine "Colomba", ein Kuchen in Form einer Osterfriedenstaube
(sogar mit Cremefüllung) wird gekauft - inzwischen schön im Preis heruntergesetzt,
weil Ostern schon eine Woche zurückliegt.
Am Hafen lassen wir uns auf unseren Ortliebsäcken nieder und genießen
ein ausgiebiges Frühstück in der prallen Morgensonne. Leider macht uns
der Wind dabei ein wenig zu schaffen, da er unser Frühstück mit Flugsand
eindeckt.
Nach dem Frühstück fahren wir wieder mitten hinein ins Verkehrsgetümmel
von Catania - jetzt wollen wir wenigstens einige der im Reiseführer
erwähnten Touristen-Plätze abklappern. Und davon gibt es hier wahrlich
genug!
"Die Porta Uzeda, ein prächtiges Barocktor aus dem Jahre 1696, markiert
den Wiederaufbau der damals vom Erdbeben (und Etna!) zerstörten Stadt.
Das Tor trennt den Domplatz vom Hafenviertel mit dem Castello Ursino.
Von hier sind es nur wenige Schritte bis zur Piazza del Duomo. Inmitten
dieses Platzes steht das Wahrzeichen Catanias, die Fontana dell`Elefante,
der Elefantenbrunnen. Der aus schwarzer Lava gefertigte Elefant und
der Obelisk, zwei antike Monumente, wurden in den Barockbrunnen intergriert."
Also lenken wir unsere Räder durch das Tor hin zum Elefantenbrunnen,
nachdem ein Abstecher zum Dom sich für uns nicht weiter gelohnt hat.
In Kleingruppen geht es von hier aus zu Fuß los; ein Team paßt derweil
auf die Fahrräder auf. Und wen treffen wir da? Unseren Salvatore aus
Gladbeck! Als er uns am Brunnen sieht, läßt er seinen Wagen mitten auf
der Kreuzung stehen, um uns zu begrüßen. Und natürlich ist mal wieder
ein Foto mit ihm vor dem Brunnen fällig. Salvatore ist schon seit gestern
in der Stadt und hat nach eigenen Angaben die Nacht in einer Diskothek
durchgemacht. Nochmals unser Versprechen, ihm zu schreiben, dann verabschiedet
er sich von uns. Leider will nun seit Auto nicht mehr! Unter dem Wagen
hat sich inzwischen eine große Wasserlache gebildet - scheint was mit
dem Kühler zu sein. Inzwischen haben sich auch Polizisten eingefunden.
Gemeinsam machen sie das Fahrzeug wieder flott und Salvatore braust
hupend davon.
"Der bunte Fisch- und Lebensmittelmarkt gehört zum Pflichtprogramm
einer Stadtbesichtigung. Gleich bei der Porta Uzeda taucht man ein in
das von Feilschen und Stimmengewirr untermalte Gedränge."
So ist es! So bekommen wir doch noch einiges von Catania zu sehen. Marianne
findet auch endlich einen Keramikteller aus Caltagirone; von hier aus
müßten wir ihn eigentlich sicher bis nach Deutschland transportiert
bekommen. Jetzt suchen wir nach einem ruhigen Plätzchen, um dort den
Nachmittag zu verbringen. Weil gerade Marktende ist, müssen wir uns
dabei durch Berge von Abfall hindurcharbeiten, ehe wir einen ruhigen
Park entdecken.
Dieser Park ist nun zwar ruhig und für eine Siesta wie geschaffen -
leider haben wir aber nicht rechtzeitig eingekauft - jetzt ist alles
bis 17 Uhr zu, und wir müssen uns mit unserem letzten, trockenen Brot
begnügen. Zum Glück haben wir wenigstens noch ausreichende Getränkevorräte
in den Satteltaschen.
Im Park wachsen riesige Bäume, die unsere jungen Leute natürlich sofort
zum Klettern animieren. Je nach Kletterkunst kommen sie dabei mehr oder
weniger weit in die Baumkronen hinauf. Marianne bewundert derweil die
vielen Pflanzen; Martin teilt sein letztes Brot mit den Enten und Schwänen.
Svenja wird leider von einem Taubenschiß mitten auf den Haaren getroffen;
für die anderen ein willkommener Grund zu lästern. Gegen 16 Uhr machen
wir uns dann auf unseren letzten Weg! Wieder geht es durch die gesamte
Innenstadt, die uns jetzt nach zwei Tagen schon fast vertraut erscheint.
Noch einmal an der Porta Uzeda vorbei; am Hafen entlang und hinaus zum
Kreisverkehr. Zügig passieren wir unseren gestrigen "Campingplatz";
dann geht es eine Rampe hinauf in Richtung Flughafen. Bei Tage sieht
das alles ganz anders aus! Ist es wirklich erst 20 Tage her, daß wir
hier nachts (und Svenja nur mit ihren zwei Gängen) durch die Außenbezirke
von Catania gefahren sind? Mein Gott, was haben wir seitdem auf Sizilien
alles erlebt! Die Landschaft, die freundlichen Menschen, das gemeinsame
Unterwegs sein, Tag für Tag neue Eindrücke. Es war schon eine tolle
Fahrt! Unsere letzten dreiwöchigen Osterferien - fast vorbei. Aber intensiv
ausgenutzt!!
Die Sonne steht schon tief, als wir uns dem Flughafen von Catania nähern.
Unser Kameramann muß natürlich vorfahren, damit der "Zieleinlauf" für
den späteren Videofilm nicht fehlt. In geschlossener Formation fahren
wir mit unseren vollbeladenen Rädern vor und bocken sie vor dem Haupteingang
auf - schon ein wenig stolz auf unsere Leistung! Na ja, und die Blicke
der "normalen" Pauschaltouristen tun schon gut! Mit einem Fläschchen
"Nastro Azurro" stoßen wir auf das glückliche Ende unserer Tour an:
930 Kilometer zeigt ein Blick auf den Gesamttachostand. Der Einfachheit
halber lassen wir uns dazu in der warmen Abendsonne direkt am Bordstein
vor dem Haupteingang nieder. Jan kann sich dabei zwischenzeitlich hingebungsvoll
um eine nette, blonde Niederländerin kümmern.....
Schnell haben wir abgecheckt, wo wir heute Nacht schlafen können: am
Rand der Eingangshalle stehen in einer Nische einige Palmen in großen
Übertöpfen - dort werden wir - sozusagen mitten im Grünen - unsere letzte
Nacht auf Sizilien verbringen.
Vorher wollen wir aber noch einmal kochen: natürlich Nudeln - was auch
sonst? Wir haben noch einige Päckchen Sauce Carbonara in unseren Gepäcktaschen;
das war`s dann aber auch mit unseren Vorräten. Wir lassen uns auf den
Bänken vor dem Gebäude nieder und werfen noch einmal den Brenner an.
Kochwasser gibt es auf der Toilette; das Nudelwasser wird im anschließend
im Straßengully entsorgt; alles sehr praktisch hier! Dennoch endet das
Mahl nicht mit der erhofften Harmonie: leider brennt uns die Sauce erbärmlich
an - niemand hat sich so richtig verantwortlich für das Umrühren gefühlt.
Seit diesem Abend werden wir nie wieder "Sauce Carbonara" im Reisegepäck
haben; zu tief wird die Erinnerung an den ekelhaften Geruch und Geschmack
sein....
Nachdem alles an Kochutensilien gespült und endgültig verpackt ist,
machen wir uns auf, unseren Schlafplatz herzurichten. Die Räder werden
als eine Art Wagenburg um uns herum aufgebaut; die bereits erwähnten
Palmen sorgen für zusätzlichen Sichtschutz zum Rest der Halle. Der Ordnungsdienst
scheint nichts dagegen zu haben; also rollen wir die Isomatten aus und
machen es uns in den Schlafsäcken gemütlich. Leider werden wir mitten
in der Nacht, so gegen 2 Uhr, von einer Gruppe Jugendlicher gestört,
die sich die Zeit bis zum Abflug mit Fußballspielen vertreiben und dazu
unglücklicherweise eine leere Coladose als Ball benutzen. Nach deren
Abflug können wir aber bis zum Morgen ruhig durchschlafen.
Samstag, 18.4.98, 22. Tag
Ausgeschlafen rollen wir am Morgen alles ein und sortieren die Tascheninhalte
für den Rücktransport. Schnell noch ein letzter Blick draußen auf den
Etna. Das Licht der Morgensonne liegt über den Dächern Catanias - der
Gipfel des Etna selbst hüllt sich aber immer wieder in ein Wolkenhäubchen.
Auch sonst zeigt sich der sizilianische Himmel gar nicht von seiner
besten Seite: von Westen her schieben sich tiefgraue Wolkenbänke heran.
Nun, heute kann uns das Wetter egal sein - kein Blick zum Himmel ist
mehr notwenig; keine Entscheidung, ob kurze oder lange Kleidung erforderlich
ist. Kein Gedanke daran, ob man das Regenzeug vielleicht besser doch
griffbereit oben in einer Tasche verstauen soll.
Bald werden wir wieder ganz eintauchen in unser "normales" Leben. In
sieben bis acht Stunden werden wir unter der warmen, häuslichen Dusche
stehen; ein weiches Bett für die Nacht haben und erst einmal einen weiten
Bogen um das Fahrrad machen.
Aber zunächst müssen wir einchecken; die Räder transportfertig machen
(Pedalen ab; Lenker quer; Reifendruck etwas reduzieren. Das alles läuft
zum Glück völlig unproblematisch ab. Die Sache mit Svenjas Rad werden
wir von Deutschland aus regeln (und AeroLloyd wird im Sommer tatsächlich
großzügig zahlen!)
Und dann geht es auch schon hinaus auf`s Rollfeld zu unserem AeroLloyd-Airbus
A321. Und jetzt ist die Aufregung schon nicht mehr ganz so groß wie
beim Hinflug; allerdings auch noch keine Routine!
Der Rückflug verläuft ohne Probleme; ab Düsseldorf geht es weiter mit
S-Bahn und Zug nach Freienohl. Dort stellen wir die Räder noch einmal
bei Mariannes Eltern unter, bevor wir uns nach Wenholthausen und weiter
nach Kückelheim fahren lassen. Schon sind die Gedanken bei den kommenden
Abenteuern.......
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