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Montag, 14.10.96, 5. Tag

Der Tag beginnt früh - der Start unserer Trekking-Tour steht bevor und erstmals muß alles marschgerecht verpackt werden. In den nächsten Tagen werden wir uns an die vielen notwendigen Handgriffe gewöhnen - auch daran, daß von nun an jeder selbst für seine Ausrüstung und sein Zelt verantwortlich ist.

Umso schmerzlicher trifft es Marianne und Martin als langerprobte Rucksackwanderer, als sie allzu sorglos als erstes das Überdach ihres Zeltes abgebaut haben, um in aller Ruhe und mit bequemen Zugriff Schlafsäcke und Isomatten aus dem Innenzelt heraus in den Rucksäcken verstauen zu wollen: prompt fängt es in diesem Moment an zu regnen! Natürlich hatte kaum jemand auf den sich schnell beziehenden Himmel geachtet. Da hilft nur noch das Überdach ganz schnell wieder provisorisch über das Innenzelt zu werfen, und unter der Veranda der Albergo Schutz zu suchen.

Hier nutzen wir die Regenzeit für ein ausgiebiges Frühstück: neben dem Dosenbrot kommen nun die vielen anderen nahrhaften Dosenbeilagen zum Einsatz (Thunfisch, Leberwurst, Fisch). Auch daran werden wir uns in den nächsten Tagen gewöhnen müssen, denn aus Transportgründen sind wir bei der Auswahl der mitzutragenden Lebensmittel natürlich auf haltbare und vor allem leichte Dinge beschränkt.

Inzwischen hat der Regen zum Glück wieder aufgehört und das Wetter entwickelt sich zufriedenstellend. Schnell werden die letzten Sachen im Rucksack verstaut, ehe wir uns im kleinen Alimentari bei Alberto noch mit letzten Süßigkeiten, vor allem aber mit ausreichenden Getränken versorgen. Wir kennen zwar ein, zwei Wasserstellen unterwegs, wollen aber zwischendurch genügend Reserven, besonders an Trinkwasser, haben. Jeder bekommt zusätzlich zu seiner Feldflasche noch zwei bis drei Halbliter-Plastikflaschen ins Gepäck.

Zwischendurch, wie schon während der gesamten Lagerzeit, immer wieder ein paar Dias und einige Videoaufnahmen, aus denen wir zurück zu Hause im Winter einen Film zusammenschneiden wollen. Dann ein letztes Abschiedsfoto mit Uschi und Alberto und auf geht`s!

Abschied von Alberto vor der Albergo Monte Cucco Wir verlassen das Val die Ranco - rückwärts ein schöner Blick auf den Monte Cucco


Unser heutiges Ziel soll der Monte Maggio sein - davon sind wir aber noch weit entfernt. Bei schönstem Sonnenschein müssen wir uns pfadlos erst einmal durch Wiesen hinauf zum Schottersträßchen quälen, das zur SIP-Station auf dem Monte Montarone führt. Ab hier beginnt nun ein stetes Auf und Ab, das Helmut Dumler in unserer Reiseführer-Wegbeschreibung als „Gipfelreigen“ bezeichnet.

Allein die klangvollen Namen der Berge und Kuppen, die heute vor uns liegen, machen schon Lust auf`s Laufen: Monte Montarone (1208m) - Monte Testagrossa (1175m) - Monte Pratiozzo (1116m) - Cima Filetta (1120m) - Sasso Grande (1030m) bis hin zum leider wieder sehr tief liegenden Paß Valico di Fossato (auf erschreckend niedrigen 733 Metern(!)) Und leider sind auch die Gipfel alle durch mehr oder weniger tief ausgeprägte Sättel voneinander getrennt.

Nach den ersten paar hundert Metern haben wir bereits ein gutes Gefühl dafür, wie schwer doch so ein voller Trekkingrucksack sein kann - zusammen mit dem Gruppengepäck und der Verpflegung so an die 20 Kilogramm. Doch der tolle Ausblick nach beiden Seiten von unserer Gipfelkette hinab entschädigt für alle Anstrengungen! Rechts schweift der Blick über Umbrien bis hin zum fernen Monte Subasio, an dessen Fuß sich Assisi und unsere Jungpfadfinder befinden. Nach links liegt die Provinz Marken mit Ancona - leider ist es etwas zu diesig, sonst könnten wir die Adria sehen. Zurück ragt hinter uns immer noch der massige Monte Cucco mit seinen immerhin 1566 Metern auf; und ganz weit vor uns, fast schon im Dunst verschwimmend, die Gipfelkette der Monti Sibillini mit seinem Hauptgipfel, dem Monte Vettore (2460m). In den letzten drei Jahren haben verschiedene Gruppen unseres Stammes diese 110 Kilometer bis zum Monte Vettore, dem Herzstück des umbrischen E 1-Teils, in Etappen jeweils in den Herbstferien `93,`94 und`95 zurückgelegt.

Wir sind daher heute auch nicht mehr unbedingt auf die Wegbeschreibung des E 1-Wanderweges von Helmut Dumler angewiesen: sieben von uns sind dieses Teilstück bereits 1993 schon einmal gelaufen. Dieser Europa-Fernwanderweg, der vom Nordkap bis Sizilien reicht, hat auf diesem 420 km langen Teilstück durch Umbrien den klangvollen Namen „Grande Escursione Appenninica (GEA) - Sentiero Europeo E 1 - Tratto Umbro“ und hat neben der rot-weiß-roten Wegmarkierung eine neckische Schnecke mit Wanderstab und Rucksack als Logo.

Trotzdem - oder natürlich auch zum Glück - ist diese Etappe auch für die „alten Hasen“ wieder neu und aufregend - anstrengend ist sie allemal. Heute herrscht wirklich tolles Wetter, was allerdings auch ziemlich schweißtreibend ist! So entwickeln sich die vielen Pausen allmählich zu den H”hepunkten der Tagesetappe. Es ist schon ein gutes Gefühl, die Schnalle des Bauchgurtes zu l”sen und den Rucksack ins Gras gleiten zu lassen. Danach erst einmal ein Schluck aus der Wasserflasche, ehe man die Aussicht ringsum in aller Muße genießen kann. Die Stimmung der Wandergruppe ist trotz der Anstrengung prächtig und den Herbstferien angemessen.

Schon bald beginnt der Rucksack zu drücken Willkommene Rast an der Cima di Filetta


Auf der Cima di Filetta die erste längere Rast - hier werden auch die ersten „Aufbaupräparate“ (= Vitamin-, Magnesium- und Calciumtabletten vom Globetrotterversand ausgegeben). Danach kommen Nina und Svenja ganz auf ihre Kosten, als uns die ersten, hier oben frei lebenden Pferde begegnen und dementsprechend von unseren jungen Damen gestreichelt werden wollen. Leider scheinen die Pferde diese Annäherungsversuche nicht zu mögen und trollen sich bald wieder.

Uns steht nun eine Anstrengung besonderer Art bevor: wir müssen vom felsigen Sasso Grande steil hinab zum Passo Chiaromonte auf knapp 900m. An die Höhenmeter auf und ab haben wir uns ja schon gewöhnt; jetzt müssen sich unsere Zehen daran gewöhnen, beim steilen Abstieg in den Trekkingschuhen immer wieder schmerzhaft vorne anzustoßen. Da der felsdurchsetzte, steile Grashang kaum Büsche oder einzelne armselige Baumäste als Haltepunkte besitzt, erweisen sich nun unsere Trekking-Stöcke als recht hilfreich.

Durch das Wäldchen gegenüber müssen wir uns dann überraschend - völlig im Gegensatz zu unserer Erinnerung - über bzw. teilweise auch durch einen schlammigen Pfad quälen - bei jedem Schritt damit rechnend, mal eben mit dem hinderlichen Rucksackgewicht auszugleiten und im Morast zu landen. Glücklicherweise bleiben alle davon verschont. Dankbar lassen wir kurz darauf die Rucksäcke von den Schultern gleiten, um an der einzigen Wasserstation dieses Tages - einer Viehtränke mit plätscherndem Frischwasserzufluß - Mittagspause zu machen. Während die anderen sich an der Tränke frisch machen und die Wasservorräte ergänzen, versucht Philipp sie von der Wohltat einer Gehwohl-Fußsohlen-Massage zu überzeugen. Den anderen steht nun aber mehr der Sinn nach Essen: Käse und Wurst bilden mit dem schon bekannten Dosenbrot die notwendige Unterlage für die weiteren Tageskilometer.

Steilabstieg hinunter zum PassoChiramonte Begenungen


Danach liegen wir (etwas) apathisch gegen die Rucksäcke gelehnt und genießen das Nicht-Laufen-Müssen und die Befreiung der Schultern vom Gewicht der Rucksackgurte. Natürlich auch die wärmenden Sonnenstrahlen im Gesicht und auf der Haut. Nach einiger Zeit bekommen wir Besuch: etliche weiße Kühe leisten uns an der Tränke Gesellschaft und lassen sich auch nicht von uns stören, als wir vor dem Aufbruch sämtliche Wasserbehälter noch einmal randvoll füllen. Eins ist sicher: heute werden wir kein Trinkwasser mehr bekommen. Also muß alles Wasser, was wir heute oder morgen früh noch trinken wollen, aber auch das Kochwasser für heute Abend, ab jetzt mitgetragen werden. Das bedeutet etwa 2,5 Liter für jeden von uns.

Wieder mit vollem Gewicht auf dem Rücken machen wir uns auf. Vorbei am Lagerplatz von `93 überqueren wir ein neu entstandenes Schlammfeld, wo sich jeder einen eigenen, möglichst gefahrlosen Weg sucht; dann geht es nach kurzem Aufstieg zur Höhe 832 hinunter zum Valico di Fossato, dem Paß zwischen den Provinzen Umbrien und Marken. Seitdem man vor einigen Jahren das Gebirge durch eine Autostrada untertunnelt hat, ist auf der Paßstraße fast kein Verkehr mehr. Wir genießen eine kurze Pause unter einem Wegweiser, der uns die Strecke bis zum Val die Ranco, unserer heutigen Ausgangsstation, mit 2« Stunden angibt! (Wir sind jetzt seit fünf Stunden unterwegs). Langsam wird uns klar, daß wir den Monte Maggio mit dieser Geschwindigkeit heute nicht mehr erreichen werden - das muß aber auch nicht sein; wir haben morgen genug zeitlichen Spielraum.

Am Valico di Fossato


Zu allem Überfluß verläuft sich die etwas vorauseilende erste Gruppe kurz darauf und muß einen Steilanstieg in Kauf nehmen, um wieder auf den richtigen Weg zu kommen. Darauf wird intensiv nach der Schuldfrage gefahndet, bis man auf die Erbschuld der Menschheit als Lösung stößt. Bei all diesem Philosophieren sind wir fast unbemerkt durch den dichten Laubwald bis zur Cima Costicciola gelangt. Vor uns eine Art Feuerlöschteich - da müßte doch auch eine Quelle sein? Und außerdem weiter hinten noch ein weißes Haus - auch da müßte es Trinkwasser geben!

Und weil es fast halb sechs ist, beschließen wir, hier, auf etwa 900m, für heute Schluß zu machen und unsere Zelte aufzubauen. Wir sind zwar nicht ganz bis zum Monte Maggio, dem eigentlichen Tagesziel, gekommen, wollen aber auch nicht riskieren, von der bald hereinbrechenden Dunkelheit auf der Nordflanke des Berges überrascht zu werden. Dort, das wissen wir, gibt es keine vernünftigen Zeltmöglichkeiten.

Hier dagegen haben wir eine schöne, ebene Wiese, weichen Boden und einen guten Rundumblick. Ein idealer Lagerplatz, wäre da nicht die Enttäuschung hinsichtlich des Wassers! Der betonierte Wasserspeicher erweist sich als unbrauchbar; eine Quelle, die ihn ja irgendwo speisen muß, ist nicht zu finden - und das Haus erweist sich als unbewohnt. Nun ja, wir haben in kluger Voraussicht ja genügend Wasser von der Viehtränke mitgeschleppt - dadurch können wir jetzt wie geplant kochen.

Aber zuerst werden auf dem Kamm die Expeditionszelte aufgeschlagen. Inzwischen sind die einzelnen Zeltteams gut aufeinander eingespielt; der Aufbau klappt in kürzester Zeit ohne Probleme. Nur Andree schimpft über die neuen Magnesium-Häringe vom Globetrotter, die trotz des saftigen Preises nicht ganz das halten, was im Katalog versprochen wird. Er hat einen von ihnen etwas sehr tief in den Boden getrieben und dabei den Häringskopf losgerissen und muß nun, um das teure Ding nicht für immer im umbrischen Boden auf Nimmerwiedersehen verschwinden zu lassen, ihn mühsam ausgraben.

Abendlicher Lagerplatz mit bester Rundumsicht Etwas magere Trekking-Verpflegung


Auch eine weitere Neuerwerbung, ein Gaskocher ohne offene Flamme mit einem Ceranfeld, erweist sich im Praxiseinsatz als Flop - zum einen dauert es viel zu lange, bis das Wasser im Topf darüber zu kochen beginnt (und das bedeutet natürlich einen zu hohen Brennstoffverbrauch) und außerdem funktioniert die automatische Zündung nach mehreren Versuchen schon nicht mehr. Allgemeines Urteil daher: nicht tauglich - zurückschicken nach der Fahrt!

Jede Kleingruppe kocht nun in der einsetzenden Dämmerung; man sitzt vor den Zelten und schaut noch einmal auf die zurückliegende Tagesstrecke, die von hier aus bis zum Monte Cucco in voller Länge zu überschauen ist. Es war doch ein recht langes Stück Weg! Bald darauf ziehen wir uns in die Schlafsäcke zurück; rechtschaffen müde von den Strapazen des ersten Wandertages. Morgen liegt ein weiterer anstrengender Abschnitt bis zum Abstieg von der Gebirgskette ins Tal nach Colle vor uns.


Dienstag, 15.10.96, 6. Tag

Der erste Blick aus dem Zelt verheißt leider nichts Gutes: vor uns, in den umbrischen Tälern, braut sich ein gewaltiger Regen zusammen. Wir beeilen uns mit dem Zeltabbau, um alles wenigstens trocken verstaut zu haben, denn nichts ist ekliger, als in strömendem Regen abbauen zu müssen und dann noch klitschnasse Außenzelte im Rucksack zu verpacken. Danach gibt es ein hastiges Frühstück auf der Wiese, ehe wir uns die Rucksäcke, nun schon ein wenig leichter, wieder aufschnallen und aufbrechen.

Wir folgen dem Wanderweg, bis wir auf eine kleine Straße stoßen, die uns zur Cima di Mutali führt, wo einige Sendemasten stehen. Von hier aus ist der Weiterweg gegenüber auf dem grasigen Nordhang des Monte Maggio bereits zu sehen. Da uns die geschlängelte Straße dorthin zu weit erscheint, versucht jeder, einen eigenen, kürzeren Weg durch die Bodenwellen zu finden. An einer weiteren Wassertränke, die leider wiederum kein genießbares Trinkwasser enthält, machen wir Rast, ehe wir uns an den Anstieg machen.

Bald haben wir das kleine Wäldchen erreicht, das sich links am Hang des Berges befindet. Hier haben wir uns 1993 ganz gehörig verlaufen und den E 1 nur nach langem Suchen wiedergefunden. Heute bereitet uns das Auffinden der spärlichen Markierungen allerdings keinerlei Schwierigkeiten. Sicher geleiten uns die gelegentlichen Farbkleckse an Bäumen oder Steinen durch das Wäldchen.

Und hier setzt nun der schon lange erwartete Regen ein! Also Rucksack vom Rücken; Regenhosen und Regenjacken angezogen und die wasserdichte Hülle über dem Rucksack befestigt. So ausgerüstet, kann uns der immer heftigere Regen nichts anhaben und wir können den Weiterweg antreten. Als wir aber den Schutz des Waldes verlassen und in die Südflanke einschwenken, erfaßt uns zusätzlich ein starker Gegenwind, der einem fast die Kapuze vom Kopf bläst und die Regenhüllen der Rucksäcke aufbläht.

Über einen steil abwärts führenden Weg, der mehr einem Bachbett ähnelt, tasten wir uns über glitschiges Geröll hinab ins Valsordatal: hier werden wir an der Bar Clelia im Trocknen eine ausgiebige Mittagsrast einlegen und uns mit Getränken und weiterer Marschverpflegung eindecken.

Dann der Schock des Tages: Die Bar hat bereits für das Winterhalbjahr geschlossen!! Kein wärmender Innenraum; kein Brot, kein Käse, keine Getränke!

Da uns ja doch nichts übrig bleibt, als dies hinzunehmen, lagern wir draußen unter einem teilweise etwas undichten Vordach; ziehen die Regenklamotten aus und wechseln die ein wenig feucht gewordenen Strümpfe. Da aus einem Wasserkran zum Glück noch Trinkwasser fließt, beschließen wir, hier während der Mittagspause zu kochen: heute steht ein leckeres mexikanisches Reisgericht auf dem Plan. Danach gibt`s heißen Kakao oder Cappuccino, je nach Geschmack etwas verfeinert aus der Notfall-Medizinflasche.

Regenpause an der geschlossenen Bar Clelia


Der Weiterweg verschwindet immer mehr in den Wolken und im immer stärker werdenden Regen. Nach einiger Diskussion beschließen wir, vom ursprünglichen Plan abzuweichen und schon von hier aus ins Tal in das Städtchen Gualdo Tadino abzusteigen - laut Karte über die Teerstraße etwa 4 Kilometer. Von Gualdo aus müßten es entlang der Hauptstraße und dann durch einige kleinere Dörfer hindurch nach Colle nochmals so etwa 8 Kilometer sein. Damit werden wir zwar erneut, wie schon 1993, den vor uns liegenden Monte Nero (1410m) verpassen; das Risiko, uns dort oben im Nebel zu verlaufen, wollen wir aber lieber nicht eingehen: der Reiseführer spricht da eine deutliche Warnung aus.

Als der Regen eine kurze Pause macht, traben wir talwärts los; werden aber beim Eintreffen in Gualdo durch einen starken Platzregen in die Hauseingänge getrieben. In unserer alten Bar machen wir kurz Station, ehe es weiter geht zur Hauptkreuzung des Ortes. Hier schwenken wir nach Süden ab auf die alte römische Via Flaminia, die heute leider sehr stark verkehrsmäßig belastet ist. Wir sind froh, als wir nach einigen Kilometern Gänsemarsch von dieser Hauptverkehrsader nach links abweichen k”nnen und durch Weinberge und kleine Dörfchen hindurch Richtung Colle weiterlaufen.

An einem kleinen Alimentari machen wir kurz Pause. Wir sitzen draußen auf einer Bank und genießen die Regenpause. Die Bewohner fragen uns über unsere Tour aus; teilweise sogar auf deutsch. Da die Dämmerung mal wieder recht nahe ist, beschließen wir, den Rest des Weges bis Colle mit einem Bus-Taxi zurückzulegen. Der Besitzer des Alimentaris ist uns bei der telefonischen Bestellung behilflich.

Kurz darauf erscheint der Bus und bringt uns in kurzer Zeit direkt an unser Tagesziel: den Campingplatz La Valle von Franco Rambotti, zu dem wir schon seit Jahren Kontakte haben. Hier haben wir in weiser Voraussicht schon von Deutschland aus Plätze in seinen Ferienwohnungen bestellt; wir freuen uns, als wir unser "altes" Haus zugewiesen bekommen.

Weiche Betten, kein Regen von oben in dieser Nacht und vor allem heiße Duschen - genau das, was wir heute nach dieser Tagesetappe brauchen. Und dann geht es zu Franco in sein Restaurant, das sich im Keller des Wohnhauses befindet. Wir haben mit ihm vereinbart, daß er uns ein typisch umbrisches Essen vorbereiten soll.

Wir sitzen im urigen Keller; neben uns riesige Weinfässer; vor uns ein flackerndes Herdfeuer, und warten der Dinge, die da kommen sollen. Und sie kommen! Franco hat nicht zuviel versprochen: das nachfolgende Mahl macht jeden satt!

Als Vorspeise gibt es Bruschetta, in Olivenöl und Knoblauch geröstetes Weißbrot. Dann folgt als nächster Gang eine Art Ebsengemüse. Tagliatelle mit grünen umbrischen Kräutern warten anschließend auf uns. Eine Polenta, ein umbrischer Maisbrei, schließt die Hauptgerichte ab. Die Stimmung am Tisch ist ausgelassen; Philipp unterhält uns mit einer Live-Version aus dem „Leben des Brian“ und seinen „Tatonka“-Rufen. Zum Dessert wird Ricotta, eine Art Quark, mit Zimt, gereicht. Da Nina zum Schluß noch einmal ein geröstetes Brot haben möchte, wird dies auch noch einmal bestellt. Franco hat uns dabei wohl etwas mißverstanden, denn es gibt noch einmal eine komplette Lage für alle. Wer danach nicht richtig gesättigt ist, ist selber Schuld!

In den Schlafräumen wird es darauf schnell ruhig - auch heute fordert die Anstrengung des Tages bald ihren Tribut.


Mittwoch, 16.10.96, 7. Tag

Das Wetter ist immer noch nicht viel besser geworden; Wolkenfetzen ziehen vorbei und bescheren uns gelegentlich einen Regenschauer. Heute soll der zweite Abschnitt der Trekking-Tour beginnen: über die uns bislang noch unbekannte Nordflanke des Monte Subasio hinauf zum Gipfel; dort ein Biwak und am nächsten Tag hinab nach Assisi.

Um nicht all zu viel Zeit zu verlieren, haben wir mit Jürgen verabredet, daß er uns in zwei Fuhren mit dem Transit von Colle bis nach San Giovanni am Fuß des Monte Subasio heranfahren soll.

Zunächst aber frühstücken wir gemütlich und trocken in unserem Ferienhaus, ehe wir die Zimmer wieder auf Vordermann bringen. Während Jürgen, der pünktlich eingetroffen ist, die erste Gruppe fährt, verabschieden sich die anderen von Franco und machen sich schon mal auf in das kleine Dörfchen Colle. Hier sind die Fortschritte bei der Renovierung des alten Ortskernes nicht zu übersehen. Seit 1990, der ersten Fahrt der Pfadfinderleiter des Diözesanverbandes Paderborn, haben wir in diesem Dorf in fast jedem Jahr Station gemacht. Wir genießen die Atmosphäre auf dem kleinen Dorfplatz; kaufen im Alimentari ein und nehmen ein zweites Frühstück, diesmal mit frischen Sachen, zu uns.

Mit dem Transit geht es dann weiter. Jürgen hat die erste Gruppe nur bis nach Valtopina gebracht, wo die kleine Nebenstraße nach San Giovanni abzweigt. Hier haben sie inzwischen ihren Spaß mit diversen Spielautomaten am Bahnhof. Einige haben sogar Uhren dabei gewonnen.

Dafür müssen sie nun warten, ehe Jürgen den zweiten Teil oben in San Giovanni als erste Gruppe absetzt. Die nutzt die Wartezeit zu einem Bummel durch das wie ausgestorben wirkende Dörfchen, das gerade aus dem Mittelalter zu stammen scheint. Überall sind aber Restaurierungsarbeiten zu sehen. Wahrscheinlich sollen die winzigen, verschachtelten Häuser zu Wochenendsitzen ausgebaut werden. Dann wird alles für einen Mittagsimbiß vorbereitet, um nicht zuviel Zeit zu verlieren, wenn der Rest der Gruppe eintrifft.

Leider trifft mit ihr auch pünktlich ein weiterer Regenschauer ein, der uns in die verschiedenen Toreinfahrten San Giovannis treibt. Hier machen wir es uns bequem und genießen das Mittagessen, mal wieder bestehend aus Salami, Käse und Dosenfisch. Die zahlreich herumstreunenden Katzen bekommen dabei ebenfalls eine unverhoffte Mahlzeit.

Regen, Regen, Regen - hier in San Giovanni vor dem Aufstieg zum Monte Subasio Ein kleines Überdach spendet nur notdürftigen Regenschutz


Plötzlich erscheint ein alter Mann und fordert uns gestenreich auf, ihm zu folgen. In einem benachbarten Kellerraum zeigt er uns eine Weinpresse uralten Baujahres, mit deren Hilfe er gerade Weintrauben frisch auspreßt. Er läßt es sich nicht nehmen, uns eine alte 2-Liter-Fantaflasche mit dem frischgepreßten Saft abzufüllen.

Inzwischen hat es wieder aufgehört zu regnen; der bislang im Nebel verborgene Nordhang des Monte Subasio ragt hoch vor uns auf. Es ist inzwischen 14 Uhr, und wir müssen uns langsam auf den Weg machen, wenn wir den Gipfel noch vor Einbruch der Nacht erreichen wollen.

Die ersten paar hundert Meter der Wanderstrecke gehen steil bergauf. Wir trösten uns damit, daß wir so auf die schnelle Art und Weise Höhenmeter gewinnen. Allerdings ist diese Art des Anstiegs, zudem mal wieder mit vollen Wasserreserven auf dem Rücken, recht anstrengend. Die Wandergruppe zieht sich immer weiter auseinander, weil die etwas konditionsschwächeren immer häufiger eine Verschnaufpause einlegen müssen.

Meter um Meter gewinnen wir an Höhe - und plötzlich reißt auf der gegenüberliegenden Talseite, in Richtung Gualdo Tadino, sogar die Wolkendecke ganz auf und gibt ein Stück blauen Himmel frei. Sollte sich das Wetter nun endlich doch noch bessern? Wir hoffen immer noch, unseren ursprünglichen Plan eines Biwaks oben auf dem Gipfel in die Tat umsetzen zu können: schlafen unter freiem Himmel; am Morgen dann den Sonnenaufgang über unserer Gipfelkette miterleben können, den wir von früheren Übernachtungen her noch in guter Erinnerung haben. 1990 und auch mit den Jufis 1992 hatten wir auf dem Monte Subasio beindruckende Nächte unter dem Sternenhimmel erlebt.

Leider zieht es schon wieder zu, je weiter wir uns dem Gipfel nähern. Wir folgen zwar einer Art Wanderweg, der auch ab und zu mal rot markiert ist - dies ist natürlich nicht mehr der E 1, sondern ein namenloser VUT-Weg; hier ist vielleicht schon vor 800 Jahren Franziskus unterwegs gewesen. Und seit dieser Zeit scheint der Weg auch immer weiter zugewachsen zu sein. Immer wieder müssen wir mühsam nach der weiteren Strecke auf dem unübersichtlichen Hang suchen. Das ändert sich erst, als wir die Baumgrenze hinter uns haben und durch ein langgezogenes Wiesental weiter aufsteigen können. Hier bereitet uns jetzt allerdings der Boden Schwierigkeiten. Wir scheinen in einer Art Quellgebiet eines Baches zu sein; der Boden um uns herum wird immer sumpfiger.

Gleichzeitig wird es immer diesiger. Die vorderen Wanderer haben das auch bemerkt und warten auf den Rest, damit die Gruppe zusammenbleibt. Und kurz darauf ist die kleine Schotterstraße erreicht, die sich von Spello kommend über den Gipfel des Berges hinunter nach Assisi windet.

Hier nun schlägt der Nebel unerbittlich zu. Wir können kaum 50 Meter weit sehen und laufen mehr oder weniger blind auf den Gipfel zu. Nur - wo ist er denn jetzt eigentlich genau? So nach und nach fürchten wir, daß wir bereits an ihm vorbei sind. Schließlich schwärmen wir aus und suchen in verschiedenen Richtungen; achten dabei aber durch ständige Rufverbindung darauf, daß wir alle noch in Hörweite bleiben. Mehrmals narrt uns eine Kuppe als vermeintlicher Gipfel, ehe wir mehr durch Zufall vor uns plötzlich ganz kurz durch die Nebelschwaden die Sendemasten von Radio Subasio erkennen! Das gibt uns die richtige Richtung an - und tatsächlich kommt kurz darauf der Ruf, daß einer von uns den Gipfelstein gefunden hat.

Für eine Verschnaufpause am Gipfel bleibt keine Zeit - es dunkelt bereits und wir müssen uns wieder mal beeilen, unsere Zelte hochzuziehen. Das ist bei dem hier oben herrschenden Wind aber gar nicht so einfach! Nachdem jedes Team sich einen Lagerplatz gesucht hat, müssen jeweils mehrere Leute mit anpacken, um die Zelte nacheinander aufzurichten. Besonders die Überdächer bereiten dabei Probleme! Heute müssen sämtliche Sturmabspannungen sicher befestigt werden. Trotzdem drückt der Wind die Seiten ungewöhnlich stark ein.

Beim Aufbau der Zelte auf dem MOnte Subasio wird der Nebel immer dichter


Wir sind froh, als die Zelte endlich stehen und wir uns in ihren Wind- und Wärmeschutz zurückziehen können. Denn draußen ist es inzwischen nicht nur dunkel, sondern auch recht kalt geworden! In einigen Zelten summt kurz darauf der Kocher für`s warme Abendessen; andere Gruppen begnügen sich mit Kaltverpflegung oder essen überhaupt nichts. Leider haben wir beim Aufbau nicht darauf geachtet, wie weit die einzelnen Zelte voneinander entfernt sind. Jetzt, bei Dunkelheit und dem immer stärker werdenden Nebel, reichen selbst die Taschenlampen nicht mehr aus, um die am weitest entfernt liegenden Zelte zu erkennen. Auch eine Rufverständigung untereinander ist nicht mehr möglich. Das Heulen des Windes überlagert alle anderen Geräusche.

Und dann beginnt die lange Nacht auf dem Monte Subasio! Eine Nacht, die jeder, der sie miterlebt hat, so schnell nicht vergessen wird! Der starke Wind vom Abend entwickelt sich immer mehr zum ausgewachsenen Sturm. Gegen 21 Uhr ist er bereits so stark, daß die Gestänge der Zelte an der Windseite merklich eingedrückt werden. Trotz der straff abgespannten Außenzelte beginnen die Polyester-Dächer zu flattern. An Schlaf ist nicht zu denken! Nicht nur das Knallen der Überdächer, das Heulen und Fauchen des Sturms und das Ächzen der unter voller Spannung stehenden Alu-Gestänge hindert uns daran. Es ist auch der Gedanke, wie lange die Zelte diesem enormen Winddruck standhalten werden.

Und dieser Wind wird in die Nacht hinein immer stärker! Gegen 23 Uhr macht Martin eine letzte Runde. Das Denali-Zelt von Sebastian und Christoph und das am weitesten entfernt liegende Sierra von Nina und Svenja sind vom Platz der anderen überhaupt nicht mehr zu sehen. Selbst mit der Taschenlampe sind sie erst auf den letzten Metern zu erkennen.

Nun, sie stehen noch und die Insassen sind guter Laune. Allerdings haben die Mädchen inzwischen gemerkt, daß man die Ausrüstungsliste vorher genauer hätte studieren sollen und nicht beide Leute aus einem Zelt die Taschenlampe vergessen dürfen! Martin läßt ihnen seine eigene Lampe da und gibt letzte Instruktionen für den Fall, daß das Zelt davonfliegen sollte: Regenzeug und warme Kleidung griffbereit halten und dann nur mit dem Schlafsack rüber zu den anderen!

Wir liegen in den Zelten und lauschen dem Toben der Naturgewalten. Wir hoffen, daß der Sturm nicht noch stärker wird und können nur auf die Qualität und Erfahrung von Salewa, Helsport, Fjäll Räven und Jack Wolfskin vertrauen - den Firmen, die unsere Zelte gebaut haben. Irgendwann nach Mitternacht siegt aber doch die Müdigkeit - wir ziehen die Schlafsäcke über die Ohren und fallen in einen unruhigen Schlaf.

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