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Donnerstag, 30.6.94, 8. Tag

Güpi sei gelobt - das Wetter hat sich um 180 Grad gewandelt!! Draußen zeigt sich beim Aufstehen bestes Sonnenscheinwetter - als ob es überhaupt nicht geregnet hätte! Mit frischem Elan und bester Laune werden die Räder wieder bepackt und wir verabschieden uns vom Besitzer des Platzes.

Unser Weg führt uns nun bergab in wenigen Minuten nach Otta, einem etwas größeren Ort; Andree und Martin auch vom Stadtkern her wohlbekannt von der `90er-Tour, als sie hier viele Stunden auf den Zug nach Trondheim warten mußten. Wir interessieren uns heute mehr für den Supermarkt, um frisches Brot für das Frühstück zu bekommen. Dann geht es auch schon weiter. Leider hilft uns der ausgeschilderte Radweg nicht viel, weil er an einer Straßenunterquerung durch Hochwasser unpassierbar geworden ist.

Hüttenübernachtung in Otta Leider ist der Weiterweg überflutet

Egal - unsere Route führt heute sowieso in Richtung Norden, also erst einmal über die E6. Und die ist auch so ganz gut zu erreichen. Wir müssen auf dem Zubringer zur Schnellstraße nur ein wenig aufpassen. Zitat aus unserem Reiseführer von Frank Pathe (Verlag W. Ketteler, ab jetzt kursiv):

"Die Etappe 22 führt sie durch den dramatischten Teil des oberen Gudbrandsdalen. Die Bergwelt rückt immer näher von beiden Seiten heran. Nachteil dieser an sich sehr schönen Etappe ist allerdings, daß Sie etwa 13 Km die stark befahrene E6 benutzen müssen."

Das ist zuerst aber für uns kein Problem. Neben der E6 verläuft hinter Otta ein guter Radweg, auf dem wir leicht ansteigend gen Norden radeln. Auf den nächsten 52 Kilometern bis Dombas steigt die Straße von 250m bis auf 660m an. Im Reiseführer ist sie aber nur mit Schwierigkeitsgrad 1 (von drei möglichen) gekennzeichnet; also als leicht einzustufen. Andererseits zerren unsere vielen Gepäckkilos doch am Rad! Aber das wird im Laufe der Tour sicher einfacher, da wir ja jeden Tag Gewicht durch die mitgeführte Verpflegung verlieren werden.

Auf einem Drahtgitter überquert unser Fahrradweg nun den Abfluß eines großen Wasserfalles rechts neben uns. Wir steigen ab und schauen uns das Ganze näher an. Schon ein merkwürdiges Gefühl, das schäumende Wasser unter unseren Füßen durchrauschen zu sehen. 1997 werden wir uns an diesem Wasserfall nach der Trekking-Tour im Rondane ausgiebig waschen.

Kurz darauf steuern wir einen kleinen Rastplatz an, wo wir es uns an Tischen und Bänken gemütlich machen können. Nebenan sitzt eine Camperfamilie und macht sich über die leckersten Sachen her. Da sind wir als Radtourenfahrer doch größeren Beschränkungen unterworfen.

Dafür können wir allerdings mit unseren Rädern kurz darauf auf eine kleine Nebenstraße ausweichen, die für einige Kilometer parallel zur E6 verläuft, aber kaum Verkehr hat.

Hier besorgen wir uns bei einem Haus Kochwasser, setzen Alupacks auf und liegen entspannt am Straßenrand im Gras. Während das Essen im Topf heiß wird, vertreiben wir uns die Zeit mit Lesen.

Wieder zurück auf der E6 sehen wir neben uns im enger gewordenen Tal ab und zu einen der bunten Züge der Trondheim-Bahn vorbeifahren. Als passionierte "Eisenbahner" für uns doch recht interessant. Weniger interessant ist dafür der fast unmerklich verlaufende Wetterumschwung. Es wird diesiger; vor allem aber windiger. An einem kleinen Laden machen wir Halt und stärken uns mit einer süßen Erdbeerrolle. Der Wind ist so stark, daß er sogar den Sonnenschirm umwirft.

Danach folgt nun ein ziemlich steil ansteigendes Straßenstück. Inzwischen ist das Tal wirklich sehr eng geworden; es bleibt gerade mal links Platz für die Bahn, schon etwas höher gelegen und durch viele Mauern abgestützt; dann kommt unsere Straße und daneben liegt schon der schäumende Fluß; rechts dann schon wieder ein steiles Felsufer.

Wir fahren langsam hintereinander und können dabei den Blick auf dieses wilde Tal genießen. Glücklicherweise hält sich der Verkehr auf der E6, auf der die Leute hoch bis zum Nordkap fahren können, in erträglichen Grenzen.

Als wir einen kleinen Parkplatz erreichen, finden wir dort am Ende, zwischen Straße, Fluß und Eisenbahnüberführung ein schönes, ebenes Plätzchen; durch Buschwerk gut von der Straße abgeschirmt.

Schöner Rastplatz direkt neben der E 6

Wer weiß, ob wir so einen Platz heute noch mal finden werden? Wir werden hier also unsere Zelte aufbauen und in Ruhe an den Steintischen kochen und essen können. Fast schon Luxus für unsere Verhältnisse. Richtigen Luxus haben wir uns aber bei den Zelten gegönnt! Die beiden Mädchen haben das "Dovrefjell" von Helsport - für zwei Personen fast schon verschwenderisch viel Platz; die Herren das brandneue "Basefox" von Fjäll Räven. Aber was heißt in diesem Zusammenhang schon Luxus? Wir werden ab jetzt 14 Tage lang bei Wind und Wetter mit diesem Zeltmaterial leben müssen; und nicht nur mit Wind und Wetter rechnen müssen, sondern auch mit der "Pest des Nordens", den Mücken. Und dafür ist es ratsam, ein gutes Zelt dabeizuhaben, in das man sich mückenfrei, warm und trocken zurückziehen kann.

Nach der gestrigen Hüttenübernachtung bauen wir die Zelte heute Abend zum ersten Mal während unserer Radtour auf; von nun an wird das unser tägliches Brot werden. Anschließend stellt sich das Problem des Kochwassers - aus dem Fluß wollen wir es lieber nicht nehmen; und vorher hatten wir es vergessen, an der Raststelle vom Haus in unseren Wassersäcken mitzunehmen.

Jan erbarmt sich und fährt mit dem Wassersack auf dem Gepäckträger los. Nach geraumer Zeit kehrt er mit ihm gefüllt vom doch etwas weiter weggelegenen Haus zurück. Unserem Kochen steht nun nichts mehr im Wege. Und was könnte es bei so viel Zeit und angenehmer Sitzmöglichkeit anderes geben als ein leckeres Gulasch mit jeder Menge an Semmelknödeln? Selbst das abschließende Spülen bereitet hier keine Probleme - einige wenige Schritte, und wir haben am Fluß genug Wasser dafür.

Wir beobachten noch den Sonnenuntergang auf den Bergspitzen und ziehen uns dann in die Zelte zurück. Nach den gestrigen 50 Kilometern haben wir heute nur etwa 33 Km zurückgelegt; dafür mußten wir heute aber doch einige Höhenmeter überwinden. Und so stark trainiert sind die Muskeln zu Beginn der Tour auch noch nicht - es soll ja auch noch Spaß machen!


Freitag, 1.7.94, 9. Tag

Das Frühstück nehmen wir an unserem Tisch bei heiterem Wetter, wenn auch etwas kühl, im Freien ein. Inzwischen hat sich so eine Art Standardfrühstück eingebürgert: Kakao oder Kaffee; dazu Brot mit Wurst, Nutella oder Frühstücksfleisch; letzteres mit viel scharfem Senf. Gelegentlich auch schon mal eine Dose Fisch oder Thunfisch. Jeder achtet darauf, daß das Gewicht gleichmäßig reduziert wird....

Es herrscht Ferienstimmung am Tisch; das Wetter ist wie geschaffen für unsere weitere Strecke; ab und zu fährt ein Zug vorbei und wir genießen ganz einfach jede Minute.
Über Nacht müssen wir wohl noch andere Übernachtungsgäste auf dem Parkplatz weiter vorne gehabt haben. Ein tschechischer Reisebus stand über Nacht dort; rings umher waren jede Menge "Dackelgaragen", sprich Zweimann-Nylon-Billigzelte aufgebaut. Jetzt, während unseres Frühstücks, erinnert nichts mehr daran. Na, wenigstens haben sie nachts keinen Radau gemacht. Vermutlich eine Gruppe, die in zehn Tagen zum Nordkap und zurück unterwegs ist.

Wir beginnen nun mit dem Abbau und Verpacken des gesamten Materials; inzwischen geht das schon schneller und routinemäßiger. Trotzdem dauert es seine Zeit, bis die Außen- und Innenzelte verpackt sind, alle Stangen und Häringe in den Packsäcken verschwunden sind und schließlich alles gewichtsmäßig ausgeglichen auf den Rädern verstaut ist.

Zum Glück könnten wir bei unseren zwei Zelten im Notfall - also wenn es stark regnen sollte - erst einmal das Innenzelt abbauen und auch unsere Packtaschen im Schutz des Außenzeltes noch regengeschützt packen. Das ist heute aber nicht notwendig.

Zuletzt werden die Helme festgezurrt. und nach einem Erinnerungsfoto an diesen Platz geht es wieder hinauf auf die E6.

Dovre heißt das nächste Zwischenziel an diesem Tag, zum Glück wieder auf einer parallelen Nebenstraße zu erreichen. Hier lockt der Supermarkt mit seinem Angebot an leckeren Joghurts; vorzugsweise in 500-Gramm Bechern, Geschmacksrichtung Moltebeeren. Martin hat gerade seinen 5000. Kilometer auf dem Tacho erreicht.

Kurz darauf überqueren wir ein seichtes Flüßchen mit sehr sauberem Wasser; für uns ein willkommener Anlaß für eine ausgiebige Waschpause. Man muß diese Gelegenheiten nutzen, wie sie gerade kommen! Wir lassen also die Räder oben auf der Brücke in Sichtweise stehen und kramen die Waschutensilien aus den Satteltaschen. Dann klettern wir die Böschung hinunter zum glasklaren Wasser des Flüßchens.

Danach sitzen wir in der warmen Sonne am Flußufer, lassen unsere Handtücher trocknen und die Beine vom Wasser umspülen; dazu gibt`s die Joghurts als kleine Zwischenmahlzeit. Uns wird bewußt, welch entspannendes Leben man auf einer solchen Radtour hat, wenn man nicht Rekorde im Kilometerfressen aufstellen will, sondern diese zufälligen Begebenheiten genießen möchte. Derweil warten unsere Räder - etwas risikoreich auf der Brücke mit dem Minigeländer geparkt (vor allem Martin kann davon ein Lied von 1992 singen) - geduldig auf unsere Rückkehr.

Aufbruch vom Rastplatz an der E 6 Am Troll von Dombas Waschpause am Fluß

Vielleicht wird die Pause auch deshalb so lang, weil wir wissen, daß nun - leider - der letzte Anstieg nach Dombas ansteht. Aber auch das ist schließlich geschafft, wenn es auch viel Schweiß und leises Geschimpfe gekostet hat.

"Dombas - 1200 Einwohner. Ein Wintersportort, der neben der Landwirtschaft vor allem von den Touristenströmen lebt, die die E6 heranbringt. Der Ort bietet eigentlich überhaupt nichts Interessantes und kann getrost durchfahren werden. Der Besucher sollte in diesem Verkehrsknotenpunkt am Ende des Gudbrandsdalen aber nicht das Einkaufen vergessen, da hier die letzte Möglichkeit vor den weiteren Etappen besteht."

Nach einem ersten Eis auf dem "Zentralplatz" von Dombas schwärmen wir aus, um die Andenkengeschäfte zu inspizieren. Mein Gott, was hier dem Durchreisenden so alles angedreht wird! Insbesondere natürlich Trolle in jeder Größe. Wir nutzen die Gelegenheit, um vor dem Riesentroll im Zentrum für ein Foto zu posieren.

In der nahegelegenen Cafeteria nutzen wir die Zeit, um im Reiseführer die weitere Route zu klären. Wir wollen auf jeden Fall weiter hinauf ins Dovrefjell bis nach Hjerkinn (unser Helsport-Zelt soll wenigstens einmal dort oben gestanden haben!) um von dort aus dann nach Röros abzuzweigen. Ein Blick in den Reiseführer hilft weiter:

"Etappe 25. Diese Etappe zählt zu den landschaftlich schönsten und spannendsten der in diesem Buch beschriebenen Tourenvorschläge. Ein weiterer Glanzpunkt ist, daß Sie nur eine große Steigung bewältigen müssen - der Anstieg von Dombas nach Fokstua. Ein kleiner Wermutstropfen ist, daß Sie die E6 benutzen müssen, was aber durch das eindrucksvolle Hochgebirgspanorama wettgemacht wird. Das Gudbrandsdalen und das Romsdalen erscheinen immer eindrucksvoller, je höher sie fahren...(..)..Von Dombas können Sie auch mit der Bahn bis nach Fokstua fahren. Der Anstieg der Bahn in einer gewaltigen Kehre, die durch den 781m langen Grönbogen-Tunnel führt, ist sehenswert."

Unsere Entscheidung zu Gunsten der Bahn ist schnell gefallen! Also hoch zum Bahnhof und nach Abfahrtszeiten, Radtransportmöglichkeit und natürlich den Preisen gefragt. So teuer ist das gar nicht - daran soll es also nicht scheitern. Wohl aber müssen wir mit einer längeren Wartezeit rechnen; erst gegen Abend wird ein Zug nach Trondheim fahren, der uns oben mit unseren Rädern mitten im Dovrefjell absetzen kann; und zwar in Hjerkinn, auf etwa 1030 Metern Höhe. Wir beschließen, dieses Angebot zu nutzen. Dadurch ersparen wir uns unnötige 400 Höhenmeter; bei dieser Hitze, die inzwischen herrscht, sicher eine weise und schweißsparende Entscheidung.

Also nutzen wir die Pause bis zum Eintreffen des Zuges auf dem Bahnsteig zum Kochen und zum Kartenspielen. Zwischenzeitlich gibt es auf dem Bahnhof auch immer wieder mal was Interessantes zu sehen - insbesondere die gigantischen norwegischen Lokomotiven der Rauma-Bahn, also hinunter nach Andalsnes am Meer, haben es uns angetan. Mit ihren vergitterten Scheiben an den Führerständen (gegen Gesteinsschlag) und den großen Schneeräumern sehen sie schon recht eindruckvoll aus. Immer wieder werden sie auf dem Bahnhof hin- und herrangiert.

Der Start eines Hubschraubers auf dem nahegelegenen Hubschrauberlandefeld sorgt auch noch für kostenlose Unterhaltung. Zum Schutz gegen die Sonne müssen wir uns sogar in den Schatten des Gebäudes zurückziehen. Dann wird es allmählich Zeit, daß wir uns mit den Rädern und dem vielen Gepäck auf den Bahnsteig begeben. Wir haben uns vorher erkundigt, wo in etwa der Gepäckwagen halten wird und stellen dort die Räder mit den abgepackten Taschen bereit - dann kommt er natürlich prompt an einer anderen Stelle zum Stehen!

Also schnell dorthin gehetzt und alles eingeladen. Die Norweger haben in ihren Gepäckwagen an alles gedacht: für Fahrräder gibt es spezielle Halterungen, die eine platzsparende Unterbringung, dazu noch gegen Umfallen gesichert, ermöglichen. Wir bleiben gleich mit im Gepäckwagen - für die paar Kilometer lohnt das Umsteigen in einen Sitzwagen nicht. Und dann können wir aus dem Wagen heraus die angekündigte tolle Aussicht genießen. Gut, daß wir dieses Steilstück der E6 nicht fahren müssen!

Am Bahnhof von Dombas ist immer was los Mit Hilfe der Bahn ersparen wir uns den Paßanstieg zum Dovrefjell Die norwegische Version des Films: Spiel mir das Lied vom Tod

In Hjerkinn fühlen wir uns dann direkt in den Film "Spiel mir das Lied vom Tod" versetzt: Ein wenig Schotter neben den Gleisen, der den Bahnsteig ersetzt - und keine Menschenseele weit uns breit zu sehen.

"Hjerkinn -Haltepunkt der Dovrebahn, aber nur wenige Züge -war lange Zeit Poststation auf dem Weg nach Trondheim. Sie spielte in früheren Zeiten eine wichtige Rolle als Straßenkreuzung und Raststation. Durch den Windschatten des Dovrefjells und die schon recht weit östliche Lage ist Hjerkinn der trockendste Ort Norwegens (ca 250mm Jahresniederschlag)"

Aha - schon wieder ein "trockener Ort" in Norwegen - diesmal haben wir sogar anscheinend den allertrokkendsten Ort gefunden! Hatten wir das nicht schon mehrmals??

Als der Zug abgefahren ist, stehen wir ein wenig ratlos in der Einsamkeit herum. Hier ist wirklich nicht viel los - eigentlich überhaupt nichts!

Also beladen wir wieder einmal unsere Räder und rollen den Feldweg hinüber zur E6. Die können wir gleich darauf aber schon wieder verlassen: die RV 29 ist ab jetzt unsere Route in Richtung Röros. Unsere Karte zeigt einen Aussichtspunkt in wenigen Kilometern Entfernung; dort wollen wir unsere Zelte aufschlagen.

Und tatsächlich finden wir ein idyllisches Lagerplätzchen mit phantastischer Aussicht. Der Boden ist zwar leider recht uneben (das merken wir erst so richtig in der Nacht); dafür lassen uns die Mücken an diesem Abend aber einigermaßen in Ruhe, und wir können draußen sitzend Speck schneiden und eine Linsensuppe mit Cabanossis zubereiten - und dabei pausenlos die Aussicht genießen. Wohlgesättigt ziehen wir uns danach mit einem Schlummertrunk ins Zelt zurück.


Samstag, 2.7.94, 10. Tag

Wegen der etwas unbequemen, harten Lage sind wir schon früh auf. Die Sonne tut ein Übriges, um den Schlaf aus den Augen zu vertreiben - mein Gott, welche Aussicht auf die Berge ringsum, die sich vor uns im unbewegten Wasser des Sees widerspiegeln.

Auf der Seite des Dovrefjells sehen wir kleine, weiße Wohnmobile in einer ununterbrochenen Kette am Hang entlangziehen - bis zum Nordkap habt ihr noch einen weiten Weg vor euch! Und dann sehen wir sogar einen der roten Züge, der sich wie ein Strich noch weiter hangaufwärts entlangzieht. Über allem ragt die Spitze der Snöhetta empor.

Friedliche Morgenstimmung Morgenstimmung - Teil2

Wir lüften nun erst einmal ausgiebig die Schlafsäcke; wer weiß, wann wir wieder ein derartig warmes Morgenwetter haben werden. Mit dem Spülen gibt es einige Probleme, da man wegen der Schneegatter und des dichten Unterbewuchses nicht an den See herankommt. Und die dort massenhaft wohnenden Mücken treiben einen doch schnell wieder zurück.

An unseren Platz haben wir wohl deshalb wenig mit Mücken zu tun gehabt, weil hier beständig ein leichter Wind über die Kuppe weht und dadurch den Anflug der Plagegeister erschwert. So können wir in aller Ruhe zusammenpacken. Frühstücken wollen wir unterwegs, wenn sich etwas Passendes bietet.

Dieser Ort kommt auch ziemlich schnell; ein Rastplatz mit Hinweistafeln auf diese Gegend, schönen Holzbänken und vor allem einem sauberen Toilettenhäuschen.

Hier summt bald darauf der Benzinkocher, während wir unsere Frühstücksschätze ausbreiten. Allerdings muß man ab und zu ein wenig um sich schlagen, um die Mücken auf Distanz zu halten. Für ein Mückenschutzmittel ist es aber noch zu früh.

Weiter geht die Fahrt durch ein leicht abfallendes Tal; es geht gerade so bergab, daß wir die Räder mit geringem Arbeitsaufwand gut rollen lassen können.

Das Flüßchen, das uns schon vom Lagerplatz aus begleitet, wird allmählich durch die Nebenzuflüsse breiter. An einer gut erreichbaren Stelle fahren wir direkt ans Ufer ran und halten Morgentoilette. Das wäre auch ein toller Lagerplatz gewesen! (1995 werden wir hier mit der ganzen Mannschaft zelten). Wir stoßen nach dem Waschen mit einem Lettöl aus unseren Isobechern auf den Platz an.

Es rollt anschließend wieder fast ohne unser Zutun! In einer Bushaltestelle stöbern wir eine kleine Schafherde auf, die sich hierher vor der Sonne zurückgezogen hat. Unser Geklingel macht sie anscheinend nervös und sie verlassen fluchtartig ihr Domizil.

Wir machen kurz Rast an der Leitplanke und gratulieren Svenja zum 1000. Kilometer mit ihrem neuen Rad. In Folldal weichen wir kurz von der Straße zum nahegelegenen Supermarkt ab und decken uns ausgiebig mit Getränken, Eis, Joghurt und nahrhaften Süßigkeiten ein. Jetzt wollen wir unseren Tagesschnitt aber auch kräftig hochtreiben! So lange wir fahren, treten wir kräftig in die Pedalen. 25 bis 30 Km/h sind wir durchschnittlich schnell!

Inzwischen schneidet sich der Fluß immer tiefer durch die beiderseitigen Bergrücken ein; dann sehen wir auf der Karte, daß er, und damit natürlich auch unsere Straße, in Kürze stark nach Süden abschwenkt. Erst in Alvdal, der nächstgrößeren Stadt, werden wir auf die E3 stoßen, die in spitzem Winkel dann wieder nach oben führt.

Ein genaues Kartenstudium zeigt, daß es für uns aber eine enorme Abkürzung gäbe: in Tangen können wir die jetzige RV 29 verlassen und in wenigen Kilometern durch das Lomsjödalen, an einem See entlang, direkt weit oberhalb von Alvdal auf die E3 stoßen.

Unterwegs auf norwegischen Reichsstraßen Manche Straßen bergen ihre Tücken

Und weil alle Flüsse schließlich bergab fließen, könnten wir damit so ganz nebenbei doch einige unnötige Höhenmeter einsparen. Mit diesen frohen Gedanken setzen wir uns an der Abzweigung in Tangen zum Mittagsmahl nieder. Mit dem vom Nachbarhaus herbeigeschafften Wasser gehen wir allerdings auf besondere Weise um: plötzlich ist eine heftige Wasserschlacht im Gange, bei dem derjenige den Vorteil hat, der den größeren Wasserbehälter besitzt. Da hilft auch kein Wegrennen!

Zum Mittagessen gibt es dann Brot, Käse und Bierknacker. Die zahlreich auf dem Weg vertretenen Ameisen erhalten auch ihre Ration in Form von kleinen Brotkrümeln. Sie plagen sich redlich damit ab. Und nun nimmt das Unheil des Tages seinen Lauf. Der Feldweg, den wir als Abkürzung wählen, müßte uns eigentlich schon stutzig machen! Er windet sich steil bergauf; mit Fahren ist da nichts mehr!

Denn eines konnten wir der Cappelen-Karte nicht entnehmen: die Höhenlage! Das kommt uns nun teuer zu stehen - statt der erhofften Zeitersparnis durch die Abkürzung schieben wir Serpentine um Serpentine den Feldweg hinauf; unserer Jüngsten nehmen wir noch etwas Gepäck ab, damit es leichter geht - dennoch muß man aufpassen, daß die Räder beim zwischenzeitlichen Pausieren nicht zurückrollen!

Endlich haben wir es geschafft - wir sind oben - und das wörtlich! Dieser beschissene Feldweg hat uns ganz hinauf ins Gebirge geführt - und jetzt müssen wir das alles wieder hinunter. Normalerweise kein Grund zur Trauer - bergab fahren wir immer gerne! Aber nicht auf einem Weg mit einer derartig schlechten Oberfläche. Auch bergab kann man nur ganz langsam, fast im Schrittempo, fahren. Bei jedem der Schlaglöcher - und davon gibt es reichlich - muß man sich überlegen, ob man links oder rechts herumfahren will.

Dennoch kann keiner von uns verhindern, daß er ab und zu mit dem Hinterrad in ein Schlagloch hineinknallt. Uns schweben Visionen von gebrochenen Speichen in dieser Einöde vor. Wir sind wirklich froh, als wir ohne Radschäden diese Strecke hinter uns lassen können und endlich unten auf der E3 ankommen.

Was hätten wir auf diesem glatten Straßenbelag an schnellen Kilometern machen können! Der Schnitt ist natürlich im Eimer. Uns plagt nun aber schon wieder eine andere Sorge: es ist Samstag; bald sechs Uhr - und die nächste Stadt namens Tynset noch etwa 12 Kilometer entfernt. Und das heißt im Klartext: wenn wir uns nicht beeilen, werden wir übers Wochenende keinen offenen Supermarkt mehr erwischen.

So kommt es dann leider auch. Wir fahren zwar mit enormer Schnelligkeit bis Tynset; als wir ankommen, ist aber alles bereits zu - nur eine Tankstellenbutik kann uns wenigstens noch Getränke verkaufen. Wir überlegen nicht mehr lange, auch nicht, als wir die doch horrenden Preise sehen. Na ja, wir haben ja schließlich auch Ferien!

Da strampelt man sich den ganzen Tag ab, und denkt nicht rechtzeitig an die Einkäufe für`s Wochenende! Aber es soll heute noch schlimmer kommen!

Nach einer ausgiebigen Trinkpause rollen wir auf einer kleinen Nebenstraße in Richtung Röros weiter. Die Straße führt immer entlang der Rörosbahn, die merkwürdigerweise auf einem Damm neben uns liegt. Der Grund dafür wird uns schnell klar: auf beiden Seiten der Bahn - und der Straße - ist feuchtes Sumpfgebiet. Und darin leben Myriaden von Mücken, die anscheinend schon lange auf uns gewartet haben und dementsprechend ausgehungert bzw. besser gesagt: blutrünstig sind.

Anhalten geht nicht - die Mücken würden uns massakrieren! Also immer weiter, obwohl wir schon längst 90 Tageskilometer überschritten haben und eigentlich schon einen Zeltplatz haben wollten.

Verschiedene "Lagerplätze" entlang der Straße werden bei näherer Betrachtung schnell verworfen. Andree fährt voraus, findet aber auch nichts in absehbarer Entfernung. Mehr durch Zufall landen wir dann in einem Feldweg, der in einem kleinen Wäldchen ansteigt und zumindest auf trockenem Gelände liegt. Hier bauen wir die Zelte hintereinander auf dem Weg auf und hoffen, daß heute Abend nicht noch ein Auto hier durch muß!

Beim Zeltaufbau müssen wir uns zum Schutz gegen die allgegenwärtigen Mücken überall einreiben und lange Sachen tragen.

Und Jan macht eine ganz neue Erfahrung: ab heute weiß er, daß seine neuen Ortliebtaschen wirklich wasserdicht sind! Während der Fahrt ist ihm eine Coladose geplatzt; den Inhalt kann er jetzt aus der Tasche gießen. Leider hat der Kakaovorrat, der in der gleichen Tasche war, darunter auch gelitten - also kein Kakao mehr in den nächsten Tagen.

Nicht immer ist die Wasserdichtigkeit einer Ortliebtasche sinnvoll

Martin rührt derweilen ein Fertigpulver an, aus dem sich in Kürze leckere Reibekuchen entwickeln sollen. Tun sie leider aber nicht - in unseren Topfdeckeln funktioniert das Anbraten nicht so recht - es ist eigentlich mehr ein (fast) kontrolliertes "Anbrennen". Egal - nach 104 Tageskilometern (unsere Hinterteile können sich an jeden einzelnen davon gut erinnern) - schmecken sogar angebrannte Bruchstücke von Reibeplätzchen. Es ist ein Abend für mehrere Schlummertrünkchen!

Zumindest kann man nach einem solchen Tag gut schlafen. Es hätte nur noch ein richtiges Unwetter oder vielleicht ein kleiner Speichenbruch zum vollkommenen Glück gefehlt!


Sonntag, 3.7.94. 11. Tag

Nach der anstrengenden gestrigen Etappe fällt das Aufstehen etwas schwer; es muß aber sein, denn laut Karte sind es bis zu unserem nächsten Zwischenziel, dem ehemaligen Bergbarbeiterstädtchen Röros, noch etwa 50 Kilometer; durch hügeliges Gelände. Sarah und Svenja machen sich zu einem nahegelegenen Bauernhaus auf, um dort Trinkwasser zu holen; dabei werden sie mit Keksen bewirtet. Schade, wären wir mal alle gegangen!

Zu unserer Freude fällt heller Sonnenschein in unseren Waldweg - es scheint heute zumindest mit dem Wetter keine Probleme zu geben. Andererseits hält uns nicht viel an diesem Ort, denn pünktlich mit dem Öffnen der Zelte sind auch schon wieder die Mücken zur Stelle.

Also schnell abgebaut und aufgepackt, und ab geht`s. Heute sieht die Straße, bei Sonnenschein und kaum Verkehr, schon wieder viel freundlicher aus. Nebeneinander radelnd folgen wir der Eisenbahnstrecke und warten auf die im Reiseführer beschriebene Abzweigung hinüber zur Hauptstraße bei Telneset.

Und weil heute Sonntag ist, waschen wir uns unterwegs mal wieder besonders gründlich an einem kleinen Bächlein, das unsere Straße quert. Dummerweise heißt das immer wieder: Taschen öffnen, und hoffen, daß man gerade die richtige Tasche erwischt hat, in dem sich das Waschzeug befindet. Meistens findet es man dann in der letzten Tasche.....

Ein kurzes Minifrühstück mit unserem letzten Brot, Käse und Salami gibt es dann noch auf der Leitplanke sitzend, ehe es weitergeht.

Bei Telneset finden wir auch leicht die beschriebene Abzweigung; hinüber über die Bahngleise und den Glamafluß in Richtung der RV 30, die auf der Westseite des Flusses nach Röros führt.

An der Einmündung zur Hauptstraße liegt eine schöne Cafeteria - Grund für uns, ein kleines Päuschen einzulegen. Inzwischen haben wir auch wieder ein norwegisches Prinzip beim Kaffeetrinken in diesen Cafeterias kennen- und schätzengelernt: der erste Kaffee ist zwar teuer - meist um die 10 Kronen, also etwa 2,50 DM; die weiteren Tassen dann aber nur noch die Hälfte, wenn man Glück hat auch ganz umsonst.

In dieser Cafeteria läuft das leider nicht so; dafür können wir uns mit kostenlosem Toilettenpapier versorgen. Der Schäferhund am Eingang beobachtet uns allerdings ein wenig mißtrauisch - guter Wachhund mit scharfem Instinkt!

In Kvennan biegt die Radführer-Route eigentlich ein wenig ins Gebirge ab - das schenken wir uns aber: wir werden auf der Hauptstrecke nach Röros durchziehen.

Dafür nehmen wir umso dankbarer das Kioskfähnchen am hiesigen Campingplatz wahr: Zeit, die Cola-, Solo- und Lettölvorräte aufzufrischen. Sogar die Preise sind einigermaßen erträglich. Ein Eis, auf der Rastbank am Campinplatz geschleckt, rundet diesen Besuch hier ab.

Die Straße führt nun in leichten Wellen bis nach Tolga, dem einzigen größeren Ort auf der Strecke nach Röros. Bei der Einfahrt nach Tolga können wir unsere erste "gute Tat" des Tages verrichten: schon von Weitem sehen wir vor uns zwei Kinder, die fröhlich auf einem einzigen Rad vor uns herfahren. So etwa hundert Meter vor uns kommt das Rad dann plötzlich ins Schwanken, und schon liegen die beiden Kleinen auf dem Boden. Als wir näher kommen, hören wir auch schon das laute Geschrei des Sozius. Wir steigen ab, um nachzuschauen, und finden auch sofort den Grund für dieses Schmerzgebrüll heraus: der Junge, der auf dem Gepäckträger saß, ist beim Sturz mit der nackten Ferse zwischen Felge/Reifen und hinterem Rahmenrohr geraten - und da sitz sein Fuß nun unverrückbar fest!

Ein Autofahrer ist inzwischen auch am Ort des Geschehens; mit vereinten Kräften versuchen wir, das Rad ein wenig auseinanderzuspreizen und den Fuß zu befreien - das geht aber nicht.

Also holen wir unser Werkzeug heraus und schrauben das Hinterrad los - jetzt kann der Bursche wieder lachen. Wir schrauben das Hinterrad wieder fest und ermahnen die Beiden, künftig auf derartige Spielchen zu verzichten.

Am Ortsende von Tolga machen wir dann, von soviel Aufregung ermattet, eine Pause am Straßenrand, quasi schon fast in einem Vorgarten. Eine Tüte Aldi-Rosinen (kurz "Vita" genannt) und in zarte Schokolade gehüllt, gibt Kraft für die letzte Etappe. Der Ordnung halber (und des allgemeinen Hungers wegen) werden die Rosinen, sogar nach Größe geordnet, unter den wachsamen Augen der Anwesenden, einzeln abgezählt.....

Als alles verputzt ist, studieren wir nochmals genau die Karte. Wie weit ist es jetzt denn eigentlich noch bis Röros? Und zeigt die Karte irgendwelche „Besonderheiten“ wie eingeschnittene Flußtäler, kleine Pässe oder dergleichen? Wir wollen nicht noch einmal so eine Pleite erleben wie gestern mit der „Abkürzung“!

Unterwegs in Richtung Röros Die Straße zieht sich endlos

Die Straße führt nun ständig in Bodenwellen auf Röros zu; und das kostet Kraft! Wir versuchen bei den Abfahrten möglichst viel Schwung für den unvermeidlichen Gegenanstieg zu bekommen; die letzten Meter bis zur nächsten Kuppe sind aber immer anstrengend. So sind wir froh, als endlich das Ortseingangsschild von Röros auftaucht. Natürlich kann man hier nirgends wild campen - also suchen wir zuerst einmal den Campingplatz von Röros auf und ziehen dort unsere Zelte hoch.

Danach heißt es: auf in die Stadt! Leider ist hier am Sonntag nicht besonders viel los; hauptsächlich Touristen, die durch die Gassen zwischen den alten Holzhäusern strömen.

"Röros, 3500 Einw., ist einer des besterhaltenen Bergbauorte der Welt. 1975 wurde der Ort mit seinen Schmelzhütten in die UNESCO-Liste der Weltdenkmäler aufgenommen. Bereits 1644 hatte ein Bauer hier einen Gesteinsbrocken gefunden, den er schnell durch seinen Glanz als Kupfer einordnen konnte. Das war der Startschuß für mehr als 300 Jahre Kupfererz-Abbau. Vor allem viele deutsche Facharbeiter zog es ab 1646 hierher. 1974 ging die Kupfergesellschaft dann in Konkurs; ein Schlag, von dem sich die Stadt bis heute nicht erholt hat. Die Olavsgrube, 18 Kilometer von Röros entfernt, wird heute als Museumsbergwerk betrieben. Hier in Röros wurden auch die bislang tiefsten Wintertemperaturen Norwegens gemessen: minus 51 Grad!"

Das Besucherbergwerk ist uns mit dem Fahrrad leider zu weit entfernt; die Temperaturen sind jetzt im Sommer glücklicherweise erträglich. So besuchen wir stattdessen nun einen geöffneten Supermarkt, und kommen doch noch zu unseren Einkäufen (Das Bergwerk werden wir 1995 allerdings intensiv erleben).

Zurück auf dem Campingplatz haben wir einen Nachbarn bekommen, der sein Einmannzelt direkt neben uns aufgebaut hat. Ein Deutscher, der ebenfalls, allein, mit dem Rad durch Norwegen unterwegs ist - und schon viele Pannen erlebt hat.

In der Nacht werden wir durch sein Geschrei aufgeweckt. Wir schauen nach und stellen fest, daß er splitterfasernackt hinter einigen Jugendlichen her ist, die wohl versucht haben, sein Zelt flachzulegen oder was zu klauen.

Wir versprechen ihm, auf sei Eigentum zu achten, während er sich aufmacht, den Campingwart zu alarmieren. Danach bleibt unsere Nachtruhe ungestört.



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