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Montag, 4.7.94, 12. Tag

Wir bauen früh ab; hier hält uns nicht viel. Das ist allerdings ein Irrtum: als alles gepackt ist, stellt Martin fest, daß an seinem Hinterrad bedauerlicherweise eine Speiche gebrochen ist - vermutlich als Spätfolge der vorgestrigen Schüttelei auf dem Feldweg.

Also muß alles wieder abgepackt werden; das Rad wir aufgebockt und die Speiche gewechselt. Inzwischen hat Martin darin ja schon einige Übung! Zum Glück ist es nicht an der Zahnkranzseite des Hinterrades. So geht die Reparatur erfreulich schnell vonstatten; lediglich das Nachzentrieren der Speichen braucht etwas länger.

Unser Nachbar ist inzwischen auch schon auf und macht sich ebenfalls reisefertig. Er will die gleiche Strecke nach Trondheim nehmen; wir werden ihm vermutlich also noch häufiger begegnen.

In Röros machen wir am Supermarkt Station und decken uns für einen traditionellen, kulinarischen Höhepunkt der Norwegenfahrt ein: ein großes Hamburger(fr)essen steht heute an - schließlich ist heute der 4. Juli - wann also besser als am amerikanischen Nationalfeiertag??

Willkommener Frühstücksplatz in Röros: eine Campingmöbel-Ausstellung lädt zur Pause ein Na ja, solche Straßen gibt`s halt auch noch in Norwegen

Wie immer gibt es Schwierigkeiten bei der richtigen Auswahl der tiefgekühlten "Hamburger" - nehmen wir nun "Oksekarbonarer" oder "Stektkarbonarer" oder vielleicht doch besser "Grillkarbonarer"?? Da alles dummerweise in Kartons verpackt ist, können wir den Inhalt nicht erkennen (was vielleicht auch besser so ist).

Nachdem wir 1,5 Kg im Wagen haben, müssen wir uns um den Rest kümmern: Stekt Lök (Röstzwiebeln), Hamburgersauce, Ketchup, Gurken, Tomaten und natürlich das "Hamburger-Bröd"

Draußen wird es dann etwas schwierig, alles in den Satteltaschen zu verstauen. Uns ist auch klar, daß die tiefgefroreren Hamburger nicht allzu lange in diesem Zustand bleiben werden. Also wird das Essen bereits in der Mittagspause stattfinden.

Zuerst aber setzen wir uns draußen in die Campingmöbel vor dem Geschäft und genießen ein ausgiebiges Frühstück. Dabei taucht wieder unser Nachbar-Biker auf und wir kommen so mal zu einem Foto, auf dem alle gemeinsam zu sehen sind.

Ab jetzt folgen wir nicht der vorgeschlagenen Etappe des Reiseführers, sondern fahren über die RV 30 direkt durch das Gauldalen in Richtung E6; von dort wollen wir dann auf dem schnellsten Weg nach Trondheim weiterfahren.

Zuerst steigt die Straße nach Röros zwar etwas an; wir können aber der Karte entnehmen, daß bald die Flüsse in Richtung Trondheim und damit zum Meer, abwärts fließen werden. Unsere Hoffnung ist also, daß unsere Straße ihnen ebenso folgen wird!

Und richtig - bald haben wir eine Art "Zwischenhochebene erreicht". Als wir feststellen, daß der nächste Seeabfluß nun ins Gauldalen abfließt, also in unserer Richtung, legen wir beruhigt unsere Hamburgerpause ein. Und dies wird wirklich das "große Fressen"!

Der Phantasie sind hierbei keine Grenzen gesetzt; lediglich das Anbraten der Hamburger in unserm Topfdekkel bei dem nur ungenügend regulierbaren Benzinbrenner macht viel Arbeit und gibt dummerweise einige heiße Fettspritzer auf die Arme.

Wir sitzen in T-Shirt und kurzer Hose am Rasttisch und belegen unsere Einfach-, Doppel- und Dreifachburger nach individuellem Geschmack. Schwierigkeiten bereitet uns nur das Hineinbekommen der fertigen Kunstwerke in den Mund, deshalb gibt es hiervon traditionell auch keine kompromittierenden Fotos.

Und leider sind auch hier wieder die Mücken sehr lästig; vor allem beim anschließenden Spülen der fettigen Klamotten im nahegelegenen Bach. Die drei letzten Hamburger finden keinen Abnehmer mehr und werden in hohem Bogen geopfert.

Danach geht es mit starkem Völlegefühl im Magen weiter; glücklicherweise jetzt nur noch abwärts! Mehr als 11 Kilometer können wir; teilweise mit rasendem Tempo, bergab sausen, ohne ein einziges Mal in die Pedalen treten zu müssen. So gefällt einem das Fahren!

An einem S-Marked wird wiederum Verpflegungshalt gemacht, ehe wir die letzten Kilometer dieses Tages unter die Reifen nehmen. Unterwegs kommen wir an einem großen Wasserfall vorbei; wiederum eine willkommene Fahrtunterbrechung. Andree läßt sich vor einem der typischen Holzhäuser fotografieren, da er sich ein solches Haus nachbauen möchte.

Nun geht es immer tiefer hinab ins Gauladalen. Teilweise werden hier neue Tunnel gebaut, die aber noch nicht geöffnet sind. So fahren wir manch abenteuerlichen Schotterkilometer um die steilen Bergflanken herum; neben uns die schäumende Gaula.

An einem Bauernhaus holen wir zwar Trinkwasser; finden aber keinen geeigneten Platz für unser Zelt. Singsas heißt das nun folgende Örtchen, das laut Karte einen Campingplatz besitzen soll. Der entpuppt sich als eine Art bessere Wiese - aber immerhin mit einer Dusche und einer schönen Aussicht ringsum. Für 60 NOK werden wir uns mit der Besitzerin schnell handelseinig! Neben uns schlagen zwei Motorradfahrer aus Olpe ihr Zelt auf; und kurz darauf erscheint auch wieder unser Röros-Freund. Der Platz ist somit fest in deutscher Hand.

Dann kommt das Duschvergnügen. Zu der einzigen Dusche des Platzes gibt es den Schlüssel in der "Reception", also am Kiosk. Wir zahlen einmal 5 Kronen und gehen nacheinander alle duschen. Leider erwischt unser Freund aus Röros dabei die schlechte Karte: er muß nachzahlen, als er den Schlüssel wieder abgibt. Wir sitzen draußen in der Abendsonne vor dem Zelt und genießen den Feierabend im Gespräch mit unseren Nachbarn.


Dienstag, 5.7.94, 13. Tag

Wieder schönes Wetter! Kann man kaum glauben, wenn man die erste verregnete Woche im Fjordgebiet erlebt hat. Auf jeden Fall hat sich unsere Entscheidung, erst gen Osten zu fahren, als richtig herausgestellt.

Heute wollen wir bis kurz vor Trondheim kommen. In Trondheim selbst gibt es leider keinen Campingplatz; wir werden daher versuchen , vorher irgendwo wild zu campen oder den letzten Platz vor Trondheim zu nehmen. Von dort aus können wir dann übermorgen mit dem Bus nach Trondheim fahren. Ein Tag Ruhe und mal nicht Fahrrad fahren soll uns am nördlichen Wendepunkt der Tour frische Kraft geben.

Zügig geht es nach dem Abbau los; glücklicherweise senkt sich die Straße leicht talabwärts und die Räder rollen somit prächtig. An der Einmündung unseres Nebentals in das Haupttal treffen wir wieder auf unsere alte E6 - der hier vorbeirauschende Verkehr bestätigt die Richtigkeit unserer Routenplanung mit dem Abzweig über Röros: auf dieser E6 macht Radfahren zwischen all den Autos wirklich keinen Spaß! Eigentlich ist das Ganze nur eine riesige Kreuzung mit Tankstelle und angeschlossenem Einkaufszentrum; die richtige Ortschaft, Stören, befindet sich gegenüber am Berghang.

Wichtig für uns ist aber zunächst einmal der Supermarkt, der sich bei der Tankstelle an der Einmündung zur E6 befindet. Hier kaufen wir alles, was zu einer zünftigen Pölser-Mahlzeit gehört: Senf und Ketchup, Röstzwiebeln, Pölser-Bröd und natürlich jede Menge Pölser.

Anders als die Hamburger gestern bedeutet das Herstellen der Pölser keinen großen Arbeitsaufwand: einfach die Würstchen im Topf erhitzt und dann kann es losgehen: zuerst das Brot längs aufschneiden und mit einer Schicht Ketchup auskleiden. Das hält schon mal die erste Lage der Röstzwiebeln. Nun das Würstchen hinein und in kühnem Zickzack Senf und Ketchup draufgespritzt. Den Abschluß bildet eine weitere Lage Röstzwiebeln. Dann das Ganze möglichst schön waagerecht gehalten und genußvoll hineingebissen. Ein Schlückchen Solo, Cola oder Lett-Öl, ganz nach persönlichem Geschmack, rundet das Mahl ab. Ein wenig irritiert sind wir allerdings durch unseren Einzelfahrer von Röros, der inzwischen auch wieder aufgetaucht ist und sich ganz selbstverständlich auf unserer Bank breitmacht.

Viel zu Spülen gibt`s nun ja nicht, und bald rollen wir über die E6 weiter in Richtung Trondheim. Wann immer möglich, nutzen wir dabei Radwege neben der Straße; biegen teilweise sogar etwas von der Straße ab und folgen ausgeschilderten, örtlichen Radwegen. Dennoch: immer wieder haben wir zwangsläufig Strecken, die wir mitten über die E6 fahren müssen - und das ist wahrlich kein Vergnügen. Ein Blick auf die Karte zeigt uns dann eine Nebenstrecke, die zudem noch zu einem Camping-Platz am Meer etwas südlich von Trondheim führen soll. Unterwegs stellen wir betrübt fest, daß an ein Wildcampen hier kaum noch zu denken ist: zu dicht ist die Landschaft um Trondheim herum besiedelt und vor allem auch zu stark landwirtschaftlich genutzt.

So sind wir froh, als wir nach mehreren Irrfahrten endlich am Tor des Campingplatzes stehen. Öysand lautet der klangvolle Name. Aber was für ein Platz! Randvoll mit Wohnwagen, dicht an dicht! Wir fahren einmal langsam durch das ganze Gelände, verfolgt von vielen neugierigen Blicken. Na ja, was haben die Dauercamper hier auch anderes zu tun als Neuankömmlinge zu begutachten, zumal noch, wenn es exotische Radfahrer mit vollem Gepäck sind.

Da wir keinen freien Platz mehr für unsere Zelte finden, beschließen wir, uns für die nächsten zwei Tage den Genuß einer (kleinen) Hütte zu leisten. Zum Glück ist gerade noch eine 4-Bett-Hütte am Ende des Platzes frei, was uns sehr recht ist, da wir nicht inmitten des ganzen Pulks schlafen wollen. Außerdem können wir dann morgen unsere Sachen beruhigt in der Hütte lassen und ausgiebig durch Trondheim bummeln.

Abends setzen wir uns mit einem stärkenden Schlückchen unten ans Fjordufer und genießen den Ausblick über den Fjord und die Schäreninseln. Mit den steilen Fjordufern, wie wir sie zum Beispiel vom Sognefjord kennen, hat das hier aber wenig gemeinsam. Der 13. Fahrttag ist ohne Pannen geschafft!


Mittwoch, 6.7.94, 14. Tag

Frühstücken wollen wir in Trondheim; zu Fuß machen wir uns also früh auf zur nahegelegenen Bushaltestelle. Bis Trondheim-Zentrum sind es etwa 20 Kilometer; als wir uns dem Stadtzentrum mit dem Bus nähern, sind wir froh, daß wir nicht mit dem Fahrrad diese mehrspurigen Straßen fahren müssen.

In Trondheim wird erst einmal eingekauft und dann ziehen wir uns mit unseren Frühstücksutensilien in den Schloßpark zurück und lassen es uns im warmen Sonnenschein gutgehen. Jeder findet dann noch eine Kanone, auf der er/sie dann für ein Gruppenfoto posiert.

Klar, daß anschließend der berühmte Nidaros-Dom auf unserem Besichtigungsprogramm steht. Über 200.000 Besucher kommen jedes Jahr hierher. (Einzelheiten kann jeder im Textblatt nachlesen). Fotomäßig haben wir erst einmal ein Problem: der Dom ist so gewaltig, daß wir ihn beim Gruppenfoto gar nicht in voller Größe auf`s Foto bannen können. Da wir nun schon mal da sind, gönnen wir uns den Eintritt für die Turm-Besteigung und klettern die vielen engen Steinstufen der Wendeltreppe hoch. Von oben ist die Aussicht dann wirklich klasse!

Eine Besichtigung des Kriegsmuseums schließt sich an, ehe wir in die Stadt zum Einkaufs- und Besichtigungsbummel weiterschlendern. Gerne nützen wir im "RIMA 1000" die verhältnismäßig preiswerte Möglichkeit zum Verpflegungseinkauf. Und ganz zufällig stoßen wir auf ein doch etwas ausgefallenes Geschäft: eine "Kondomerie", deren Auslagen uns doch ziemlich erheitern. Wer hätte gedacht, welche einfallsreichen Varianten es doch so gibt!

Campingplatz in der Nähe von Trondheim Vor dem Nidaros-Dom von Trondheim Zur Abwechslung mal zu Fuß unterwegs durch Trondheim


Von so viel Großstadt doch ziemlich ermüdet besteigen wir am Spätnachmittag wieder den Linienbus zurück zum Camping-Platz - leider zu dieser Zeit noch nicht ahnend, welche unangenehme Überraschung der Tag für uns noch bereithalten würde.

Zurück in unserer Hütte wollen wir natürlich unsere Einkäufe in ein schmackhaftes Abendessen umsetzen: und hier beginnt nun eine folgenschwere Verkettung unglücklicher Umstände! Beim Anzünden des Benzinbrenners fällt uns bereits auf, daß mit ihm irgendwas nicht so richtig stimmt: die Flamme ist gelb, nicht blau, es zischt auch nicht, obwohl eigentlich genug Druck auf dem Biest ist, und außerdem blakt und qualmt es ganz bedrohlich. Als das Flämmchen immer kleiner wird und auch erneute Startversuche nichts bringen, entschließen wir uns zu einer Notfallreparatur: Brennerkopf losschrauben, Düse untersuchen, das feine Drähtchen im Düsenkopf hin- und herbewegt. Danach geht überhaupt nichts mehr und uns wird langsam bewußt, daß wir mit den warmen Mahlzeiten auf dem Rest der Tour nun ein Problem haben! Mit diesem Benzinbrenner werden wir jedenfalls keine warme Mahlzeit mehr zustande bekommen!

Nun, für heute ist das kein großes Problem; einen Tag können wir ruhig mal auf was Warmes verzichten, zumal wir ja keinen anstrengenden Fahrttag hinter uns haben - aber was wird in den kommenden Tagen sein??
Mit Kaltverpflegung, Chips und geistigen Getränken ziehen wir uns am Abend wieder an unser Strandplätzchen zurück. Die gute Laune kann uns ein defekter Brenner nicht lange vermiesen.


Donnerstag, 7.7.94, 15. Tag

Wieder mal bestes Wetter - und heute geht`s auf den Rückweg! Mit Trondheim haben wir den nördlichsten Punkt unserer Tour erreicht. Jetzt werden wir zum Meer hin nach Westen abschwenken und durch die Fjordgegend bis zum Geiranger fahren. Von dort dann weiter nach Lom bis zum Transit. Uns ist bewußt, welche Schwierigkeiten uns nun erwarten werden: ab Andalsnes den Trollstigen 1000 m bergauf; auf der anderen Seite den Adlerweg hinunter und ab Geiranger dann wieder hoch zum Dalsnibba. Wir werden heftig in die Pedalen treten müssen!

Aber zuerst einmal geht es ziemlich eben am Fjordufer entlang. Da Svenja über Verdauungsprobleme klagt, bekommt sie im nächsten Supermarkt reichlich Obst und Joghurt. Das wirkt einige Kilometer weiter dann auch prompt. Martin bleibt mit ihr zurück, um auf`s Fahrrad aufzupassen. Die Anderen fahren schon mal weiter und erleben dabei den ersten leibhaftigen Elch der Tour! Er, oder sie, tritt plötzlich kurz vor den Radlern aus dem Gebüsch heraus und verschwindet auf der anderen Seite der Straße wieder. Leider kommt ein Elch anscheinend selten allein: wenige Sekunden später folgt dem Tier ein dunkler Fliegenschwarm; just in dem Moment, als die Gruppe diese Stelle passiert. Den Berichten zufolge soll es ein unangenehmes Erlebnis gewesen sein, durch diese Fliegenwolke hindurchzufahren.

Bald darauf haben Svenja und Martin wieder aufgeschlossen und wir erreichen einen idyllischen Badesee. Das Wasser scheint nicht allzu kalt zu sein - viele andere Leute plantschen hier schon herum. So eine Gelegenheit lassen wir uns natürlich nicht entgehen! Wir fahren mit den Rädern direkt hinunter bis zum Seeufer und kurz darauf plätschern wir im Wasser herum - genau genommen sind das aber mehr die Herren; die Damen ziehen es vor, sich im Badeanzug auf den angenehm warmen Felsen zu bräunen. In späteren Jahren werden sie steif und fest behaupten, sie wären auch im Wasser gewesen – was einem die Erinnerung doch so vorgaukeln kann..........

Wieder auf der Straße Der See lockt zu einem spontanen Bad Das hätten wir uns in diesen Breiten nicht vorstellen können


So erfrischt geht es dann wieder weiter. Im nächsten Ort, Korsvegen, nutzen wir den Supermarkt zu einem voraussichtlich letzten Einkauf: die nächsten 20 Kilometer scheint kein Ort mehr zu kommen. Martin läßt sich von Svenja zu einem Gebäck-Kauf verleiten – die Schmalzkringel sehen in der Packung zwar recht appetitlich aus, schmecken aber widerlich! Nach ausgiebiger Rast an der Straßenabzweigung geraten wir nun nach langer Zeit wieder einmal auf eine unbefestigte Straße, dazu geht es stetig bergan. Das stört uns aber nicht besonders; dafür haben wir in den letzten Tagen ausreichend Muskeln in den Waden entwickelt. Angenehm ist auch die Tatsache, daß auf dieser Nebenstrecke kaum Verkehr herrscht – wir können also ruhig auch mal nebeneinander fahren. Und Jan perfektioniert dabei seine Fähigkeiten als Kamera-Mann: ihm gelingt im Fahren ein außergewöhnlicher Schwenk an der Gruppe entlang.

Das Wetter meint es weiterhin gut mit uns; wir fahren unter dem strahlendblauen norwegischen Himmel und genießen den leichten, kühlenden Fahrtwind in T-Shirt und kurzer Hose. An einer Dreiecks-Kreuzung besteht eine kurze Unsicherheit über die nun weiter einzuschlagende Richtung; wir entscheiden uns aber intuitiv richtig. Die neue Straße entpuppt sich aber bald als ungemütliche Staubquelle: jedesmal, wenn ein PKW vorbeifährt, werden wir regelrecht eingenebelt. Und die Norweger scheinen hier nicht viel von Rücksicht auf Radfahrer zu halten – kaum einer drosselt sein Tempo bei der Vorbeifahrt. Immer wieder müssen wir fluchend an den Rand des Weges mit hochaufgeworfenen Bodenwellen aus Split ausweichen. Hier darf sich das Vorderrad nicht querstellen!

Immer wieder tauchen kleine Seen neben der Straße auf und locken zu einem weiteren Bad – andererseits zeigt uns ein Blick auf die Karte, daß der nächste Ort, Lökken, noch einige Kilometer entfernt ist. Und hier hoffen wir auf eine Hilfe bei der Reparatur unseres Benzin-Brenners. So müssen wir uns leider nach einer längeren Rast an der Leitplanke wieder seufzend auf den Weg machen.
Und dieser Weg führt nun dummerweise erst einmal steil bergab hinunter nach Svorkmo – all die vielen schönen Höhenmeter sind wieder futsch – Svorkmo liegt fast schon wieder auf Meeresniveau. Die letzten Kilometer nach Lökken dürfen wir dann wieder kräftig in die Pedalen treten!

„Lökken, 3000 Einwohner, lebte jahrzehntelang vom Bergbau. In den Gruben um die Stadt herum wurde etwa die Hälfte der norwegischen Jahresproduktion an Pyrit gewonnen. Pyrit ist fast reines Eisensulfit, so daß man neben dem Eisenerz auch Schwefel als Rohstoff verarbeiten konnte. In der Nähe des alten Bahnhofs befindet sich ein interessantes Bergbaumuseum.“

Am Bahnhof kommen wir bei der Einfahrt nach Lökken vorbei; uns interessieren aber weniger die vielen der dort ausgestellten Eisenbahnwagen, sondern mehr das Firmenschild des vor uns liegenden „Inter-Sport“-Fachgeschäftes. Vor unserem inneren Auge sehen wir bereits die Ersatzteile von Coleman für unseren Brenner.

Leider Fehlanzeige. Coleman ist zwar hier bekannt; nicht jedoch unser Brennertyp – also auch keine Ersatzteile. Wir haben die Wahl: weiterfahren und irgendwo auf ein anderes Sportgeschäft hoffen (und bis dahin die kalte Küche zu pflegen) oder aber einen Gasbrenner der Firma Camping-Gas für teures Geld erwerben. Im Hinblick auf unseren inzwischen recht beachtlichen Appetit entscheiden wir uns für Variante 2! Und aus Sicherheitsgründen nehmen wir gleich mehrere Gaskartuschen mit. Die haben zum Glück den Vorteil, daß man sie zum Transport problemlos vom Brenneraufsatz lösen kann. Damit wäre das warme Abendessen also gesichert. Nur, übernachten kann man hier nirgends! Die Karte zeigt uns ein Stück weiter ein größeres Flußtal – da müßte doch am Ufer was zu finden sein.

Zuerst müssen wir auf der Straße von Lökken aus ein Stück zurückfahren, ehe wir auf die kleine Nebenstraße hinüber ins Nachbartal wechseln können. Aber was heißt hier „wechseln“? Ein solider Bergrücken versperrt uns auf diesen letzten Tageskilometern den Weg! Die Steigung ist so stark, daß wir schieben müssen – und das am Ende eines langen Fahrttages. Oben geht es dann wellig weiter – kleine giftfarbig aussehende Bergwerks-Seen lassen ahnen, welche Umweltschäden der Bergbau der vergangenen Jahr hier verursacht hat. Auch Norwegen scheint damit seine Probleme zu haben. Dann geht es in sausender Fahrt hinunter ins Tal der Orkla. Und hier werden wir tatsächlich bald fündig: in einem kleinen Nebenweg in Richtung Fluß finden wir ein geeignetes Plätzchen für unsere Zelte; zwar nicht allzu grasig, eher mitten auf dem Weg, dafür aber gut gegen Sicht geschützt.
Am Flußufer eine kleine Rasthütte. Unsere Mädchen machen sich mit den Rädern auf, um beim nächsten Bauernhaus Trinkwasser zu fassen. Danach beginnen wir mit dem Zeltaufbau und setzen das Kochwasser auf. Heute gibt es eine allseits verlangte Spezialität: Tomatensuppe mit zusätzlicher Reiseinlage. Beim Abmessen der Reisportion haben wir uns wohl verschätzt: die Suppe im Topf erinnert bald an das Märchen vom süßen Brei! Als wir alle satt sind, ist noch ein ansehnlicher Rest im Topf übrig. Wir beschließen, den Rest morgen zum Frühstück zu essen.

Plötzlich tauchen Angler auf. Wir haben erst Sorge, auf Privatgrundstück zu zelten, dann stellt sich aber heraus, daß es sich um Deutsche handelt, die sich mit dem Flugzeug für ein paar Tage hierher zum Angeln haben fliegen lassen! Die Orkla soll ein gutes Lachsgewässer sein. Wir sitzen am Ufer und schauen ihnen beim (erfolglosen) Angeln zu.


Freitag, 8.7.94 16. Tag

Wie schon gewohnt ein herrliches Wetter mit wolkenlosem Himmel! Nach dem Zeltabbau verzichten wir beim Frühstück dann doch auf einen letzten Schlag Tomatensuppe und halten uns stattdessen an Frühstücksfleisch mit Senf. Svenja verziert ihr Brot dabei mit der netten Senf-Aufschrift „Norge-1994“.

Bleibt nur noch die Frage, was mit der restlichen Suppe geschehen soll, die wir am Vorabend nicht wegschütten wollten. Auch dafür findet sich eine Lösung: Als Dank für das gute Wetter erhält Güpi mehrere schwungvolle Morgengaben.

Unser nächstes Ziel heißt Skei und liegt am Ende des Surnadalsfjorden, also schon wieder auf Meereshöhe. Das wird eine anstrengende Langstreckenfahrt werden!

„Immer stur geradeaus, so könnte man diese Etappe charakterisieren. Sie führt durch das endlose Tal des Surna-Flusses.“

Wie wahr! Zu unserem Glück fahren wir aber entgegengesetzt zur Fahrtrichtung von Frank Pathe und werden die vielen, vielen Kilometer des Surna-Flusses bergab fahren – man sollte ja wohl davon ausgehen können, daß die Surna bergab zum Meer nach Skei fließt! Soweit die Theorie – bei der Praxis zeigen sich doch einige Abweichungen! Zunächst einmal geht es von Storas, unserem Übernachtungsort, ziemlich steil bergan – bei genauerem Kartenstudium finden wir auf 310 m Höhe auch einen Paß eingezeichnet; und zwar mit 310 m Höhe. Und siehe da – auch bei der Etappenbeschreibung findet sich unter dem Namen „Bakken“ (d.h. der Stelle, wo sich der Paß laut Karte befindet) eine Höhenangabe mit exakt diesen 310 Metern. Als wir das nun nach einiger Zeit schwitzend geschafft haben, liegt die lange Abfahrt vor uns! Die Namen der winzigen Ortschaften, die nun kommen werden, sprechen auch für sich: Övre Rindal, Rindal, Övre Saeter, Saeter – also immer weiter abfallende Ortschaften. Wir sehen eine gigantische Abfahrt vor uns – Kilometer um Kilometer mit leichtem Gefälle; ab und zu mal ein Pedaltritt im höchsten Gang, um das Rad so zwischen 20 – 25 Km/h zu halten – man gönnt sich ja sonst nichts!

Doch dann werden wir urplötzlich mit einem Naturphänomen konfrontiert, daß uns als erfahrene Tourenfahrer eigentlich geläufig sein müßte: DER WIND KOMMT IMMER VON VORN! Da hilft es auch nichts, daß der Wind angenehm warm ist – er ist halt ein Gegenwind, gegen den wir nun – Kilometer um Kilometer bei leichtem Gefälle – trotzdem Tritt um Tritt ankämpfen müssen. Das ganze leider eine Folge der vorherrschenden Westwinde im sich ankündigenden Fjordgebiet.

Trotzdem verlieren wir nicht unsere gute Laune – immer noch besser, als diese lange Steigung mit Rückenwind hochzufahren! Und der Blick auf die links und rechts liegenden schneebedeckten Bergketten (teilweise bis zu 1400 m hoch) entschädigt natürlich auch noch für die Mühen.

In Skei dann an einem Einkaufszentrum eine längere Pause – wir haben gelernt, uns in den größeren Märkten preisgünstig (zumindest für norwegische Verhältnisse) zu verpflegen. Ein Zeltplatz soll nicht allzu weit entfernt am Ende des Alvundfjorden liegen – bis dahin wollen wir es heute möglichst noch schaffen. Das Wetter ist ja auch gut; mit der einbrechenden Dämmerung haben wir hier oben im Norden keine Probleme – und was man geschafft hat, braucht man am nächsten Tag nicht zu fahren. Wir wissen, wie schnell das Wetter umspringen kann und wie öde eine Fahrt durch Regen und dabei noch Gegenwind sein kann. Also lieber ein paar Kilometer „auf Vorrat“ fahren.

Nach Skei wieder ein endloser, wenn auch sanfter Anstieg zum nächsten eingezeichneten Paß: 130 m ! Das klingt wenig; wir kommen aber direkt vom Meeresniveau hoch und die vielen Kilos in den Satteltaschen zerren gewaltig! Laut Karte soll es hier eine „Trollheim-Ausstellung“ geben – wir finden zwar eine Art Informationszentrum, das sich aber als recht langweilig erweist. Tief unter uns liegt nun der Fjord – leider noch nicht unser „Zielfjord“ sondern noch ein weitererZwischenfjord mit dem für uns bis dato unbekannten Namen „Stangvikfjord“. Wir erörtern verschiedene Theorien zur Entstehung des Namens „Stang-Vik“, während wir unten am Fähranleger geduldig auf die Überfahrt mit der Fähre warten. Denn leider ist die RV 670, auf der wir uns momentan befinden, durch den Fjord abrupt unterbrochen.

Die erste Fähre auf dieser Tour Ein kleines Kunstwerk aus Senf und Frühstücksfleisch Toller Campingplatz direkt am Fjord

Wir waren zwar nicht die ersten an der Fähre; dank unserer Beweglichkeit als Radfahrer rollen wir aber als erste auf`s Schiff und haben Zeit für ein Gruppenfoto. Bei ruhiger „See“ queren wir den Fjord und dürfen zur „Belohnung“ auf der anderen Seite gleich wieder kräftig in die Pedalen treten, um die auf der Karte winzig erscheinende Entfernung über den kleinen (und hoffentlich letzten!) trennenden Höhenzug zum Alvundfjord zu überwinden.

Und dann taucht endlich die letzte Ortschaft auf; „Fuglvag“ ist als Name des Camping-Platzes ausgeschildert. Wir rollen einen Feldweg zum Fjordufer hinunter und schellen am einzigen Holzhaus. Ja, das ist richtig hier! Wir zahlen unseren Übernachtungspreis und fahren durch ein kleines Wäldchen weiter bis direkt ans Ufer. Hier endet der Fjord und wir haben eine tolle Aussicht weit hinaus über die Wasserfläche. Schnell sind die Zelte hochgezogen; neben uns nur einige wenige andere Camper, die uns kaum beachten.

Zum Schutz gegen doch recht kräftig von See her wehenden Wind müssen wir den Windschutz um den Kocher herum aufstellen; dann machen wir uns ans Kochen und genießen dabei die Aussicht nach allen Seiten: vor uns die See; hinter uns steil aufsteigend das Gebirge. Und der Himmel über uns immer noch wolkenlos blau.

Nach dem Abendessen sitzen wir noch lange am Ufer und schauen den leise plätschernden Wellen zu. Man merkt aber doch, daß es mit dem Untergehen der Sonne merklich kühler wird. Fröstelnd ziehen wir uns in unsere Schlafsäcke zurück.


Samstag, 9.7.94, 17. Tag

Es ist kalt heute morgen! Zwar wieder sonnig, aber eben merklich abgekühlt über Nacht! Zeit, sich mit warmen Fleece-Sachen einzuhüllen. Eine Stunde später sieht das zum Glück aber schon wieder ganz anders aus: Sonnenschein und steigende Temperaturen, die uns die kurzen Sachen heraus holen lassen.

Nach dem Zeltabbau genießen wir noch einmal die im Preis inbegriffenen Duschen, ehe wir mit den Rädern zur Hauptstraße hochfahren. Vielleicht schaffen wir heute einen Großteil der Strecke bis Molde – das müßten laut Reiseführer noch etwa knapp 100 Kilometer sein. Mal sehen, wie es läuft. Und am Fjordufer entlang rollt es heute wirklich prächtig! Kaum Steigungen und eine fantastische Sicht auf den Fjord. Am späten Vormittag erreichen wir eine kleine Bucht, in der schon fleißig gebadet wird. Wir lassen uns ebenfalls nieder zu einem zweiten Frühstück. Jan meint, seine Gangschaltung würde etwas schwer laufen. Andree rät ihm, das Zugkettchen doch etwas zu schmieren. Gesagt, getan – das Zugkettchen ist schnell herausgedreht und glänzt nach einer reinigenden Behandlung bald wieder wie neu. Jetzt noch ein wenig Öl, und die Sache müßte eigentlich wieder „wie geschmiert“ laufen. Unsere Mädchen haben sich inzwischen dem allgemeinen Badetrend angeschlossen; wagen sich aber nur bis zu den Knien ins Wasser (das hatten wir doch schon mal vor 2 Tagen ?).

Morgenstimmung am Fjord Verhängnisvolle Fehlentscheidung! Merke: Zugkettchen an einer Schaltung sind mit äußerster Vorsicht zu bedienen... Na also, heute trauen sich auch unsere Damen ins Wasser

Bei Jan wird es nun immer lauter, als er schimpfend versucht, das Kettchen wieder in die Nabe einzudrehen. Als das endlich geschafft ist, funktionieren nur noch 2 der 5 Gänge – eine Reparatur mit schwerwiegenden Folgen.

Es hilft nichts – wir müssen auch mit diesem Defekt weiter: heute ist Samstag, und das letzte Geschäft wird wohl in Tingvoll, am anderen Fjord, sein. Und wann die für`s Wochenende schließen, ist uns nicht genau bekannt. Also muß Jan halt mit den verbliebenen Gängen fahren.

Von Tingvoll geht 1o mal täglich eine Fähre hinüber nach Angvik; dort sind wir schon auf einer Art Halbinsel, die uns geradewegs nach Molde bringen wird. Mit hängender Zunge rauschen wir dann gerade noch rechtzeitig vor dem Schließen des Supermarkts in Tingvoll ein; jetzt schnell für`s Wochenende eingekauft!

Und dann die schockierende Mitteilung der Leute am „Hafen“: eine Fähre nach Angvik gibt es schon lange nicht mehr! Stattdessen gibt es eine neue Straßenverbindung mit einigen neuen Brücken. Für uns heißt das aber leider, einen Umweg von mindestens 80 Kilometern machen zu müssen. Zeit, Frank Pathe ausgiebig zu verfluchen für seine ungenauen Recherchen! Dem werden wir nach unserer Rückkehr einen Brief schreiben. Wir sind erstmals ratlos!

Nur, das nützt uns heute und hier in Tingvoll auch nichts! Wenn wir nach Molde wollen, müssen wir nordwärts den gesamten Fjord umfahren. Und dazu kommt gleich auch noch eine tolle Steigung aus Tingvoll heraus – die Stimmung ist doch ein wenig abgesackt. Mit Molde am heutigen Abend wird es also nichts mehr.

Und der Fjord zieht sich! Abwechslung bringen die diversen Tunnel, in denen wir sogar Licht einschalten, sowie die gute Rundumsicht auf die Berge von Trollheimen. Es wird zunehmend bedeckter und wir ziehen uns lange Hosen an.

Nach etwa 30 Kilometern erreichen wir das Gebiet der neu gebauten Fjordüberquerungen. Hier sind wir über die Konstruktion der ersten der drei Sundüberquerungen verblüfft: die Ingenieure haben sich eine Ponton-Brücke einfallen lassen, die sogar den Gezeitenunterschied verkraften kann. Für eine Brücke wäre eine Überspannung ohne Pfeiler nicht möglich gewesen – und ein Pfeiler wäre im tiefen Fjord nicht zu verankern gewesen.

In einem Info-Center, praktischerweise gleich mit einer Cafeteria und einer Pölser-Bude verbunden, können wir uns über alles genau informieren. Ein aufgebautes Teilstück des Original-Rohres reizt zu Kletterkünsten.

Endlich kommt die Brücke in Sicht Ein Meisterwerk der Ingenieure Allerdings waren das so an die 80 Kilometer Umweg für uns

Wir befinden uns nun auf einer Felseninsel mitten zwischen vier Fjorden. In wenigen Kilometern gabelt sich unsere Straße: durch einen gigantischen Tunnel geht es unter einem der Fjorde hindurch nach Kristiansund draußen am Meer; über eine Mini-Golden-Gate können wir dagegen weiter in Richtung Molde fahren.

Aber nun gibt es die nächste Hiobs-Botschaft: Jan`s Gangschaltung macht nun ernsthafte Probleme! Konnte er bislang den Ausfall der Gänge durch puren Krafteinsatz einigermaßen wettmachen, wird das Treten nun plötzlich immer schwerer; von den nun deutlich zu hörenden, mahlenden Geräuschen im Getriebe ganz zu schweigen. Bedenklich, bedenklich – hier deutet sich ein Fehler an, den wir mit unserem Werkzeug wohl nicht mehr beheben können. Molde ist da unsere einzige Hoffnung. Aber wie hinkommen? Das sind ja noch mindestens 60 Kilometer – mit dieser Schaltung nicht mehr zu machen!

Wir probieren alles aus, was uns einfällt – das Rad schleift weiter und auch die Geräusche verschwinden nicht. Außerdem ist es inzwischen unangenehm kühl geworden. Der heutige Tag kann als Pechsträhne verbucht werden!

Wir beschließen, erst einmal bis zur Brücke weiterzufahren, sie zu überqueren und dann nach einer Bushaltestelle an der Verbindungsstraße Kristiansund – Molde Ausschau zu halten.

Der Anblick der plötzlich nach einer Kurve vor uns auftauchenden Brücke verschlägt uns den Atem: schon von weitem wirkt das Bauwerk gigantisch! Allerdings verschlägt uns auch das Preisschild, das vor der nun vor uns auftauchenden „Bomstasjon“ steht, den Atem! Für einen PKW sind 50 Kronen fällig; für jede Person zusätzlich 20 Kronen.

Die wollen wir natürlich nicht unbedingt berappen! Wir sind der Meinung, daß Radfahrer, die umweltschonend bislang an die 600 Kilometer durch Norwegen gefahren sind, nicht noch für eine Straßenbrücke bezahlen sollten – okay, bei der Fähre hätten wir das ja noch eingesehen. Aber wegen dieser neuen Brücke sind wir ja schließlich auch etliche Kilometer zusätzlich gestrampelt!

Also pirschen wir uns mit den Rädern unauffällig näher an die Brücke heran. Irgendwas machen wir dabei aber falsch – unser „Schleichweg führt geradewegs auf die Mautstation zu. Also wählen wir eine andere Strecke in dem unübersichtlichen „Spaghetti-Knoten“ der Zufahrtsstraßen – und landen wieder da, wo wir gerade hergekommen sind! Also nochmals von vorne – leider mit dem gleichem Erfolg.

Wir haben die Wahl: entweder durch die Mautstation schieben und so tun, als ob uns da alles nichts anginge, oder aber die Räder samt Gepäck direkt an der Brückenauffahrt über eine Leitplanke hieven um auf direktem Weg so die Mautstation zu umgehen.

Wir entscheiden uns für die zweite Lösung und bemühen uns, so unauffällig wie möglich die Brücke hinaufzufahren. Das machen wir vorsichtshalber auf dem neben der Fahrbahn herlaufenden Fußgängerstreifen – die Fahrbahn steigt doch ziemlich steil an, und wir wissen nicht, ob wir die gesamte Steigung schaffen werden.

Und bei dem Tempo der vorbeirauschenden Autos wollen wir nicht unbedingt mit ihnen auf einer gemeinsamen Fahrspur die Brücke hinaufwackeln. Inzwischen sind wir von der doch recht anstrengenden Tagesetappe mit ihren vielen kleinen und großen Steigungen auch spürbar ermüdet.

Das Brückenbauwerk ist doch recht gewaltig, wenn man sich direkt davor befindet! Von oben haben wir einen weiten Blick über den Fjord; die bereits ziemlich tiefstehende Sonne spiegelt sich silbern im Wasser tief unter uns. Leider verheißen auch die dunklen Wolken am Horizont nichts Gutes. Nach vielen Tagen Sonnenschein scheint sich das Wetter zu ändern.

Am anderen Ende der Brücke finden wir auch prompt eine Bushaltestelle; sogar noch mit einem Wartehäuschen. Wir lassen uns hier im Windschutz nieder und kochen unser Abendessen: Spaghetti mit Tomatensauce. Mit einer warmen Mahlzeit im Bauch sieht die Welt schon wieder etwas freundlicher aus. Bald darauf kommt auch ein großer Überlandbus in die Haltebucht; wir fragen kurz wegen des Radtransports, und sieh an: damit gibt`s keinerlei Probleme. Der Fahrer hilft uns sogar beim Verstauen der Räder.

Dann machen wir es uns auf den Sitzen gemütlich und „lassen fahren“ – eine willkommene Abwechslung nach den vielen Tagen im Sattel. Die Reise geht entlang eines schmalen, langgestreckten Fjordarms – auf der gegenüberliegenden Halbinsel wären wir eigentlich unterwegs gewesen, wenn die Fähre gefahren wäre. Aber was soll`s mit „wenn“ und „wäre“! Jetzt sind wir im Bus unterwegs nach Molde und hoffen dort auf eine Reparaturmöglichkeit für Jan`s Fahrrad.

Wir unterhalten uns mit dem Fahrer und erklären ihm unser Problem. Er meint, in Molde gäbe es mehrere Fahrradgeschäfte, die uns sicher weiterhelfen könnten. Das Problem dabei ist nur, daß es jetzt Samstagabend ist, und am Sonntag bestimmt keines dieser Geschäfte geöffnet haben wird.

Aber das ist auch kein Beinbruch! Dann müssen wir eben zwei Tage in Molde auf einem Campingplatz bleiben bis Montagmorgen. Molde bietet sicher eine Menge an Dingen, die es zu entdecken gilt. Wir müssen halt aus jeder Situation das Beste machen – und das ist ja auch irgendwo mit der Reiz einer solchen Tour durch ein unbekanntes Land: wir müssen uns immer wieder auf Neues einstellen und sehen, wie wir damit fertig werden.

„Molde, 21.500 Einwohner, Hauptstadt des Bezirks „Möre und Romsdal“, geschützt liegend am Molde-Fjord mit einer besonderen Klimagunst durch den Golfstrom und die Südlage. Hat den Beinamen „Stadt der Rosen“, weil hier viele Pflanzen gedeihen, die auf Wärme angewiesen sind.“

Gut, gut – nur paßt das leider nicht zu der immer gefährlich stärker werdenden Bewölkung: es sieht stark nach Regen aus in Molde! Unser Busfahrer hält direkt an einem Campingplatz und läßt uns aussteigen. Wir betreten das Empfangsgebäude und erkundigen uns nach den Preisen: einer Großstadt würdig! Der Platz selbst ist dann allerdings überhaupt nicht „würdig“, als Campingplatz bezeichnet zu werden!

Alles liegt dicht an dicht; der gesamte Platz ist voll ausgebucht. Zum Fjordufer hin ist gar nichts für unsere Zelte zu finden – der einzige ebene Grasplatz befindet sich unmittelbar an der Hauptstraße; nicht einmal durch einen Zaun vom Platz getrennt. Wenn hier ein Wagen von der Fahrbahn abkommt, landet er unweigerlich auf/in unseren Zelten. Dummerweise haben wir schon bezahlt, 2x 115 schöne Kronen!

Also bauen wir unsere Zelte auf und hoffen auf vernünftige Autofahrer. Nach dem Aufbau streifen wir über den Platz; es ist aber nicht viel los, lediglich die Mücken leisten uns mal wieder gern Gesellschaft. Nach diesen Aufregungen des Tages ziehen wir uns bald in unsere Schlafsäcke zu einem versöhnlichen Schlummertrünkchen zurück.



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