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Ostermontag, 24.4.2000, 10. Tag

Als wir vor die Türe treten, begrüßt uns schon wieder gutes Wetter; es ist zwar nach wie vor windig; aber außer ein paar weißen Wölkchen trübt nichts den blauen Himmel. Also die normale T-Shirt-Ausrüstung. Der Dottore ist auch schon auf und will uns erneut zu einem Ausflug überreden. Zumindest aber müssen wir mit ihm einen Stadtbummel machen. Er möchte uns eine alte Kirche und einen Park zeigen. Also wird alles schnell zusammengepackt und nachdem die Fahrräder marschbereit sind, gibt es noch ein Gruppenfoto mit dem Dottore.

Grupppenfoto mit unserem freundlichen Gastgeber Mobiler Osteraltar Abschied von unserem Dottore

Er fährt nun vor und wir haben wieder einmal Mühe, seinem doch etwas schnelleren Wagen durch die Straßen von Villamar zu folgen. Er hält schließlich auf einer großen Piazza vor einer Art Palast; hier können wir zunächst einmal ein merkwürdiges Gebilde bestaunen (s. Foto), dass wohl noch von der Osterprozession übrig ist. Weiter geht es dann zu einem kleinen Kirchlein, zu dem der Dottore den Schlüssel hat. Die Außenwände sind ziemlich angeschlagen durch ein Erdbeben; innen sieht aber alles noch ganz manierlich aus. Stolz führt Gianni uns die Funktion der Messglocke vor.

Von allem sollen wir viele Fotos und Videoaufnahmen machen, bedeutet uns Gianni. Dann ziehen wir zu einem kleinen Park; hier sitzen wir in der Sonne und halten mit unserem Gastgeber ein letztes Pläuschchen. Und danach heißt es Abschied nehmen von unserem Dottore, der uns eine unvergessliche Übernachtung ermöglicht hat.

Ein kurzes Frühstück in einer Bar von Villamar, dann sind wir unterwegs in Richtung Barumini. Nach drei Kilometern stößt von links die Strecke von Mandas kommend zu uns; ab jetzt sind wir auf einer schon bekannten Route unterwegs. Martin findet sogar die Ruine wieder, an der er 1989 mit 30 Pfadfindern lagerte. Eine Augenweide kurz vor Barumini bietet ein riesiges Mohnfeld in leuchtender Rotfärbung. Viele Autofahrer halten hier an und machen Fotos – wir schließen uns diesem Treiben natürlich auch an, zumal im Hintergrund sehr schön das Castello von las Plassas zu sehen ist.

Phantastisches Mohnfeld Unsere Standardbar in Barumini Olivenbäume überall

An der (einzigen) Kreuzung von Barumini lockt natürlich „unsere“ Bar; mein Gott, wie oft haben wir auf den verschiedenen Touren hier schon gesessen! Heute, am Ostermontag, ist hier natürlich der Bär los; alles voller Ausflügler, und wir haben zunächst Mühe, draußen einen Tisch für uns zu ergattern. Sogar Fahrradgruppen kommen hier an der Kreuzung vorbei; vermutlich alle auf dem Weg zur nur noch 2 Kilometer entfernten Nuraghenfestung „Su Nuraxi“. Wir werden uns heute nicht dorthin begeben; zu oft haben wir sie nun schon besucht. Stattdessen genießen wir unser Eis und ein erfrischendes Bier, scheint doch die Sonne schon wieder heftig! Das Kartenstudium zeigt uns, dass es nun ernst wird mit dem Anstieg ins Hochgebirge. Noch liegen wir bei 202 Metern hier an der Kreuzung; der nächste Ort, Gesturi (am Rande der gleichnamigen „Giari di Gesturi“) liegt bereits auf 310 m. Und dann geht es Schlag auf Schlag: Nuragus schon 359 m, Nurallo 450m und Laconi 551 m. Aber bis dahin werden wir heute wohl noch nicht kommen.

Wir packen uns als Wegzehrung noch einige Getränke ein und füllen auch sämtliche Wasserflaschen am Bartresen auf. Dann starten wir in nördlicher Richtung. Ein Kilometer weiter lockt dann eine schöne Stelle inmitten alter Olivenbäume zu einer ausgiebigen Mittagspause.

Mit dem Wasservorrat können wir uns ausgiebig waschen. Danach holen wir die Isomatten raus und machen es uns auf der Wiese gemütlich. Diesmal haben wir einen schönen Ausblick auf das vorhin schon erwähnte Castello von der anderen Seite; zwischen den alten Olivenbäumen durch. Wirklich eine erholsame Mittagsrast! Aber irgendwann wird man auch das faule Herumliegen in der Sonne leid und es juckt einem förmlich in den Füßen – selbst wenn man weiß, was jetzt auf einen zukommt: und das ist sofort ein Pfeil auf der Straßenkarte! 4-7% bedeutet das übersetzt; für ein vollbepacktes Rad schon ganz schön!

Beim langsamen Aufwärtsfahren auf den Ort Gesturi zu haben wir nach links einen Ausblick auf die „Giari di Gesturi“. Ursprünglich wollten wir dort mit dem Rad durchfahren; bei genauerem Studium der Beschreibung haben wir den Plan aber fallen lassen.

„Giari di Gesturi. Sardiniens ausgedehntestes Basaltplateau, 12 Km lang und bis zu 4 Km breit. Eine riesige Hochfläche, auf der über 1500 verwilderte Pferde leben. Sie wird „überragt“ von zwei flachen Erhebungen, dem M. Zepparedda (609m) und dem M. Zeppara Manna (580m). Die Giara ist ein Terrain zum sich verirren. Deutliche Anhaltspunkte gibt es kaum, die Wasserflächen ändern dauernd ihre Größen. Ein nicht endender, lockerer Korkeichenwald, berühmt für die „wilden“ Pferde. Wildpferde sind sie aber streng zoologisch gesehen nicht: sie sind Nachkommen der Hauspferde der Nuraghenzeit, als die Giara eines der wichtigsten Bollwerke gegen die eindringenden Phönizier und Römer war. Die Nuraghenreste rings an den Rändern der Giara weisen sie noch deutlich als Festung aus. Die Bestimmung der Pferde ist längst nicht so edel, wie manches Sardinien-Reisebuch wissen möchte! Sicher, als Lasttier müssen sie nie den Rücken krümmen, aber zur Zucht werden sie kaum verwendet. Was bei der jährlichen Jagd dafür geeignet scheint, endet als Schlachtvieh.“

1999 haben wir mit den Jungpfadfindern schon mal oben auf der Giara biwakiert; damals sank das Thermometer im Oktober auf unter null Grad! Vor allem die Mädchen waren damals ganz heiß auf die Pferde; leider haben wir nur ganz wenige gesehen. Und in diesem Jahr werden wir also dran vorbeifahren. Pferdeliebhaber gibt es unter uns nicht – also gleich weiter in den Ort hinein. Dort gibt es bizarre Skulpturen zu bestaunen.

Sehenswerte Skulpturen im Ortskern von Gesturi Ein bisschen Spaß muss sein

Nachdem wir unseren Schabernack mit den neckischen Skulpturen getrieben haben, werden wir etwas weiter oben im Ort von einem Sarden angesprochen und in eine kleine Kirche gebeten. Wir wissen zwar nicht, warum wir da rein sollen, folgen ihm aber – lassen vorsichtshalber draußen aber jemand bei den Rädern zurück. Innen dann ein ganz normales Kirchlein. Bein Hinausgehen hält der Sarde nun seine Hand auf und möchte gerne 1000 Lire von jedem von uns. Das ist das erste Mal, dass uns jemand auf Sardinien anbettelt! Wir lehnen dankend ab!

Inzwischen geht es auf den Nachmittag zu und wir klettern weiter bergan über Nuragus bis nach Nurallo. Und hier treffen wir auf einen kleinen Park mit einem schönen Brunnen. Da wir heute sowieso nicht weit über diesen Ort hinaus wollten, beschließen wir, hier bereits das warme Abendessen zu kochen und am Brunnen auch gleich zu spülen. Während Martin und Marianne sich mit dem Schreiben von Postkarten beschäftigen, gehen die drei Jungen unter den aufmerksamen Blicken einiger junger Sardinnen auf dem angrenzenden Spielplatz an die Arbeit. Heute steht Gulasch mit Klößen auf dem Speiseplan; da gibt es eine Menge zu tun. Nach diesem Essen noch ein kleines Verdauungspäuschen; dann geht es aus Nurallo schon wieder den Berg hinauf. Eine landschaftlich schöne Strecke soll es laut Karte sein – uns stört nur daran, dass Meter um Meter entlang der Straße auf beiden Seiten mit Stacheldraht eingezäunt ist. Und da, wo Toreinfahrten sind, versperren solide Eisentore den Zutritt.

Es ist zwar noch etwas Zeit bis zum Sonnenuntergang und wir könnten – auch konditionsmäßig gesehen - noch etwas weiterfahren – wollen aber dennoch auf den nächsten zehn Kilometern vor Laconi unbedingt Schluß machen. So könnten wir morgen früh in Laconi nochmals eine Bar ansteuern und Wasser und Getränke nachfüllen; danach kommt ins Gebirge hinein lange nichts mehr (außer Steigungspfeilen)

Dann kommen wir auf der linken Seite an einem steil abfallenden Feldweg vorbei; wir erkunden zu Fuß die Lage und stehen nach kurzer Zeit auch schon wieder vor einem der hier wohl typischen Eisentore – vor dem Tor wäre aber durchaus Platz für unsere beiden Zelte auf einem Grasstreifen neben dem Feldweg. Und von der Straße aus kann man uns – so tief gelegen – auch nicht sehen.

Während wir noch beraten, nähert sich von oben eine Gruppe Mountain-Biker; ebenfalls mit Gepäck. Sie halten an – denn so viele Radfahrer auf großer Tour begegnen sich auf Sardinien nicht – und wir tauschen Erfahrungen aus. Es scheinen Österreicher oder Schweizer zu sein. Sie sind gerade von Desulo den Berg heruntergekommen. Wir erzählen von unseren Touren und geben noch ein paar Tips für die vor ihnen liegende Strecke. Und weil das alles Zeit gekostet hat, sind wir anschließend schnell einig: wir bleiben heute über Nacht hier; vor dem Tor.

Und gut, dass wir es nicht hinter dem Tor versucht haben! Wir haben gerade die Zelte hochgezogen, da erklingt ein schnell näher kommendes, inzwischen vertrautes Geräusch: eine Schafherde ist auf der Straße oberhalb von uns im Anmarsch! Und tatsächlich, sie biegen in unseren Weg ein und verharren nun genauso überrascht von unserem Anblick wie wir von ihrem! Aber da kommt auch schon der Hirte und öffnet das Eisentor. Mit großem Sicherheitsabstand rennt die Herde nun an unseren Zelten vorbei. Der Hirte grüßt noch freundlich (gegen unser Zelten hat er anscheinend nichts) und dann ist der ganze Spuk auch schon wieder vorbei. Eine Abendüberraschung!

Wir erkunden nun noch ein wenig die Gegend. Neben unserem Platz schwingt sich ein Hügel hinauf; wir erklimmen ihn und haben von oben einen fantastischen Ausblick über die gegenüberliegende Giara di Gesturi samt Sonnenuntergang.

Wir warten noch, bis die Sonne dann ganz verschwunden ist und machen uns auf dem Brenner schnell einen heißen Cappuccino – man spürt bereits die nahende Nachtkälte. Und hier, inzwischen auf gut 500 Metern Höhe, wird es vermutlich doch etwas kälter werden als an der Küste. Nach diesem letzten, wärmenden Trank geht es dann in die Schlafsäcke.

Tagesstrecke: 34,66 Km; Schnitt: 12,33 Km/h; Max: 44; Gesamthöhenmeter bergauf: 4966m, bergab: 4588m Gesamtstrecke: 339 Km Wetter: durchgehend sonnig und ziemlich warm


Dienstag, „Tag der Befreiung“, 25.4.2000, 11. Tag

Wieder weckt uns die Sonne! Wieder strahlendblauer Himmel. Einziger Wermutstropfen: alle Geschäfte sind wohl immer noch geschlossen wegen des Feiertages. Unsere Brotvorräte sind weitgehend aufgebraucht; was wir noch haben, ist eigentlich nur noch im allergrößten Notfall genießbar. Und vielleicht haben wir in Laconi gleich ja doch Glück? Also machen wir uns an den Zeltabbau und nehmen nur einen Cappuccino als Stärkung zu uns.Inzwischen hat sich auch die alltägliche Arbeit des Lagerabbaus zur Routine entwickelt; jeder weiß, worum er sich zu kümmern hat. Die Schlafsäcke lassen wir meist über den Fahrrädern auslüften, da die Außenzelte eigentlich immer recht naß vom Tau sind.

Sobald aber die Sonne erst einmal da ist, trocknen auch die Zelte sehr schnell ab. Dann wird alles in den Packsäcken verstaut; die Häringe werden gesäubert und eingesammelt; das Gestänge vorsichtig in die Beutel geschoben. Isomatten rollen, Schlafsäcke in die Kompressionssäcke gestopft; Koch- und Essgeschirr verstaut.

Als letzte Arbeit steht dann immer das Eincremen mit Sonnenschutzmittel an; inzwischen haben wir uns zwar an die Sonne gewöhnt; Ohren und Nasen sind aber immer noch stark gefährdet. Dummerweise kann man nach dem Eincremen nur noch schlecht schalten.

Wir schieben die Räder den steilen Feldweg zur Straße hoch und steigen nach einem letzten, prüfenden Blick über das Gelände auf. Dieser Blick gilt einmal eventuell vergessenem Material (einmal haben wir die kompletten Häringe liegen lassen….), zum anderen eventuell nicht eingesammelten Abfällen. Denn die nehmen wir selbstverständlich immer zum nächsten Container mit; einer muß sich erbarmen und die Tüte aufschnallen. Bei der Weiterfahrt haben wir noch einmal einen guten Blick auf die links neben uns liegende Giara di Gesturi; inzwischen sind wir schon fast auf gleicher Höhe angekommen. Das Fahren in der frischen Luft macht Spaß!

„Laconi. Der alte, verschachtelte Ort, an den Hang eines steilen Berges gebaut, erinnert in seinen kargen Formen schon an Barbagia-Orte. In der Hauptstraße Murales. Im oberen Ortsteil Geburtshaus und Kirche des Fra Ignazio da Laconi, der sich viel mit einer hölzernen Madonna unterhielt und für kleinere Wunder in Landwirtschaft und Regenmacherei (aha, ein guter Bekannter von Gott Güpi!) zuständig ist.Daneben Park und Reste eines Kastells, ein dichter schattiger Steineichenwald mit vielen Quellen; ein Ort für sonntägliche Picknicks der Landbevölkerung dieser sonst schattenlosen Region.“

So etwa vier bis fünf Kilometer haben wir bis zu diesem Ort noch vor uns; auch unter Berücksichtigung des Straßenpfeiles kurz vor dem Dorf selbst ohne Frühstück kein größeres Problem. Aber – die Chancen auf ein Frühstück dort stehen wegen des Feiertages nicht gut!

Und so kommen wir mit bangen Befürchtungen im Zentrum des Ortes an. Es gibt hier wirklich einen schönen schattigen Park; dazu Bänke, die zum Ruhen einladen. Aber was noch schöner ist: hier gibt es eine Art Imbissstand, der geöffnet hat!

Frühstück in Laconi Öffentliche Brunnen-willkommene Waschgelegenheiten

Wer möchte, kann zumindest einige Süßigkeiten gegen den kleinen Hunger zwischendurch erstehen. Und auch kühle Getränke gibt es im Angebot. Darin lässt sich zumindest das harte Brot vom Karsamstag einweichen….
Schade, dass wir nicht das sardische Hirtenbrot auf dem Gepäckträger transportieren konnten – das wäre besser! Nach der Rast fahren wir etwas höher in das Dorf und stellen fest, dass hier erst der eigentliche Ortskern beginnt. An einer Bar fragen wir nach Brot nach und erklären, dass unsere Vorräte von Samstag langsam erschöpft sind. Und was geschieht: der Barkeeper ruft andere Leute herbei und die gehen mit uns zu einem Laden in einer der Nebenstraßen. Der hat zwar die eisernen Rolläden heruntergelassen; unsere Begleitung macht aber die Besitzerin mobil und die wiederum öffnet für uns den Laden! Jetzt heißt es schnell sein: Brot, Käse, Wurst und Butter samt (warmen) Getränken werden von uns im Handumdrehen erstanden. Mit vollen Tragetaschen geht es zurück zu den anderen, die geduldig bei den Rädern vor der Bar gewartet haben. Dies ist nun wirklich eine erfreuliche Wendung der Dinge! Wir bedanken uns bei allen, die uns weitergeholfen haben und verpacken die Lebensmittel in den inzwischen merklich leerer gewordenen Satteltaschen.

Unser Weiterweg führt uns dann bald aus dem Ort hinaus; es geht immer höher hinauf und wir liegen inzwischen schon bei etwa 650 Höhenmetern. Und so, wie im Reiseführer beschrieben, zeigt sich die Landschaft auch wirklich weitgehend schattenlos. Dafür ist aber auch eine gute Rundumsicht möglich. Na, und gegen die Hitze haben wir im Prinzip auch gar nichts einzuwenden – so soll es ja schließlich sein in Osterferien auf Sardinien! Wir nutzen die Gunst der Stunde und lassen ein wenig unsere Oberkörper bräunen. Wir werden nun schon seit einiger Zeit von einer alten Eisenbahntrasse begleitet, können uns aber nicht vorstellen, dass hier noch Züge fahren. Die Schmalspurstrecke nach Arbatax ist es jedenfalls nicht, denn die ist schon bei Mandas östlich abgebogen. Für uns viel wichtiger ist ein Hinweis auf der Straßenkarte: Fontana di Fontamela. Dabei kann es sich doch wohl nur um einen Brunnen neben der Straße handeln! Und so ist es auch – an der angegebenen Stelle finden wir eine große, gemauerte Brunnenanlage, aus der beständig klares, erfrischendes Wasser strömt.

Diese Gelegenheit lassen wir natürlich nicht ungenutzt vorbeiziehen – und so kommt es in der Folge zu einem fröhlichen Badefest (einschließlich gegenseitiger Wasserspritzerei). Dabei denken wir an Bosa im letzten Herbst zurück, wo wir für das gleiche Vergnügen bitterböse Worte der Sarden ernteten. Hier aber strömt das Wasser ungenutzt in den Straßengraben – da können wir uns ja wohl auch genau so gut vorher dran ergötzen! Nach dieser höchst erfrischenden Einlage, die zudem noch durch ein Frühstück abgerundet wird, heißt es dann im weiteren Straßenverlauf weiter ansteigen, ehe sich das Gelände vorübergehend abflacht und wir über eine große Ebene fahren.

Großen Grund zur Freude haben wir darüber jedoch nicht: vor uns türmen sich schon die nächsten Gebirge auf – und vom Kartenstudium her wissen wir ganz genau, dass uns das Schicksal eines erneuten Aufstieges nicht erspart bleiben wird! Der alles entscheidende Punkt für unseren Weiterweg ist die Kreuzung an der Cantoniera „Ortuabis“. Die liegt nun kurz vor uns – und immerhin schon auf einer Höhe von 840 Metern! Das Fernziel ist auf jeden Fall eine erneute Straßenkreuzung an der unterhalb von Tonara liegenden Cantoniera mit 794 Höhenmetern. Wenn die Straße auf den etwa 35 Kilometern bis dorthin auf gleicher Höhe bleiben würde…..; nun, das tut sie natürlich nicht! Wir haben die Wahl zwischen zwei Verbindungen, die beide in etwa gleich lang sind: rechts über Aritzo(796 m) und Tonara (930 m) – dann allerdings vor Aritzo noch über einen Paß mit stolzen 1040 m Höhe! Dazu noch durch einige kleinere Flusseinschnitte bergab und bergauf. Links herum würde es über Meana (599 m) bis zu einem Flusstal auf nur noch 329 m(!) abfallen; danach aber über Atzara (543 m) und Sorgona (700 m) zur Kreuzung gehen – halt, dazwischen wäre noch eine kleiner Paß von 930 Metern zu überwinden. Alles in allem dürfte die rechte Variante zwar höher; insgesamt aber weniger an Höhenmetern haben. Während wir dies noch beim fahren diskutieren, erscheint vor uns auch schon rechts die Cantoniera und – was erfreulicher ist – direkt gegenüber eine einsam liegende Bar! Schon sind wir drin!!

Letzte Verpflegungsstation vor dem Paßanstieg Langsam kommen wir dem Pass näher

Bei Eis und durstlöschenden Getränken kommen wir mit dem Chef der Bar ins Gespräch; wir zeigen ihm die Karte und er empfiehlt uns auch die rechte Variante. Und außerdem spendiert er uns ein Bier, als er von unserer bisherigen Tour hört und erfährt, was wir noch so alles vorhaben. Wir revanchieren uns mit einem Foto bei der Abfahrt.

Und dann geht es an den Anstieg; die Augen verfolgen den Höhenmesser, der dankenswerterweise Meter um Meter steigt. Die Aussicht lenkt zusätzlich von der inzwischen doch recht großen Hitze ab; weit reicht inzwischen der Blick zurück auf die Gegend, aus der gekommen sind; einschließlich bis hin zur Giara di Gesturi. Der Schweiß läuft uns bei diesen Temperaturen den Rücken hinunter; ein kühlender Fahrtwind existiert nicht, weil wir natürlich fast nur noch im Schritttempo fahren. Aber langsam fahren ist immer noch einfacher als schieben. Dafür ab und zu mal eine Pause. Dann ist es geschafft: der Paß am Vallico sa Casa ist da! 1040 m!

Der pass mit 1040 m ist erreicht! Köstlich kaltes Brunnenwasser in Aritzo Unser Freicamperparadies ist heute hinter der Bahnlinie schwierig zu erreichen

Wer noch genug Kraft hat (oder zuviel davon; wir sollten die Gepäckverteilung mal gründlich überdenken!!), schafft jetzt noch schnell einen Aufstieg auf das erlösende Paß-Schild. Von der Bar sind wir gerade mal so etwa fünf Kilometer entfernt. Jetzt geht es aber zügig (weil schön bergab!) weiter. Das steigert den Tagesschnitt und bringt vielleicht einen neuen Max! Urplötzlich werden wir auf der sausenden Abfahrt dann erst mit einigen wilden Schweinen und kurz darauf mit einer ganzen Kuhherde mitten auf der Straße konfrontiert. Sie werden sich wohl noch lange über die bunten Vertreter dieser seltsamen Spezies gewundert haben, die so plötzlich lautlos auftauchten und schon wieder vorbeigezischt sind. Etwas später haben wir dann einen ersten Blick hinüber auf Aritzo. Mein Gott, das ist ja vielleicht noch weit weg! Aber so lange es gut rollt – nichts dagegen einzuwenden! Und diese letzten Kilometer bis dahin sind wirklich nicht schlecht zu fahren; die Straße schlängelt sich an den verschiedenen Hängen entlang und verliert bis Aritzo ständig an Höhe; alles in allem so an die 240 Höhenmeter.

„Aritzo. 1800 Einwohner. Bergdorf zwischen großen Kastanienwäldern an der SS 295, angenehmes Ambiente und bei den Sarden als Sommeraufenthalt beliebt.“

Na, und dieses angenehme Ambiente wollen wir doch gerne mal testen – auch wenn noch kein Sommer ist. Wir „parken“ unsere Räder auf einer Piazza, und wo sonst – natürlich direkt vor einer Bar. Hier genießen wir in der bereits abendlichen Sonne ein Eis und beobachten das Feiertagstreiben auf der Piazza. Das wird vorwiegend von alten Männern bestritten, die wiederum uns und unsere exotischen Räder begutachten. Einige treten sogar näher und schauen sich die Räder aus der Nähe an.

Mit einem freundlichen „buena sera“ verabschieden wir uns von ihnen, fahren aber noch mal ein Stück zurück, weil wir dort einen Brunnen ausgemacht haben, an dem wir jetzt Wasser für die Übernachtung „tanken“. Und es ist schon ein seltener Anblick, Flobö so mit seinem Becher frisches Brunnenwasser trinken zu sehen, wo der Becher sonst meist zu anderen Zwecken benutzt wird…. . Danach geht es zügig weiter; dummerweise immer noch abwärts, obwohl Tonara doch auf 930 m liegt (seufz!). Wir rauschen durch das nur anderthalb Kilometer entfernt liegende Belvi (hier soll es ein schönes Hotel geben – nicht für uns heute Abend!) und suchen jetzt konzentriert nach einem Schlafplatz. Und das scheint an diesem Abend schwierig zu werden: wir sind auf einer Bergstraße unterwegs; d.h., links ein tiefer Abgrund ins Tal hinein; rechts ansteigendes Gelände; alles schön durch Steinmäuerchen abgesperrt. Kurz darauf quert die Kleinbahn unsere Straße; danach folgt uns nun hangseitig das Gleis. Wir stoppen und überlegen, ob jenseits der Gleise was zu machen wäre. Probieren geht über studieren! Also runter vom Rad, zu Fuß über den Bahndamm; dann über ein etwa meterhohes Mäuerchen auf einen Feldweg – und schau an: dort liegt ja auch noch eine kleine Wiese. Gut, nur – wie bekommen wir die Räder auf die Wiese? Also Taschen abgepackt und alles einzeln über Bahntrasse und Mauer gehievt (immer dann, wenn kein Auto zu hören ist). Wir wollen ja nicht über Gebühr auffallen!

Nach einem letzten Blick zurück auf`s abendliche Aritzo sind wir im Gesträuch verschwunden. Wie wir noch so bei der Überwindung der Mauer sind (bei sechs Rädern und 30 Taschen dauert das!) nähert sich dummerweise eine Frau auf dem Feldweg. Wir fragen also am besten höflich wegen einer Übernachtung nach. Und wieder Glück! Wir sind direkt auf die Besitzerin des Geländes gestoßen (oder sie auf uns). Und sie hat nichts dagegen, dass wir die Zelte für eine Nacht auf der kleinen Wiese (die sich inzwischen als Pferdekoppel herausgestellt hat) aufbauen. Morgen sollen wir zum Haupttor der weitläufigen Anlage kommen; da könnten wir uns den Umweg über das Gleis sparen. Das hört man gerne!

Und so lassen wir uns auf der Wiese nieder und bereiten alles für die Nacht vor – und das heißt, erst einmal Zelte und Schlafplätze in Ruhe herrichten. Dann ist Umziehen angebracht, weil mit dem Untergehen der Sonne auch sehr schnell die Tageswärme nachlässt.

Aber natürlich ist es immer noch hell genug, dass wir in aller Ruhe anschließend kochen können. An diesem Abend steht ein leckeres Linsensüppchen mit viel Zwiebeln und angebratenem Speck auf dem Menu-Plan. Und da müssen viele Köche ran, um Speck und Zwiebeln zu schneiden. Dazu gibt es das Brot aus Laconi.

Ziemlich müde von der ersten richtigen „Berg-Etappe“ der Tour geht es dann bald darauf in die Zelte und die angenehm warmen Schlafsäcke. Nach einem solchen Tag hat niemand Probleme, einzuschlafen und auch bis zum nächsten Morgen durchzuschlafen!

Tagesstrecke: 41,83 Km; Schnitt: 11,13 Km/h; Max: 45; Gesamthöhenmeter bergauf: 6113m, bergab: 5536m Gesamtstrecke: 380 Km Wetter: durchgehend sonnig und ziemlich warm


Mittwoch, 26.4.2000, 12. Tag

Bei gewohnt gutem Wetter kriechen wir aus den Zelten und nehmen im Stehen unseren ersten dampfenden Cappuccino zu uns. Als wir dann mit den gepackten Rädern am Eisentor auftauchen, erwartet uns eine Überraschung: es ist fest mit einer Kette samt Vorhängeschloß verriegelt. Was jetzt? Wir gehen durch das Gelände, treffen auch auf viele Pferde und einen Stall – von Leuten ist aber weit und breit nichts zu sehen. Wir überlegen, ob wir die Räder zurückschieben sollen; Florian klettert dann aber über den mit recht scharfen Spitzen geschmückten Zaun und fragt etwas weiter unten am Bahnwärterhäuschen nach. Hier bekommt er die Telefonnummer des Besitzers, der in Aritzo wohnt. Und mit Hilfe von Florians Handy kann sich Martin nun am Telefon auf Italienisch versuchen – etwas schwierig, da er normalerweise die Konversation zur Hälfte mit Händen und Füßen begleitet. Es klappt aber doch, und der Chef taucht nach zehn Minuten auf und öffnet das Tor.

Wir bedanken uns nochmals und machen uns dann auf den Weg zum Frühstück – und das sind heute so an die acht Kilometer laut Karte. Und leider geht es jetzt hinunter bis auf 677 m. Schade um die schönen Höhenmeter.

Denn wir daran denken, dass Tonara, der nächste Ort, auf 930 m liegt! Und als ob das noch nicht genug wäre: auf der Karte befinden sich kurz vor Tonara nacheinander gleich zwei Pfeile. Und so fahren wir, noch im Schatten des Berges und in den kurzen Sachen etwas kühl an Armen und Beinen, ohne große Freude die Straße weiter bergab. Wir passieren die Bahnstation von Aritzo/Tonara (also muß die Bahn ja doch noch fahren) und schwenken dann in ein steil eingeschnittenes Seitental ein. Und hier sehen wir auf der Gegenseite schon den Anstieg – und was für einen!! Und das alles bereits in praller Sonneneinstrahlung. Tja, bis zum Frühstück wird es heute wohl etwas länger dauern. Svenja klagt zudem über Unwohlsein und Schwin-del – hoffentlich ist es nur eine vorübergehende Kreislaufschwäche. Wir fahren/schieben langsam weiter.

Unterwegs immer wieder mal Pause; wenn es geht, drücken wir uns dabei irgendwie in den Schatten. Von der Sonne haben wir langsam genug mitbekommen. Und Höhenmeter um Höhenmeter arbeiten wir uns so langsam voran; Entfernungskilometer sagen in dieser Landschaft überhaupt nichts! Ein Blick auf die Karte zeigt, dass wir uns jetzt im Bereich des ersten Pfeiles befinden.

Wir sind inzwischen ziemlich nahe am höchsten Berg Sardiniens, dem Punto La Marmora, angelangt. Luftlinie so etwa acht Kilometer. Aber was sagt in solch einer Gebirgslandschaft schon „Luftlinie“. Mit dem Rad würden wir vermutlich den ganzen Tag bis dorthin brauchen – aber das wollen wir zum Glück ja nicht. Unsere Reiseroute führt inzwischen ziemlich genau nordwärts; wenn wir Tonara erreicht haben, müsste es eigentlich allmählich schon wieder abwärts gehen. Ja – wenn wir dann mal da sind….

Der Weg schleppt sich noch eine Zeit so weiter – zugegeben, eine wunderschöne Panoramalandschaft – aber uns plagt nun doch ziemlich ein arges Hungergefühl. Und so sind wir heilfroh, als die ersten Häuser Tonaras auftauchen; wie Schwalbennester an den Hang geklebt. Noch eine letzte Anstrengung (der zweite Pfeil), dann flacht die Straße ein und wir nähern uns dem Ortszentrum. Hier geht es natürlich sofort in den erstbesten Alimentari (vier Tage lang mussten wir uns so über Wasser halten – eine lange Durststrecke!) und wir decken uns ausgiebig mit leckeren Sachen zum Frühstück ein. Wir wussten gar nicht, wie gut frisches Brot duften kann!

Skulptur in Tonara Auch verschlossene Tore lassen sich überwinden Unterwegs auf der SS 128

Und wieder einmal ist es Marianne, die sich der Kultur widmet, während wir anderen noch mit dem Frühstück beschäftigt sind. Wir haben uns in einer Arkade niedergelassen und sitzen dort im Schatten; Marianne streift mit dem Fotoapparat durch die Gassen und entdeckt in einem Park eine ziemlich merkwürdig aussehende Statue. An diesem Tag hat wohl auch die Schule wieder begonnen; viele Schüler strömen an uns vorbei. Die Armen!

„Tonara. 3500 Einwohner. Typisches Bergdorf mit engen Gassen und Granithäusern. Von vielen Ortsteilen weiter Blick über das Tal, dies ist eigentlich der Hauptreiz des Ortes (oh, ja, diesen Blick haben wir gerade ausgiebigst beim Hochschieben genossen). Tonara ist ähnlich wie Desulo aus mehreren Dörfern zusammengewachsen, die man alle noch sehr gut einzeln in den Gärten und Kastanien- und Nusshainen erkennt, die auch alle ihre eigene Piazza und ihren Kirchturm haben. Längs der Hauptstraße Plastiken aus Baumstämmen, die an „Perdas fittas“ erinnern.“

Ziemlich gemästet verlassen wir Tonara und sind dieses Mal froh darüber, nur bequem abwärts rollen zu müssen. Nach drei Kilometern erreichen wir die Abzweigung nach Sorgono; hier wäre unsere Alternativstrecke jetzt herausgekommen. Gut, wir haben es auch auf der Gebirgsroute geschafft – und wir sind ziemlich stolz darauf! Wir sind jetzt auf der SS 128 unterwegs, und das ist wirklich eine angenehme Route für Radfahrer – vorausgesetzt, man ist in der richtigen Fahrtrichtung (also bergab) unterwegs. Diese SS 128 kommt von Sorgono her – und um diesen Ort herum wimmelt es von Doppelpfeilen auf der Straße. Unsere Fahrt führt nun bis Tiana; hier müssen wir erneut entscheiden, wie unser Weiterweg aussehen soll. Wir beschließen nach genauem Kartenstudium, eine Nebenstrecke entlang eines Stausees zu nehmen; Fernziel ist Olzai (474 m) und weiterhin der etwas größere Ort Ottana (bereits nur noch auf 185 m). Die andere Alternative, über Nuoro, kennen wir schon. Außerdem liegen dort mehrere Gebirgszüge quer zur Fahrtrichtung. Und was das bedeutet, wissen wir aus eigener Erfahrung! Leider zeigt der Weiterweg, dass auch eine an und für sich abfallende Strecke zwischenzeitlich noch gehörige Steigungen aufweisen kann. Dennoch, es läuft gut, wir passieren den Stausee und machen unterwegs eine Rast an einem Brunnen (mit Fußbad und sehr viel Plantscherei), ehe wir Olzai am Nachmittag erreichen. Von hier aus geht es stetig bergab in Richtung Ottana. Hier passieren wir eine imposante Kirche, sind aber mehr am nächsten Alimentari interessiert, um uns dort für den Abend mit Lebensmitteln einzudecken. Ottana ist nicht unbedingt das, was man als städtebauliche Schönheit bezeichnen würde. Das wird einem sofort klar, wenn man sich dem Ort schon von weitem nähert. Die Beschreibung von Hans liefert dazu die Hintergrundfakten:

Die imposante Kirche von Ottana Wir bekommen einen Platz neben einem Schrebergarten zugewiesen Bei diesigem Wetter kochen wir erstmals im Zelt

„Ottana. 2600 Einwohner. Ursprünglich nicht mehr als ein Dorf am Rande der Tirso-Ebene, mit Häusern von architektonischem Charme und einer mittelalterlichen Kathedrale im pisanischen Stil, die den Abstecher lohnt. Ottana ist inzwischen aber bekannter für seine „Kathedrale in der Wüste“: einem riesigen petrochemischen Industriekomplex, der nach dem Willen seiner Planer die Probleme von Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung in 50 Km Umkreis lösen sollte. Allein das gigantische Netz von Straßenneubauten in der dünnbesiedelten Tirso-Ebene spricht für sich. Ende der 70er Jahre wurde hier unter norditalienischer Regie und mit erheblichen Zuschüssen eine riesige Kunststofffabrik errichtet, deren synthetische Fasern dann in Norditalien zu Kleidern weiterverarbeitet werden sollten. Dass die Rohstoffe per Schiff nach Sardinien kommen, mag noch angehen und ist typisch für industrielle Großbetriebe. Allerdings: der nächste Hafen ist 100 Kilometer entfernt; einen Gleisanschluß gibt es nicht! Das Werk stinkt jedoch in mehrfacher Hinsicht zum Himmel: einmal wird die Umwelt gewaltig belastet durch den chemischen Ausstoß aus den Schloten. Dann sollten mit Hilfe gewaltiger staatlicher Mittel 8000 Arbeitsplätze geschaffen werden, wozu es nie gekommen ist. Inzwischen wird um die Rettung der letzten 2000 gekämpft. Die Bevölkerung ist verbittert: hätte der Staat nur einen Bruchteil der so verschwendeten Mittel z.B. in die Modernisierung der Viehzucht gesteckt, müsste nicht mehr ein Großteil des Frischfleischbedarfs Sardiniens aus dem Ausland eingeführt werden. Oder Milch, die ultrahocherhitzt von bayrischen Almen auf den sardischen Ladentisch kommt.“

Und hier sind wir jetzt also gelandet und wollen irgendwo übernachten. An der Kirche fahren wir vorbei; pisanischen Baustil hatten wir schon in Tratalias. Unter vielen Schnellstraßenunterführungen hindurch kommen wir wieder in freies Gelände; bei einer Schrebergartenkolonie fragen wir nach und erhalten die Erlaubnis, auf einer Wiese mit ziemlich hoch stehendem Gras die Zelte aufzubauen. Und das machen wir nun auch zügig!

Die Zelte sehen irgendwie merkwürdig in dem hohen Gras aus; geduckt wie Tiere. Wir räumen alles sorgfältig ein. Was man hier im hohen Gras verliert, wird man wohl so schnell nicht wieder finden. Das gilt natürlich besonders für solche Teile wie die Zelthäringe. Heute kommt sofort alles wieder in Beutel und Packsäcke. Danach machen wir uns in aller Ruhe an die Zubereitung eines etwas aufwendigeren Essens. Dafür aktivieren wir – was eigentlich bislang kaum vorkam – beide Kocher; sowohl unseren Coleman-Benziner als auch den guten, alten Kartuschen-Gasbrenner. Beide haben auf dieser Tour ihre Vorteile demonstriert; heute dürfen beide mal gleichzeitig ran.

Wir haben dann die Gelegenheit, einen ungewöhnlichen Sonnenuntergang zu beobachten: etwas verhangen hinter Dunstschleiern; zwischen riesigen Schornsteinen hindurch. Diese Schornsteine dürften wohl auch für den Smog verantwortlich sein, der deutlich sichtbar über der riesigen Tirso-Ebene hängt. Hans Bausenhardt hat das ja deutlich beschrieben. Jetzt sehen wir es mit eigenen Augen. Na gut, morgen sind wir ja wieder weg hier.

Gegen Abend kommt ein starker Wind auf, der die ganze Nacht über unsere Zelte flattern lässt. Und noch etwas stört unsere Nachtruhe: das Kläffen eines Köters, der anscheinend mit unserer Übernachtung absolut nicht einverstanden ist.

Tagesstrecke: 58,75 Km; Schnitt: 13,30 Km/h; Max: 59,5 (!); Gesamt HM bergauf: 7217m, bergab: 7014m Gesamtstrecke: 439 Km Wetter: durchgehend sonnig und ziemlich warm; abends diesiger (Smog)


Donnerstag, 27.4.2000, 13. Tag

Früh sind wir auf; das Wetter zwar nicht schlecht, aber immer noch etwas dunstig. Der Hund hat sich anscheinend beruhigt und schläft jetzt. Heute ist also der 13. (!) Tag; das muß aber ja nicht automatisch ein Unglückszeichen sein…..

Wir beschließen, die wenigen Kilometer zurückzufahren und in Ottana zu frühstücken. Die Karte macht uns klar, dass wir danach auf der gesamten Strecke bis zum heutigen Etappenziel in Budduso keinen Ort mehr ansteuern werden – und damit ist in Ottana gleich auch die letzte Verpflegungsstation für den heutigen Tag. Und ob wir Budduso noch vor Geschäftsschließung erreichen werden, ist zumindest fraglich. Dürften es doch etwa 60 Kilometer nebst einigen „Bodenschwellen“ bis dorthin sein.

Also lassen wir uns im Alimentari nicht lumpen und kaufen großzügig bemessen alles Notwendige ein. Vor einem futuristisch aussehenden Kriegerdenkmal machen wir dann unsere ausgiebige Frühstückspause. Ärgerlich ist der viele Müll und die Unmengen an Glasscherben, die überall herumliegen. Wie gesagt; ganz Ottana macht nicht unbedingt den besten Eindruck. Wir breiten unsere Utensilien dennoch auf den kleinen Stein- mäuerchen aus und lassen es uns schmecken. Uns ist klar: die heutige Etappe wird noch anstrengend werden.

Und erneut müssen wir dann unter den vielen Unterführungen der Schnellstraßen hindurch und einige Kreisverkehre durchfahren. Vorbei am letzten Lagerplatz und an riesigen Industriekomplexen (die wahrlich verwaist aussehen), biegen wir nach zwei Kilometern an einem arg überdimensionierten „Kreuz“ auf eine Nebenstraße ab, die parallel zur eigentlichen Hauptstrecke führt und weniger Verkehr verspricht. Warum man aber eine solch gigantische Kreuzung extra für diese Nebenstraße gebaut hat, bleibt uns schleierhaft. Und nach zwei-, dreihundert Metern geht diese Nebenstraße dann auch noch in eine Sandpiste über, die mit Schotter und Schlaglöchern übersät ist und uns nach weiteren fünfhundert Metern zum Umkehren zwingt. Dafür sind uns die Räder zu schade!!

Also nochmals zurück zur Hauptstraße; auf der weitere drei Kilometer gen Westen und dann geradewegs auf einer schnurgeraden Hauptstraße nordwärts – dummerweise mit argem Gegenwind, der uns merklich abbremst. Da ist man im Bergland doch besser aufgehoben! Nach einigen Kilometern dann links eine schöne Nuraghe; wir lassen uns rechts im Schatten nieder und legen ein zweites Frühstück ein.

Frühstück vor dem Ehrenmal in Ottana Schwerwiegende Panne-das gesamte hintere Schaltwerk ist irreparabel Kettenverkürzung auf ein einziges Zahnrad

Nach weiteren 10 Kilometern macht sich dann doch die unheilvolle Zahl „13“ bemerkbar. Christoph kann plötzlich nicht mehr treten! Wir untersuchen den Schaden und stehen bestürzt vor dem Problem: das komplette Schaltwerk hat sich spiralförmig um die Kette gewickelt; ist total verbogen. Keiner kann sich erklären, wie das geschehen konnte. Christoph weiß es auch nicht. Klar ist nur: da war eine große Kraft am Werk, um das Schaltwerk so zu zerstören – und zwar so gründlich, dass an eine Reparatur nicht mehr zu denken ist. Klar ist aber auch, dass wir heute Abend die Nuraghe Lölle bei Budduso erreichen müssen, weil wir dort eine Verabredung mit dem Bruder von Andreana haben. Na ja, und am 1. Mai geht unser Flieger ab Olbia……..

Auf eine Reparaturmöglichkeit hier auf Sardinien brauchen wir auch nicht zu hoffen: einmal gibt es in der Umgebung nur winzige Ortschaften; die liegen zudem hoch oben am Hang (ein weiter Weg zum Schieben); und eins ist gewiß: ein passendes Schaltwerk für ein deutsches Fahrrad wird man in einer Dorfschmiede bestimmt nicht bekommen können.

So ist ernsthaftes Nachdenken angesagt! Wie war das noch mit Münchhausen, der sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf herauszog – so etwas Ähnliches muß uns jetzt auch einfallen. Und es fällt uns etwas ein! Wer sagt denn, dass man unbedingt eine Schaltung braucht??? Wer genug Kraft hat, ein Schaltwerk zu verbiegen, schafft die „letzten paar Kilometer“ bis Monti locker mit nur einem Gang…..- Eva hat das schon 1991 vorgemacht!

Und den können wir Christoph nach einer Stunde mit vereinter Arbeit von Flobö, Flobe und Martin dann auch anbieten! Die Lösung liegt darin, erst einmal alles Überflüssige abzubauen: komplettes hinteres Schaltwerk, sämtliche Umlenkrollen – übrig bleibt das nackte Kettenritzel mit einer – natürlich viel zu großen – Kette. Die muß jetzt nur noch passend gekürzt werden. Und zum Glück haben wir einen Kettennietendrücker im Werkzeug! Ohne den wären wir jetzt aufgeschmissen. Nach einigen Versuchen haben wir die richtige Kettenlänge dann tatsächlich eingestellt; sie liegt auf beiden mittleren Ritzeln; also ein neutraler Gang. Was übrig bleibt, sind drei Paar extrem schwarzverölte Hände – aber, wir können weiterfahren (Christoph natürlich etwas schwerer).

Was nun folgt, kann man getrost als Tort(o)ur bezeichnen (insbesondere natürlich für Christoph): Gegenwind, dazu ständig leicht ansteigend. Nach der Kreuzung mit der von Benetutti kommenden Straße geht es dann über acht Kilometer richtig bergauf; die Karte zweigt zwar keinen Pfeil (hätte man dort aber getrost einzeichnen können); durch das pausenlose Ansteigen ist es aber alles andere als angenehm! Zwei Jahre später, im Herbst 2002, werden Marianne und Martin die Strecke noch einmal fahren (über Benetutti) und mit mehr Genuß – aber davon können sie heute natürlich noch nichts wissen. Rückblickend hat man aber wenigstens einen weiten Blick auf die dunstige Ebene.

Svenja hat jetzt langsam keine Lust mehr und möchte ein Stück trampen; ein Bauarbeiter-Transit hält auch tatsächlich an und sie kann die letzten Kilometer bis zur Kreuzung ab nach Budduso mitfahren. Das alles geht so schnell, dass wir anderen nur noch zwei Dinge tun können: ihr noch zurufen, dass sie in ein paar Kilometern unbedingt aussteigen muß und dort auf uns warten soll – und außerdem das Kennzeichen des Wagens merken (SS 350 984, Ford Transit, Doppelkabine, Farbe blau…..…).

Marianne beruhigt Martin: in etwa sieben Stunden ist Svenja volljährig (weil dann der 18. Geburtstag beginnt) – und damit muß sie selbst entscheiden, was sie tut. Das ist wenig Beruhigung – denn als wir an der Kreuzung ankommen, ist von Svenja weit und breit keine Spur zu sehen. Jetzt ist guter Rat teuer. Wir beraten die zwei Möglichkeiten: wenn Svenja sofort weitergefahren ist, müssen wir ihr nur hinterherfahren; falls sie aus Verständigungsschwierigkeiten erst die zweite Kreuzung genommen hat, könnten zwei von uns bis dorthin fahren und dann erst nach Budduso abzweigen. Allerdings mit dem Risiko, uns komplett aus den Augen zu verlieren. Wir fahren also zusammen auf der ursprünglichen Strecke weiter und treffen Svenja wohlauf nach etwa fünf Kilometern auf der Straße an; inzwischen hat sie kontakt mit einem Hirten, der uns gerne über Nacht einladen würde (Übernachtung samt Abendessen). Wir verzichten dennoch, weil unser Terminplan nun langsam ziemlich eng wird. Es ist inzwischen so gegen halb sechs – schaffen wir noch einen offenen Alimentari in Budduso? Dann halten uns auch noch ein paar miteinander kämpfende Kühe (!) mitten auf der Straße auf!!

Der Spaß hört langsam auf. In Ottana sind wir bei etwa 280 Metern gestartet; bei 574 Meter war der Abzweig gerade; Budduso liegt aber auf 690 Meter und die Nuraghe schließlich bei 793 Metern! Die beiden Floriane fahren schon mal zum Einkaufen vor; Treffpunkt soll die Hauptkreuzung von Budduso sein. Wir anderen zockeln langsamer hinterher; passieren einen schönen Agriturismo (da werden wir auch noch mal übernachten!) und sind endlich um 19:15 Uhr an der Kreuzung – von Flobö und Flobe natürlich keine Spur! Die kommen exakt um 19:38 Uhr vollbepackt mit Einkaufstaschen am Lenker aus dem Ort hochgekeucht. Jetzt aber weiter zur Nuraghe. Marianne macht zwischenzeitlich noch einen Gang durch Buddusos Plastiken-Ausstellung. Alles natürlich aus „Graniti“; kein Wunder, befinden sich in Budduso doch Sardiniens berühmteste Granit-Steinbrüche.

Jetzt ist es Marianne, die fast die Weiterfahrt verweigert – zudem locken links und rechts schon schöne Lagerplätze. Martin treibt die Kolonne nun an. Ankunft bei der Nuraghe ist exakt um 20:15 Uhr; die Dämmerung setzt bereits ein. Und dann die Riesenüberraschung: Franco, Andreanas Bruder, wartet hier samt Frau schon seit drei Stunden auf uns!! Wir entschuldigen unsere späte Ankunft und beschreiben die Missgeschicke unseres 13. Fahrttages….

Aber nicht nur die beiden haben auf uns gewartet: auch eine Menge an Lebensmitteln, die sie fürsorglich für uns mitgebracht haben: sardisches Hirtenbrot; Käse, Wurst, und natürlich auch jede Menge Rotwein aus eigener Herstellung. Trotzdem – zuerst gibt es nur einen kleinen Becher zum Entspannen – danach müssen die Zelte hochgezogen werden; mit jeder Minute wird es bereits dunkler! Also – Eile ist nun geboten.

Aber nach 13 Tagen der Routine ist das jetzt alles kein Problem mehr: bald steht alles und wir können uns wieder unseren treuen Gastgebern widmen. Und so erzählen wir von unserer Tour und lassen es uns dabei schmecken. Wirklich – mit allem hätten wir gerechnet, aber nicht damit! Wir versprechen, zu schreiben und lassen uns nach einem letzten Becher Wein erschöpft in den warmen Schlafsäcken in den Schlaf sinken. Ab und zu kurven noch ein paar Fiats auf der Suche nach ein wenig „Entspannung“ an der Nuraghe vorbei…...

Tagesstrecke: 63,01 Km; Schnitt: 11,36 Km/h; Max: 48; Gesamt HM bergauf: 8382m, bergab: 7626m Gesamtstrecke: 502 Km Wetter: durchgehend diesig, starker Gegenwind, dazu die Panne: kurz: ein Scheißtag!

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