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Dienstag, 1.4.97, 12. Tag
Zum Frühstück sind es heute nur gut zwei Kilometer. Maracalagonis (von uns schnell auf den leichter auszusprechenden Namen Marrakesch umgenannt) heißt der Ort und hat damit einen viel schöneren Namen als sein Aussehen dann hält: schiefe Bänke auf dem Kirchplatz, überall Kaugummis auf dem Boden. Beim Frühstück haben wir Gesellschaft: genau gegenüber steht eine „Mobile Wache“ der Carabinieri. Wir rätseln, was die beiden Beamten hier eigentlich machen – sie tun zumindest nichts, während wir frühstücken.
Der nächste Ort, Sinnai, ist dann schnell erreicht. Inzwischen haben wir unsere weiteren Pläne festgelegt. Da Svenja schon seit geraumer Zeit über Schmerzen im Knie klagt und auch die Bandage nichts daran ändert, wollen wir jetzt zügig eine Bahnstation an der Strecke Cagliari-Oristano erreichen und dann mit dem Zug zu Pinuccio zurück fahren. Die verbleibenden Ferientage können wir dann per Transit als Rundtour organisieren.
Cagliari wäre sicher der nächstgelegene Bahnhof; aber dann müssten wir durch die ganze Großstadt. Das Problem dabei ist auch, dass wir wohl einen ganzen Tag brauchen werden, um zurück nach Monti zu kommen. Und deshalb müssen wir schon am Morgen am Startbahnhof sein. Aus diesem Grund scheidet Cagliari aus, da wir dort nirgends vorher übernachten können. Ein Blick auf die Karte zeigt uns, dass aber auch weiter nördlich einige kleinere Bahnstationen sind. Dort kann man sicher so im Umkreis von 10 Kilometern die letzte Nacht verbringen und trotzdem frühzeitig am Bahnhof sein.
Wir entscheiden uns schließlich für den kleinen Ort Samassi als Endpunkt unserer Radtour. Und damit ist auch die weitere Route für uns festgelegt. Wir durchfahren Settimo und erreichen dort die Bahnnebenstrecke nach Mandas. Ein kleines Stück folgt die kleine Nebenstraße der Bahntrasse. Wir schaffen sogar ein Foto von dem winzigen Triebwagen, der rüber nach Arbatax fährt.
Auf der nun nordwärts führenden Straße nach Dolianova haben wir leider den Pfeil auf der Karte übersehen! So bleibt uns ein starker Anstieg nicht erspart. Hinzu kommt ein unangenehmer Gegenwind. Und dann haben wir noch ein weiteres Problem zu lösen: bei Christoph ist die Kette abgesprungen und beim Weitertreten ziemlich fest in den Ritzeln verkeilt.
Kurz vor Dolianova biegen wir westlich ab und erreichen über Serdiana und Ussana nach knapp 20 Kilometern Monastir. Und hier machen wir den Fehler des Tages! Wir wählen die stark befahrene SS 131 für den Weiterweg – obwohl wir damit bereits schon 1991 und auch 1996 ganz schlechte Erfahrungen gemacht haben. Und so müssen wir auch in diesem Jahr mit den gleichen Problemen kämpfen: sehr starker, schon gefährlich zu bezeichnender Verkehr und dazu in der Ebene ein extremer Gegenwind. Nur mühsam kommen wir voran; teilweise nur mit 8 Km/h, obwohl die Straße weitgehend flach verläuft. Hier in der Ebene kann sich der Wind ungebremst austoben.
Wir sind dementsprechend froh, als wir nach etwa 10 Kilometern bei Serrenti-Süd wieder von der SS 131 runter können. Dabei hätte es eine gute Alternative gegeben mit einem kleinen Umweg über Villasor und Serramanna. Sechs Jahre später werden Marianne und Martin fast genau hier wieder auf die SS 131 auffahren, allerdings nur, um auf ihrer 2003er-Tour eine Übernachtung im von Bausenhardt empfohlenen Motel an der SS 131 bei Sanluri einzulegen.
Der Tag ist inzwischen schon weit fortgeschritten; in einem Supermarket decken wir uns mit dem Notwendigen für den Abend ein und gehen dann an die letzte Etappe des heutigen Tages: auf den nun folgenden 7 Kilometern bis Samassi müssen wir hinsichtlich eines Lagerplatzes fündig werden!
Leider ist auch hier alles stark landwirtschaftlich genutzt. So fragen wir einfach bei einem Bauern nach, der gerade auf dem Feld arbeitet; und der meint, wir sollten ein Stück weiter in einen kleinen Wald fahren. Gesagt, getan; und so stehen dort schon bald unsere Zelte.
Leider führte unser Weg ins Wäldchen hinein über einen Ackerweg, der ziemlich schlammig ist. Damit werden wir aber erst morgen unsere Schwierigkeiten haben. Jetzt wird ein letztes Mal auf der Radtour gekocht: zu den Tortellini gibt es ein leckeres Ratatouille.
Tageskilometer: 51,5 Km 4:40 Stunden im Sattel
Mittwoch, 2.4.97, 13. Tag
Unser Bauer kommt früh am Morgen vorbei und fragt, ob wir gestern schon um 22 Uhr geschlafen hätten. Mist, er hatte noch Wein für uns dabei gehabt! Wir verabschieden uns von ihm und bedanken uns noch einmal; dann bauen wir ab und erleben nun unser blaues Wunder, als wir zurück zur Straße wollen. Über Nacht hat es ein wenig geregnet und wir bekommen jetzt echte Probleme mit dem aufgeweichten Boden.
Nicht nur an den Schuhen bleibt der Schlamm in dicken Klumpen hängen, sondern leider auch an den Rädern! Und als direkte Folge davon setzt sich der Schlamm zwischen Mantel und Schutzblech fest. Bei Svenja und Martin, die ganz enge Schutzbleche haben, rollt bald nichts mehr.
Mühsam muß mit kleinen Ästen und Taschenmessern der Schlamm weggekratzt werden. So kommen wir zwar auf die Straße zurück, die ganzen Fahrräder sind aber über und über mit Schlamm verdreckt. Irgendwo schleift wohl bei jedem etwas.
Uns ist klar, dass wir mit solchen Rädern wohl auch nicht in den Zug kommen werden. Aber da ist uns wieder einmal das Glück hold! Als wir schließlich die ersten Teerstraßen im Außenbereich von Samassi erreichen und dort verzweifelt mit einer Grundreinigung beginnen, kommen mehrere Leute aus einem der Häuser und sprechen uns an. Und das in bestem deutsch! Es stellt sich heraus, dass eine der Frauen vor 25 Jahren neun Jahre bei uns in Deutschland gearbeitet hat – und das in Schmallenberg, bei Falke, wo sonst.
Wir erzählen jetzt natürlich, woher wir genau stammen und was wir so in diesem Jahr alles erlebt haben. Und als wir nun auf unser heutiges Missgeschick mit den verdreckten Rädern hinweisen, haben die freundlichen Leute prompt eine Lösung parat: ein Wasserschlauch wird angeschlossen und damit können wir alle Räder blitzblank abspritzen. Nach einem Abschiedsfoto bekommen wir noch eine genaue Wegbeschreibung zum Bahnhof mit und haben so keine Probleme mehr, die Stazione zu finden.
Leider müssen wir hier beim Studium des Fahrplans betrübt feststellen, dass erst um 13:30 ein „treno locale“, also ein Bummelzug, hier in Samassi in der Nordrichtung hält. Alle anderen Züge sind Expreß-Züge, die hier leider nicht halten. Scheißverbindung, aber leider nicht zu ändern. Dafür ist das Ganze aber billig: umgerechnet
90 Mark für die 5 Personen und 25 Mark für die Fahrräder, also alles in allem keine 25 Mark je Person. So haben wir nun Zeit für ein mehrstündiges Frühstück auf der zentralen Piazza von Samassi. Und zu sehen gibt es hier auch reichlich.
Unsere Tour ist damit beendet; der durchlaufende Tacho von Marianne zeigt 454 Kilometer. Das ist zwar weniger als in den Vorjahren – aber immerhin. Berge und Pässe gab`s ja unterwegs reichlich! Sieht man mal vom heutigen Tag ab, waren wir neun Fahrttage unterwegs; immerhin also ein Schnitt von etwa 50 Kilometern je Tag.
Das Verladen der Räder klappt dann problemlos; in Oristano müssen wir allerdings schon wieder raus und zwei Stunden auf einen Anschlusszug warten. Das reicht für eine Fahrt ins Zentrum; dort genießen wir bei sonnigem Wetter Pizza und Eis auf den Bänken an der Haupt-Piazza.
Weiter geht es per Zug; leider nur bis Chilivani, einem Eisenbahnknotenpunkt, an dem die Strecken von Cagliari, Sassari und Olbia zusammen laufen. Hier ist wieder eine Zwangspause fällig. Während Martin die Räder hütet, spurten die anderen über die Gleise rüber zu einem altbekannten Supermarkt. Dann wird auf dem Bahnsteig gekocht. Ein freundlicher Bahnangestellter erklärt uns nun auch, was es mit den vielen Plakaten über „Silvia Melis“ auf sich hat, die wir immer wieder unterwegs gesehen haben: eine gerade aktuelle Entführung!
Nach 22 Uhr erreichen wir dann die Stazione Monti-Telti, fahren die letzten paar Kilometer zum Bauern und bauen dort möglichst leise unsere Zelte auf der üblichen Wiese auf. Geschafft! Ab morgen sind wir wieder motorisiert!
Donnerstag, 3.4.97, 14. Tag
Pinuccio hat wohl nicht schlecht gestaunt, als unsere Zelte plötzlich wieder auf der Wiese standen. Um halb neun sind wir schon wieder auf; dankbar nehmen wir das Angebot an, im Badezimmer zu duschen. Und dann wird alles umgepackt! Für die nächsten Tage werden wir die Räder nun gegen unseren Transit tauschen. Also kann alles bei Pinuccio in seiner offenen Scheune bleiben, was irgendwie mit Fahrrad zu tun hat.
Gegen Mittag verabschieden wir uns erneut und starten mit dem Transit nach Westen. In Oschiri steuern wir einen Supermarkt an und decken uns großzügig mit Lebensmitteln ein. Jetzt brauchen wir ja nicht mehr auf`s Gewicht achten!
Mit dem Wagen sind wir nun zwar wesentlich schneller; das Erlebnis ist aber längst nicht so intensiv wie während der Radtour. Und so befinden wir uns eine Stunde später auch schon am Capo Caccia. Da die See heute ziemlich ruhig ist, verkehren auch die Ausflugsboote zur Höhle.
Wir aber nehmen den anstrengenderen Weg und steigen die 652 Stufen am Felsen hinab zum Höhleneingang. Das ist zwar mühsamer, hat aber den Vorteil, keine einzige Lira zu kosten. Und außerdem hat man beim anschließenden Aufstieg genug Muße, die Felsformationen und die umherschwirrenden Möwen zu beobachten.
Einen Besuch der Höhle selbst schenken wir uns ebenfalls; wir haben inzwischen auf Sardinien eindrucksvollere Tropfsteinhöhlen kennen gelernt. Außerdem schocken uns die Eintrittspreise!
Weiter geht es danach zu einem Kurzbesuch in Alghero. Wir schlendern mit einem Eis durch die Gassen der Altstadt und schwelgen in Erinnerungen an den letzten Algherobesuch vor zwei Jahren. Die weitere Strecke folgt nun immer der damaligen Fahrrad-Route, nur in umgekehrter Richtung.
Die Küstenstraße von Alghero nach Bosa kann man zu recht als Panoramastraße bezeichnen; immer wieder halten wir an und genießen die weiten Ausblicke über das azurblaue Meer.
Unser heutiger Übernachtungsort steht bereits fest: 4 Kilometer vor Bosa haben wir schon `89 und `95 gezeltet. Und an diesem einsamen Plätzchen am Strand wollen wir auch jetzt bleiben. Zum Glück ist sogar das Tor am Feldweg runter zum Wasser offen – also können wir gleich mit dem Wagen bis ziemlich weit ans Wasser runter fahren. So müssen wir den Transit über Nacht nicht allein an der Straße stehen lassen, sondern ziehen in seiner Sichtweite die Zelte hoch.
Später kommt noch ein Bauer vorbei und bittet uns, beim Wegfahren oben das Tor wieder zu schließen, wegen der Tiere. Klar, werden wir natürlich machen. Wir unterhalten uns noch ein wenig mit ihm und laden ihn auf ein deutsches Dosen-Bier ein. Für uns gibt es danach in der Abenddämmerung ein opulentes Mahl aus Semmelknödeln mit Gulasch. Danach sitzen wir am Strand, genießen den Sonnenuntergang im Meer und die Ferien ganz allgemein.
Freitag, 4.4.97, 15. Tag
Früh sind wir auf; bald sind wir auch nicht mehr alleine: zuerst taucht ein einzelner Mann auf, der etwas weiter entfernt den Strand nach irgendetwas absucht. Kurz darauf gesellt sich ein weißer Transit dazu; später noch ein schwarzer Golf mit verspiegelten Scheiben. Der Grund des Meetings bleibt uns verborgen. Ist über Nacht vielleicht irgendwas vom Meer her hier abgeladen worden???
Na ja, uns kann es egal sein, wir sind ja nicht von der „Guardia Finanzia“! Wir spülen unsere Kochutensilien und müssen höllisch aufpassen, um nicht von einer der recht großen Wellen durchnässt zu werden. Dann wird alles wieder im Wagen verstaut und steuern anschließend zuerst einmal Bosa zum Frühstück an. Nach dem obligatorischen Rundgang durch Bosas Altstadt suchen wir die Post und bekommen hier endlich die fehlenden Briefmarken für unsere Ansichtskarten.
Der weitere Streckenverlauf führt nun über Bosa Marina hoch nach Cuglieri. Und hier biegen wir nun ins Inland ab. Immer höher schraubt sich die enge Gebirgsstraße, ehe wir zehn Kilometer weiter den Paß auf einer Höhe von 875 m erreichen. Hier zeigt Martin den anderen das Gelände um das Kirchlein „La Madonnina“. Die Jufis waren 1989 hier drei Tage zu Gast bei Don Budoni.
Über Santu Lussurgiu kommen wir nun wieder in die Ebene hinab zur SS 131. Abbasanta wird noch kurz angesteuert; dann geht es auf der SS 131 südwärts. Wir gönnen uns nun Erinnerungen an die letztjährige Radtour und fahren deren Route in umgekehrter Richtung ab. Unterwegs ernten wir jede Menge Bambusstäbe als Souvenir für die Heimat. Wenn man schon mal einen großen Wagen dabei hat….
Solarussa – Simaxis – Villaurbana – Usellus: altbekannte Ortschaften fliegen nur so an uns vorbei. Wir spüren dabei deutlich: eine Rundreise mit dem Auto ist nur halb so schön!! Und schon stehen wir vor dem Eingang zur Nuraghenfestung „Su Nuraxi“ bei Barumini. Erneut eine weitere Enttäuschung: das ganze Gebiet ist inzwischen weiträumig eingezäunt und auch nicht mehr vollständig begehbar. Mein Gott, in den Vorjahren konnte man hier noch völlig frei herum turnen. Aber einfach weiter fahren wollen wir natürlich auch nicht und machen zumindest einen Rundgang durch den Kern der Nuraghe. Und so kommen wir an diesem geschichtsträchtigen Ort auch noch mit Hilfe des Selbstauslösers endlich an ein Gruppenfoto mit allen Beteiligten der Fahrt.
Der nächste Streckenabschnitt gehört sicher zu den beeindruckendsten Bergstraßen durch Sardinien: quer durch´s Gennargentu geht es nun von Mandas über Seui und Ussassai bis nach Ulassai; fast schon wieder an der Ostküste. Dort steuern wir zielstrebig den Parkplatz der Grotte „Su Marmuri“ an und ziehen uns für die Höhlenerkundung lange Sachen an.
Umsonst – denn oben eine weitere böse Überraschung: der Grotteneingang ist mit einem Gittertor abgesperrt – und dieses Tor ist leider mit einer Kette fest verriegelt! Nun ja, drüber klettern geht aber noch! So kommen wir wenigstens bis zum Grotteneingang. Schade – auf diese Höhlenbesichtigung hatten wir uns alle schon gefreut.
Dann brauchen wir uns hier auch nicht mehr länger aufhalten! Wir fahren zurück nach Ulassai und von dort durch ein tief eingeschnittenes Tal rüber nach Gairo. Hier hat nun endlich ein Lebensmittelgeschäft geöffnet. Ziel ist für heute unser alter Lagerplatz hoch oben im Gebirge, auf über 1000 m Höhe. Der liegt an der SS 389 kurz vor Villagrande und ist uns ebenfalls schon von mehreren Fahrten her bekannt. Gut, dass wir diese Plätze kennen – denn wild campen ist besonders schwierig, wenn man abends nicht nur die Zelte getarnt aufbauen will, sondern auch noch einen großen, weißen Transit im Gelände verstecken muß!
Der Weg von der SS 389 hinunter zu unserem weiträumigen Hochtal führt über eine gefährlich steil aussehende Schotterpiste. Runter geht das ja noch ganz gut – ein wenig mulmig ist uns aber bei dem Gedanken, wie wir da morgen wieder rauf kommen werden. Alles darf dann passieren – nur keine durchdrehenden Antriebsräder!
Wir verzichten auf die unten sonst übliche Furtdurchquerung und bleiben diesseits des Baches – dieses zusätzliche Risiko wollen wir nicht auch noch eingehen. Man spürt die Höhenlage: nach dem Sonnenuntergang wird es beißend kalt und wir ziehen uns ins Vorzelt des Hilleberg zurück – bequem auf einer Transportkiste sitzend. Welch ein Luxus! Dazu genießen wir eine neue Spaghetteria-Sorte; Typ „Parmesano“. Nachts ein klarer, funkelnder Sternenhimmel über unseren Zelten. Und eisige Kälte!
Samstag, 5.4.97, 16. Tag
Und wie kalt es in der Nacht war, sehen wir beim Aufstehen! Unser Thermometer zeigt doch glatt 5 Grad – aber minus! Das Eis auf den Transitscheiben und den Zeltüberdächern spricht auch eine deutliche Sprache. Als dann aber die Sonne aufgeht, ist der Eis-Spuk schnell vorbei. Das Eis schmilzt so schnell, dass wir wiederum den Fotoapparat nicht schnell genug draußen haben.
So können wir uns in der strahlenden Morgensonne dann ganz unserem Kaffee widmen, von dem wir uns gleich drei nacheinander gönnen. Es ist schon ein schönes Gefühl, mit einem dampfenden Kaffeebecher in den Händen diese Landschaft zu betrachten.
Schnell ist alles abgebaut und hinten im Transit verstaut – und jetzt kommt der spannende Moment: schafft der Transit es hoch – oder doch nicht? „TNT“ von AC DC dröhnt aus dem Cassetten-Teil – genug Gas, dann die Kupplung los. Und siehe da – unser treuer Begleiter schiebt sich mühelos die Schotter-Piste hoch.
Oben winken diejenigen, die zur Gewichtsentlastung zu Fuß hoch mussten plötzlich hektisch, der Wagen solle anhalten. Das geht natürlich nicht! Und so kommt der Transit just oben an der Straße an, als eine Carabinieri-Streife langsam vorbeifährt und argwöhnisch zu uns herüberschaut. Die werden sich sicher gewundert haben, was ein deutsches Auto dort unten zu suchen hatte.
Nachdem wir diese Sorge also los sind, machen wir in Villanova einen Großeinkauf für das anstehende Wochenende. Weiter geht es nun auf der alten SS 389 bis zur Cantoniera „Pira e Onni“. Ab hier hatten wir `95 dummerweise die neu gebaute SS 389 südwärts benutzt (obwohl noch gesperrt…) – und dann mussten wir die ganze Strecke wieder zurück, weil eine blöde Brücke noch nicht fertig war. Aber auch heute, 1997, ist die Straße immer noch nicht freigegeben.
An dieser für uns mit vielen Erinnerungen behafteten Stelle (mein Gott, wie viele Apfelsinen haben wir hier damals von Autofahrern geschenkt bekommen!) machen wir eine ausgiebige Frühstücksrast. Sardische Käfer leisten uns Gesellschaft. Wir beobachten sie bei ihren heroischen Bemühungen, dicke Kugeln vor sich her zu rollen. Bei kleinen Steigungen greifen wir auch schon mal helfend ein…
Inzwischen können wir die vielen Polizeiwagen nicht mehr ignorieren, die ständig hektisch hin- und herfahren. Irgendwas muß da los sein. Den Grund dafür erfahren wir dann etwas später von einem LKW-Fahrer, als wir an der Quelle hinter dem Tunnel am „Arcu Correboi“ eine Waschpause einlegen. Auch hier steht ein Carabinieri-Wagen, der urplötzlich mit qualmenden Reifen losjagt und dabei fast einen Unfall verursacht, als ein anderer Wagen aus dem Tunnel herausschießt. Als der LKW-Fahrer hinter den Polizisten herflucht, sprechen wir ihn an und erfahren, dass ganz Sardinien momentan hinter den Entführern von Silvia Melis her ist. Aha, jetzt können wir uns langsam die ganze Geschichte mit Silvia Melis zusammen reimen (und erst fünf Jahre später werden wir im Newsletter von www.isolasarda.com lesen, dass die Entführung nicht nur gut ausgegangen ist, sondern dass man die Entführer auch erwischt hat. An der Stelle auch der Hinweis, dass dieser Newsletter für alle Freunde Sardiniens recht interessant ist.).
Über unsere alte Strecke geht es erst nach Pratobello und dann runter nach Orgosolo. Hier lassen wir den Wagen stehen und schlendern durch die Gassen, um uns einige der Murales anzusehen. Die Häuser haben hier teilweise eine merkwürdige Bauweise: unten als Rohbau; in den oberen Etagen dagegen richtig bewohnt. Leider sind alle Geschäfte inzwischen schon geschlossen – also heute kein Eis!
Wir fahren nun weiter nach Oliena und lassen dort den Wagen erneut stehen. Durch die engen Gassen kommt man mit unserem Wagen sowieso kaum durch (diese Erfahrung haben wir `89 schon gemacht – und dabei beide Kotflügel des damaligen Transits („Joringel“) etwas enger zusammen gepresst…). Wir schlendern hoch zum Ristorante „CK“ und gönnen uns mal ein richtiges Mittagessen. Dort bekommen wir zwar unser „Pane Vrattau“ als Vorspeise, leider aber ohne Eier (denn die sind momentan ausgegangen). Und so wird`s auch nichts mit den eigentlich bestellten Spaghetti Carbonara – denn auch hier würde das Ei fehlen. Martin wählt dafür dummerweise Tagliatelle „funghi“ und ärgert sich anschließend über die dicken, glitschigen Brocken zwischen den Nudeln.
Für eine Übernachtung hier ist es noch viel zu früh; wir schauen auf die Karte und beschließen, noch mal „kurz“ rüber nach Cala Gonone bei Dorgali zu fahren. Mit dem Auto ist das auch nicht weit. Bei Dorgali treffen wir dabei auf unsere „Orientale Sarda SS 125“. Wir rechnen kurz nach: am letzten Mittwoch sind wir hier noch mit dem Rad durch gefahren! So schließt sich der Kreis! Aber nur kurz, denn hinter Dorgali biegen wir in den Tunnel ab, der uns auf die Serpentinenstraße nach Cala Gonone bringt; 463 Höhenmeter runter! Klar, dass wir bei der Radtour nicht mal im Traum daran gedacht haben, das mit dem Rad runter (und wieder rauf!) zu fahren.
Das war auch gut so: Cala Gonone ist eine einzige Enttäuschung im Frühjahr. Absolut tote Hose! Wir fahren zurück bis kurz vor Oliena und biegen dort nach „Su Gologone“ ein. Am Ende der Straße soll es bei der Quelle ein Plätzchen geben, wo man freicampen dürfe (Bausenhardt). Leider ist am Ende der Straße ein großer Parkplatz mit einer Art Picknick-Gelände. Das ist nichts für uns! Wir fahren ein Stück zurück und treffen durch Zufall an einer Feldwegeinfahrt einen alten Bauer mit einem Ape 50. Wir fragen ihn, ob er eine Stelle zum Zelten kennen würde (unser italienisch ist inzwischen für diese Gelegenheiten perfekt). Sein Sohn kommt dazu und meint, wir könnten bei ihm auf dem Grundstück problemlos lagern.
Wir folgen den beiden den Feldweg entlang und durch ein Eisentor auf eine – leider ziemlich schräge - Wiese. Aber egal; Platz ist Platz. Wir bieten unseren Gastgebern unser deutsches Bier an und vor allem der Senior trinkt gerne mit!
Da das Wetter stabil aussieht, entscheiden sich Jan, Christoph und Svenja für eine Übernachtung unter freiem Himmel. M&M bauen zumindest ihr Innenzelt auf. Marianne hat den Platz ausgesucht und kann daher auch nicht meckern, als der sich so nach und nach als äußerst schräg und steinig herausstellt. Da hilft auch ein Tausch mit Martins dicker Isomatte nichts.
Bereits im Dunklen kochen wir „Rollini“ und können uns dann die ganze Nacht noch über die in der Nachbarschaft lebenden Hunde ärgern, die uns wütend ankläffen.
Sonntag, 6.4.97, 17. Tag
Wandertag! Das steht auf dem heutigen Programm. Die Idee dazu stammt aus den Beschreibungen bei Hans Bausenhardt:
„Eine der großartigsten Exkursionen ab Su Gologone ist das Lanaitto-Hochtal, in das ab Su Gologone eine Schotterpiste führt. Im Talboden der Riu de sa Oche, zum Teil Kulturland, meist aber Steineichenwälder und Macchia, immer wieder wild von Erosion zerfressene Steinflächen. Das Tal eingerahmt von den fast senkrecht aufsteigenden Wäldern des Supramonte.
Rund sechs Kilometer nach Su Gologone (nach Durchfahrt durch eine Furt) liegen die beiden Spitzenhöhlen SU BENTU und SA OCHE, beide nur im ersten Teil begehbar. Danach definitiv nur was für tip-top ausgerüstete Speleologen, da die tiefer gelegenen Höhlenteile durchtaucht werden müssen. Beide Höhlen stehen durch ein Gängesystem miteinander in Verbindung. Innen unterirdische Flüsse und Seen. Bisher auf neun Kilometer Länge erforscht.“
Aber zuerst einmal genießen wir den frischen Morgen; wolkenlos, aber doch recht kühl. Anfangs liegen wir noch im Schatten des Supramonte, aber schon bald liegt auch unser Lagerplatz in der Frühsonne. Und damit wird es auch schnell wärmer. Ja, diesen Tag wollen wir nun also als Wandertag nutzen. Mit dem Rad kommt
man ja normalerweise nicht dazu. Gegenüber liegen die Berge rund um Onanie und Bitti; rechts der Montalbo, den wir fälschlicherweise 1995 schon mal für den Supramonte gehalten haben.
Wir packen alles zusammen, schließen das Eisentor nach dem Verlassen des Platzes und fahren zurück zur Hauptstraße. Dort steuern wir zuerst noch einmal das Picknick-Gelände an. Hier statten wir der Quelle „Su Gologone“ einen Besuch ab.
„Eisigkaltes Wasser, schmeckt gut, liegt aber schwer im Magen. Eine der größten Quellen der Insel; aus dem Fels entspringt ein Fluß (300 Liter pro Sekunde !); tiefgrünes Wasser, durch unterirdische Flüsse mit den Versickerungen Flumineddu bei Su Gorropu verbunden.“
Und diese Quelle ist dann auch wirklich beeindruckend! Wir stehen vor dem Felsspalt, aus dem das Wasser anscheinend kommt, und staunen über das glasklare Wasser, das jede Tiefenabschätzung unmöglich macht.
Danach fahren wir noch ein Stück ins Lanaitto-Tal hinein; zuerst ist es gar keine Schotterstraße, sondern ein betonierter Weg. Aber auch der hat es fahrtechnisch gesehen gewaltig in sich! Und so halten wir schon nach wenigen Kilometern an der erstmöglichen Stelle, wo man einen Transit abstellen kann. Wer weiß, wie sich die Strecke noch weiter entwickeln wird! Und dann soll ja noch eine Furt kommen….
Außerdem wollten wir ja auch wandern! Und so packen wir unsere Tagesrucksäcke mit Verpflegung und die Trekking-Stöcke (auf Regenzeug verzichten wir angesichts des wolkenlosen Himmels) und machen uns auf den Weg. Svenja bleibt in der Nähe des Transits zurück. Sie will mit ihrem Bein lieber einen Ruhetag einlegen, lesen und sich sonnen.
Wir überholen eine englische Reisegruppe, die wohl auch zum gleichen Ziel unterwegs ist (denken wir) und durchqueren das Lanaitto-Tal auf einem nicht zu verfehlenden Weg. Doch dann staunen wir nicht schlecht, als plötzlich ein Wegweiser zu einem „Villagio Nuraghico“ auftaucht. Sollte da unsere Höhle sein? Wir folgen dem Schild und stehen bald darauf in einer ausgegrabenen Ruinenlandschaft, in der eine Reiseführerin gerade einer anderen Gruppe auf italienisch die Feinheiten der Anlage erklärt.
Wir mischen uns unter die Gruppe und bekommen so eine Gratis-Führung; dafür verstehen wir aber leider auch nur Bruchstücke der sicher interessanten Führung. Danach fragen wir die Führerin nach der Höhle, und so bekommen wir eine exakte Wegbeschreibung für das letzte Stück des Weges. Es geht tatsächlich über eine Art Furt, die aber mit Betonplatten befestigt ist. Und da ist ja auch schon ein Hinweisschild zur Höhle „Sa Oche“! Man könnte aber noch weiter zu einer Nuraghensiedlung inmitten einer anderen, riesigen Höhle, namens „Tiscali“.
Da wir aber heute nicht alles machen können, bleiben wir bei unserem Vorhaben und steuern Sa Oche an. Dies ist ziemlich schwierig, da wir uns so einige hundert Meter erst einmal über riesige Blockfelder vorarbeiten müssen; dazu noch 70 Höhenmeter aufwärts. Dann taucht der Höhleneingang vor uns auf.
„Sa Oche wurde für die Dreharbeiten zu einem biblischen Monumental-Schinken von Paramount als Kulisse verwendet; 1984 für die Filmhasen mit einem Alusteg erschlossen und mit dicken Beleuchtungskabeln versehen. Zwischenzeitlich wieder abgebaut.“
Gut, so müssen wir unsere eigenen Filmaufnahmen mit dem vorhandenen Restlicht der Außenwelt machen. Rings herum gigantische Grotten und Höhlen im Gestein. Jan, als bester Kletterer, übernimmt für uns die Rolle eines Leprakranken in einer der Höhlen…
Schon nach wenigen Minuten wird die Höhle aber dann so steil und auch so dunkel, dass wir weder mit unseren Taschenlampen was erkennen können, noch ohne Seile weiter kommen. Wir können aber so gerade noch sehen, dass unter uns bereits Wasser beginnt. Schade, für uns ist hier also leider Schluß!
Draußen vor der Höhle dann noch ein Gruppenfoto mit Selbstauslöser; etwas schwierig für den Fotografen, innerhalb der zehn Sekunden über die Blockfelder wieder in Position zu spurten.
Dann geht`s zurück zum Transit. Unterwegs kommt uns merkwürdigerweise sogar ein Feuerwehrwagen mit Blaulicht entgegen. Svenja hat inzwischen 3 ½ Stunden die Sonne und die Ruhe genossen; leider aber ohne Sonnencreme, was wir anderen sofort bemerken. Auch sie hat so ein Andenken an das Lanaitto-Tal.
Reichlich müde klettern wir in unseren Transit und machen uns wieder auf in Richtung Heimat zu Pinuccio. Wir wählen dazu die Radstrecke von 1995 und können so über das Kloster San Giovanni, Onani und Lula viele Erinnerungen auffrischen. In Bitti ein kurzer Zwischenstop; die alten Männer sitzen wie gewohnt im Park, spielen Boccia und lassen eine 2-Liter-Flasche Rotwein kreisen. Wir gesellen uns dazu und genießen ein Eis.
Von Bitti geht es rüber nach Budusso, vorbei an „unserer“ Nuraghe Lölle. Nach Ala dei Sardi passieren wir die Brandschneise, in der wir `95 die erste Nacht verbracht hatten. Kurz darauf erreichen wir das Haus von Mareikes Familie neben der Cantoniera Mazzináiu. Wir schellen an – und haben Glück! Die ganze Familie ist da!
Wir kennen Mareike schon seit 1995; damals lud sie uns spontan in ihr Haus ein (alle erinnern sich heute noch gern an den selbstgemachten Erdbeerwein und wie wir mit einem Sektkorken fast einen unter der Decke hängenden Schinken abgeschossen haben…). Klar, dass wir ihr auch jetzt wieder vieles zu erzählen haben.
In diesem Jahr schenkt Mareike uns einen Ableger einer „Asia-Kastanie“ (s. Foto). Wir versprechen, ihr einen Ehrenplatz in unserem Garten einzuräumen (inzwischen ist das „Bäumchen“ in Wenholthausen bereits über drei Meter hoch und prächtig entwickelt). Wir versprechen auch, bei der nächsten Tour wieder vorbei zu schauen. Doch dabei werden wir leider von Nachbarn erfahren müssen, dass Mareikes Mann verstorben ist und Mareike selbst wieder zurück nach Holland gegangen ist. Schade, dass niemand die neue Adresse weiß.
Es folgen die letzten, steilen Kilometer runter nach Monti – und schon bauen wir erneut auf Pinuccios Gelände unsere Zelte auf. Angesichts des schönen Wetters ohne Überdach. Bei Pinuccio kochen wir dann in der Küche Tortellini mit einem leckeren Gulasch, was wir dann abends gemeinsam mit der Familie zu uns nehmen. Dabei kündigen wir auch an, dass wir die Familie morgen Abend zu einem „deutschen“ Essen einladen wollen. Wir müssen uns ja schließlich mal für die vielen Köstlichkeiten aus Andreanas Küche revanchieren!
Müde kriechen wir dann in unsere Schlafsäcke zur verdienten Nachtruhe. Die wird aber irgendwann jäh gestört, als wir erste Regentropfen auf`s Innenzelt klatschen hören. Verdammt, das musste ja so kommen! Es hilft nichts – in Unterwäsche spurten wir raus und werfen das Überdach über das Innenzelt.
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